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'Loccumer Pelikan' 04/2003 als pdf-Datei - Religionspädagogisches ...

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praktisches<br />

Religion in der Werbung<br />

Augenfällig wird die Verbindung von Religion und Werbung<br />

... vor allem dann, wenn die Werbung selbst explizit<br />

religiöse Stoffe aufgreift. Warum sie das tut, darüber<br />

gibt es unterschiedliche Meinungen. Jürgen Habermas<br />

hat schon Anfang der 70er Jahre vermutet, dass traditionalistische<br />

Weltbilder insbesondere im Rahmen der<br />

Legitimations- und Motivationskrise des Spätkapitalismus<br />

eine Rolle spielen. Im Rahmen dieser Krisenprozesse<br />

nutzt die Industrie sozusagen die Reste der legitimatorischen<br />

Kraft vergangener und vergehender Weltbilder<br />

für die eigenen Zwecke aus, freilich „verbraucht“<br />

sie sie dabei auch: sie frisst sie auf. Unbestreitbar ist,<br />

dass im Rahmen der Werbung nahezu grenzenlos auf<br />

kulturelle Traditionsbestände zurückgegriffen wird, dass<br />

Werbung „der größte Plünderer der gesamten Welt- und<br />

Kunstgeschichte ist“. Was das aber für Folgen hat,<br />

darüber kann und muss gestritten werden. Zum einen<br />

ist darauf hinzuweisen, dass derartige Plünderungen<br />

in der Geschichte der Menschheit immer schon eine<br />

ambivalente Wirkung hatten: Sie zerstörten und bewahrten<br />

in einem. Während sie einerseits das Material seinem<br />

genuinen Kontext entrissen, bewahrten sie es<br />

zugleich auf. Jedes Museum war bis ins 20. Jahrhundert<br />

das Ergebnis derartiger Plünderungsakte, die die<br />

ursprüngliche Kultur zerstörten, um sie allgemein zugänglich<br />

zu machen. Man könnte ähnliches auch für<br />

das Problemfeld „Religion und Werbung“ behaupten,<br />

dass nämlich Überlieferungen, die die religiösen Institutionen<br />

nicht mehr an sich zu binden vermochten, frei<br />

floatierend wurden und daher von der Werbung aufgegriffen<br />

und so zugleich im öffentlichen Bewusstsein gehalten<br />

werden. Zudem ist auch zu bedenken, dass man<br />

nicht einerseits stolz darauf sein kann, dass etwa Luthers<br />

Sprachkraft die deutsche Sprachkultur geprägt<br />

hat oder dass über nahezu tausend Jahre das Christentum<br />

die Kultur fast exklusiv geprägt hat, und sich<br />

andererseits darüber wundern, dass derartige Prägungen<br />

ihre Spuren auch in der Werbung hinterlassen. Verwunderlich<br />

wäre da doch schon eher, wenn die Werbung<br />

nicht auf religiöse Ausdrucksformen zurückgreifen<br />

würde. Religiöse Ausdrucksformen in Sprache und<br />

Bild, das zumindest kann gesagt werden, sind deshalb<br />

auch bevorzugte Materialien der Werbung, weil sie in<br />

unserer Gesellschaft immer noch einen so extrem<br />

hohen Bekanntheitsgrad haben. Und gerade aus diesem<br />

Grunde ist es auch interessant zu untersuchen,<br />

M 6<br />

welche Stoffe in der Werbung Verwendung finden. (...)<br />

Es gibt eine Art bedingten Reflex, mit dem Theologen<br />

kritisch auf Werbung reagieren, so <strong>als</strong> ob sie Exklusivvertreter<br />

für bestimmte Sprach-, Bild- und Gedankenformen<br />

wären. Stellvertretend für viele andere greife<br />

ich die kritische Auseinandersetzung mit Werbung<br />

heraus, die die Theologen Sven Howoldt und Wilhelm<br />

Schwendemann unter der Überschrift „Werbung – Religion<br />

– Ethik“ vorgelegt haben (in: medien praktisch 4/<br />

97, 51-55). Im schon fast klassisch gewordenen Alt-<br />

68er-Jargon wird nicht nur jede Bezugnahme auf Religion<br />

in der Werbung verurteilt, sondern die gesamte<br />

Werbung <strong>als</strong> Lüge denunziert: „Werbung eröffnet einen<br />

Horizont, der die materiale Dimension des Produkts<br />

transzendiert. Diese Transzendenz ist aber keine<br />

echte, sondern nur Blendwerk, denn sie dient der<br />

Überhöhung des vermeintlichen Gebrauchswertes. Um<br />

diesen Gebrauchswert herum wird ein Lifestyle mit einem<br />

entsprechenden Symbolinventar inszeniert. Die<br />

Symbole werden dabei hemmungslos instrumentalisiert,<br />

gleichen sich dem Warencharakter an und werden<br />

selbst zur Ware. Damit Ambiente, Produkt, Lifestyle<br />

stimmig aufeinander bezogen bleiben, muss Werbung<br />

zum Ereignis mutieren und inszeniert werden ...<br />

Diese Art Kommunikation wirkt wie ein Vampir, alles<br />

wird aufgesogen und für eigene Interessen dienstbar<br />

gemacht. Das kulturelle Erbe einer Gesellschaft wird<br />

aufgegriffen und jeweils neu arrangiert. Dabei werden<br />

die kulturellen Traditionen Europas und Amerikas für<br />

die Beeinflussung der Käuferschichten ausgebeutet.“<br />

Nach Meinung von Howoldt und Schwendemann sind<br />

die Folgelasten erschreckend: „Mit religiös besetzten<br />

Symbolen und Bildern, die oft nicht mehr vollständig<br />

verstanden werden, wird gespielt. Neue Identifikationsmuster<br />

werden munter montiert, so dass eine Patchwork-Identität<br />

entsteht, die ständig neu ist und keine<br />

Vergangenheit mehr kennt.“<br />

Die Patchwork-Identität, die die Gegenwart auszeichnet,<br />

ist demnach nicht ein Produkt komplexer gesellschaftlicher<br />

Prozesse, sondern das Ergebnis einer verwerflichen<br />

Handlungsweise der Werbewirtschaft, welche<br />

hehre kulturelle Werte für den schnöden Mammon<br />

missbraucht. Das dürfte der Werbeindustrie nun mehr<br />

Macht zusprechen, <strong>als</strong> dieser zukommt.<br />

(Andreas Mertin)<br />

Quelle: Andreas Mertin: Samson interpretiert Genesis 1. Die Kultur der Religion in der Werbung, in: Thomas Klie (Hg.): Spiegelflächen. Phänomenologie –<br />

Religionspädagogik – Werbung, Münster/Hamburg/London 1999, S. 125-159 (137f.;144f.)<br />

1. Was würde Andreas Mertin zur Verwendung des Stephanus-Motivs in der Bierwerbung sagen? Tauscht euch<br />

in einer Dreier- bis Fünfergruppe zu dieser Frage aus und überlegt euch, ob ihr selbst Mertins Meinung teilt.<br />

2. Was würden Sven Howoldt und Wilhelm Schwendemann, die im Text von Mertin zitiert werden, zur Verwendung<br />

des Stephanus-Motivs in der Bierwerbung sagen? Tauscht euch in einer Dreier- bis Fünfergruppe zu<br />

dieser Frage aus und überlegt euch, ob ihr selbst diese Meinung teilt.<br />

Loccumer Pelikan 4/03 183

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