02.07.2014 Aufrufe

Verbale Angriffe im Schulalltag - Sekundarstufe I - Pädagogische ...

Verbale Angriffe im Schulalltag - Sekundarstufe I - Pädagogische ...

Verbale Angriffe im Schulalltag - Sekundarstufe I - Pädagogische ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Pädagogische Hochschule Zentralschweiz<br />

<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Wie erleben Lehrpersonen verbale <strong>Angriffe</strong> von<br />

Schüler- oder Elternseite <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong>?<br />

Masterarbeit<br />

Studiengang <strong>Sekundarstufe</strong> I<br />

Verfasserin:<br />

Tanja Rothenfluh<br />

Glorihöchi 15<br />

6403 Küssnacht am Rigi<br />

eingereicht am 8. November 2007<br />

bei<br />

Marianne Ludwig-Tauber<br />

Pädagogische Psychologie


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1 EINLEITUNG ......................................................................................................10<br />

2 THEORETISCHER HINTERGRUND .................................................................13<br />

2.1 <strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> ............................................................................................13<br />

2.1.1 Wahrnehmung von "verbalen <strong>Angriffe</strong>n" .....................................................14<br />

2.1.2 Kommunikationsmodell nach Schultz von Thun ..........................................14<br />

2.2 <strong>Verbale</strong>r Angriff und Konflikt – eine Abgrenzung ......................................17<br />

2.2.1 Definition eines Konflikts .............................................................................17<br />

2.2.2 Unabdingbare Bestandteile eines Konflikts .................................................21<br />

2.2.3 Durch welche Anzeichen kündigt sich ein Konflikt an ..................................22<br />

2.2.4 Vorgehensweisen der Erkennung von Konflikten nach Jung (1978) ...........24<br />

2.2.5 Konfliktparteien............................................................................................28<br />

2.2.6 Schwellen der Eskalation eines Konflikts ....................................................30<br />

2.2.7 Abgrenzung zum verbalen Angriff ...............................................................31<br />

2.3 Kränkungen ...................................................................................................32<br />

2.3.1 Definition nach Wardetzki ............................................................................32<br />

2.3.1.1 Der wunde Punkt ..................................................................................33<br />

2.4 <strong>Verbale</strong>r Angriff als Kränkung .....................................................................34<br />

2.5 Das subjektive Element <strong>im</strong> verbalen Angriff ..............................................34<br />

2.6 Gefühle (Emotionen).....................................................................................36<br />

2.6.1 Ansatz nach Plutchik (1980) und nach Traxel (1963)..................................38<br />

2.6.2 Ansatz von Rosenberg (2005).....................................................................39<br />

2.6.2.1 Entfremdung von unseren Gefühlen ....................................................39<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 2 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Inhaltsverzeichnis<br />

2.7 Erzählung und Bericht ..................................................................................41<br />

2.7.1 Critical incident ............................................................................................42<br />

2.7.2 Die Erzählung ..............................................................................................44<br />

2.7.2.1 Was ist Erzählen? ................................................................................44<br />

2.7.2.2 Was ist eine Erzählung? ......................................................................45<br />

2.7.2.3 Wie fängt eine Erzählung an? ..............................................................47<br />

2.7.2.4 Aufgliederung einer Erzählung .............................................................48<br />

2.7.2.5 Sprachgestalt der Erzählung ................................................................48<br />

2.7.2.6 Erzählen alle? ......................................................................................48<br />

2.7.3 Der Bericht ..................................................................................................49<br />

2.7.3.1 Was ist ein Bericht? .............................................................................49<br />

2.7.4 Unterschiede zwischen Erzählung und Bericht ...........................................51<br />

2.8 Die Dynamik einer Erzählung und die Wünsche der erzählenden Person<br />

an schulische Begegnungen ..................................................................................52<br />

2.9 Die Erzählanalyse JAKOB ............................................................................53<br />

2.9.1 Vier Schritte für eine klinische Erzählanalyse nach Boothe .........................54<br />

2.9.2 Für die Arbeit relevante Teile aus der Erzählanalyse JAKOB .....................55<br />

2.9.3 Die Dynamik der Startsituation zum Ergebnis: Wie muss man sich das<br />

Opt<strong>im</strong>um der Geschichte vorstellen? Wie die Katastrophe? ..................................57<br />

2.9.3.1 Die Startdynamik ..................................................................................57<br />

2.9.3.2 SEIN .....................................................................................................59<br />

2.9.4 SOLL und ANTI-SOLL .................................................................................60<br />

2.9.4.1 SOLL ....................................................................................................60<br />

2.9.4.2 ANTI-SOLL...........................................................................................61<br />

2.9.5 Wunscherfüllung und Angstbewältigung .....................................................61<br />

2.9.6 Ressourcen und blinde Flecken ..................................................................63<br />

2.9.6.1 Ressourcen ..........................................................................................63<br />

2.9.6.2 Blinde Flecken ......................................................................................63<br />

2.10 Annahmen für die Ergebnisse .....................................................................64<br />

2.11 Detaillierte Fragestellungen .........................................................................65<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 3 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Inhaltsverzeichnis<br />

3 METHODEN .......................................................................................................66<br />

3.1 Einleitung ......................................................................................................66<br />

3.2 Beschreibung der Stichprobe ......................................................................66<br />

3.3 Beschreibung des Instruments ...................................................................67<br />

3.4 Durchführung ................................................................................................69<br />

3.5 Transkription .................................................................................................71<br />

3.6 Analyseraster mit JAKOB und erweiterter Kategorie ................................71<br />

3.6.1 Erzählanalyse in zwei Schritten ...................................................................74<br />

4 ERGEBNISDARSTELLUNG ..............................................................................76<br />

4.1 Befragte Personen ........................................................................................76<br />

4.2 Auswahl der Erzählungen ............................................................................77<br />

4.3 Die Struktur der Erzählungen und Berichte ...............................................78<br />

4.3.1 Kritisches Ereignis, Erzählung, Bericht - Verknüpfung der Begriffe .............79<br />

4.4 Antworten auf die drei Fragestellungen .....................................................81<br />

4.4.1.1 Welche verbalen <strong>Angriffe</strong> erzählten die Lehrpersonen? .......................81<br />

4.4.1.1.1 Beschreibung der neun Fälle von verbalen <strong>Angriffe</strong>n ................... 81<br />

4.4.1.2 Wie erleben Lehrpersonen den verbalen Angriff? ................................83<br />

4.4.1.3 Welche (unbewussten) Wünsche und Befürchtungen können wir in den<br />

Erzählungen analysieren? ..................................................................................87<br />

5 DISKUSSION .....................................................................................................98<br />

5.1 Auswertung der Untersuchungsergebnisse ..............................................98<br />

5.2 Umgang mit Verletzungen und Kränkungen ............................................109<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 4 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Inhaltsverzeichnis<br />

6 LITERATURVERZEICHNIS .............................................................................122<br />

7 ABBILDUNGSVERZEICHNIS .........................................................................125<br />

8 TABELLENVERZEICHNIS ..............................................................................126<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 5 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Abstract<br />

Abstract<br />

In dieser Arbeit geht es um verbale <strong>Angriffe</strong>, die offen, mündlich, direkt von Schüler-<br />

oder Elternseite her gegenüber der Lehrperson geäussert werden.<br />

Ein verbaler Angriff wird subjektiv bewertet. Je nach Erwartungen und Zielvorstellungen<br />

der Lehrperson an schulische Beziehungen, hat sie best<strong>im</strong>mte Wünsche und<br />

Hoffnungen, sowie Ängste und Befürchtungen. Sie fühlt sich demnach gekränkt oder<br />

nicht. Konflikte sind ein Thema in der Schule, sowie auch <strong>im</strong> Alltag. In der Arbeit<br />

wurde ein Modell für den Bericht der Lehrpersonen über verbale <strong>Angriffe</strong> entwickelt.<br />

Darin sind verbale <strong>Angriffe</strong> eingebettet in eine Vorgeschichte, in welcher Ereignisse<br />

<strong>im</strong> Vorfeld und situative Bedingungen genannt werden. Im Verlauf werden Figuren,<br />

Aktionen, Kulissen und Requisiten skizziert und Spannung aufgebaut, und es entsteht<br />

ein Konflikt, der dann quasi in Form eines verbalen Angriffs explodiert. Anschliessend<br />

wird der Konflikt entschärft. <strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> sind somit oft eingebettet in<br />

ein Konfliktgeschehen und bilden die Eskalations-Spitze. In dieser Arbeit wird dargestellt,<br />

wie Lehrpersonen den verbalen Angriff erleben, wie sie ihre Gefühle äussern<br />

und welche (unbewussten) Wünsche und Befürchtungen aus ihren Erzählungen und<br />

Berichten herauskommen. Zudem wird auch untersucht, wie sie den Konflikt entschärfen.<br />

Als Untersuchungsinstrument wurde ein Interview-Leitfaden entwickelt. Aus 19 interviewten<br />

Lehrpersonen wurden 9 Fälle qualitativ analysiert und ausgewertet. Die Analyse<br />

baut auf der JAKOB Erzählanalyse von Boothe (2002) auf, welche mit Elementen<br />

zur Konfliktdiagnose ergänzt wurde. Die Analyse der unbewussten Wünsche und<br />

Ängste wurde von der Psychoanalytikerin Marianne Ludwig-Tauber begleitet.<br />

In den Ergebnissen zeigt sich, dass fünf der neun Fälle verbale <strong>Angriffe</strong> von Elternseite<br />

kamen und vier von Schülerseite. Von den neun verbalen <strong>Angriffe</strong>n waren fünf<br />

eingebettet in eine lang andauernde Konfliktgeschichte, nur vier verbale <strong>Angriffe</strong><br />

stellten ein isoliert und plötzlich auftretendes Ereignis dar. Typisch waren Konflikte <strong>im</strong><br />

Dreieck Eltern- Schüler(in)-Lehrperson. Lehrpersonen wünschen sich von den Eltern<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 6 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Abstract<br />

Unterstützung in Erziehungsfragen, sie möchten in ihnen loyale Partner finden, was<br />

nicht <strong>im</strong>mer gelingt. Ängste gehen in Richtung Kontrollverlust in der Führung der<br />

Klasse und der einzelnen Schüler und Schülerinnen. Alle befragten Lehrpersonen<br />

hatten Ressourcen zur Konfliktbewältigung und konnten diese nutzen. Beispiele sind:<br />

Emotional stabil sein (versus labil sein), ruhig bleiben, Lösung anstreben, Verletzung<br />

überwinden, <strong>im</strong> Kontakt bleiben und offen sein (versus Beziehungsabbruch), Notfallstrategien<br />

zur Verfügung haben, Hilfe anfordern können (anstatt Alleinkämpfer sein<br />

wollen), Interessen für Menschen aufrechterhalten auch nach einer Kränkung (versus<br />

Rückzug in die Isolation), flexibel sein (versus auf eigener Meinung verharren), und<br />

kreativ Lösungen finden (versus in alten Gewohnheiten und Meinungen verharren).<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 7 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Vorwort<br />

Vorwort<br />

Als aller erstes möchte ich mich bei Frau Marianne Ludwig-Tauber ganz herzlich für<br />

die sehr kompetente Betreuung bedanken, von der ich während des Schreibens dieser<br />

Arbeit profitieren durfte. Sie führt eine Praxis für Psychotherapie und Psychoanalyse<br />

und verfügt über eine sehr hohe Fachkenntnis <strong>im</strong> Bereich meiner Masterarbeit.<br />

Einige Aspekte dieser Arbeit reichen weit in das Fachgebiet der Psychoanalyse hinein<br />

und hätten für mich alleine den Rahmen des Möglichen überschritten. Dank der<br />

Mithilfe von Marianne Ludwig-Tauber war es jedoch möglich, die uns vorliegenden<br />

Fälle auf unbewusste Wünsche und Ängste zu untersuchen und die daraus entstanden<br />

Erkenntnisse in die Arbeit einzubauen.<br />

Des weitern unterstützte sie mich auch, als Sabrina Talevi etwas mehr als einen Monat<br />

vor dem Abgabetermin der Masterarbeit krankheitshalber aus der Arbeit aussteigen<br />

musste. Die Entscheidung, die Masterarbeit von Sabrina und mir aufzuteilen,<br />

war für mich sehr bedauerlich, denn die Ideen zu dieser Arbeit stammten von uns<br />

beiden. Gemeinsam formulierten wir das Grobkonzept, entwickelten den Fragebogen<br />

für die Interviews, verfassten den Brief an die Lehrpersonen und auch zu zweit begannen<br />

wir am Theorie- sowie Methodenteil zu schreiben. Auch die Interviews führten<br />

wir gemeinsam durch.<br />

Ein weiterer Dank geht an alle Lehrpersonen, die sich bereit erklärt haben, uns zum<br />

Thema dieser Masterarbeit Interviews zu geben. Es ist nicht selbstverständlich, dass<br />

man sich in diesem heiklen Bereich des Lehrerdaseins einer Drittperson gegenüber<br />

öffnet und über solche, oftmals sehr emotionale Ereignisse spricht.<br />

Ein wichtiger Bestandteil dieser Arbeit ist die Erzählanalyse JAKOB, welche unter<br />

anderem von Frau Brigitte Boothe entwickelt wurde. In einer Supervisionsstunde<br />

lehrte sie Sabrina Talevi, Marianne Ludwig-Tauber und mich die wichtigsten Bestandteile<br />

dieser Methode und lieferte uns viele wertvolle Informationen und Anregungen<br />

welche ich in diese Arbeit einfliessen lassen konnte. Dafür möchte ich mich<br />

ganz herzlich bei ihr bedanken.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 8 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Vorwort<br />

Weiter möchte ich allen anderen Personen danken, die mich in irgendeiner Weise<br />

während dem Entstehen dieser Arbeit unterstützt haben, sei es nun psychisch oder<br />

physisch. Denn vor allem die Fälle und die dazugehörenden Analysen waren für<br />

mich als zukünftige Sekundarlehrperson nicht <strong>im</strong>mer leicht zu verarbeiten und beschäftigten<br />

mich auch <strong>im</strong> Nachhinein oft noch lange.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 9 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Einleitung<br />

<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong><br />

1 Einleitung<br />

Man stelle sich vor, es herrscht die traditionelle Unterrichtssituation <strong>im</strong> Klassenz<strong>im</strong>mer.<br />

Die Lehrperson unterrichtet, die Schülerinnen und Schüler hören zu. Auf einmal<br />

wird die Lehrperson von einem Schüler vor der ganzen Klasse in einen verbalen<br />

Machtkampf verwickelt. Der Schüler widerspricht der Lehrperson und verweigert den<br />

Befehl den Unterrichtsraum zu verlassen. Wie reagiere ich als Lehrperson auf einen<br />

anfallenden Machtkampf, auf provokative Bemerkungen wenn sie beispielsweise beleidigend<br />

oder sexueller Art sind oder wenn der Schüler/die Schülerin versucht die<br />

ganze Klasse gegen mich aufzustacheln, auf Unhöflichkeiten wie absichtliches Duzen,<br />

Fluchwörter gegenüber der Lehrperson, wenn ich nicht ernst genommen werde?<br />

Die Klasse erwartet ohne Zweifel eine Reaktion. Wie begegne ich einer Befehlsverweigerung,<br />

die sich vor einer Klasse abspielt? Wie reagiert die Lehrperson professionell<br />

auf einen solchen Vorfall? Der Machtstatus der Lehrperson wird in einer solchen<br />

Situation angezweifelt. Dies waren Fragen, die mich zu Beginn der Themenwahl<br />

interessierten. Bauer, Kopka und Brindt (1999) weisen in ihrem Buch "Pädagogische<br />

