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'Loccumer Pelikan' 04/2003 als pdf-Datei - Religionspädagogisches ...

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praktisches<br />

nachtstag in der Kneipe zu versammeln<br />

und den zurückliegenden Weihnachtsstress<br />

„ordentlich zu begießen“.<br />

Dieses kollektive, durch<br />

Brauchtum sanktionierte Betrinken<br />

heißt im Volksmund „Stephanus-Steinigen“.<br />

Meine Antwort auf die gestellte<br />

Frage lautete – aus verschiedenen<br />

Gründen – Nein.<br />

Pünktlich nach Heiligabend 2002<br />

wurden von einer Brauerei sämtliche<br />

Bushaltestellen in und um Münster<br />

mit einer Werbung plakatiert, die einige<br />

Steine, ein Glas Bier und den<br />

Schriftzug enthielt „Auf den heiligen<br />

Stephanus“. Eine Aufforderung zum<br />

‚Steinewerfen‘? Ein Aufruf zum Biertrinken?<br />

Prosit? Fortgesetzt wurde<br />

diese Initialwerbung mit kleinen Anzeigen<br />

in der Lokalzeitung, die künftig<br />

wöchentlich am Samstag erschienen,<br />

und ebenso wie die Stephanus-<br />

Werbung mit doppelten Bedeutungen<br />

aus dem christlichen Bereich spielten.<br />

Die hier vorgestellten Unterrichtsbausteine<br />

sind <strong>als</strong> Anregungen für den<br />

10. bis 12. Jahrgang gedacht. Sie sind<br />

das Ergebnis einer Beschäftigung mit<br />

dieser Werbeaktion, die auf vielfältige<br />

Weise befremden, belustigen, anregen<br />

(vielleicht auch aufregen) und<br />

neugierig machen kann. Das Material<br />

spannt einen weiten Bogen zwischen<br />

der biblischen Überlieferung in<br />

der Apostelgeschichte, über weitere<br />

Legendenbildung, über die katholische<br />

Märtyrer- bzw. Heiligenvereh-<br />

rung bis hin zur Ingebrauchnahme religiös-volkstümlicher<br />

Tradition in der<br />

Werbung. Mit dem Wort „Ingebrauchnahme“<br />

ist bewusst eine wertneutrale<br />

Formulierung gewählt, denn<br />

es kann im Religionsunterricht nicht<br />

darum gehen, dass die Schülerinnen<br />

und Schüler am Ende der Unterrichtseinheit<br />

die Position des fiktiven Sozialarbeiters<br />

aus M5 teilen. Werbung,<br />

auch die Stephanus-Bier-Werbung,<br />

„funktioniert“, weil sie sich religiösvolkstümlicher<br />

Traditionen bedient,<br />

die (noch) virulent sind, weil sie etwas<br />

kommuniziert, auf das die Kunden<br />

ansprechbar sind – und nicht: obwohl<br />

sie unter Umständen religiöse<br />

Gefühle ihrer Kunden verletzt. Religionslehrerinnen<br />

und Religionslehrer<br />

wären im Übrigen nicht gut beraten,<br />

instrumentalisierten sie Werbung ausschließlich<br />

dazu, aufzudecken, dass<br />

Werbung lügt und verführt (welche<br />

Verführung hätte nicht auch eine lustvolle<br />

Seite!) oder dass Werbung <strong>als</strong><br />

Protagonistin der Alltagskultur in Bezug<br />

auf die Sinnfrage der Religion<br />

den Rang abgelaufen hat. 1 Durch die<br />

vorgestellten Unterrichtsbausteine<br />

soll vielmehr ein Diskussionsfeld eröffnet<br />

werden, das eine vorschnelle<br />

Beurteilung der Stephanus-Bier-Werbung<br />

<strong>als</strong> „cool“ oder auch <strong>als</strong> „unmöglich“<br />

verhindert und zunächst<br />

einmal im Sinne einer produktiven<br />

Verlangsamung eine Auseinandersetzung<br />

sowohl mit der Gestalt des Stephanus<br />

und seiner kirchlichen Wirkungsgeschichte<br />

<strong>als</strong> auch mit einer<br />

Position, die die Werbung sehr kritisch<br />

sieht, ermöglicht.<br />

Die Schülerinnen und Schüler können<br />

● sich einfühlen in die Situation des<br />

Erzmärtyrers Stephanus<br />

● Entdeckungen machen zu ihrem<br />

eigenen Vornamen<br />

● sich mit der Vorbildfunktion von<br />

Namenspatronen/Märtyrern auseinandersetzen<br />

● sich mit der Doppelbödigkeit von<br />

Werbeaussagen befassen<br />

● die Ingebrauchnahme christlicher<br />

Traditionselemente für Werbezwecke<br />

kritisch reflektieren<br />

● die Bedeutung der Gemeinschaft<br />

für Prozeduren des „Außer-sich-<br />

Geratens“ reflektieren<br />

● sich mit Kritik an religiösen Elementen<br />

in der Werbung auseinandersetzen<br />

● eine eigene Position dazu finden<br />

● das Für und Wider kirchlich institutionalisierter<br />

Heiligenverehrung<br />

diskutieren.<br />

Die Namen in M5 sind frei erfunden.<br />

Empfohlen wird das durchgängige<br />

Führen eines Heftes oder das Erstellen<br />

eines Portfolios.<br />

Anmerkungen<br />

1. Zur Kritik an solcherart Verkürzungen vgl. vor<br />

allem die Kapitel „Grundlagen“ und “Zur Kultur<br />

der Religion in der Werbung” von Andreas<br />

Mertin in: Andreas Mertin/Hartmut Futterlieb:<br />

Werbung <strong>als</strong> Thema des Religionsunterrichts,<br />

Göttingen 2001, 9-37.<br />

Apg 7,54 - 60 Steinigung des Stephanus<br />

M 1<br />

1. Erstellt in Gruppenarbeit (zu viert oder fünft) ein Standbild zur Steinigung des Stephanus!<br />

2. Verharrt eine Minute in dem „eingefrorenen” Bild, während eure Mitschülerinnen und Mitschüler das<br />

Standbild betrachten. In dieser Minute soll nicht geredet werden, es kann jedoch das Standbild fotografiert<br />

werden.<br />

3. Löst das Standbild auf und gebt jeder ein kurzes Statement ab, was ihr beim Betrachten bzw. in der Rolle<br />

empfunden habt.<br />

Loccumer Pelikan 4/03 179

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