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'Loccumer Pelikan' 04/2003 als pdf-Datei - Religionspädagogisches ...

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grundsätzlich<br />

Auch auf den ersten Blick zunächst einmal „rein kognitive“<br />

Unterrichtsformen unterliegen den Bedingungen szenischer<br />

Darstellung. So kann bspw. kein Text rezipiert werden, der nicht<br />

zuvor gelesen wurde. Dieser Satz ist lerntheoretisch trivial, inszenatorisch<br />

aber von großer Bedeutung. Denn der Lesevorgang,<br />

die schulische Lernform schlechthin, erweist sich bei<br />

genauem Hinsehen <strong>als</strong> ein zutiefst leiblicher und räumlicher<br />

Vollzug: Die Augen folgen einer perlenschnurähnlich aufgereihten<br />

Wortreihe, eine Blickbewegung, die zu einer bestimmten<br />

Haltung des Kopfes bzw. des Oberkörpers nötigt. Fortlaufend<br />

erzeugt die Lektüre innere Bilder – <strong>als</strong>o zwei- oder dreidimensionale<br />

Raum-Vorstellungen, ohne die kaum ein Wort<br />

mit Bedeutung belehnt werden kann.<br />

Wie <strong>als</strong>o lassen wir lesen? Auf einem eilig kopierten „Zettel“,<br />

wie Arbeitsblätter oftm<strong>als</strong> benannt werden, zeigt sich ein Bibel-Text<br />

anders <strong>als</strong> in der (mehr oder weniger mühsam) aufzuschlagenden<br />

Schulbibel oder in Gestalt etwa eines Textbausteins,<br />

der sich neben vielen anderen nichtbiblischen Inhalts<br />

auf der Doppelseite eines Religionsbuches wieder findet.<br />

Schon die bloße Präsentationsform beinhaltet eine Vorentscheidung<br />

über die veranschlagten Lehr-Ziele und Lern-Chancen.<br />

Function follows form. Formen aber sind methodisch<br />

durchaus variabel. Unterrichtende können ja schließlich festlegen,<br />

in welcher Weise die gewünschte Textfunktion zum<br />

Ausdruck gebracht werden soll: <strong>als</strong> gehörte, d. h. erzählte oder<br />

vorgelesene oder gar gemeinsam gesungene Bibelverse; <strong>als</strong><br />

Stillarbeit oder <strong>als</strong> für alle vernehmliches Vorlesen; oder gar<br />

<strong>als</strong> szenisch dargestellte oder einfach nur gemalte bzw. kalligraphierte<br />

Bibelworte. Methoden variieren immer auch Inhaltserwartungen.<br />

2. Der theologische Ort: Zwischen protestantischem<br />

Wortverständnis und ästhetischer Erfahrung besteht<br />

ein enges Wechselverhältnis. Die systematischtheologische<br />

Rede vom Wort-Ereignis hat auch eine<br />

religionspädagogische Außenseite.<br />

Es war Luthers feste Überzeugung, dass das Bibelwort solange<br />

nicht Evangelium ist, bis es verlautet, gehört und <strong>als</strong> solches<br />

realisiert wird. Die leib-räumliche Gestalt ist konstitutiv<br />

für das Wortgeschehen. Das macht die Hermeneutik des sola<br />

scriptura abbildbar auf die der ästhetischen Wirkung.<br />

Das verbum externum, das äußerliche Wort, ist für Luther das<br />

sinnliche Zeichen göttlicher Selbstmitteilung. In ihm nimmt<br />

der redende Gott für den hörenden Menschen verheißungsvoll<br />

Gestalt an. Der Zuspruch der Gnade ergeht in Form der Darstellung.<br />

Vor und außerhalb dieses Inszenierungsrahmens, <strong>als</strong>o<br />

unabhängig von der Mündlichkeit des Gotteswortes, kann der<br />

Adressat nicht wirklich erreicht werden. Das Lesen vermag<br />

eben nicht soviel wie das Hören – lectio non proficit tantum,<br />

quantum auditio.“ 10 Die Kirche ist darum auch eher „Mundhaus“<br />

denn „Federhaus“. 11<br />

Evangelischerseits ist die Heilige Schrift wesentlich Anrede,<br />

nicht aber Anschreiben: „natura verbi est audiri“. Es gehört<br />

zur Natur des Wortes, gehört zu werden. 12 Das Wort wirkt,<br />

indem es zur Sprache kommt. Es setzt, was es sagt, indem es<br />

verlautet und von einem angesprochenen Subjekt <strong>als</strong> angehende<br />