Professionalität und Lehrerarbeit" zwar darauf hin, dass gemeinsam entwickelte<br />

Regeln der Lehrperson bei Disziplinfragen helfen können. Doch diese Antwort<br />

genügte mir nicht. Ich wollte der Thematik auf den Grund gehen.<br />

Disziplinarprobleme, Problemschüler und Eltern als Belastungsquellen der<br />

Lehrperson<br />

Disziplinstörungen haben negative Einflüsse auf die Motivation und die Schulleistung<br />

der Schülerinnen und Schüler sowie auch negative Folgen für das berufliche Wohlbefinden<br />

von Lehrpersonen. Bickhoff (2004) beschäftigt sich mit dem Problemfeld<br />

berufsbedingter Belastungen bei Lehrpersonen. In seinem Buch über "Psychische<br />

und körperliche Belastung bei Lehrkräften" erwähnt er Disziplinarprobleme, Problemschüler,<br />

sowie Eltern als Belastungsquelle der Lehrpersonen in der Schule. "Lehrkräfte<br />

fühlen sich in ihrer pädagogischen Aufgabe oft alleingelassen, ausgenutzt und<br />

überfordert <strong>im</strong> Umgang mit Schülerinnen und Schülern, die als demotiviert, kaum<br />

belastbar, unkonzentriert, verhaltensauffällig und aggressiv erlebt werden. Den Un-<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 10 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Einleitung<br />

<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong><br />

terricht störendes Schülerverhalten erwies sich als wesentlicher Prädiktor für die subjektiv<br />

empfundene Belastung von Lehrerinnen und Lehrern." (zum Beispiel Coates &<br />

Thoresen, 1976; Borg, Riding & Falzon, 1991; zitiert nach Bickhoff, 2004, S. 21).<br />

Nach Belschner (1976) sind es vor allem Konflikte und Schwierigkeiten <strong>im</strong> Umgang<br />

mit verhaltensauffälligen Schülern, die Lehrer in der Schulpraxis als belastend empfanden.<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

Σ<br />

SchülerInnen<br />

Schule<br />

andere<br />

Eltern<br />

Lehrkräfte<br />

n 216 40 22 12 290<br />

% 74,5 13,8 7,6 4,1 100,0<br />

Tabelle 1: Prozentuale Häufigkeiten der Schulprobleme aus der Sicht der Lehrperson bezogen<br />

auf einzelne Kategorien. Zitiert nach Belschner (1976), S. 19.<br />

Warum komme ich auf diese Gedanken? Im Zwischensemester war es für uns Studenten<br />

üblich, Stellvertretungen (Abkürzung: STV) anzunehmen, um das Taschengeld<br />

etwas aufzubessern. Die Schülerinnen und Schüler wissen in dieser Situation<br />

genau, dass eine STV nur kurze Zeit bleibt und sie wird deshalb zum Opfer oder zum<br />

Versuchskaninchen. Da die oben erwähnten Situationen bei mir ein grosses Fragezeichen<br />

aufwarfen, überlegte ich: Wie kann man in solchen Situationen professionell<br />

reagieren? Ich wollte diese Ungewissheiten zum Thema meiner Masterarbeit machen.<br />

Mich interessieren Fälle, welche die Lehrperson <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong> in eine schwierige<br />

Situation bringen. Bald wurde mir bewusst, dass die Fragestellung eingegrenzt werden<br />

muss. Es gibt viele Situationen in welchen Lehrpersonen verbalen <strong>Angriffe</strong>n<br />

ausgesetzt sein können: In dieser Arbeit gehe ich lediglich Fällen nach, bei denen die<br />

Lehrperson, sei es vor der ganzen Schulklasse, während dem Elterngespräch oder<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 11 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Einleitung<br />

<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong><br />

an einem Elternabend, angegriffen wird. Was mich genau interessiert, kristallisierte<br />

sich bald heraus: <strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong>.<br />

Diese verbalen <strong>Angriffe</strong> können von Schülerinnen- und Schülerseite oder auch von<br />

Elternseite kommen. Ich habe mich darauf beschränkt, weil ich in meinen Praktika oft<br />

von Praxislehrpersonen erfahren habe, wie Elternarbeit viel Zeit einn<strong>im</strong>mt und wie<br />

belastend diese sein kann. <strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> von Schülerseite haben mich selber<br />

schon beschäftigt, gerade beispielsweise vor einer STV. Ich überlegte mir, wie ich<br />

reagieren würde, wenn ein solcher Angriff seitens der Schüler mich treffen würde und<br />

keine erfahrene Lehrperson hinten <strong>im</strong> Klassenz<strong>im</strong>mer sitzt, die mir beistehen könnte.<br />

Fragestellungen<br />

Die Untersuchung liess sich zu Beginn von folgenden Fragestellungen leiten:<br />

Welche Erfahrungen haben LP mit verbalen <strong>Angriffe</strong>n <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong>? Wie erleben<br />

sie diese?<br />

Mit der ersten Fragestellung möchte ich herausfinden, welche verbalen <strong>Angriffe</strong> (seitens<br />

der Schüler oder der Eltern) auf die Lehrperson erfolgen (unmittelbar vor, während<br />

oder unmittelbar nach dem Unterricht) und wie die Lehrpersonen solche <strong>Angriffe</strong><br />

erleben. Unter verbalen <strong>Angriffe</strong>n verstehe ich respektlose/freche Antworten oder<br />

Bemerkungen der Lehrperson gegenüber, die sie persönlich angreifen und/oder verletzen.<br />

Mich interessiert vor allem die Art und Weise, wie die Lehrpersonen diese verbalen<br />

<strong>Angriffe</strong> erzählen. Ich untersuchte, geleitet durch die zweite Fragestellung, wie Lehrpersonen<br />

in ihren Erzählungen oder Berichten ihre Gefühle äussern.<br />

Im Laufe des Theorieteils werde ich die detaillierteren Fragestellungen, die sich herauskristallisiert<br />

haben, herleiten.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 12 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong><br />

2 Theoretischer Hintergrund<br />

2.1 <strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong><br />

Ich interessiere mich für den verbalen Angriff. Er ist zentral in dieser Arbeit. Aus diesem<br />

Grund wird hier nun erläutert, was dieser Begriff genau bedeutet und wie er einzuordnen<br />

ist.<br />

Als verbalen Angriff definiere ich konkrete Fälle, die an einem Tag X stattfinden und<br />

in welchem eine konkrete, <strong>im</strong> Wortlaut vorhandene verbale Äusserung gegenüber<br />

der Lehrperson gemacht wird. Mit einem verbalen Angriff meine ich einen offenen,<br />

mündlichen, direkten Angriff eines Schülers, einer Schülerin oder eines Elternteils<br />

gegenüber der Lehrperson. Darunter verstehe ich respektlose/freche Antworten<br />

oder Bemerkungen der Lehrperson gegenüber, die sie persönlich angreifen und/oder<br />

verletzen.<br />

Nicht gemeint sind hier die Lehrerinnen und Lehrer, Kolleginnen und Kollegen, der<br />

Hauswart. Ich schliesse auch geschilderte Konflikte aus, die allgemein gehalten sind.<br />

Es muss ein verbaler Angriff sein, der am Tag X stattgefunden hat. Auch Gerüchte<br />

sind nicht in meinem Interesse. Vielmehr interessieren mich verbale <strong>Angriffe</strong>, die von<br />

Lehrpersonen anhand eines konkreten, wahren Ereignisses erzählt werden. Die<br />

für mich relevanten <strong>Angriffe</strong> sind verbal, das heisst mündlich geäussert. Es gibt auch<br />

nonverbale <strong>Angriffe</strong>, die ich ebenfalls nicht in meine Arbeit einschliesse. Fälle bei der<br />

die nonverbal ausgeführte Handlung als angreifend und verletzend empfunden wurde<br />

und der verbale Angriff nur nebensächlich ist für die Lehrperson, werden in dieser<br />

Arbeit ausgeschlossen.<br />

Der verbale Angriff kann <strong>im</strong> Schulz<strong>im</strong>mer vor, während oder nach dem Unterricht, in<br />

der Turnhalle, auf dem Gang oder Pausenplatz oder irgendwo auf dem Schulareal<br />

geschehen sein, wenn er von Schülerseite her kommt. Wenn er von Elternseite her<br />

kommt, kann der verbale Angriff übers Telefon her kommen oder an einem Elterngespräch<br />

oder –abend oder allgemein auf dem Schulareal. Durchaus kann sich ein<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 13 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong><br />

verbaler Angriff von Elternseite her auch irgendwo in der Öffentlichkeit geäussert<br />

werden, wie beispielsweise auf der Strasse, ereignen.<br />

2.1.1 Wahrnehmung von "verbalen <strong>Angriffe</strong>n"<br />

Menschen nehmen Situationen und demzufolge <strong>Angriffe</strong> unterschiedlich wahr. Die<br />

Bewertung des verbalen Angriffs ist für jede Person wieder anders und wird individuell<br />

aufgenommen. Für die eine Lehrperson ist eine Aussage ein Angriff, für eine andere<br />

nicht. Gefühle und Intuition spielen eine wichtige Rolle. Die einen nehmen<br />

Spannungen, die später zu verbalen <strong>Angriffe</strong>n führen, erst sehr spät wahr, während<br />

andere diese schon früh durch nicht begründbare Intuitionen wittern.<br />

Jung (1986) beschreibt zwei unterschiedliche Vorgehensweisen der Konfliktwahrnehmung,<br />

auch Schulz von Thun (1981) hat ein Kommunikationsmodell aufgeschrieben,<br />

wie Aussagen gesendet werden und wie diese empfangen werden können. Je<br />

nach Empfänger kann diese Aufnahme völlig unterschiedlich sein. Schultz von Thun<br />

spricht vom "Vier-Schnäbel und Vier-Ohren-Modell".<br />

2.1.2 Kommunikationsmodell nach Schultz von Thun<br />

Abbildung 1: Kommunikationsquadrat von Schultz von Thun<br />

Das Kommunikationsquadrat, auch "Vier-Schnäbel und Vier-Ohren-Modell" genannt,<br />

ist das bekannteste und inzwischen auch weit verbreitete Modell von Friedemann<br />

Schulz von Thun.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 14 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong><br />

Für diese Arbeit ist es relevant, weil eine Aussage eines Schülers oder einer Schülerin<br />

auf vierfache Weise wirksam ist. Jede der Äusserungen enthält, ob die Schülerin<br />

oder der Schüler will oder nicht, vier Botschaften gleichzeitig:<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

eine Sachinformation (worüber ich informiere) - blau<br />

eine Selbstkundgabe (was ich von mir zu erkennen gebe) - grün,<br />

einen Beziehungshinweis (was ich von dir halte und wie ich zu dir stehe) - gelb,<br />

einen Appell (was ich bei dir erreichen möchte) - rot.<br />

Schulz von Thun (1981) hat daher die vier Seiten einer Äusserung als Quadrat dargestellt<br />

und dementsprechend dem Sender "vier Schnäbel" und dem Empfänger "vier<br />

Ohren" zugeordnet. Psychologisch gesehen, sind also in einem Gespräch zwischen<br />

Schüler oder Schülerin, Eltern und Lehrperson auf beiden Seiten vier Schnäbel und<br />

vier Ohren daran beteiligt, die die Qualität des Gesprächs je nach Zusammenspiel<br />

beeinflussen.<br />

Die Sachebene eines Gesprächs ist von grosser Bedeutung. "Sachlichkeit ist die<br />

Tugend von Menschen, die miteinander zu arbeiten haben, unabhängig davon, ob<br />

sie sich mögen und "miteinander können" (Schulz von Thun, Ruppel und Stratmann,<br />

2000, S. 33). Die sach- und menschengerechten Lösungen stehen und fallen nicht<br />

selten mit der Qualität des Diskurses auf dieser Ebene. Für den Sender gilt es also<br />

den Sachverhalt klar und verständlich zu vermitteln. Der Empfänger, der das Sachohr<br />

aufgesperrt hat, hört auf die Daten, Fakten und Sachverhalte und hat entsprechend<br />

der drei genannten Kriterien viele Möglichkeiten einzuhaken. Für die Lehrperson<br />

eine zweifache Herausforderung: Für einen sachliche Auseinandersetzung, beispielsweise<br />

an einem Übertrittsgespräch zwischen Lehrperson und Eltern, inhaltlich<br />

(Was) und dialogisch (Wie) gut vorbereitet zu sein und dazu noch eine Zusammenarbeit<br />

zu fördern, die sachorientierte Dialoge und Gruppengespräche möglich macht.<br />

Die Selbstkundgabe-Seite: Jede Äusserung enthält auch, ob ich will oder nicht, eine<br />

Selbstkundgabe, einen Hinweis darauf, was in mir vorgeht, wie mir ums Herz ist,<br />

wofür ich stehe und wie ich meine Rolle auffasse. Dies kann explizit ("Ich-Botschaft")<br />

oder <strong>im</strong>plizit geschehen. Dieser Umstand macht jede Nachricht zu einer kleinen<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 15 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong><br />

Kostprobe der Persönlichkeit, was dem Sender nicht nur in Prüfungen und in der Begegnung<br />

mit Psychologen einige Besorgnisse verursachen kann.<br />

Als Lehrperson wäre es ideal, wenn die Authentizität erkennbar, aber je nach Situation<br />

unterschiedlich ausgeprägt wäre.<br />

Die Beziehungsseite. Ob ich will oder nicht: Wenn ich jemanden anspreche, gebe<br />

ich (durch Formulierung, Tonfall, Begleitm<strong>im</strong>ik) auch zu erkennen, wie ich zu ihm<br />

stehe und was ich von ihm halte — jedenfalls bezogen auf den aktuellen Gesprächsgegenstand.<br />

Das Nicht-Sprachliche, der Tonfall in der St<strong>im</strong>me, die M<strong>im</strong>ik <strong>im</strong> Gesicht<br />

spielen hier eine viel grössere Rolle, als der sachorientierte Sender ahnt. Eine Lehrperson<br />

kann beispielsweise an einem Elterngespräch den Diskussionsinhalt besonders<br />

gut abwägen, indem sie sich vorgängig die Worte genau überlegt, wie sie es<br />

den Eltern sagen möchte. Sie wird dann aufgrund dessen mit der Wirkung des Tonfalls<br />

konfrontiert. In diesem Fall könnte es ein "Hauch" in der Formulierung haben,<br />

der "Einschnappen" der Eltern auslösen könnte. Diese Kommunikationsebene ist<br />

besonders störanfällig, wenn die Beziehung überhaupt angespannt (an Übertrittsgesprächen<br />

oder Stufenwechselgesprächen oft der Fall) oder vorbelastet ist. Als Lehrperson<br />

ist man "nolens volens" in die Beziehungsebene verstrickt und steht vor der<br />

Herausforderung, auch auf diesem Parkett zu Hause zu sein. Die soziale Kompetenz,<br />

die auf der Sachebene begann (inhaltlich-dialogische Gesprächsführung) erweitert<br />

sich hier um eine zwischenmenschliche D<strong>im</strong>ension. Auf dieser Ebene gilt<br />

"c'est le ton qui fait la musique".<br />

Appellseite: Wenn jemand das Wort ergreift und es an jemanden richtet, will er in<br />

der Regel auch etwas bewirken, Einfluss nehmen; den Anderen nicht nur erreichen<br />

sondern auch etwas bei ihm erreichen. Es geht um Wünsche, Appelle, Ratschläge,<br />

