04.05.2014 Aufrufe

mit VORLÄUFiGER tAGESORDNUNG HALBJAHREStREFFEN

mit VORLÄUFiGER tAGESORDNUNG HALBJAHREStREFFEN

mit VORLÄUFiGER tAGESORDNUNG HALBJAHREStREFFEN

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

titelgeschichte //<br />

Europa hat keine gemeinsame<br />

Legende<br />

Kurz und bündig ist das Fazit, zu dem er<br />

kommt: „Es gibt kein europäisches Volk.“<br />

(GM 897) Er präzisiert dieses Ergebnis:<br />

„Es gibt kein europäisches Volk. Es gibt<br />

nicht die eine umfassende Kultur- und<br />

Traditionsgemeinschaft … es gibt mindestens<br />

vier: die nördlich-protestantische,<br />

die lateinisch-katholische, die<br />

griechisch-orthodoxe, die muslimischosmanische.<br />

Es gibt nicht eine Sprache,<br />

es sind Dutzende. … Die demokratische<br />

Tradition ist schwach. … Und vor allem<br />

gibt es in Europa nur sehr wenig geteilte<br />

historische Erfahrungen.“ (897)<br />

Was Mak auf seinen monatlichen<br />

Reisen kreuz und quer durch Europa,<br />

gesehen, gelesen, gehört und in<br />

Gesprächen erfahren hat, fasst er wie<br />

<strong>mit</strong> dem Brennglas zusammen. Er benennt<br />

den für unser Zusammenleben<br />

und Zusammenfinden im noch längst<br />

nicht geeinten Europa grundlegenden<br />

Sachverhalt. Er verdeutlicht ihn am<br />

Beispiel des Zweiten Weltkriegs: „So hatte<br />

sich fast jedes Land, das ich bereiste,<br />

zu der beispiellosen Gewalteruption<br />

der Jahre 1939 bis 1945 seine eigene<br />

Geschichte zurechtgelegt, einen eigenen<br />

Mythos in die Welt gesetzt, um den<br />

unbeschreiblichen Wahnsinn zu erklären,<br />

um Untaten zu rechtfertigen, um<br />

Demütigungen zuzudecken und um<br />

neue Helden zu erschaffen.<br />

Die Briten kompensierten den Verlust<br />

ihres Empires <strong>mit</strong> dem Mythos des Blitz.<br />

Die Franzosen konstruierten aus der<br />

Schande von Vichy die Heldensage von<br />

General de Gaulle und der Résistance.<br />

Die Menschen in der ehemaligen<br />

Sowjetunion versöhnten sich <strong>mit</strong><br />

Stalins unsäglicher Verschwendung von<br />

Menschenleben durch die Geschichte<br />

vom Großen vaterländischen Krieg. Die<br />

Deutschen erklärten ihren Mangel an<br />

Moral während der Nazijahre - die Nazis<br />

waren immer die anderen - <strong>mit</strong> der<br />

Legende von Hitler als Dämon des Bösen.<br />

All diese entlastenden, erklärenden,<br />

tröstenden Mythen sind ohne den<br />

nationalen Kontext nicht lebensfähig.<br />

Menschen brauchen Geschichten, um<br />

das Unbegreifliche zu erfassen, um ihrem<br />

Verhängnis einen Platz in einem<br />

sinnvollen Zusammenhang zuzuweisen.<br />

… Europa … hat im Gegensatz zu den<br />

Vereinigten Staaten immer noch keine<br />

gemeinsame Legende.“ (GM 897)<br />

Mak sieht nicht nur Spuren, er entdeckt<br />

und beschreibt Gräben in der Landschaft<br />

Europa. Besonders ‚tiefe Gräben‘ liegen<br />

in den und zwischen den Staaten, die auf<br />

Jugoslawien nach dem Tod von Tito im<br />

Jahre 1980 folgen: Slowenien, Kroatien,<br />

Bosnien, Herzegowina, Serbien und<br />

Kosovo, erstmals geschaffen bei den<br />

Friedenskonferenzen in Versailles.<br />

Geert Mak nennt die<br />

Jugoslawienkriege „eine furchtbare<br />

Zugabe des 20. Jahrhunderts“ (846)<br />

und erinnert an deren „komplizierte<br />

Vorgeschichte“ (847) in einer erbittert<br />

umkämpften Übergangszone zwischen<br />

dem „römischen Katholizismus, der östlichen<br />

Orthodoxie und dem Islam“ (847)<br />

Welche Belastungen wird die<br />

Europäische Union zu tragen, welche<br />

Spannungen wird sie auszuhalten haben,<br />

wenn die ehemaligen jugoslawischen<br />

Staaten in die EU aufgenommen werden?<br />

Europa, schreibt Mak, ist ein Kontinent,<br />

auf dem man mühelos in der Zeit hin<br />

und her reisen kann. Wohin er auch<br />

kommt, findet er nicht bloß die Spuren<br />

der Geschichte vor, sondern eine dem<br />

Ort jeweils eigene Zeit: „Auf den Fähren<br />

in Istanbul herrscht das Jahr 1948, in<br />

Lissabon 1956. An der Gare de Lyon in<br />

Paris fühlt man sich wie im Jahr 2020;<br />

und in Budapest haben junge Männer<br />

die Gesichter unserer Väter.“ (GM 11/12)<br />

Zerfällt Europa in seine<br />

nationalen Einheiten?<br />

Die an dieser Stelle mögliche<br />

Zwischenbilanz ist für ein geeintes<br />

Europa wenig ermutigend: Europa ist<br />

eine Ansammlung ganz unterschiedlicher<br />

Völker, ein Verbund starker und<br />

schwacher Staaten. Diese haben zwar<br />

eine gemeinsame Geschichte, haben<br />

sich aber daraus völlig verschiedene<br />

Biographien gemacht. Auf ihrem Weg in<br />

die moderne, in die heutige Welt trennen<br />

sie teilweise Jahrzehnte, im Extrem ein<br />

Depesche 136 | AGM OTD Rheine, 23. bis 25. Mai 2014 7

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!