'Loccumer Pelikan' 04/2003 als pdf-Datei - Religionspädagogisches ...
'Loccumer Pelikan' 04/2003 als pdf-Datei - Religionspädagogisches ...
'Loccumer Pelikan' 04/2003 als pdf-Datei - Religionspädagogisches ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
grundsätzliches<br />
Thomas Klie<br />
Performativer Religionsunterricht<br />
Von der Notwendigkeit des Gestaltens und Handelns im Religionsunterricht*<br />
1. Performanz <strong>als</strong> eine neue Sicht auf<br />
Unterricht<br />
1.1 Was angesagt ist<br />
Die um schmückende Adjektive noch nie verlegene Religionspädagogik<br />
scheint derzeit um ein weiteres Etikett reicher<br />
zu werden. Im Religionsunterricht – so lassen sich die neuesten<br />
Überlegungen zur Didaktik unseres Faches wohl am ehesten<br />
zusammenfassen – kommt es wohl mehr und mehr auf die<br />
Umgangsformen an:<br />
● auf die Formen, über die man methodisch seine SchülerInnen<br />
ins Spiel bringt<br />
● auf die Formen, unter denen unser Gegenstand, die Religion<br />
evangelischer Spielart, im Unterricht Gestalt annimmt,<br />
und schließlich<br />
● auf die Formen, in denen sich diese unsere Religion den<br />
Lehrerinnen und Lehrern selbst darstellt.<br />
Alle drei für jede Form von schulischer Lehre relevanten Größen<br />
sind unter den Bedingungen unserer durch und durch ästhetisierten<br />
Lebenswelt am ehesten aufeinander beziehbar –<br />
dieser Schluss drängt sich einem bei der Durchsicht der jüngsten<br />
Veröffentlichungen auf –, wenn man sie innerhalb eines<br />
performativ ausgelegten Rahmens betrachtet. Evangelische<br />
Religion ist didaktisch offenbar dann „up to date“, wenn man<br />
sie <strong>als</strong> szenisches Phänomen für wahr nimmt. Als etwas, das<br />
zunächst einmal – vor allem anderen – wahrnehmbare Außenseiten<br />
aufweist. Unsere Religion kommt dann angemessen zu<br />
sich selbst, wenn man sie <strong>als</strong> ein Formenspiel begreift und<br />
entsprechend gestaltet, be-handelt. „Performativ“ – so definieren<br />
die Kommunikationswissenschaften – nennt man eine<br />
sprachliche Handlung, bei der mit dem Verlauten bereits eine<br />
Wirklichkeit mitgesetzt ist. „Performativ“ meint einen Sprech-<br />
Akt. Eine „Performance“ ist zunächst einmal ganz allgemein<br />
eine Art Ausdruckshandlung.<br />
Christoph Bizer hat in vielen seiner religionspädagogischen<br />
Etüden dieses alltägliche Phänomen aufgezeigt am „Guten-<br />
Morgen!“-Gruß. 1 Was passiert eigentlich, wenn man jemandem<br />
einen „guten Morgen“ wünscht? Der reine Informationsgehalt<br />
eines beiläufig gehörten „Guten Morgen“ tendiert ja<br />
bekanntermaßen gegen Null. Ob ein Morgen gut oder weniger<br />
gut ist, kann einem keiner sagen. Auch der Aspekt der<br />
Kontaktaufnahme ist für diesen Gruß eher zu vernachlässigen.<br />
Dafür würde ja ein mit einem Blickkontakt angereicherter<br />
Grunzlaut vollkommen ausreichen. (Nicht wenige morgendlichen<br />
Kontaktaufnahmen im Lehrerzimmer haben ja auch eine<br />
ähnliche Qualität.) Nein, das „Guten-Morgen!“ lässt den Morgen<br />
des Angesprochenen im Moment der Ansprache verheißungsvoll<br />
gut sein. Performative Wortlaute setzen, was sie<br />
sagen. Die Verheißung bewirkt dieses „Gut-Sein“ dadurch, dass<br />
es spontan erklingt und situativ vernommen wird – vorausgesetzt,<br />
der Angesprochene schenkt diesem Versprechen Glauben<br />
und bewahrheitet es so.<br />
Ein „Guten-Morgen!“-Gruß – ebenso ein Versprechen, ein Lob,<br />
ein Fluch, ein Segen, eine Ernennung – bewirken, was sie in<br />
Rede stellen: eine gesegnete Zeit, eine freudige Erwartung,<br />
ein Hochgefühl, eine Niedergeschlagenheit, eine getroste Hoffnung<br />
oder eine Statusveränderung.<br />
Zurück zur religiösen performance. Allem Anschein nach verdichten<br />
sich im Performanz-Begriff so viele Unterrichtserfahrungen,<br />
Argumentationslinien und Suchbewegungen, dass<br />
er sich im aktuellen didaktischen Diskurs ebenso unspektakulär<br />
wie selbstbewusst einsichtig macht. Wofür aber steht dieses<br />
Kürzel? Welche Wahrnehmungen und Beobachtungen<br />
greift er auf, um sie argumentativ zu stützen?<br />
1.2 Alles „nur“ Theater!<br />
Ihren klassischen Ausdruck finden performative Sprech-Akte<br />
– wie wir alle wissen – in der Welt des Theaters. Auf der<br />
* Referat beim Lehrerfortbildungskurs „Unterrichtsgestaltung und Lernorganisation nach den neuen Rahmenrichtlinien für die Sekundarstufe I/Gymnasien“ am<br />
19. Juni <strong>2003</strong> im RPI Loccum. Der Rededuktus wurde weitgehend beibehalten. – Zum Inhalt vgl. vor allem: Th. Klie/S. Leonhard (Hg.): Schauplatz Religion.<br />
Grundzüge einer Performativen Religionspädagogik. Evangelische Verlagsanstalt Leipzig <strong>2003</strong>.<br />
Loccumer Pelikan 4/03 171