Handlungsanweisungen, die offen oder verdeckt daher kommen können.<br />

Das Appell-Ohr ist folglich besonders empfangsbereit für die Frage: Was soll ich jetzt<br />

machen, denken oder fühlen? Als Lehrperson sollte dieses Ohr besonders gut ausgebildet<br />

sein. (vgl. Schulz von Thun et al., 2000)<br />

Dieses Modell zeigt, dass ein verbaler Angriff subjektiv empfunden wird.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 16 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff und Konflikt – eine Abgrenzung<br />

2.2 <strong>Verbale</strong>r Angriff und Konflikt – eine Abgrenzung<br />

2.2.1 Definition eines Konflikts<br />

Konflikte sind <strong>im</strong> menschlichen Zusammenleben etwas völlig Normales, Alltägliches<br />

und Unvermeidliches. Ein Leben ohne jegliche Spannungsfelder wäre undenkbar,<br />

denn letztlich bedeuten Konflikte auch <strong>im</strong>mer Entwicklung.<br />

"Geboren werden heisst in Konflikte geraten." sagt ein Sprichwort von Marc Oraison.<br />

Es gibt zahlreiche Bemühungen, Typen von Konflikten zu unterscheiden, die für die<br />

Theoriebildung oder für die praktische Konfliktbehandlung nützlich sein sollten.<br />

Es ist schwierig die bestehenden Typologien von Konflikten zu vergleichen und in<br />

eine umfassende Systematik einzuordnen, weil die Autoren von unterschiedlichen<br />

wissenschaftlichen Disziplinen ausgehen. Ökonomen wie Boulding, Politologen wie<br />

Deutsch und Soziologien wie S<strong>im</strong>mel, Psychologen wie Lewin und Psychiater, z.B.<br />

Richter, aber auch Spieltheoretiker wie Schelling oder Rapoport haben ganz wesentliche<br />

Beiträge zur Systematisierung geliefert. Die Systematisierungen gehen von<br />

sehr unterschiedlichen Erkenntnisvoraussetzungen aus, mangels einer von allen als<br />

umfassend anerkannten Wissenschaftstheorie. Hinzu kommt, dass die Blickwinkel<br />

von praktischer Anwendung und Theoriebildung ebenfalls sehr verschieden sind.<br />

Noch unterschiedlicher sind die Gesichtspunkte zur Typenbildung selbst, nach denen<br />

die Autoren ein und denselben Konflikt analysieren, deuten und beeinflussen wollen.<br />

Denn es gibt noch lange keine umfassende Theorie über die gesellschaftlichen D<strong>im</strong>ensionen<br />

und Strukturen, über zwischenmenschliche Verhältnisse und über den<br />

Mensch und seine Natur gibt, die allgemein anerkannt ist. Ein Vergleich bestehender<br />

Typologien wird noch durch den Umstand erschwert, dass verschiedene Autoren<br />

mehrere Kriterien gleichzeitig anwenden, welche sich mit denen anderer Autoren in<br />

vielen Punkten überschneiden. Das Problem, das schlussendlich bestehen bleibt ist,<br />

dass eine Typologie vielleicht den theoretischen Ansprüchen genügen könnte, jedoch<br />

wegen ihres Abstraktionsniveaus für den praxisorientierten Fachmann allenfalls<br />

keine Anknüpfungspunkte mehr liefert. Für meine Arbeit ist die praxisorientierte Seite<br />

sehr wichtig, weil ich die Erzählungen der Lehrpersonen analysieren will.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 17 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff und Konflikt – eine Abgrenzung<br />

Einige der häufigsten Typologien sollen in groben Zügen dargestellt werden. Dazu<br />

werden sie in einem sehr groben Rahmen eingeordnet. Drei Hauptgesichtspunkte<br />

zum Ausgangspunkt der Typenbildung (Glasl, 2002, S. 47):<br />

1. Konflikte lassen sich nach unterschiedlichen Streitgegenständen typologisieren<br />

oder<br />

2. nach unterschiedlichen Erscheinungsformen der Auseinandersetzung typologisieren<br />

und<br />

3. können nach Merkmalen der Konfliktparteien, ihrer Position und wechselseitigen<br />

Beziehung geordnet und klassifiziert werden.<br />

Kreyenberg beschreibt das Handeln in der Institution selber, aus welchem sich zu<br />

unterscheidende Konfliktarten herauskristallisieren. Diese haben nur indirekt zu tun<br />

mit den Hauptgesichtspunkten von Glasl, welche oben beschrieben wurden. Kreyenberg<br />

hat ihren eigenen Ansatz.<br />

Handeln in der Institution Schule heisst:<br />

a) Ziele zu setzen oder zu vereinbaren<br />

(zwei oder mehr Parteien verfolgen unterschiedliche<br />

Ziele)<br />

b) sie auf best<strong>im</strong>mtem Wege zu erreichen<br />

(z.B. unterschiedliche Methoden, weil sie<br />

die Effektivität und Auswirkung dieser<br />

Vorgehensweisen unterschiedlich einschätzen)<br />

c) mit den erforderlichen Ressourcen<br />

(Parteien können sich nicht über die Verteilung<br />

von persönlichen, finanziellen<br />

oder technischen Ressourcen einigen)<br />

Daraus resultierende Konfliktarten:<br />

Zielkonflikte<br />

Bewertungskonflikte<br />

Verteilungskonflikte<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 18 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

d) von und mit unterschiedlichen Menschen,<br />

die nicht <strong>im</strong>mer mit sich selbst <strong>im</strong><br />

reinen sind und die (wenn Menschen in<br />

sich verschiedene Entscheidungs- oder<br />

Verhaltenstendenzen verspüren oder<br />

wenn sie durch ihr persönliches Verhalten<br />

zum Konfliktauslöser werden)<br />

e) miteinander in Kontakt treten, dabei<br />

eine Beziehung aufbauen (oft auch Bedürfniskonflikte<br />

oder Kommunikationskonflikte<br />

genannt, wenn es in der Beziehung<br />

zu unterschwelligen oder offenen Störungen<br />

kommt) und<br />

f) die best<strong>im</strong>mte Funktionen bzw. Rollen<br />

innehaben.<br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff und Konflikt – eine Abgrenzung<br />

Persönliche Konflikte<br />

Beziehungskonflikte<br />

Rollenkonflikte<br />

Tabelle 2: Konfliktarten nach Kreyenberg (2005, 25f)<br />

Beziehungskonflikte kommen <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong> wahrscheinlich häufiger vor, darum werden<br />

dessen mögliche Ursachen, wie es dazu kommen kann kurz dargestellt (Kreyenberg,<br />

2005, S. 42):<br />

Verletzung von Grundbedürfnissen nach Akzeptanz und Wertschätzung<br />

Kommunikationskonflikte, z.B. Killerphrasen (Kreyenberg (2005, S. 18) definiert<br />

Killerphrasen folgendermassen: "Killerphrasen sind in der Regel verallgemeinernde<br />

Aussagen, oft auch abwertende Du-Botschaften an das Gegenüber.")<br />

Symptomverschiebungen: Verlagerung des Konflikts von der Sach- auf die<br />

Beziehungsebene<br />

Unklare Verantwortungsbereiche<br />

Zu geringe oder zu hohe Kommunikationsdichte<br />

Gegensätzliche Persönlichkeiten<br />

Übertragung früherer Beziehungen auf die aktuelle<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 19 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff und Konflikt – eine Abgrenzung<br />

Symbiotische Abhängigkeit oder die Loslösung daraus<br />

passive Verhaltensweisen (Nichtstun, Überanpassung, Agitation, Gewalt)<br />

Gekreuzte oder verdeckte Transaktionen<br />

"Konflikte sind Spannungssituationen, in der voneinander abhängige Menschen versuchen,<br />

unvereinbarte Ziele zu erreichen oder gegensätzliche Handlungspläne zu<br />

verwirklichen." (Kreyenberg, 2005, S. 25)<br />

Wir sprechen von einem Konflikt, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind (Glasl,<br />

2002):<br />

Zwei oder mehrere Parteien (Individuen, Gruppen, Organisationen)<br />

Subjektiv erlebte Unvereinbarkeiten <strong>im</strong> Denken / Vorstellen / Wahrnehmen<br />

und/oder Fühlen und/oder Wollen<br />

Beeinträchtigung der Handlung durch die andere Partei.<br />

Weitere Konfliktdefinitionen sind <strong>im</strong> Anhang zu finden.<br />

Für das Verständnis von Konfliktarten in dieser Arbeit sind aus diesen Definitionen<br />

u.a. folgende Aspekte wichtig:<br />

Menschen sind voneinander abhängig, das heisst die Lehrperson ist auf die<br />

Eltern angewiesen und umgekehrt. Es braucht den Schüler / die Schülerin respektiv<br />

die Tochter / den Sohn dafür, dass Eltern und Lehrperson überhaupt in<br />

Kontakt kommen.<br />

Wir befinden uns <strong>im</strong> Berufsfeld Schule. Die Rollen der Parteien sind somit<br />

vorbest<strong>im</strong>mt.<br />

Es besteht eine länger andauernde Diskrepanz <strong>im</strong> Vorfeld des verbalen Angriffs.<br />

Es kommt nicht direkt zu solch einer verletzenden Aussage gegenüber<br />

der Lehrperson.<br />

Durch die Interviewfrage nach "Situationen die die Lehrperson verletzt oder<br />

angegriffen haben", kommen bei den Lehrpersonen negative Gefühle hoch.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 20 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff und Konflikt – eine Abgrenzung<br />

2.2.2 Unabdingbare Bestandteile eines Konflikts<br />

Es gibt gewisse Bestandteile, die zwingend enthalten sein müssen, wenn ein Konflikt<br />

vorliegt.<br />

Nach Kreyenberg (2005, S. 24f) ist folgendes festzuhalten:<br />

1. Es sind mindestens zwei unterschiedliche Konfliktparteien beteiligt. Diese<br />

Konstellation kann sich innerhalb einer oder zwischen mehreren Personen abspielen.<br />

2. Es besteht eine Abhängigkeit in Form eines gemeinsamen Themas, Ziels, Anliegens<br />

oder Kontextes. Zum Beispiel arbeiten Menschen in der gleichen Abteilung und<br />

sind dort aufeinander angewiesen. Durch Kündigung wäre der Konflikt aufgehoben.<br />

3. Es sind Gefühle <strong>im</strong> Spiel. Die beteiligten Menschen fühlen sich unwohl. Das kann<br />

von einer leichten Anspannung über Ärger, Angst oder ähnlichen starken Gefühlen<br />

bis hin zu körperlichen Symptomen und Krankheit gehen.<br />

4. Es besteht ein Spannungsfeld. Dieses Spannungsfeld kann in verschiedenen<br />

Bereichen liegen. So kann es sein, dass...<br />

beteiligte unterschiedliche Ziele oder Handlungsabsichten haben. Zum Beispiel<br />

empfiehlt die Lehrperson individuelle Lernziele für den Schüler, wobei die<br />

Eltern möchten, dass er die obligatorischen Lernziele der Realschule befolgt,<br />

auch wenn seine Leistungen dabei sehr schlecht sind.<br />

eine unterschiedliche Einschätzung oder Wahrnehmung der Situation vorliegt.<br />

Beispielsweise will die Lehrperson die Schülerin / den Schüler nicht weiter in<br />

der Sekundarschule behalten, weil sein Niveau in den Prüfungen zu tief ist<br />

und die Eltern wollen den Schüler unbedingt in der Sekundarschule lassen,<br />

weil er nachher ins Gymnasium soll und sie finden, dass ihr Sohn schlau genug<br />

ist für die Sekundarschule.<br />

knappe oder vermeintlich knappe Ressourcen vorhanden sind.<br />

die Funktion oder Rollen der Menschen in diesem Geschehen entweder unklar,<br />

zu vielfältig oder zu begrenzt sind. Beispielweise wenn ein Vater selber<br />

auch Lehrer ist, aber <strong>im</strong> Elterngespräch seine Rolle des Vaters wäre.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 21 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff und Konflikt – eine Abgrenzung<br />

die Beziehung gestört ist und die beteiligten Menschen sich unterschiedlich<br />

erleben oder sich buchstäblich "nicht riechen" können. Ein Konflikt kann in der<br />

Beziehung zwischen Menschen ziemlich unterschiedlich geartet sein. Oft liegt<br />

auch eine Verschiebung vor und ein nicht gelöster Sachkonflikt wird als Beziehungskonflikt<br />

ausgetragen oder umgekehrt. Zum Beispiel wenn eine Mutter<br />

schon selbst bei der Lehrperson ihres Sohnes zur Schule gegangen ist und<br />

dort ein negatives Erlebnis hatte, dann könnte es sein, dass sie diesen Beziehungskonflikt<br />

unterdrückt und dann den Konflikt (scheinbar) um die übermässigen<br />

Hausaufgaben ihres Sohnes steuert.<br />

dass persönliche Konflikte vorliegen. Menschen verspüren in sich Konflikte,<br />

sei es durch anstehende Entscheidungen, unterdrückte bzw. verdrängte Wünsche<br />

oder widersprüchliche Anforderungen. Ausserdem wird durch die eigene<br />

Art, sich in der Welt zu befinden, durch Einstellungen oder Verhaltenstendenzen<br />

das soziale Konfliktgeschehen beeinflusst. Zum Beispiel könnte ein Vater<br />

den unerfüllten Wunsch gehabt haben, selber Sekundarlehrer zu werden. Er<br />

fiel danach durch die Prüfungen und der Wunsch blieb unerfüllt. Dieser persönliche<br />

Konflikt könnte dann gegenüber der unschuldigen Lehrperson ausgetragen<br />

werden.<br />

2.2.3 Durch welche Anzeichen kündigt sich ein Konflikt an<br />

Für Führungskräfte, somit auch für Lehrpersonen, ist es wichtig, Konfliktsymptome<br />

schon früh wahrzunehmen. Als Lehrperson wäre es ideal, wenn man schon "das<br />

Knistern <strong>im</strong> Gebälk" hört, bevor der Dachstuhl in Flammen steht. "Eine aktive Steuerung<br />

heisst auch, die Augen offen zu halten und die Symptome zu erkennen, die<br />

eventuell zu einem Konflikt führen könnten [...] Wenn ein latenter Konflikt manifest<br />

geworden ist, gewinnen <strong>im</strong> Nachhinein viele scheinbar unbedeutende Symptome, die<br />

man zunächst eher wie Kleinigkeiten oder Nebensächlichkeiten wahrgenommen hat,<br />

ungeahnte Bedeutung, bekommen Gewicht und fügen sich wie bei einem Puzzle zusammen."<br />

(Kreyenberg, 2005, S. 13f). Oft wird den Menschen erst <strong>im</strong> Nachhinein<br />

bewusst, dass sich ein Konflikt angebahnt hat.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 22 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff und Konflikt – eine Abgrenzung<br />

Ich unterscheide verbale <strong>Angriffe</strong>, die plötzlich eintreten von solchen, die aus einem<br />

laufenden Konflikt ausbrechen. Lehrpersonen erzählen möglicherweise Ereignisse,<br />

die innerhalb eines grösseren, längeren Konfliktes stattgefunden haben, die sie aber<br />

tief verletzt oder angegriffen haben.<br />

Die Symptome einer Konfliktanbahnung können ganz verschieden sein, aber sie finden<br />

auf verschiedenen Ebenen statt: verbal – nonverbal, offen – verdeckt, aktiv –<br />

passiv, bewusst – unbewusst.<br />

<strong>Verbale</strong> oder nonverbale Anzeichen für einen Konflikt:<br />

Es sind nicht nur Drohungen, Besch<strong>im</strong>pfungen, offene Widerstände oder zusammengefasst<br />

gesagt verbale Anzeichen, Kennzeichen für einen Konflikt. Oft sind es<br />

die nonverbalen Gesten, die einen Konflikt deutlich machen. "Der Ton macht die Musik"<br />

sagt der Volksmund. Dies erkennt man anhand der Begleitung der Sprache, insbesondere<br />