Botschaft geglaubt wird.<br />

Erst das präsentierte, <strong>als</strong>o das öffentlich aus- und aufgeführte<br />

Wort setzt diejenige Referenz in Kraft, von der es handelt und<br />

die es letztlich bezeugt. Promissio und fides, Verheißung und<br />

Glaube, korrelieren im Modus der Präsentation. Das Evangelium<br />

muss eben auch und gerade äußerlich ankommen, damit es<br />

nicht in schwärmerischer Attitüde unmittelbar und unbefragbar<br />

in der Subjektivität seiner Hörer aufgeht.<br />

Wendet man nun diese schrift-theologische Einsicht ins Pädagogische,<br />

dann besteht der angemessene Umgang mit der Bibel<br />

darin, dieser Eigenbewegung des Wortes Zeit, Raum und Ausdruck<br />

zu geben. Wortlaute der Heiligen Schrift sind dann so in<br />

Szene zu setzen, dass sie im freien Zugriff <strong>als</strong> Orientierungsgewinne<br />

– <strong>als</strong>o bildend – zu Buche schlagen. Es ist somit auch –<br />

streng lutherisch genommen – ein folgenreiches Fehlurteil, unsere<br />

evangelische Religion einfach fraglos einzureihen in die<br />

sog. „Buch- oder gar Schriftreligionen“. Protestanten haben keine<br />

Religion des Buches, sondern eine Religion der Aufführung. Ich<br />

spitze zu: Evangelische Religion ist allem Anschein zum Trotz<br />

eine Inszenierungsreligion.<br />

3. Der raumtheoretische Ort: Kein Unterrichtsgegenstand<br />

ist einfach abstrakt gegeben. Vielmehr teilt er<br />

sich mit, indem man mit ihm umgeht, sich in ihn hinein<br />

begibt, sich in ihm bewegt, sich in ihm und zu<br />

ihm verortet.<br />

Diese in der These angedeuteten Umgangsformen beanspruchen<br />

einen bestimmten Raum. Um begangen und bewohnt zu werden,<br />

muss ein angemessener Raum erst einmal pädagogisch eingeräumt<br />

werden. Wie das Lesen einen Raum der Stille braucht,<br />

so braucht die Gruppenarbeit einen Kommunikationsraum geschäftigen<br />

Miteinanders. Räume, Schulräume, ja ganze Schulen<br />

erzeugen eine je eigene Wahrnehmung. Und diese Wahrnehmung<br />

teilt sich einem ganz spontan mit: Man fühlt sich wohl oder unwohl,<br />

man ist abgelenkt oder angetan, ist konzentriert oder zerstreut.<br />

In der Schule werden Räume zu Wahrnehmungs- und Handlungsräumen,<br />

zu Räumen <strong>als</strong>o, in denen Lernende miteinander ihre<br />

Lernanlässe leiblich aushandeln. Jeder Raum kann durch seine<br />

Gestalt und seine Ausstattung bestimmte Handlungen nahe legen<br />

(manchmal auch verhindern). Räume können sich aber auch<br />

durch die in ihnen stattfindenden Tätigkeiten verändern: eine<br />

Kirche, in der ein Gospelchor auftritt, wird zur Konzerthalle, eine<br />

Schule, in der eine Ausstellung aushängt, zur Galerie und eine<br />

Sporthalle, die einen Flohmarkt beherbergt, zum Kaufhaus.<br />

Jede Verrichtung stimmt den Raum in besonderer Weise – sie<br />

macht ihn sich zum Umraum. Und zugleich legt die Verrichtung<br />

auch die Zeit fest, in der er <strong>als</strong> Umraum fungiert. Umräume sind<br />

wesenhaft Zeit-Räume, zeitweilige Räume.<br />

4. Der rollentheoretische Ort: In einem performativen<br />

Religionsunterricht nehmen die SchülerInnen eine<br />

höchst aktive Rolle ein. Selbsttätig wird Religion in<br />

ihren Formen und Figuren ertastet, erspielt, gesehen,<br />

gehört und bewegt.<br />

Im Unterricht wie im Theater übernehmen Menschen gewisse<br />

Rollen. Sie verkörpern für sich und andere eine bestimmte Fi-<br />

Loccumer Pelikan 4/03 175

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