Hugo von Hofmannsthal, Der Schwierige
Hugo von Hofmannsthal, Der Schwierige
Hugo von Hofmannsthal, Der Schwierige
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Hans Karl Heute abend nichts erwähnen.<br />
Sechste Szene<br />
Vinzenz führt Agathe herein. Beide Diener ab.<br />
Hans Karl Guten Abend, Agathe.<br />
Agathe Daß ich Sie sehe, Euer Gnaden Erlaucht! Ich zittre ja.<br />
Hans Karl Wollen Sie sich nicht setzen?<br />
Agathestehend Oh, Euer Gnaden, seien nur nicht ungehalten darüber, daß ich gekommen bin, statt dem<br />
Brandstätter.<br />
Hans Karl, Aber liebe Agathe, wir sind ja doch alte Bekannte. Was bringt Sie denn zu mir?<br />
Agathe Mein Gott, das wissen doch Erlaucht. Ich komm' wegen der Briefe.<br />
Hans Karl ist betroffen.<br />
Agathe Oh Verzeihung, oh Gott, es ist ja nicht zum Ausdenken, wie mir meine Frau Gräfin eingeschärft hat,<br />
durch mein Betragen nichts zu verderben.<br />
Hans Karlzögernd Die Frau Gräfin hat mir allerdings geschrieben, daß gewisse in meiner Hand befindliche,<br />
ihr gehörige Briefe, würden <strong>von</strong> einem Herrn Brandstätter am Fünfzehnten abgeholt werden. Heute ist der<br />
Zwölfte, aber ich kann natürlich die Briefe auch Ihnen übergeben. Sofort, wenn es der Wunsch der Frau<br />
Gräfin ist. Ich weiß ja, Sie sind der Frau Gräfin sehr ergeben.<br />
Agathe Gewisse Briefe – wie Sie das sagen, Erlaucht. Ich weiß ja doch, was das für Briefe sind.<br />
Hans Karlkühl Ich werde sofort den Auftrag geben.<br />
Agathe Wenn sie uns so beisammen sehen könnte, meine Frau Gräfin. Das wäre ihr eine Beruhigung, eine<br />
kleine Linderung.<br />
Hans Karl fängt an, in der Lade zu suchen.<br />
Agathe Nach diesen entsetzlichen sieben Wochen, seitdem wir wissen, daß unser Herr Graf aus dem Felde<br />
zurück ist und wir kein Lebenszeichen <strong>von</strong> ihm haben...<br />
Hans Karlsieht auf Sie haben vom Grafen Hechingen kein Lebenszeichen?<br />
Agathe Von dem! Wenn ich sage, »unser Herr Graf«, das heißt in unserer Sprache Sie, Erlaucht! Vom<br />
Grafen Hechingen sagen wir nicht »unser Herr Graf!«<br />
Hans Karlsehr geniert Ah, pardon, das konnte ich nicht wissen.<br />
Agatheschüchtern Bis heute nachmittag haben wir ja geglaubt, daß heute bei der gräflich Altenwylschen<br />
Soiree das Wiedersehen sein wird. Da telephoniert mir die Jungfer <strong>von</strong> der Komtesse Altenwyl: Er hat<br />
abgesagt!<br />
Hans Karl steht auf.<br />
Agathe Er hat abgesagt, Agathe, ruft die Frau Gräfin, abgesagt, weil er gehört hat, daß ich hinkomme! Dann<br />
ist doch alles vorbei! Und dabei schaut sie mich an mit einem Blick, der einen Stein erweichen könnte.<br />
Hans Karlsehr höflich, aber mit dem Wunsche, ein Ende zu machen Ich fürchte, ich habe die gewünschten<br />
Briefe nicht hier in meinem Schreibtisch, ich werde gleich meinen Sekretär rufen.<br />
Agathe Oh Gott, in der Hand eines Sekretärs sind diese Briefe! Das dürfte meine Frau Gräfin nie erfahren!<br />
Hans Karl Die Briefe sind natürlich eingesiegelt.<br />
Agathe Eingesiegelt! So weit ist es schon gekommen?<br />
Hans Karlspricht ins Telephon Lieber Neugebauer, wenn Sie für einen Augenblick herüberkommen<br />
würden! Ja, ich bin jetzt frei – aber ohne die Akten – es handelt sich um etwas anderes. Augenblicklich?<br />
Nein, rechnen Sie nur zu Ende. In drei Minuten, das genügt.<br />
Agathe Er darf mich nicht sehen, er kennt mich <strong>von</strong> früher!<br />
Hans Karl Sie können in die Bibliothek treten, ich mach' Ihnen Licht.<br />
Agathe Wie hätten wir uns denn das denken können, daß alles auf einmal vorbei ist.<br />
Hans Karlim Begriff, sie hinüberzuführen, bleibt stehen, runzelt die Stirn Liebe Agathe, da Sie ja <strong>von</strong> allem<br />
informiert sind – ich verstehe nicht ganz, ich habe ja doch der Frau Gräfin aus dem Feldspital einen langen<br />
Brief geschrieben, dieses Frühjahr.<br />
Agathe Ja, den abscheulichen Brief.<br />
Hans Karl Ich verstehe Sie nicht. Es war ein sehr freundschaftlicher Brief.<br />
Agathe Das war ein perfider Brief. So gezittert haben wir, als wir ihn gelesen haben, diesen Brief. Erbittert<br />
waren wir und gedemütigt!<br />
Hans Karl Ja, worüber denn, ich bitt' Sie um alles!