Gestik, M<strong>im</strong>ik, Ausdruck, Haltung und die Verhaltensweisen des faktischen<br />

Tuns liefern oft mehr Informationen als der reine Inhalt einer Kommunikation.<br />

So kann man bei Schülerinnen und Schülern beispielsweise die Gesichter, die Gestik<br />

und die Körperhaltung beobachten und daraus schon einiges erkennen.<br />

Offene oder verdeckte Anzeichen für einen Konflikt:<br />

Viele Konflikte sind nicht offensichtlich, sie dokumentieren sich <strong>im</strong> Vorfeld unterschwellig<br />

durch ungute Gefühle, eine gewisse Unruhe und Unzufriedenheit oder das<br />

unspezifische Gefühl "Hier st<strong>im</strong>mt etwas nicht". Offener Widerstand oder Widerspruch<br />

ist für viele Menschen einfacher zu erkennen, als verdeckte Anzeichen, welche<br />

nicht klar angesprochen werden.<br />

Aktive oder passive Anzeichen für einen Konflikt:<br />

Das Verhalten der Menschen in Konflikten ist vorzüglich passiv. Sie schweigen,<br />

beschwichtigen, werden müde oder krank oder ziehen sich zurück. Aktive Anzeichen<br />

für einen Konflikt wären ein Angriff, ein offener Streit oder ein Vorwurf.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 23 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff und Konflikt – eine Abgrenzung<br />

Bewusste oder unbewusste Anzeichen für einen Konflikt:<br />

Die Frage die man sich stellen muss ist: Welche der Konfliktparteien ist sich welcher<br />

Symptome bewusst? Oft wird in Konfliktsituationen "hinter dem Rücken geredet". Die<br />

Schülerinnen und Schüler reden hinter dem Rücken der Lehrperson, aber diese bekommt<br />

nichts mit und ist sich deshalb auch des Konflikts nicht bewusst. Bewusstheit<br />

über Konflikte und das best<strong>im</strong>mten Handlungen innewohnende Konfliktpotential ist<br />

oft eine Frage der Erfahrung, der Aufmerksamkeit und des Trainings in der Beobachtung,<br />

sowie eine Interessensfrage. Nützlich ist es, den eigenen Bewusstheitsraum<br />

und die Sensibilität zu erweitern schreibt Kreyenberg (2005).<br />

Lehrpersonen haben reichlich Eindrücke den ganzen Tag von unterschiedlichen Personen.<br />

Es ereignen sich viele Situationen auf der Beziehungsebene (mit Schülerinnen<br />

und Schüler, Lehrpersonen aus dem Team, Schulleiter, Hauswart, Eltern etc.).<br />

Es gibt möglicherweise Anzeichen für einen Konflikt, die die Lehrperson nicht wahrn<strong>im</strong>mt,<br />

weil sie es sich nicht bewusst ist oder sich nicht explizit darauf achtet. Oft<br />

können so auch Dinge hineininterpretiert werden, die gar nicht da sind. Jung (1978)<br />

beschreibt zwei verschiedene Vorgehensweisen zur Konflikterkennung. Diese werden<br />

<strong>im</strong> folgenden Kapitel aufgezeigt.<br />

2.2.4 Vorgehensweisen der Erkennung von Konflikten nach Jung (1978)<br />

Jung (1978) unterscheidet zwei psychische Funktionen, die Wahrnehmung und Beurteilung,<br />

die Menschen unterschiedlich ausfüllen können. Je nach Ausprägung lassen<br />

sich verschiedene Konfliktstile unterscheiden. Es gibt zwei unterschiedliche oft beobachtete<br />

Vorgehensweisen, die für das Erkennen von Konflikten wichtig sind:<br />

1. Die digitale Vorgehensweise: Bei dieser Vorgehensweise steht die wissenschaftliche<br />

objektive Analyse durch Einsatz von Diagnoseinstrumenten, Checklisten, Fragebögen<br />

etc. <strong>im</strong> Vordergrund. Diese Menschen können gut strukturieren und analysieren,<br />

sehen jedoch manchmal "vor lauter Bäume den Wald nicht mehr". Sie haben<br />

also die Tendenz, übergreifende Sichtweisen, wie Sinn, Prioritäten und Visionen zu<br />

vernachlässigen.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 24 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff und Konflikt – eine Abgrenzung<br />

2. Die analoge Vorgehensweise: Hier steht eine gefühlsmässige, intuitive und ganzheitliche<br />

Erfassung von Konflikten <strong>im</strong> Vordergrund. Goleman (1995, 2002 nach Kreyenberg,<br />

2005) beschreibt Fähigkeiten der emotionalen Intelligenz. Hier sind hauptsächlich<br />

emotionale Wahrnehmungsfähigkeiten gefordert wie:<br />

1. Selbstwahrnehmung, wobei die eigenen Emotionen zu erkennen und eigene<br />

Gefühle und Fähigkeiten realistisch einzuschätzen sind, aber auch Selbstvertrauen<br />

und Selbstwertgefühl gehören in diese Sparte.<br />

2. Soziale Wahrnehmung: Begriffe wie Empathie, Einfühlungsvermögen, aber<br />

auch Verbundenheit, das Denken in sozialen Netzwerken sowie die Fähigkeit,<br />

die Wirkung eigener Verhaltensweisen abschätzen zu können gehört zu diesem<br />

Begriff. Menschen, die in diese Richtung tendieren, haben das Ganze <strong>im</strong><br />

Blick und ein "gutes Feeling" für die Dinge, wie Kreyenberg (2005) schreibt.<br />

Sie können jedoch oft ihre Meinung, ihr "Bauchgefühl" nicht mit Fakten, Tatsachen<br />

und konkreten Wahrnehmungen begründen. Im Kapitel Konfliktdiagnose<br />

schreibt Kreyenberg, dass in westlichen Kulturen die rationale, objektive Zugangsweise<br />

bevorzugt wird. Der intuitive, gefühlsmässige Zugangskanal wird<br />

leider oft eher vernachlässigt, abgewertet oder ausgeblendet. Dies ist bedeutsam,<br />

weil für die Früherkennung von Konflikten genau dieser Kanal ausschlaggebend<br />

wäre, da wissenschaftlich belegbare, objektive Kriterien meistens<br />

erst dann nachweisbar sind, wenn der Konflikt schon weit fortgeschritten<br />

ist.<br />

Ideal für eine Lehrperson wäre eine Kombination zwischen intuitiver und rationaler<br />

Zugangsweise. Je nachdem, wozu man neigt, sollte man auf Empfehlung von Kreyenberg,<br />

den vernachlässigten Teil zu stärken versuchen. Das heisst, die Beobachtung<br />

schulen, wenn man intuitiver an die Dinge herangeht. Wenn man hingegen<br />

mehr digital analysiert, empfiehlt es sich, die Intuition zu stärken.<br />

Checkliste der häufigsten Konfliktsymptome:<br />

Aus den vier Symptomd<strong>im</strong>ensionen lassen sich Kombinationen bilden. Kreyenberg<br />

(2005) fasst die häufigsten Konfliktsymptome in einer Checkliste zusammen. Dabei<br />

werden die Kategorien "Offen – Verdeckt" und "Aktiv - Passiv" zusammengenommen.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 25 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff und Konflikt – eine Abgrenzung<br />

Verbal<br />

offen und aktiv<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff<br />

Andere Meinung äussern<br />

Kritik<br />

Beleidigungen, Besch<strong>im</strong>pfungen<br />

Vorwürfe<br />

Killerphrasen<br />

"Herunterputzen" einer<br />

Person<br />

Streiten<br />

(Genereller) Widerspruch<br />

"Ich will aber..."<br />

Gegenargumentation<br />

Differenzen lautstark<br />

aufbauschen<br />

Starres Festhalten an<br />

Gewohnheiten und Standpunkten<br />

verdeckt und passiv<br />

Ablenken<br />

Sarkasmus, Ironie, Galgenhumor<br />

Nebenkriegsschauplätze aufmachen<br />

Vom Thema ablenken<br />

Zeitdruck vorschieben<br />

Von "man" und "wir" sprechen,<br />

statt persönlich Stellung<br />

zu beziehen<br />

Verunsicherungstaktik<br />

Herabsetzende Bemerkungen<br />

Subtile Anspielungen<br />

Leugnen<br />

"Ja, aber..." (defensiv)<br />

Anzüglichkeiten<br />

Genereller Zuspruch<br />

Sprüche klopfen<br />

Bagatellisieren<br />

Blödeln, ins Lächerliche ziehen<br />

"Verpfeifen" und Denunzieren<br />

Distanzierte Höflichkeit<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 26 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff und Konflikt – eine Abgrenzung<br />

nonverbal<br />

Aufregung, Unruhe<br />

Demonstrativ ignorieren,<br />

nicht beachten<br />

Beziehungsabbruch<br />

Ausschluss von Personen<br />

Drohgebärden<br />

Abschätzige, abwertende<br />

Gestik und M<strong>im</strong>ik<br />

Abweisende Haltung<br />

Tätlicher Angriff<br />

Inkongruenz <strong>im</strong> Verhalten<br />

oder zwischen Reden und<br />

Tun<br />

Immer das Gegenteil tun<br />

Gewalt<br />

Sabotage<br />

Auflaufen lassen<br />

Trotzreaktionen, Querschiessen<br />

Streik<br />

Rückzug, Lustlosigkeit<br />

Unwohlsein<br />

Humorlosigkeit<br />

Schweigen<br />

Sturer Formalismus<br />

Nur das Notwendigste tun<br />

Desinteresse<br />

Humorlosigkeit<br />

Verbesserungsvorschläge<br />

einstellen<br />

Zu spät kommen<br />

Nur noch schriftliche Kommunikation<br />

Überformale Regelungen<br />

(Innere) Kündigung<br />

Hohe Fehlzeiten, Krankheit<br />

Hohe Reklamationsquoten<br />

Überstunden / Aktionismus<br />

Gereiztheit<br />

Vorweggenommener Gehorsam<br />

Depression, Niedergeschlagenheit<br />

Tabelle 3: Die häufigsten Konfliktsymptome nach Kreyenberg (2005, S. 16)<br />

Die Checkliste kann genutzt werden für die Analyse eines sich anbahnenden Konflikts<br />

oder auch <strong>im</strong> Nachhinein, um das Zustandekommen eines Konfliktes nachzuvollziehen<br />

und zu verstehen.<br />

In dieser Arbeit interessieren mich verbale, offene, aktive <strong>Angriffe</strong>.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 27 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff und Konflikt – eine Abgrenzung<br />

2.2.5 Konfliktparteien<br />

Da alle interviewten Personen betroffene Lehrpersonen sind, findet der Fall <strong>im</strong>mer<br />

innerhalb eines schulischen Kontextes statt. Schon in der Konfliktdefinition nach<br />

Kreyenberg ist deutlich geworden, dass Konflikte nur auftreten können, wenn voneinander<br />

abhängige Menschen einen Gegensatz, eine Spannung oder einen Unterschied<br />

zwischen einander haben. Eltern sowie Schülerinnen und Schüler sind abhängig<br />

von der Lehrperson, weil die Sekundarschule zur obligatorischen Schulzeit<br />

der Volksschule gehört. Die Lehrperson kann ihren Beruf nur mit den Schülerinnen<br />

und Schülern ausüben und ist auf die Mitarbeit der Eltern angewiesen, da diese für<br />

die Erziehung der Jugendlichen ausserhalb der Schulzeit zuständig sind. Ziel ist es,<br />

zusammenzuarbeiten. Bei Menschen, die sonst überhaupt nichts miteinander zu tun<br />

haben und somit völlig voneinander unabhängig sind, können sich aus dem Wege<br />

gehen, wenn Differenzen auftreten. Dies ist <strong>im</strong> schulischen Kontext nicht der Fall.<br />

Lehrperson, Eltern und SchülerIn sind abhängig voneinander.<br />

Nach Kreyenberg (2005) gibt es prinzipiell zwei Kriterien, nach denen man die Beziehung<br />

zwischen den Konfliktpartnern unterscheiden kann:<br />

Einerseits ist dies der Grad und die Art der Abhängigkeit, wobei man fragt ob hierarchische<br />

Abhängigkeitsverhältnisse (vertikale Abhängigkeit) oder ob eine enge Vernetzung<br />

zwischen Gleichgestellten vorhanden sind, z.B. wenn die Mutter selbst auch<br />

Lehrperson derselben Schule ist (horizontale Abhängigkeit).<br />

Andererseits unterscheidet man ob es eine formelle oder informelle Beziehung ist:<br />

Unter formellen Beziehungen sind Beziehungen gemeint, die durch Organigramme,<br />

Vorschriften oder Ablaufprozeduren geregelt sind. Informelle Beziehungen sind Beziehungen,<br />

die ausserhalb der offiziellen Regelung laufen. Sie können Prozesse<br />

entweder fördern oder behindern und insofern eher Konfliktursache oder auch genauso<br />

gut Konfliktlösung sein. Grundsätzlich ist in schulischen Fällen die Beziehung<br />

formell, das heisst es ist klar best<strong>im</strong>mt, wer die Lehrperson ist und was sie für eine<br />

Funktion hat. Genauso ist dies für den Elternteil und die Schülerinnen und Schüler<br />

festgehalten. Die Rollen und Funktionen sind somit eindeutig. Es kann aber durchaus<br />

vorkommen, dass sich die Lehrperson und der Elternteil schon auf privater Basis<br />

kennen, da die Lehrperson <strong>im</strong> Umkreis vom Schulhaus lebt. Genauso gut kann es<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 28 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff und Konflikt – eine Abgrenzung<br />

sein, dass die Lehrperson den Schüler oder die Schülerin beispielsweise schon aus<br />

dem Sportverein kennt. Formelle und informelle Beziehung wären hier gemischt, wobei<br />

die Lehrperson einen guten Weg finden muss, wie sie auch auf formeller Basis<br />

ein Gespräch führen kann mit jemandem, zu dem sie sonst eine informelle Beziehung<br />

hat.<br />

In der untenstehenden Tabelle werden Glasls Hauptfragen den Stichworten von<br />

Kreyenberg gegenübergestellt (<strong>im</strong> Anhang findet man bei Unklarheit die genaue Beschreibung<br />

der Begriffe):<br />

Glasl (2002) Kreyenberg (2005)<br />

Wer sind eigentlich die Parteien? Abgrenzungsgrad<br />

Sind die Parteien scharf voneinander abgegrenzt?<br />

Sind die Parteien organisiert oder formlos?<br />

Formalisierungsgrad<br />

Welche sind die Kernpersonen der Konfliktparteien?<br />

Kernpersonen<br />

Welche Beziehung haben die Repräsentanten<br />

zu ihrer eigenen Hintermann-<br />

Kernpersonen, Macht<br />

schaft?<br />

Welche innere Kohäsion weisen die Parteien<br />

auf?<br />

Innere Kohäsion<br />

Wie gross ist tatsächlich die Arena des Anzahl der Beteiligten<br />

Konfliktes?<br />

Tabelle 4: Differenzierung von Konflikten aufgrund unterschiedlicher Fragen zu den<br />

beteiligten Parteien (Glasl vs. Kreyenberg)<br />

In der Tabelle ist ersichtlich, dass Glasl den Abgrenzungsgrad von Kreyenberg mit<br />

zwei Fragen präzisiert. Er fragt dabei nach der Schärfe der Abgrenzung der Parteien<br />

voneinander und wer die Parteien eigentlich sind. Den zweiten Punkt setzt Kreyenberg<br />

möglicherweise schon voraus. Insgesamt st<strong>im</strong>men Kreyenberg und Glasl ziemlich<br />

