I‘ve got a secret.
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
32<br />
schätzt.» Der Märtplatz mietete immer mehr Räumlichkeiten auf<br />
dem Areal, die Töpferei und die Theaterwerkstatt kamen hinzu,<br />
später wurde der Dachstock ausgebaut, wo zuerst die Schneiderei<br />
eingerichtet wurde und später das Büroteam einzog. Zuerst dezentral<br />
organisiert, sind heute alle zehn Werkstätten auf dem Areal der<br />
ehemaligen Spinnerei zuhause.<br />
Schliessung und Vermittlung<br />
Im Jahre 1990 wurde die Produktion der Baumwoll-Spinnerei eingestellt,<br />
vor der Schliessung fotografierten die Fotografen noch<br />
einige Angestellte in schwarz-weiss, deren Aufnahmen dann ausgestellt<br />
wurden. Der Entscheid, die Fabrik zu schliessen, fällte der<br />
Verwaltungsrat der Firma im Jahre 1989, bis zur vollkommenden<br />
Stilllegung war es Mitte 1990. «Man hatte gesehen, dass es für<br />
eine erfolgreiche Zukunft nur noch eine Chance gibt: alles vollständig<br />
zu automatisieren», erklärt Jean-Jacques Blumer, der an der<br />
Hochschule St. Gallen Betriebswirtschaft studiert hatte. Mit der<br />
Erhaltung der Produktion hätte es statt damals 100 Mitarbeitern<br />
nur noch deren 20 gebraucht. Der Verwaltungsrat entschied sich<br />
gegen die Weiterführung, trotz dem Umstand, dass in den Jahren<br />
1986 bis 1989 noch viel Geld in den Produktionsablauf investiert<br />
worden war. «Ich musste den Schliessungs-Entscheid umsetzen.<br />
Wir waren zu Beginn etwas ratlos», erinnert sich Jean-Jacques<br />
Blumer. Eine Weiterführung wäre technisch zwar möglich gewesen,<br />
aber auch etwas unsinnig: «Wir hätten nochmals viel Geld investieren<br />
und gleichzeitig Leute entlassen müssen. Uns lag aber<br />
am meisten an den Menschen, an unseren Mitarbeitern, wir hatten<br />
gute Beziehungen zu ihnen.» So war der Entscheid für den Geschäftsführer<br />
irgendwie logisch, wenn auch schwierig in der Durchführung.<br />
«Zum Glück war damals die Arbeitsmarktlage gut, und es<br />
gab gute Chancen für die Belegschaft, einen neuen Job zu finden.»<br />
Ausserdem standen aus der bereits 1919 durch die Firmeninhaber<br />
errichteten Stiftung für Personalfürsorge die nötigen Mittel bereit, um<br />
für alle Mitarbeiter grosszügige Abgangsentschädigungen auszurichten.<br />
Jean-Jacques Blumer machte es sich selbst zur Aufgabe, bei der<br />
Suche nach neuen Arbeitsstellen zu helfen. «Mein Büro war über zwei<br />
Jahre hinweg auch ein Vermittlungsbüro.» «Dieses Vermittlungsbüro<br />
wurde von den Angestellten sehr geschätzt», erinnert sich Ilse Blumer,<br />
die eine Bankausbildung gemacht hatte und in der Administration Arbeiten<br />
übernahm. Ihr Mann führte noch alle Aufträge zu Ende, zahlte<br />
die Löhne und beglich alle ausstehenden Zahlungen wie Rechnungen<br />
von Handwerkern oder von Rohstoffhändlern.<br />
Geduld und Präsenzwillen<br />
Für den Märtplatz habe er in dieser Zeit nicht so viel Zeit gehabt. Man<br />
traf sich ab und zu im Treppenhaus, trotzdem entwickelte sich die<br />
Freundschaft zu Jürg Jegge und dem Märtplatz weiter. «Jürg hatte eine<br />
unglaubliche Geduld und einen Präsenzwillen. Je schwieriger ein Jugendlicher<br />
war, desto mehr Zeit hatte er. Und er war praktisch zu jeder<br />
Tages- und Nachtzeit erreichbar.»<br />
Nach wie vor besuchen Jean-Jacques und Ilse Blumer kulturelle Veranstaltungen<br />
und unterstützen jene Institution finanziell, die eine solch<br />
lange gemeinsame Geschichte mit der Fabrik hat und zu der eine gute<br />
Freundschaft besteht. «Wir sind sehr froh, dass es auch nach der<br />
Pensionierung von Jürg mit gutem Geist weitergeht. Die Zielsetzung<br />
ist dieselbe geblieben, das Schwergewicht liegt in der Arbeit und der<br />
Begleitung der jungen Menschen», sagt Jean-Jacques Blumer. Und am<br />
Märtplatz seien immer noch Menschen, die er und seine Frau kennen<br />
und mit denen sie sich gerne treffen.<br />
Andrea Sailer