PSC 6-08 - FSP
PSC 6-08 - FSP
PSC 6-08 - FSP
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
14<br />
DOSSIER: Berufseinstieg und Psyche<br />
PSYCHOSCOPE 6/20<strong>08</strong><br />
Anfang an Konzentrationsstörungen und eine limitierte<br />
Aufmerksamkeitsspanne geboten. Der Arbeitsstil sei unsorgfältig,<br />
das Schriftbild teilweise unleserlich und insgesamt<br />
habe sich der beschriebene Zustand über den bisherigen<br />
Verlauf nicht wesentlich verändert.<br />
Es werden die Diagnosen einer posttraumatischen Belastungsstörung<br />
(ICD 10: F 43.1), einer kombinierten<br />
Störung schulischer Fertigkeiten (F81.3) und eines Stotterns<br />
(F 98.5) gestellt. Unter den genannten Voraussetzungen<br />
sei dann die Indikation zu einer Psychotherapie<br />
gestellt worden. Nach bisher einjährigem Verlauf zeige er<br />
nur mehr selten ein Stottern, könne sich in der Schule<br />
besser konzentrieren und habe verbesserte Schulleistungen<br />
entwickelt.<br />
Unter den gegebenen Voraussetzungen war hier Psychotherapie<br />
nach Artikel 12 IVG zuzusprechen. Es<br />
handelt sich nach den oben entwickelten Kriterien um<br />
eine die Eingliederung gefährdende, aber durch Psychotherapie<br />
wirksam zu behandelnde psychische Störung<br />
von Krankheitswert. Die weitere schulische Entwicklung<br />
bleibt abzuwarten. Insbesondere wird zu<br />
gegebener Zeit zu prüfen sein, ob – entgegen der derzeit<br />
günstig gestellten Prognose – psychische Symptome<br />
persistieren. Wären diese von solcher Schwere, dass der<br />
Jugendliche in der Auswahl beruflicher Möglichkeiten<br />
als erheblich beeinträchtigt zu gelten hätte, wäre er unterstützungsberechtigt<br />
für eine erste berufliche Ausbildung<br />
nach Artikel 16 IVG (vgl. Kasuistik 2).<br />
Der traditionelle Bereich der Arbeitsvermittlung, Berufsberatung<br />
und Umschulung bleibt nach 5. Revision<br />
des IVG bestehen; neu treten Massnahmen der Früherfassung<br />
und -intervention sowie niederschwellige Integrationsmassnahmen<br />
hinzu, wie Belastbarkeits- und<br />
Aufbautraining sowie wirtschaftsnahe Integration. Für<br />
den hier besprochenen Altersbereich wird im Wesentlichen<br />
die erste berufliche Ausbildung in Frage kommen.<br />
Voraussetzung ist unter anderem, dass die schulische<br />
Ausbildung abgeschlossen und die Berufswahl<br />
an sich getroffen wurde (Pfiffner Rauber, Brigitte,<br />
2004). Sogenannte Schnupperlehren oder der Berufsfindung<br />
dienende Massnahmen sind nicht gemeint.<br />
Kasuistik 2: Eingliederung<br />
Das im folgenden Beispiel vorliegende Geburtsgebrechen<br />
404 ist hier nicht im Einzelnen zu besprechen; es<br />
gibt relativ häufig Anlass zu therapeutischen und beruflichen<br />
Massnahmen und steht symptomatologisch<br />
dem ADHD nahe, ohne mit diesem identisch zu sein.<br />
Der 16-jährige Jugendliche fiel bereits im Kindergartenalter<br />
durch Ängstlichkeit und wiederholte Konflikte mit<br />
anderen Kindern auf, in der Schulzeit entwickelte sich<br />
eine unbestimmte und durch Organbefunde nicht erklärbare<br />
Schmerzsymptomatik von wechselnder Schwerpunktlokalisation.<br />
Zudem fielen in verschiedenen Situationen<br />
eine ungerichtete Bewegungsunruhe und eine<br />
Frustrationsintoleranz auf, die schon bei geringen alltäglichen<br />
Versagenserfahrungen zu unkontrollierten Wutausbrüchen<br />
Anlass gab. Im Rahmen einer eingehenden<br />
schulpsychologischen Untersuchung wurde bei normaler<br />
Intelligenz (HAWIK-III: Gesamt-IQ 96) eine reduzierte<br />
Konzentrationsspanne gefunden, deutliche Schwächen<br />
der Merkfähigkeit, Störungen im Bereich der<br />
taktil-kinästhetischen und auditiven Wahrnehmung.<br />
In der Untersuchungssituation zeigte sich die anamnestisch<br />
beschriebene Bewegungsunruhe, die eingeschränkte<br />
Steuerbarkeit des Verhaltens und deutlich erhöhte Ablenkbarkeit.<br />
Es wurde ein sogenanntes infantiles psychoorganisches<br />
Syndrom als Geburtsgebrechen zugesprochen<br />
und in diesem Zusammenhang Ergotherapie und<br />
Psychotherapie für die Dauer von jeweils zwei Jahren zugesprochen.<br />
Schulisch wurde das Kind in Kleinklassen<br />
betreut. Die gleichzeitige medikamentöse Behandlung<br />
mit Methylphenidat führte sowohl zu einer Reduktion<br />
der Hypermotilität als auch zu verbesserten Aufmerksamkeitsleistungen.<br />
Nach Abschluss der Sekundarschule wurden im Rahmen<br />
einer aktualisierten Befunderhebung weiterhin deutliche<br />
Schwächen der Aufmerksamkeits- und Konzentrationsleistung<br />
gefunden, im Rahmen verschiedener «Schnupperlehren»<br />
reagierte der Jugendliche heftig emotional auf<br />
Versagenserfahrungen oder Kritik.<br />
Auf Antrag wurde eine erste berufliche Ausbildung im<br />
Gärtnereibereich zu Lasten der IV übernommen.<br />
Dieser Fall zeigt eine nicht untypische, an die Bedürfnisse<br />
verschiedener Lebensphasen adaptierte soziale<br />
Problematik. Im Kindesalter auffällig, standen zuerst<br />
die Beschulung begleitende therapeutische Massnahmen<br />
im Vordergrund. Bei der anstehenden Berufswahl<br />
zeigte sich eine gravierende Symptomenpersistenz.<br />
Diese liess annehmen, dass nach Massgabe der rechtlichen<br />
Bestimmungen dieser Jugendliche krankheitsbedingt<br />
in seiner beruflichen Ausbildung wesentlich<br />
eingeschränkt sein würde. Gleichzeitig wurde er als<br />
grundsätzlich eingliederungsfähig angesehen, das<br />
heisst, als objektiv wie subjektiv in der Lage, berufsbildende<br />
Massnahmen konkret zu bestehen.<br />
Eine von der IV zu übernehmende Ausbildung muss<br />
der Behinderung angepasst sein sowie den Fähigkeiten<br />
der Jugendlichen entsprechen. Vorliegend war<br />
eine Ausbildung in Betracht zu ziehen, die eine relativ<br />
freie Gestaltung der täglichen Arbeitsabläufe erlaubt,<br />
keine erheblichen Anforderungen an Präzision und<br />
Geschwindigkeit dieser Arbeit stellt und auch wenig<br />
Konfliktbereiche im zwischenmenschlichen Kontakt<br />
erkennen lässt. Bleiben auch unter diesen bestmöglichen<br />
«angepassten» Voraussetzungen krankheitsbe-