überein bei der Unterscheidung der Beschreibung der Konfliktparteien.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 29 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff und Konflikt – eine Abgrenzung<br />

2.2.6 Schwellen der Eskalation eines Konflikts<br />

Nach Glasl (1998) "eskaliert" ein Konflikt. Von ihm stammt das wohl bekannteste Eskalationsmodell,<br />

das die wachsende Zuspitzung von Konflikten zwischen Individuen<br />

und Gruppierungen sehr treffend beschreibt. Das heisst, ein Konflikt entsteht stufenweise.<br />

Es gibt neun Stufen, welche in der Abbildung 2 Seite 30 dargestellt sind. Ein<br />

Konflikt entsteht oben und wandert <strong>im</strong>mer weiter nach unten. Diesen Weg nennt man<br />

"Eskalationsdynamik".<br />

Mit Bedacht stellt Glasl die Eskalation in seinem neunstufigen Modell nicht als einen<br />

Anstieg zu <strong>im</strong>mer höheren Eskalationsstufen dar, sondern als einen Abstieg zu <strong>im</strong>mer<br />

tieferen, pr<strong>im</strong>itiveren und unmenschlicheren Formen der Auseinandersetzung.<br />

Mit der Abwärtsbewegung will er "zum Ausdruck bringen, dass der Weg der Eskalation<br />

mit einer zwingenden Kraft in Regionen führt, die grosse, 'unmenschliche Energien'<br />

aufrufen, die sich jedoch auf die Dauer der menschlichen Steuerung und Beherrschung<br />

entziehen. Denn einerseits bewegen sich die Konfliktparteien auf einem<br />

abschüssigen Gelände, das steiler wird und weniger Halt bietet, andererseits wecken<br />

sie durch ihr Verhalten Energie, die zu einer Verstärkung und Beschleunigung des<br />

Geschehens führt. Durch den gleichsam entstandenen 'Geschwindigkeits- und Bewegungsrausch'<br />

schwindet die Fähigkeit zur Steuerung." (Glasl, 2002, S. 233)<br />

I<br />

» win - win «<br />

II<br />

» win - lose «<br />

III<br />

» lose - lose «<br />

Abbildung 2: Eskalationsdynamik von Konflikten nach Glasl, 1998<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 30 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff und Konflikt – eine Abgrenzung<br />

Die Eskalationstheorie besagt, dass eine Vielzahl von Faktoren und Mechanismen<br />

wirkt, die den Konflikt weiter intensivieren, wenn nicht bewusst diesen Mechanismen<br />

entgegengetreten wird. Konflikte könnten hier in diese Eskalationsstufen eingeordnet<br />

werden, was jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. "Durch Kenntnis der<br />

Eskalationsdynamik und der einzelnen Stufen und Schwellen kann die verhängnisvolle<br />

Tendenz erkannt werden." (Glasl, 2002, S. 283) Daraus ist abzuleiten, dass<br />

Konflikte rechtzeitig <strong>im</strong> kleinstmöglichen Rahmen bearbeitet werden müssen.<br />

2.2.7 Abgrenzung zum verbalen Angriff<br />

Aus diesem Kapitel kann man folgern, dass "verbale <strong>Angriffe</strong>" Bestandteile eines<br />

Konflikts sein können. In den neun Fällen von Erzählungen/Berichten der Lehrpersonen<br />

dieser Arbeit gibt es verbale <strong>Angriffe</strong>, die in neuen Beziehungen entweder als<br />

isoliertes Ereignis oder als Ausbruch eines schon länger schwellenden Konflikts auftauchen.<br />

Der verbale Angriff steht <strong>im</strong> Geschehen nicht ganz isoliert da, sondern ist<br />

<strong>im</strong>mer eingebettet in eine Vorgeschichte die mit Ereignissen <strong>im</strong> Vorfeld und situativen<br />

Bedingungen, die wie ein "Knistern <strong>im</strong> Gebälk" den Konflikt anbahnen. Ein solcher<br />

Verlauf wo zwischen spezifischen Figuren, Aktionen, Kulissen und Requisiten<br />

Spannung aufgebaut wird und dann quasi in Form eines verbalen Angriffs explodiert,<br />

nennt man, wie in den letzten Kapitel ersichtlich wurde, "Konflikt". Folglich ist ein verbaler<br />

Angriff oft eingebettet in ein Konfliktgeschehen. Glasl (2002) nennt dies "Eskalation"<br />

(siehe 2.2.6 Schwellen der Eskalation eines Konflikts).<br />

Da verbale <strong>Angriffe</strong> in der Schule vom Empfänger her als solche definiert werden<br />

(vgl. Schultz von Thun) und aus Sicht der Lehrpersonen "verletzende" oder "kränkende"<br />

Aussagen von Eltern oder Schüler / Schülerinnen, sind, fragte ich mich auch:<br />

Was ist eigentlich eine Kränkung? Im nächsten Abschnitt wende ich mich diesem<br />

Thema zu.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 31 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Kränkungen<br />

2.3 Kränkungen<br />

Der Begriff Kränkung fokussiert die Empfängerseite. Eine Kränkung beschreibt das<br />

Gefühl von "Verletzt-Sein" und Scham in der Öffentlichkeit. Beschämungen wie<br />

Blossstellung finden in der Regel in der Öffentlichkeit statt. Verhängnisvoll werden<br />

sie aus dem Grund, weil jeder Mensch zum Schutz seines Selbstwertgefühls bemüht<br />

ist, nach aussen eine Fassade aufzubauen, um Fehler und Schwächen zu verbergen,<br />

die ihn angreifbar machen.<br />

2.3.1 Definition nach Wardetzki<br />

Wardetzki definiert Kränkungen als mögliche Reaktionen auf Ereignisse, durch die<br />

wir uns seelisch verletzt fühlen. Diese Ereignisse sind nach ihr in der Regel Kritik,<br />

Zurückweisungen, Ablehnung, Ausschluss oder "Ignoriert-Werden", die wir als Entwertung<br />

unserer Person, unserer Handlungen oder unserer Bedeutung für einen anderen<br />

Menschen erleben. Auf Kränkungen, so schreibt Wardetzki weiter, reagieren<br />

wir mit Gefühlen von Ohnmacht, Enttäuschung und Trotz, sowie Wut und Verachtung<br />

gegen den Kränkenden. Dahinter sind Gefühle von Schmerz, Angst und Scham verborgen,<br />

die oft weder gespürt noch ausgedrückt werden. Stattdessen wendet sich die<br />

Kränkung meist in Form von Gewalt gegen den "Täter". Die Wut und Verachtung sind<br />

gleichsam Schutzreaktionen vor dem Schmerz der Verletzung. Ihr Ziel ist es, die<br />

schmerzliche Gekränktheit zu beenden und zu neutralisieren.<br />

Kränkungen sind ein Alltagsphänomen. Ohne zu wollen, passiert es schnell, dass<br />

man vom Gegenüber beschuldigt wird, ihn verletzt zu haben. Auch umgekehrt sind<br />

wir nicht selten jene, die sich gekränkt zurückziehen und mit Wut und Ärger auf das<br />

reagieren, was wir vom anderen erfahren haben. Wir sind nicht nur Kränkende, sondern<br />

auch Gekränkte, sei es als Privatperson in Beziehungen oder als Lehrperson.<br />

"Kränkungen berühren <strong>im</strong>mer das Selbstwertgefühl. [...] Kränkbar ist jeder Mensch,<br />

wenn auch in unterschiedlichem Ausmass." (Wardetzki, 2000, S. 17).<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 32 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Kränkungen<br />

Auf der einen Seite werden wir durch Kränkungen in unserem Selbstwertgefühl geschwächt,<br />

da wir uns nicht respektiert, wertgeschätzt, angenommen und verstanden<br />

fühlen. Dann reagieren wir mit Selbstzweifel, der bis zur Verunsicherung unseres<br />

Identitätsgefühls reichen kann. Auf der anderen Seite ist die Kränkbarkeit abhängig<br />

von der Stabilität des Selbstwertgefühls.<br />

2.3.1.1 Der wunde Punkt<br />

Die Frage ist nun, wie es dazu kommt, dass best<strong>im</strong>mte Ereignisse zu Kränkungen<br />

führen. Wardetzki (2000) vermutet, dass Kritik, Ablehnung oder Zurückweisung dann<br />

eine Kränkungsreaktion auslösen, wenn sie einen "wunden Punkt" be<strong>im</strong> Gekränkten<br />

treffen. Ein wunder Punkt ist nach Wardetzki eine nicht ganz verheilte Wunde, die bei<br />

entsprechendem Anlass aufbricht. Dieser wird durch frühere verletzende Erfahrungen<br />

oder Entbehrungen gebildet, die das Selbstwertgefühl angegriffen haben. Sie<br />

bleiben als sogenannte "offene Gestalten" unabgeschlossen bestehen und bilden<br />

den wunden Punkt, an dem durch Kritik, Zurückweisung, Verlassen- oder Ignoriertwerden<br />

die alten, unverarbeiteten Verletzungen aktiviert werden und Kränkungsreaktionen<br />

auslösen.<br />

Selbstverletzungen<br />

Bilden „offene Gestalt“<br />

„Wunder Punkt“<br />

wird verletzt<br />

nicht <strong>im</strong> Bewusstsein<br />

wahrnehmbar, spürbar<br />

Kränkung<br />

Zurückweisung, Kritik,<br />

Ablehnung, Grenze<br />

Abbildung 3: Kränkungsdynamik nach Wardetzki (2000)<br />

Im folgenden Kapitel wird beschrieben, wie der verbale Angriff mit der Kränkung <strong>im</strong><br />

Zusammenhang steht.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 33 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff als Kränkung<br />

2.4 <strong>Verbale</strong>r Angriff als Kränkung<br />

<strong>Verbale</strong> Attacken sind Kränkungen und wenn sie auf Lehrpersonen gerichtet sind,<br />

ein Paradebeispiel dafür. Fast alle Probleme, die zwischen Menschen entstehen sind<br />

auf Kränkungen zurückzuführen. Lehrpersonen werden oft konfrontiert mit ungerechtfertigter<br />

Kritik, beleidigenden Bemerkungen, abschätzigen Blicken, Lügen und<br />

nicht zuletzt mit verbalen Attacken. Schneller als man denkt, wird der wunde Punkt<br />

einer Lehrperson getroffen.<br />

"Manche Pfeile, die andere Menschen auf uns abschiessen, schmerzen und hinterlassen<br />

oft sogar tiefe Wunden. Kränkungen sind seelische Verletzungen, die unser<br />

Ehrgefühl und Selbstbewusstsein treffen. (...) ." (Döring, 2007, S. 26). Es ist eine<br />

ganze Bandbreite von Kränkungen, die von unbewussten bis zu bewussten <strong>Angriffe</strong>n,<br />

von Beleidigungen, Zurückweisungen, Ignoranz, Blamage, Blossstellung bis hin<br />

zu verbalen Attacken reichen. Ein anderer Mensch kann mit Worten, Gesten, Verhalten<br />

oder Gerüchten gekränkt werden. Abwertende Kritik, beleidigende Worte, häufiger<br />

Tadel, die darauf aus sind, einen anderen Menschen schlecht zu machen, ihn zu<br />

entwürdigen, sein Selbstvertrauen zu zerstören oder ihm Schuldgefühle beizubringen,<br />

können zu einer Kränkung führen.<br />

Man unterscheidet neben mehr oder weniger unbeabsichtigten Kränkungen die vorsätzlichen.<br />

Das Spektrum reicht hier von direkten Kränkungen wie dem Übersehen<br />

oder Übergehen, Blossstellung, Zurückweisung, Beleidigung bis zu den indirekten<br />

wie dem Mobbing und der üblen Nachrede. (vgl. Döring, 2007, S. 26-29)<br />

2.5 Das subjektive Element <strong>im</strong> verbalen Angriff<br />

<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> sind nicht objektiv definierbar, denn schon in Schultz von Thuns 4-<br />

Ohren-Modell ersichtlich, ist es individuell wie der Empfänger eine Nachricht empfängt.<br />

Für die einen Lehrpersonen kann eine Aussage, die für andere Lehrpersonen<br />

ein verbaler Angriff ist, kein Grund dafür sein sich verletzt oder angegriffen zu fühlen.<br />

Tücke (2003) beschreibt das subjektive Erleben als die vielleicht wichtigste Komponente<br />

der Emotionen. Die individuelle Interpretation der jeweiligen Situation spielt<br />

dabei eine wichtige Rolle, weil subjektiv erlebte Gefühle sind situationsspezifisch und<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 34 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Das subjektive Element <strong>im</strong> verbalen Angriff<br />

variieren von Person zu Person. Unterschiedliche Reize rufen bei unterschiedlichen<br />

Personen unterschiedliche Reaktionen hervor.<br />

Abbildung 4: <strong>Verbale</strong>r Angriff und Verletzung (Kränkung)<br />

In dem von mir selbst entworfenen Modell ist zu erkennen, wie eine Äusserung eines<br />

Schülers / Schülerin oder eines Elternteils empfunden werden kann. Die Äusserung<br />

wird gesendet (Senderseite), und je nach Erwartungen und Zielvorstellungen an<br />

schulische Beziehungen vom Empfänger (Lehrperson) als verbalen Angriff dekodiert<br />

oder nicht (siehe Kapitel 2.1.2 Kommunikationsmodell nach Schultz von Thun und<br />

2.5 Das subjektive Element <strong>im</strong> verbalen Angriff). Je nach dem was <strong>im</strong> Kopf der Lehrperson<br />

abläuft, ob sie die Äusserung als verbalen Angriff empfindet oder nicht, fühlt<br />

sie sich gekränkt oder nicht.<br />

Wie auch <strong>im</strong> Kapitel 2.5 schon angedeutet, gibt es auch ein subjektives Element,<br />

beziehungsweise interindividuelle Unterschiede bei der Wahrnehmung eines Konflikts.<br />

Jung (1978) beschreibt zwei Vorgehensweisen bei der Erkennung von Konflikten;<br />

einerseits die digitale und andererseits die analoge Vorgehensweise. Nach Jung<br />

soll man intuitive und rationale Zugangsweisen kombinieren. Je nach individueller<br />

Neigung sollte man mehr die Intuition stärken, wenn man sonst mehr digital analy-<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 35 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Gefühle (Emotionen)<br />

siert und andersrum sollte man die Beobachtung schulen, wenn man mehr intuitiv an<br />

die Dinge heran geht.<br />

Aus diesem Kapitel geht hervor, dass verbale <strong>Angriffe</strong> in einen schon länger schwelenden<br />

Konflikt eingebettet sind. Dieser verbale Angriff wurde durch den schon länger<br />

schwelenden Konflikt oder dem vorgängigen "Knistern <strong>im</strong> Gebälk" provoziert und<br />

ausgelöst. Das subjektive Element ist nun entscheidend, ob ein Konflikt daraus gedeutet<br />

wird oder nicht. Dementsprechend kommt es je nach Wirkung der Gefühle der<br />

Lehrperson, je nach Empfangsart der Nachricht und je nach Wahrnehmung des vorgängigen<br />

"Knistern <strong>im</strong> Gebälk" zu einer Konflikteskalation oder nicht.<br />

Daraus ist abzuleiten, dass nun die Art und Weise der Antworten auf unsere Interviewfrage<br />

beschrieben werden muss, wenn die Lehrpersonen erzählen bzw. berichten<br />

warum und wie sie sich angegriffen oder verletzt fühlten. Es ist bei den Lehrpersonen<br />

allenfalls nicht klar zu deuten, ob sie uns die Ereignisse erzählen oder berichten.<br />

