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I‘ve got a secret.

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schätzt.» Der Märtplatz mietete immer mehr Räumlichkeiten auf<br />

dem Areal, die Töpferei und die Theaterwerkstatt kamen hinzu,<br />

später wurde der Dachstock ausgebaut, wo zuerst die Schneiderei<br />

eingerichtet wurde und später das Büroteam einzog. Zuerst dezentral<br />

organisiert, sind heute alle zehn Werkstätten auf dem Areal der<br />

ehemaligen Spinnerei zuhause.<br />

Schliessung und Vermittlung<br />

Im Jahre 1990 wurde die Produktion der Baumwoll-Spinnerei eingestellt,<br />

vor der Schliessung fotografierten die Fotografen noch<br />

einige Angestellte in schwarz-weiss, deren Aufnahmen dann ausgestellt<br />

wurden. Der Entscheid, die Fabrik zu schliessen, fällte der<br />

Verwaltungsrat der Firma im Jahre 1989, bis zur vollkommenden<br />

Stilllegung war es Mitte 1990. «Man hatte gesehen, dass es für<br />

eine erfolgreiche Zukunft nur noch eine Chance gibt: alles vollständig<br />

zu automatisieren», erklärt Jean-Jacques Blumer, der an der<br />

Hochschule St. Gallen Betriebswirtschaft studiert hatte. Mit der<br />

Erhaltung der Produktion hätte es statt damals 100 Mitarbeitern<br />

nur noch deren 20 gebraucht. Der Verwaltungsrat entschied sich<br />

gegen die Weiterführung, trotz dem Umstand, dass in den Jahren<br />

1986 bis 1989 noch viel Geld in den Produktionsablauf investiert<br />

worden war. «Ich musste den Schliessungs-Entscheid umsetzen.<br />

Wir waren zu Beginn etwas ratlos», erinnert sich Jean-Jacques<br />

Blumer. Eine Weiterführung wäre technisch zwar möglich gewesen,<br />

aber auch etwas unsinnig: «Wir hätten nochmals viel Geld investieren<br />

und gleichzeitig Leute entlassen müssen. Uns lag aber<br />

am meisten an den Menschen, an unseren Mitarbeitern, wir hatten<br />

gute Beziehungen zu ihnen.» So war der Entscheid für den Geschäftsführer<br />

irgendwie logisch, wenn auch schwierig in der Durchführung.<br />

«Zum Glück war damals die Arbeitsmarktlage gut, und es<br />

gab gute Chancen für die Belegschaft, einen neuen Job zu finden.»<br />

Ausserdem standen aus der bereits 1919 durch die Firmeninhaber<br />

errichteten Stiftung für Personalfürsorge die nötigen Mittel bereit, um<br />

für alle Mitarbeiter grosszügige Abgangsentschädigungen auszurichten.<br />

Jean-Jacques Blumer machte es sich selbst zur Aufgabe, bei der<br />

Suche nach neuen Arbeitsstellen zu helfen. «Mein Büro war über zwei<br />

Jahre hinweg auch ein Vermittlungsbüro.» «Dieses Vermittlungsbüro<br />

wurde von den Angestellten sehr geschätzt», erinnert sich Ilse Blumer,<br />

die eine Bankausbildung gemacht hatte und in der Administration Arbeiten<br />

übernahm. Ihr Mann führte noch alle Aufträge zu Ende, zahlte<br />

die Löhne und beglich alle ausstehenden Zahlungen wie Rechnungen<br />

von Handwerkern oder von Rohstoffhändlern.<br />

Geduld und Präsenzwillen<br />

Für den Märtplatz habe er in dieser Zeit nicht so viel Zeit gehabt. Man<br />

traf sich ab und zu im Treppenhaus, trotzdem entwickelte sich die<br />

Freundschaft zu Jürg Jegge und dem Märtplatz weiter. «Jürg hatte eine<br />

unglaubliche Geduld und einen Präsenzwillen. Je schwieriger ein Jugendlicher<br />

war, desto mehr Zeit hatte er. Und er war praktisch zu jeder<br />

Tages- und Nachtzeit erreichbar.»<br />

Nach wie vor besuchen Jean-Jacques und Ilse Blumer kulturelle Veranstaltungen<br />

und unterstützen jene Institution finanziell, die eine solch<br />

lange gemeinsame Geschichte mit der Fabrik hat und zu der eine gute<br />

Freundschaft besteht. «Wir sind sehr froh, dass es auch nach der<br />

Pensionierung von Jürg mit gutem Geist weitergeht. Die Zielsetzung<br />

ist dieselbe geblieben, das Schwergewicht liegt in der Arbeit und der<br />

Begleitung der jungen Menschen», sagt Jean-Jacques Blumer. Und am<br />

Märtplatz seien immer noch Menschen, die er und seine Frau kennen<br />

und mit denen sie sich gerne treffen.<br />

Andrea Sailer

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