Dazu ist es für diese Arbeit relevant zwischen einer Erzählung und einem Bericht<br />

zu unterscheiden.<br />

Ebenfalls wird <strong>im</strong> Kapitel 2.7.1 die "Critical Incidence Technique" erläutert, welche<br />

uns hilft die Subjektivität der "kritischen Ereignisse" festzuhalten. In diesem Kapitel<br />

wird auch erklärt, was damit gemeint ist und welche Brücke zu den verbalen <strong>Angriffe</strong>n<br />

besteht.<br />

2.6 Gefühle (Emotionen)<br />

"Wir können von nichts in der Welt etwas eigentlich erkennen, als uns selbst, und die<br />

Veränderungen, die in uns vorgehen. Eben so können wir unmöglich für andere fühlen,<br />

wie man zu sagen pflegt; wir fühlen nur für uns."<br />

Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799)<br />

Gefühle, oder in der Fachsprache Emotionen genannt, sind manchmal intensiv,<br />

überwältigend, ein anderes Mal unangenehm oder beschleichend. Gefühle sind subjektiv.<br />

Manche Gefühle sind bei unserer Lebensbewältigung subjektiv sehr hinderlich<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 36 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Gefühle (Emotionen)<br />

(z.B. der Schmerz, wenn die Hauskatze von einem Auto überfahren wurde, oder die<br />

Wut über einen Computerabsturz, nachdem man eine wichtige Arbeit geschrieben<br />

hat ohne eine Sicherheitskopie anzulegen), andere sind ein Quell steter Freude und<br />

gestalten unser Leben abwechslungsreich.<br />

Gefühle sind ein fester Bestandteil unseres Lebens und somit unserer Persönlichkeit.<br />

Somit haben sie einen grossen Einfluss auf verschiedene Aspekte des Lebens, wie<br />

auf unser Lernen, unser Gedächtnis und unser Sozialverhalten. Sie sind mitverantwortlich<br />

für alle Entscheidungen, die wir <strong>im</strong> Leben treffen.<br />

Rohracher (1946, zitiert nach Tücke, 2003, S. 298f) schrieb in "Einführung in die<br />

Psychologie":<br />

"Der Reichtum an Arten und die unübersehbare individuelle Variation der Gefühle<br />

sind die Ursachen dafür, dass die Psychologie des Gefühlslebens noch ganz in ihren<br />

Anfängen steckt." Einige Absätze später charakterisiert Rohracher Gefühle wie folgt:<br />

Gefühle sind Zustände. Sie sind nicht einzelne, vom übrigen gleichzeitigen Erleben<br />

abgesonderte Vorgänge ...; sie sind auch nicht an das Vorhandensein<br />

eines äusseren Einflusses gebunden. ... Sie breiten sich durch das ganze bewusste<br />

Geschehen aus.<br />

Gefühle treten ohne Mitwirkung des Bewusstseins auf. Sie kommen ungewollt<br />

ohne jedes bewusste Zutun.<br />

Gefühle sind seelische Reaktionen auf äussere oder innere Ereignisse. Ihr Anlass<br />

ist meistens bewusst.<br />

Die meisten Gefühle werden als angenehm oder unangenehm erlebt.<br />

Emotionen (Gefühle) sind also zusammengefasst gesagt relativ unkontrollierbare<br />

psychische Zustände, die von physiologischen Veränderungen begleitet, meist als<br />

angenehm oder unangenehm erlebt werden und oft unser Verhalten beeinflussen.<br />

Lehrpersonen müssen mit durchmischten Emotionen auskommen. Sie müssen täglich<br />

Situationen meistern, bei denen ihre Gefühlswelt reagiert. Aktionen von Schülerinnen<br />

und Schüler, Eltern an Elterngesprächen, Gespräche mit Berufskollegen und<br />

noch vieles mehr bewegen die Lehrperson in ihrem <strong>Schulalltag</strong>. <strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> lö-<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 37 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Gefühle (Emotionen)<br />

sen unterschiedliche Emotionen aus. Mehr dazu wird <strong>im</strong> Kapitel 2.5 Das subjektive<br />

Element in verbalen <strong>Angriffe</strong>n und 2.4 <strong>Verbale</strong>r Angriff als Kränkung erläutert.<br />

Welche Gefühle können wir wie klassifizieren? Die Beantwortung dieser Frage ist<br />

kulturabhängig. Es werden nun zwei Klassifikationsmöglichkeiten beschrieben, die<br />

für unsere Kultur zutreffend sein könnten.<br />

2.6.1 Ansatz nach Plutchik (1980) und nach Traxel (1963)<br />

Die Arbeitsgruppe um Robert Plutchik ist besonders in den USA verbreitet (Plutchik<br />

& Kellerman, 1980, aus Tücke, 2003). Plutchik geht davon aus, dass verschiedene<br />

grundlegende Emotionen praktisch beliebig miteinander kombiniert werden können.<br />

Das Resultat ist das gesamte differenzierte Spektrum "sekundärer Emotionen". Plutchik<br />

ordnet die Emotionen in einer "Emotionspalette" an, welche an das Mischen der<br />

Grundfarben erinnert aus denen man das gesamte Farbenspektrum erstellen kann.<br />

So ergeben beispielsweise Freude und Akzeptanz die abgeleitete Emotion "Liebe",<br />

die Kombination von Ärger und Abscheu ergibt "Verachtung". Die "Emotionsanteile"<br />

können (wie die Farben) in einer sekundären Emotion zu unterschiedlichen Teilen<br />

enthalten sein; das resultiert dann wiederum in subjektiv unterschiedlichen Gefühlen.<br />

Ein anderer Ausgangspunkt zur Klassifikation der Emotionen stammt von Traxel<br />

(1963, aus Tücke, 2003). Traxel liess verschiedene Gefühlsbegriffe nach ihrer Ähnlichkeit<br />

bzw. Unähnlichkeit einschätzen. Als Ergebnis zeigte sich eine kreisförmige<br />

Anordnung der Emotionen. In weiteren Untersuchungen wurden die Konnotationen<br />

von Gefühlsbegriffen mit Hilfe von "Polaritätsprofilen" weit er aufbereitet und statistisch<br />

analysiert.<br />

Bei diesen beiden Ansätzen muss "zwischen den Zeilen gelesen" werden, um die<br />

Emotionen nach diesen Schemata einzuteilen. Weil ich mich in dieser Arbeit auf Rosenbergs<br />

Ansatz konzentriere, der sich auf den wörtlichen Ausdruck der Gefühle begrenzt,<br />

werden die Modelle von Traxel und Plutchik hier nicht weiter ausgefühlt. Mehr<br />

zu diesen beiden Emotionstheorien sind <strong>im</strong> Anhang zu finden.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 38 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Gefühle (Emotionen)<br />

2.6.2 Ansatz von Rosenberg (2005)<br />

Rosenberg (2005) baut in seiner gewaltfreien Kommunikation (GFK) auf einem anderen<br />

Fundament auf. Er beschreibt Gefühle als Schlüssel zur Menschlichkeit. Die andere<br />

Person kann unsere Worte eher mit einfühlsamem Verständnis hören, wenn<br />

dieser menschliche Kontakt hergestellt ist. Gefühle machen es leichter, hinter den<br />

Konflikten die Menschen zu sehen.<br />

Nach ihm unterscheiden sich Gefühle von "Nicht"-Gefühlen. Mit "Nicht"-Gefühlen bezeichnet<br />

er beispielsweise die Gedanken. Die GFK unterscheidet den tatsächlichen,<br />

wörtlichen Ausdruck von Gefühlen von Aussagen, Gedanken, Einschätzungen und<br />

Interpretationen.<br />

2.6.2.1 Entfremdung von unseren Gefühlen<br />

Wir werden dazu trainiert, aussenorientiert zu denken und sind uns gar nicht gewohnt,<br />

über unsere Gefühle zu sprechen, geschweige denn sie überhaupt wahrzunehmen.<br />

So haben wir auch gelegentlich gar keine Sprache, um Gefühle auszudrücken.<br />

Das Wort "fühlen" sprechen wir oft aus, ohne von Gefühlen zu reden. Vielmehr<br />

sind es unsere Gedanken oder die eigene Meinung, die man dann ausdrückt. „Ich<br />

habe das Gefühl, dass …― als Aussage drückt eigentlich kein Gefühl aus, sondern<br />

eine Meinung. Der Satz kann ersetzt werden durch den Satz: „Ich denke, dass …―.<br />

In unserer rationalen Welt sind wir eher gewohnt, zu sagen, was wir denken, als zu<br />

merken wie wir uns fühlen. "... ich habe oft Leute sagen hören, dass sie sich nicht<br />

vorstellen können, an ihrem Arbeitsplatz jemals Gefühle zu zeigen." (Rosenberg,<br />

2005, S. 59)<br />

Doch Gefühle lassen uns unsere Lebendigkeit spüren. Und sie haben eine wichtige<br />

Funktion als Signal. Sie signalisieren uns, ob unsere Bedürfnisse erfüllt sind oder<br />

nicht. Je früher Sie ein Gefühl spüren, das Ihnen anzeigt, ein Bedürfnis kommt gerade<br />

zu kurz, desto eher können Sie auch handeln und z.B. ein Problem ansprechen.<br />

Dann braucht man nicht zu warten, bis die Situation eskaliert, bis man explodiert<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 39 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Gefühle (Emotionen)<br />

oder <strong>im</strong>plodiert. Das kann in Konflikten viel Nerven, Zeit und Arbeit sparen. Aus diesem<br />

Grund ist es nach Rosenberg wichtig, Gefühle von Gedanken zu unterscheiden.<br />

Die Schwierigkeiten, Gefühle auszudrücken, kommen auch daher, dass wir – wenn<br />

wir es tun – unsere Verletzlichkeit preisgeben. Gerade in Konflikten ist es aber umso<br />

wichtiger, sich als Mensch in seiner ganzen Verletzlichkeit zu zeigen, denn dann öffnen<br />

sich auch die Konfliktpartner und zeigen auch etwas von sich selbst. Und das ist<br />

die Voraussetzung für die Kooperation.<br />

Wie wir uns wahrscheinlich fühlen werden, wenn sich unsere Bedürfnisse nicht erfüllen<br />

ängstlich<br />

ärgerlich<br />

alarmiert<br />

angeekelt<br />

angespannt<br />

voller Angst<br />

ärgerlich<br />

apathisch<br />

aufgeregt<br />

ausgelaugt<br />

bedrückt<br />

beklommen<br />

besorgt<br />

bestürzt<br />

betroffen<br />

bitter<br />

depr<strong>im</strong>iert<br />

dumpf<br />

durcheinander<br />

einsam<br />

elend<br />

empört<br />

erschüttert<br />

erstarrt<br />

frustriert<br />

furchtsam<br />

gehemmt<br />

geladen<br />

gelähmt<br />

gelangweilt<br />

genervt<br />

hasserfüllt<br />

hilflos<br />

in Panik<br />

irritiert<br />

kalt<br />

kribbelig<br />

lasch<br />

leblos<br />

lethargisch<br />

lustlos<br />

miserabel<br />

müde<br />

mutlos<br />

schüchtern<br />

schockiert<br />

schwer<br />

sorgenvoll<br />

streitlustig<br />

teilnahmslos<br />

todtraurig<br />

tot<br />

überwältigt<br />

voller Sorgen<br />

unglücklich<br />

unter Druck<br />

unbehaglich<br />

ungeduldig<br />

unruhig<br />

unwohl<br />

unzufrieden<br />

verärgert<br />

verbittert<br />

verletzt<br />

verspannt<br />

verstört<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 40 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Erzählung und Bericht<br />

enttäuscht<br />

entrüstet<br />

ermüdet<br />

ernüchtert<br />

erschlagen<br />

erschöpft<br />

erschreckt<br />

erschrocken<br />

nervös<br />

niedergeschlagen<br />

perplex<br />

ruhelos<br />

traurig<br />

sauer<br />

scheu<br />

schlapp<br />

verzweifelt<br />

verwirrt<br />

widerwillig<br />

wütend<br />

zappelig<br />

zitternd<br />

zögerlich<br />

zornig<br />

Tabelle 5: Gefühlsäusserungen nach Rosenberg (2005, S. 64)<br />

Der Wortschatz ist entscheidend, um uns mitzuteilen über die Gefühle. So können<br />

wir leichter miteinander in Kontakt treten und bei einer Konfliktlösung ist es hilfreich,<br />

wenn wir auch unsere Verletzlichkeit eingestehen.<br />

2.7 Erzählung und Bericht<br />

Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf verbalen <strong>Angriffe</strong>n, welche Lehrpersonen in<br />

der Schule erleben. Der Begriff "erleben" weist schon darauf hin, dass ein subjektives<br />

Moment mitspielt bei der Frage, ob eine Lehrperson eine verbale Äusserung eines<br />

Schülers oder eines Elternteils als Angriff erlebt oder nicht. Dieser Gesichtspunkt des<br />

subjektiven Elements habe ich <strong>im</strong> vorherigen Kapitel über "Das subjektive Element<br />

<strong>im</strong> verbalen Angriff" auch theoretisch untermauert.<br />

Weil das subjektive Moment eine derart grosse Rolle spielt bei der Frage, ob das<br />

Gehörte als "verbaler Angriff" interpretiert wird oder nicht, liegt es nahe, diesen Gegenstand<br />

mit einer qualitativen Forschungsmethode zu erkunden, die das subjektiv<br />

Erlebte be<strong>im</strong> verbalen Angriff möglichst präzis erfassen kann.<br />

Die Methode der kritischen Ereignisse (critical incident) erwies sich dafür als geeignet.<br />

Dabei geht es um das Erzählen von Episoden in welchen der verbale Angriff sich<br />

ereignete oder um das Berichten eines Konflikts bis zum verbalen Angriff und danach.<br />

Die Lehrpersonen erzählen beziehungsweise berichten, was sie angegriffen oder<br />

verletzt hat. Ich vermute, dass sie eine Mischform verwenden. Je nach Lehrperson<br />

reagieren manche in Berichtform und "informieren" uns vielleicht über das Ereignis<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 41 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Erzählung und Bericht<br />

und andere lassen das Emotionale mitspielen, indem sie eine dramatische Story erzählen.<br />

Eine Erzählung ist etwas Spontanes und enthält das persönlich Betroffene,<br />

die Emotionen. Die Situationen, von welchen die Lehrpersonen erzählen bzw. berichten<br />

in der die verbalen <strong>Angriffe</strong> stattfinden, sind "kritische Situationen". Im folgenden<br />

Teil wird erklärt, was damit gemeint ist und welche Verbindung zu den verbalen <strong>Angriffe</strong>n<br />

besteht. Aus diesem Grund wird hier beschrieben, was ein "kritisches Ereignis<br />

(critical incident)", "Erzählen", "eine Erzählung" und "ein Bericht (report)" ist.<br />

2.7.1 Critical incident<br />

<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> finden in kritischen Situationen, sogenannten "kritischen Ereignissen"<br />

innerhalb des <strong>Schulalltag</strong>s statt.<br />

Was sind "critical incidents"?<br />

Die Technik der „Kritischen Ereignisse― geht auf Flanagan (1954) zurück. Das<br />

Verfahren ist ursprünglich als Beobachtungsmethode entwickelt worden, um<br />

kritische Vorkommnisse, auch Inzidentien genannt, hinsichtlich der situativen Bedingungen<br />

und der beteiligten oder folgenden Reaktionen aufzudecken.<br />

Unter einem incident wird eine Situation verstanden, die eine zu beobachtende<br />

menschliche Aktion ist, welche ausreichend komplett in sich selbst geschlossen ist<br />

(zitiert nach Boness, 2002, S.157 und Flanagan, 1954, S. 327).<br />

In den Interviews mit den Lehrpersonen, die wir nach verletzend oder angreifend<br />

empfundenen Ereignissen befragten, wurden sie darauf hingewiesen uns eine Episode<br />

von Anfang bis zum Schluss zu erzählen. Die Fragestellung war ebenfalls<br />

dementsprechend offen gestellt. Die Erzählung soll ausreichend komplett in sich<br />

selbst geschlossen erzählt werden. Wie bei Flanagans Definition geht es um eine<br />

menschliche Situation, um ein kritisches Ereignis, das <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong> stattgefunden<br />

hat. Die Aktion wurde von der Lehrperson beobachtet und miterlebt.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 42 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Erzählung und Bericht<br />

Flanagans "Critical Incident Technique" (CIT) wird für zwei verschiedene Arten von<br />

Fällen angewandt. Einerseits (A) steht bei den konkreten Verhaltensweisen die auslösende<br />

Situation <strong>im</strong> Mittelpunkt oder andererseits (B) die Eigenschaft, Rolle oder<br />

Eignung der Person. Im ersten Falle wurde beispielsweise erforscht, welche Anforderungen<br />

Piloten zu Betriebsfehlern führen. Im zweiten Falle wird nach einer Antwort<br />

zur Frage der notwendigen besonderen Fähigkeiten für die Meisterung der kritischen<br />

Situation gesucht.<br />

Im ersten Fall (A) würden die Ergebnisse beispielsweise die Umgestaltung der situativen<br />

Gegebenheit veranlassen (z.B. eine Verbesserung der Ergonomie), <strong>im</strong> zweiten<br />

Fall (B) könnten die identifizierten kritischen Ereignisse in der Personalauswahl, in<br />

der Personalbeurteilung oder in Voruntersuchung zur Ermittlung des Trainingsbedarfs<br />

eine Rolle spielen.<br />

Fall (A): Beispiele für die Analyse eher situationaler Faktoren:<br />

Bei Untersuchungen der US-Army in der 40er Jahren wurden mit dieser Technik<br />

Situationen <strong>im</strong> Flugverhalten von Piloten aufgedeckt, die zu besonders kritischen<br />

Folgen führten. Hierdurch konnten technische Mängel in den Flugzeugen aufgedeckt<br />

werden (z.B. Fehlplazierung von Anzeigegeräten) und damit letztlich eine Vielzahl<br />

von "Pilotenfehlern" den Umgebungsbedingungen zugeschrieben werden.<br />

Fall (B): Beispiele für die Analyse von personalen Faktoren:<br />

Bei der Verwendung der Technik <strong>im</strong> Bereich der Personalauswahl sollen Situationen<br />

identifiziert werden, in denen sich das Verhalten von geeigneten und ungeeigneten<br />

Personen ausreichend scharf (also mit hoher Validität und Reliabilität) unterscheidet.<br />

Die Abbildung solcher Situationen, beispielsweise in Assessment-Centern oder<br />

situationalen Interviews dient dann zur Bewertung oder Auswahl der Bewerber. Die<br />

Auswahlkriterien entstammen so nicht mehr den vagen Ideen der<br />

Personalverantwortlichen, sondern beruhen auf konkreten und realistischen<br />

Vorkommnissen, die mit den Anforderungen der späteren Arbeitswelt identisch sind:<br />

"One of the most <strong>im</strong>portant requirements for developing a system of job analysis that<br />

will facilitate a relatively accurate identification of the <strong>im</strong>portant job elements for a<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 43 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Erzählung und Bericht<br />

specific task is to establish a clear and specific set of definitions for these job elements<br />

in behavioural terms"1<br />

(Flanagan, 1954, S. 351)<br />

Aufgrund der bisherigen Informationen zur Critical Incident Technique wissen wir,<br />

dass "kritische Ereignisse" (teilweise als komplexe Fälle) auch als Kristallisationspunkte,<br />

an denen uns Kontraste bewusst werden, aufgefasst werden können. Dabei<br />

kommt der Subjektzentriertheit dieser Methode eine wichtige Rolle zu. In der praktischen<br />

Durchführung <strong>im</strong> Rahmen der Datenerhebung mittels CIT werden verschiedene<br />

Vorgehensweisen beschrieben, dazu gehörten u.a. Interview, Beobachtung,<br />

Fragebogen.<br />

Lehrpersonen sind meiner Meinung nach auch eine Art Piloten, aber nicht eines<br />

Flugzeugs sondern Piloten des Klassenz<strong>im</strong>mers. Piloten tragen die Verantwortung<br />

für die Passagiere und die Lehrperson die der Schülerinnen und Schüler.<br />

Geprägt durch Flanagans Theorie der "critical incidences" interviewten wir Lehrpersonen<br />

auf ihre personalen Faktoren hin. Sie erzählen und berichten uns von negativen<br />

"kritischen Ereignissen".<br />

2.7.2 Die Erzählung<br />

2.7.2.1 Was ist Erzählen?<br />

Aus alltäglicher Praxis weiss jeder, was Erzählen ist. Erzählen gehört zum Alltag, es<br />

ist ein vertrautes Alltagsvergnügen und eine Form der Entlastung. Erzählen – das ist<br />

eine Mitteilung von Begebenheiten als Geschichte. Geschichten sind abgeschlossene<br />

Sprachsequenzen. In Geschichten entfaltet sich Spannung. Sie berühren uns<br />

emotional, reizen zum Lachen, Weinen, Gruseln, Zürnen. Man denke an das Kind,<br />

das der Mutter erzählt, wie es von den anderen Klassenkameraden vom Spiel ausgeschlossen<br />

wurde in der Pause, an die Freundin, die der anderen anvertraut, wie<br />

1 Die obenstehenden Informationen sind nach der webpage,<br />

http://www.pflegewissenschaft.org/cit_methode.pdf besucht am 5. September 2007 um 19.35Uhr.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 44 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Erzählung und Bericht<br />

enttäuschend eine bedeutsame Begegnung verlaufen ist. Erzählen verschafft uns die<br />

Chance, auf dem Wege der sprachlichen Wiederholung einen Schrecken zu mildern<br />

oder etwas Beglückendes in der Phantasie wiedererleben zu dürfen. Erzählende<br />

Kommunikation durchzieht unser Alltagsleben. Wir vermitteln einander erzählend<br />

Persönliches. Erzählend vertrauen wir uns an. Ebenso fordern wir das Gegenüber<br />

erzählend auf, unsere Freuden und Leiden zu teilen. In Geschichten entsteht eine<br />

Episode und interaktive Dynamik. Sie kommen zu einem Schlusspunkt, einem<br />

Schlusseffekt, einer Pointe. (Boothe & von Wyl (Hrsg.),1999)<br />

Nach Boothe (2002) ist Erzählen narrative Rede, die in privaten informellen Gesprächen<br />

in vielen Varianten vorkommt, wie in Witzen, Klatsch und Tratsch, Erlebnisse<br />

mitteilen usw. Sie definiert Erzählen als eine emotional engagierte sprachliche Gestaltung<br />

eines episodischen Ablaufs als Story mit einem Anfang, einer Mitte und einem<br />

Ende (Start, Entwicklung und Ergebnis).<br />

2.7.2.2 Was ist eine Erzählung?<br />

Wie bereits oben angedeutet ist laut Boothe eine Erzählung ein episodischer Bewegungs-,<br />

Geschehens- und Handlungs-Ablauf mit Start, Entwicklung und Ergebnis.<br />

Der Erzähler macht dem Zuhörer klar, dass er eine Geschichte bzw. eine Story mitteilen<br />

will und kündigt diese mit einem Einleitungssatz (Startdynamik) an. Somit wird<br />

ein Erzählraum eröffnet, als Versetzung in ein Dort und Damals mit Raum-Zeit-<br />

Markierung. Auch werden in der Erzählung Figuren, Requisiten, Kulissen und Aktionen<br />

plaziert. Durch diese Startdynamik fragt sich der Zuhörer: „Wie geht es los? Wie<br />

geht es weiter? Wie geht es aus?― Die Erzählung erzeugt also somit Spannung. Zusammengehalten<br />

wird die Erzählung folglich durch die Erwartungen, die sie anfangs<br />

weckt und die als roter Faden durch die Geschichte gehen.<br />

Der Erzähler veranlasst seine Story möglichst effektvoll zu präsentieren. Es geht<br />

darum, Interesse für die eigene Darbietung zu gewinnen. "Diese Leistung der Erzählung<br />

können wir als Modellierung <strong>im</strong> Dienste der Konturierung sozialer Identität bezeichnen.<br />

Soziale Wünschbarkeit fordert ein bestätigendes Echo vom bedeutsamen<br />

sozialen Gegenüber für die eigene Story. Es existieren stereotype Erzählmuster wie<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 45 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Erzählung und Bericht<br />

zum Beispiel Schauer-, Wunder-, Erfolgs-, Opfer-, Rechtfertigungsstories [...] Der<br />

Erzähler versucht, sein Publikum durch seine spezifische Dramaturgie zu gewinnen,<br />

zum Beispiel durch die Gestaltungseffekte des Lustigen, Schauerlichen, Unhe<strong>im</strong>lichen<br />

und Schlüpfrigen. Die darstellende Person präsentiert etwas, das auf eine partizipierende<br />

Hörergemeinschaft gerichtet ist und deren Anerkennung finden soll."<br />

(Boothe et al.,1999, S. 35f)<br />

Boothe gibt fünf Muster der Selbstpräsentation zur Auswertung vor:<br />

1. Selbstpräsentation als Opfer<br />

2. Selbstpräsentation als Kooperator<br />

3. Selbstpräsentation als Selbstprofilierung<br />

4. Selbstpräsentation als Selbstauflösung<br />

5. Selbstpräsentation als Konfliktträger<br />

Eine Erzählung ist nach Wikipedia eine Form der Darstellung. Man versteht darunter<br />

eine Geschichte in mündlicher oder schriftlicher Form, aber auch den Akt des Erzählens,<br />

die Narrativität. […]<br />

Aufbau einer Erzählung:<br />

1. Einleitung:<br />

- nicht unbedingt nötig<br />

- kurze Vorstellung der Situation<br />

- rückblickend wird erzählt<br />

2. Hauptteil:<br />

- Handlung, Aktion<br />

- Personen, die etwas tun bzw. erleben, Dialoge führen<br />

- Handlung spitzt sich zu, erreicht ihren Höhepunkt, es passiert was<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 46 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Erzählung und Bericht<br />

3. Abschluss:<br />

- der Konflikt löst sich<br />

- es kommt zu einem Ergebnis<br />

- ev. überraschender Schluss<br />

(http://de.wikipedia.org/wiki/Erzählung besucht am 3. August 2007)<br />

2.7.2.3 Wie fängt eine Erzählung an?<br />

Wie auch oben bei Wikipedia erwähnt wird zu Beginn der Erzählung ein Szenario<br />

geschaffen, mit Figuren, Requisiten, Kulissen und Aktionen. Wer eine Geschichte<br />

erzählen möchte, kündigt das an. Er oder sie sagt: "Neulich ist mir doch folgendes<br />

passiert: ..." oder "Mein schl<strong>im</strong>mstes Erlebnis in den Ferien war, da gingen wir ganz<br />

nichtsahnend ins Z<strong>im</strong>mer... " oder "Ich weiss noch, wie ich einmal..." Es wird jenes<br />

Personal und jene Welt des Geschehens und der Objekte plaziert, welche für den<br />

Verlauf des Ganzen verbindlich sein werden und diesem konsequent Spannung und<br />

Zusammenhalt verleihen, als Erwartung an Entwicklung und Abschluss. Dies wird als<br />

Dynamik der Startsituation, also Startdynamik gekennzeichnet. Die Startdynamik<br />

versetzt den Zuhörer in eine Erwartungshaltung. Die Erwartungen verpflichten den<br />

Erzähler, darauf einzugehen und das dynamische Potential zu realisieren. Erzählende<br />

stellen zu ihren Zuhörern eine Beziehung her, in der beide, sowohl Erzähler, wie<br />

auch Zuhörer, zu aktiv und emotional engagierten Beteiligten <strong>im</strong> Ausloten und Ausgestalten<br />

des dramaturgischen Potentials werden. Wenn jemand seine Erzählung<br />

abschliesst, so tut er dies ebenso in erkennbarer Weise, wie er sie auch schon angekündigt<br />

hat. Er kommt zur Pointe, zum Ergebnis. Das Publikum registriert diese Pointe<br />

oder das Ergebnis, weil es der Entwicklung des dargestellten Geschehens folgte<br />

und derart orientiert wurde, dass es eine Lösung, einen Ausgang oder ein Resultat<br />

erwartet. Es werden Bewertungen oder Résumés vorgenommen oder Abschlussformulierungen,<br />

wie "So war das" oder "So ist das gelaufen". (Boothe et al., 1999, S. 8)<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 47 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Erzählung und Bericht<br />

2.7.2.4 Aufgliederung einer Erzählung<br />

Oft, aber nicht <strong>im</strong>mer, sind Erzählungen wohlstrukturiert, dass man sie in ein Erzählschemata<br />

fassen kann, wie z.B.: Erzählankündigung – Orientierung – Komplikation –<br />

Lösung – Evaluation.<br />

Wenn man das Schema festlegt, ermöglicht dies die Identifikation der narrativen<br />

Formen <strong>im</strong> Sprachgebrauch und die Ermittlung narrativer Varianten. So kann man<br />

auch herausfinden ob <strong>im</strong> Alltag bevorzugte Erzählstrategien und Erzählinhalte existieren.<br />

Beliebt sind beispielsweise Geschichten, in denen die Ich-Figur zum unschuldigen<br />

Opfer wird. Bekannt sind auch die Glücks- oder Siegesgeschichten, sowie<br />

Strategien der Dramatisierung durch wörtliche Rede und emphatische Steigerung.<br />

(Boothe et al., 1999)<br />

2.7.2.5 Sprachgestalt der Erzählung<br />

Die Sprachgestalt einer Erzählung ist nicht einheitlich, sondern kann in vielen Passagen<br />

episodisch sein, das heisst, sie stellt einen Ablauf von Geschehen und Handeln<br />

dar. Die Sprache ist dramatisch und oft auch szenisch. Wenn wörtliche oder indirekte<br />

Rede auftaucht ist die Sprache szenisch. Daneben gibt es auch die kommentierende<br />

Sprache, die der Information, der Beschreibung, der Bewertung dient oder wenn sich<br />

der Erzähler direkt ans Gegenüber wendet.<br />

Szenisch: „…ich traf sie also und sie meinte ‚na du, was hast du denn so lange gemacht?’―<br />

Beschreibende Information: „Hanna ist diejenige, die ich vor zwei Wochen an diesem<br />

Kochkurs kennen gelernt hatte…―<br />

Wendung an den Zuhörer: „und was glaubst du, wen ich da getroffen habe? Die Tina…―<br />

2.7.2.6 Erzählen alle?<br />

Erzählen ist nach Boothe (et al., 1999, S. 9) "...eine gebräuchliche Form der Selbstmitteilung,<br />

aber keine, die individuell kollektiv und interkulturell gleichmässig verteilt<br />

wäre. Die persönliche Sozialisation verläuft erzählfreundlich oder erzählfeindlich. Die<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 48 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Erzählung und Bericht<br />

persönlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen können dem Erzählen entgegenkommen<br />

oder nicht. Beziehungskontexte nehmen Einfluss auf das Erzählen. Beispielsweise<br />

erlaubt Statusgefälle kein oder nur einseitiges Erzählen. Im professionellen<br />

Kontakt ist Erzählen, als das Medium des Persönlichen, häufig obsolet." Aus diesem<br />

Grund des professionellen Kontaktes, könnten Lehrpersonen Studentinnen<br />

möglicherweise nicht erzählen wollen, wie ein der Arzt dem Patienten nichts erzählt.<br />

2.7.3 Der Bericht<br />

2.7.3.1 Was ist ein Bericht?<br />

Ein Bericht ist ein Text, der einen Sachverhalt oder eine Handlung objektiv schildert,<br />

ohne Wertungen des Autors zu enthalten. Im Journalismus ist der Bericht eine sehr<br />

häufig gewählte Textform mit vielfältigen Ausprägungen.<br />

Aufbau eines Berichts:<br />

Damit der journalistische Bericht seinem Ziel, über einen Sachverhalt oder ein Ereignis<br />

zu informieren, gerecht wird, müssen die so genannten "W-Fragen" beantwortet<br />

werden:<br />

· Wer? z.B. Max Mustermann<br />

· Wo? z.B. in Hamburg<br />

· Wann? z.B. um 14 Uhr<br />

· Was? z.B. ein Autounfall<br />

· Wie? z.B. durch Glatteis<br />

· Warum? z.B. durch Unaufmerksamkeit<br />

· Welche Folgen? z.B. ein gebrochenes Bein<br />

Die Zeitform des Berichts ist das Präteritum (Imperfekt).<br />

Es dürfen in Berichten keine Zeitsprünge vorgenommen werden, und es darf keine<br />

Spannung aufgebaut werden. Es muss <strong>im</strong>mer sachlich geschrieben werden und die<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 49 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Erzählung und Bericht<br />

Reihenfolge muss auch eingehalten werden. Ausserdem sollte die wörtliche Rede <strong>im</strong><br />

Bericht vermieden werden. (http://de.wikipedia.org/wiki/Bericht)<br />

Berichte informieren und legen in der Regel Rechenschaft darüber ab, wer was mit<br />

welchem Ziel in welchem Zeitraum mit welchem Ergebnis gemacht hat. Typische<br />

Elemente eines Berichts sind Situationsanalyse, Chronologie der Tätigkeit, Darstellung<br />

der Ergebnisse, Dokumentation (Geschäftsbericht, Forschungsbericht, Werkstattbericht,<br />

Laborbericht). (http://www.ph-freiburg.de/deutsch/vademec/glossar.htm)<br />

Der Bericht ist eine sachbezogene, manchmal auch erlebnisbetonte Mitteilungsform,<br />

die in Zeitungskreisen auch als Meldung oder Nachricht bezeichnet wird.<br />

Die Ursprungsform des Berichts ist der Augenzeugenbericht, der seine Glaubwürdigkeit<br />

durch die persönliche Anschauung desjenigen gewinnt, der dabei gewesen ist.<br />

Der Betreffende kann zufällig Augenzeuge sein, er kann auf ein vorher angekündigtes<br />

Ereignis gewartet haben oder sich, wie bei einem Reiseberichterstatter, das Ereignis,<br />

nämlich die Reise selbst geschaffen haben. Gerade ein Reisebericht zeigt.<br />

dass auch persönliche Eindrücke wie bei einer Erlebniserzählung oder einer Schilderung,<br />

in den Bericht mit eingehen können.<br />

In seiner Grundstruktur ist der Bericht:<br />

• eine rein sachliche Mitteilung<br />

• wird <strong>im</strong> Präteritum geschrieben: Ich kam von der Schule...<br />

• und gibt Antwort auf folgende Fragen:<br />

Was? Wer? Mit wessen Hilfe? Wo? Wie lange? Warum? Auf welche Weise?<br />

Solche Angaben benötigt man <strong>im</strong> Unfallbericht, bei einer Zeugenaussage vor Gericht<br />

bei Schadensmeldungen an Versicherungen, bei einem Bericht über das Betriebspraktikum.<br />

(http://www.zum.de/Faecher/Materialien/dittrich/Berichten/Theorie_Berichten.htm )<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 50 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Erzählung und Bericht<br />

2.7.4 Unterschiede zwischen Erzählung und Bericht<br />

Erzählung<br />

Bericht<br />

Thema Erlebnis Unfall, Diebstahl etc.<br />

Handlungen<br />

Ereignisse<br />

Inhalt<br />

Gefühle<br />

keine Gefühle<br />

Gedanken<br />

keine Gedanken<br />

wörtliche Reden<br />

keine wörtlichen Reden<br />

Einleitung (knapp)<br />

vollständige Beantwortung der W-<br />

Fragen<br />

Aufbau Hinführung zu Höhepunkt<br />

ausführlicher Höhepunkt<br />

genaue Einhaltung der zeitlichen<br />

Reihenfolge<br />

Schluss (knapp)<br />

Beschränkung auf das Wesentliche<br />

Sprache<br />

lebhaft und anschaulich klar und<br />

klar und sachlich<br />

sachlich<br />

(keine Vergleiche, Ausrufe etc.)<br />

(Vergleiche, Ausrufe etc.)<br />

Absicht Unterhaltung des Lesers Information des Lesers<br />

Tabelle 6: Vergleich Erzählung – Bericht<br />

(http://www.zum.de/Faecher/Materialien/dittrich/Berichten/Theorie_Berichten.htm)<br />

Bezüglich unserer Fragestellung und Analyse gilt es zu hinterfragen, was dieser Unterschied<br />

für uns bedeutet.<br />

Im ersten Teil der Frage <strong>im</strong> Interview möchten wir Ereignisse geschildert bekommen,<br />

die die von uns befragten Lehrpersonen emotional berührt haben (angegriffen oder<br />

verletzt haben). Dadurch, dass hier diese emotionale Komponente mit einfliesst, gehört<br />

ihre Schilderung in die Spalte der Erzählung. Die Sprache wird dadurch lebhaft<br />

und anschaulich, weil die Lehrpersonen selber in diese Ereignisse eingewickelt und<br />

daran beteiligt waren. In zweiten Teil der Fragestellung machen wir die Interviewpersonen<br />

darauf aufmerksam, dass sie uns diese Ereignisse der Reihe nach, also chronologisch,<br />

vom Anfang bis zum Schluss erzählen sollen, was nun den Aspekt des<br />

Berichts mit einfliessen lässt.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 51 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Die Dynamik einer Erzählung und die Wünsche der erzählenden Person an schulische Begegnungen<br />

Daraus lässt sich folgern, dass wir durch unsere Fragestellung eine Erzählung in Berichtform<br />

erfragen. Die Interviewpersonen werden angeleitet, eine emotionale Situation<br />

berichtend und vor allem geordnet wiederzugeben.<br />

2.8 Die Dynamik einer Erzählung und die Wünsche der erzählenden<br />

Person an schulische Begegnungen<br />

Für die Analyse von Erzählungen hat Boothe ein Instrument, die JAKOB Erzählanalyse,<br />

entwickelt.<br />

Ich möchte nochmals in Erinnerung zu rufen, was ich beabsichtige herauszufinden in<br />

dieser Masterarbeit: Ich möchte aufzeigen, welche verbalen <strong>Angriffe</strong> (seitens der<br />

Schüler oder der Eltern) auf die Lehrperson erfolgen (unmittelbar vor, während oder<br />

unmittelbar nach dem Unterricht) und wie die Lehrpersonen solche <strong>Angriffe</strong> erleben.<br />

Mich interessiert vor allem die Art und Weise, wie die Lehrpersonen diese verbalen<br />

<strong>Angriffe</strong> erzählen. Um Erzählungen zu analysieren haben wir ein eigenes Analyseraster<br />

kreiert, der <strong>im</strong> Methodenteil genauer beschrieben ist. Ein schwergewichtiger<br />

Teil ist derjenige aus der Erzählanalyse JAKOB, welche ich deshalb genauer erläutere.<br />

Denn aus der Erzählung der interviewten Lehrpersonen wollen wir ihre Wünsche,<br />

ihre Befürchtungen, ihre Erwartungen und ihre Zielvorstellungen in Bezug auf hilfreiche<br />

und in Bezug auf konflikthafte Beziehungen <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong> extrahieren. Dazu<br />

dient uns diese best<strong>im</strong>mte Art von Erzählanalyse, welche sich diesen verborgenen<br />

Aspekten in einer Erzählung widmet (Jakob-Analyse von Boothe). Bei dieser Erzählanalyse<br />

geht es nicht um quantifizierbare und interindividuell gültige Aspekte, sondern<br />

um die spezifischen Erwartungen, Wünsche, Befürchtungen und Zielvorstellungen<br />

des Individuums, das erzählt.<br />

Die dritte Fragestellung lautet: Welche Wünsche, Befürchtungen, Hoffnungen und<br />

Zielvorstellungen haben die Lehrpersonen in Bezug auf harmonische und konfliktreiche<br />

Beziehungen <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong>?<br />

Um diese Frage zu beantworten hilft mir die Erzählanalyse JAKOB, auf welche <strong>im</strong><br />

folgenden Kapitel eingegangen wird, weiter.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 52 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Die Erzählanalyse JAKOB<br />

2.9 Die Erzählanalyse JAKOB<br />

Die Erzählanalyse JAKOB ist ein systematisches Verfahren der Dokumentation, Rekonstruktion<br />

und Interpretation von Alltagsnarrativen und literarischen Erzählungen,<br />

das Ansätze strukturaler, dramaturgischer und psychodynamischer Textanalyse aufgreift<br />

und einen innovativen plotorientierten Zugang bietet. Entwickelt wurde JAKOB<br />

an der Abteilung Klinische Psychologie, Psychotherapie und Psychoanalyse der Universität<br />

Zürich entworfen von Brigitte Boothe (Lehrstuhl Prof. Brigitte Boothe), weiterentwickelt<br />

an der Universität Zürich gemeinsam mit Vera Luif, Agnes von Wyl, Bernhard<br />

Gr<strong>im</strong>mer, Marius Neukom, Urs Spiegel, Res Wepfer. Die Erzählanalyse JAKOB<br />

ist ein Instrument zur qualitativen Inhaltsanalyse.<br />

Untersucht werden kleine Texteinheiten - sogenannte Alltagserzählungen - die als in<br />

sich geschlossene Sprachsequenzen eine klar erkennbare Struktur besitzen und sich<br />

als Untersuchungseinheit besonders gut eignen.<br />

Die Datenbasis ist der schriftlich fixierte Text; nonverbale Gesprächsanteile sowie<br />

Eigenschaften der Gesprächssituation und der Interaktion werden nicht berücksichtigt.<br />

Programmatisch seien vier Schritte für eine klinische Erzählanalyse in der Behandlungsstunde<br />

genannt (diese werden in den nächsten Seiten noch beschrieben).<br />

Das Ziel der Analyse ist die Erschliessung von Bausteinen einer psychosozialen Notlage<br />

und des psychischen Anliegens. Diese kann gemeinsam mit dem Patienten<br />

formuliert und besprochen werden. Die Erzählanalyse JAKOB, kurz, ist ein psychoanalytisch<br />

orientiertes Analyseinstrument für Alltagserzählungen aus Therapiegesprächen.<br />

Die erzählanalytische Auswertung wird unterstützt durch das Computerprogramm<br />

AutoJAKOB. Dieses Programm erlaubt es, die vorbereiteten Erzählungen zu erfassen,<br />

eine partielle linguistische Morphologie- und Syntaxanalyse durchzuführen und<br />

aufbauend auf diese Schritte die lexikalische Kodierung vorzunehmen.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 53 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Die Erzählanalyse JAKOB<br />

Die Erzählanalyse JAKOB vollzieht sich grundsätzlich in neun Bearbeitungsschritten,<br />

welche <strong>im</strong> Anhang genauer beschrieben sind. Die systematische interpretative Analyse<br />

einer Erzählung erfolgt mit den Bearbeitungsschritten 4 bis 9.<br />

2.9.1 Vier Schritte für eine klinische Erzählanalyse nach Boothe<br />

Programmatisch sind vier Schritte für eine klinische Erzählanalyse in der Behandlungsstunde<br />

vorgesehen. Das Ziel der Analyse ist die Erschliessung von Bausteinen<br />

einer psychosozialen Notlage und des psychischen Anliegens.<br />

1. Wer tut was wie?<br />

Bestandsaufnahme des Erzählanfangs.<br />

2. Wie ist die Konstellation von Figuren, Aktionen, Kulissen, Requisiten am Anfang<br />

der Erzählung, in der Erzählentwicklung, am Abschluss der Erzählung?<br />

Rekonstruktion des Ablaufs.<br />

3. Die Dynamik von Startsituation zum Ergebnis: Wie muss man sich das Opt<strong>im</strong>um<br />

der Geschichte vorstellen? Wie die Katastrophe?<br />

Hypothesen über den positiven und den negativen Erfüllungsgipfel.<br />

4. Was sind die psychische und psychosoziale Notlage und das psychische Anliegen<br />

des Erzählers?<br />

Erschliessung der Konfliktsituation <strong>im</strong> Blick auf die damit verbundene Herausforderung<br />

zur Mobilisierung von Bewältigungsressourcen. (Boothe, Gr<strong>im</strong>mer, Luder, Luif,<br />

Neukom & Spiegel, 2002)<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 54 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Die Erzählanalyse JAKOB<br />

2.9.2 Für die Arbeit relevante Teile aus der Erzählanalyse JAKOB<br />

In dieser Masterarbeit wird nur ein Teil der JAKOB Erzählanalyse verwendet. In dem<br />

von mir und Frau Marianne Ludwig-Tauber entwickelten Analyseraster werden Teile<br />

aus dem Transkript extrahiert, welche analysiert werden. AutoJAKOB wird nicht verwendet<br />

in dieser Arbeit.<br />

Die Erzählanalyse JAKOB wird in der Therapie verwendet, sie ist ein psychoanalytisch<br />

orientiertes Analyseinstrument für Alltagserzählungen aus Therapiegesprächen.<br />

Hier ziehe ich eine klare Grenze. In dieser Arbeit geht es um die Art und Weise, wie<br />

Lehrpersonen kritische Ereignisse erzählen mit darin enthaltenem verbalen Angriff.<br />

Aus ihrer Erzählung bzw. Bericht möchte ich ihre Wünsche, ihre Befürchtungen, Erwartungen,<br />

Zielvorstellungen in Bezug auf konfliktreiche Beziehungen <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

herausfiltern.<br />

Es geht somit ausschliesslich um die Analyse der Erzählungen/Berichte der Lehrpersonen.<br />

Das Erzählereignis wird in unserem Analyseraster, wie bei Boothe, klar nach<br />

Ereignisanfang und –schluss identifiziert. Wir bleiben bei der Dynamik der Startsituation<br />

und leiten darauf zwei Hypothesen ab. Mit dieser Analyse können individuelle<br />

Wunschvorstellungen der Lehrpersonen, wie sich schulische Beziehungen idealerweise<br />

entwickeln (SOLL), wie auch individuelle Befürchtungen von Lehrpersonen,<br />

wie Beziehungen sich konfliktreich, spannungsgeladen oder unglücklich entwickeln<br />

(ANTI-SOLL), extrahieren. Ich werde individuelle Erwartungshorizonte von Lehrpersonen<br />

skizzieren, auf welchen sich konfliktreiche schulische Beziehungen abzeichnen.<br />

Das heisst, ich versuche die psychodynamische Voraussetzung jeweils einer<br />

Lehrpersonen zu beschrieben und wie diese sich <strong>im</strong> Konflikt dieser Lehrperson (während<br />

dem verbalen Angriff und der Reaktion darauf abzeichnet und auswirkt.<br />

Daraus zeichnet sich meine dritte Fragestellung dieser Arbeit ab: Welche Wünsche,<br />

Befürchtungen, Hoffnungen und Zielvorstellungen haben die Lehrpersonen in Bezug<br />

auf harmonische und konfliktreiche Beziehungen <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong>?<br />

Aus ihren Erzählungen will ich bei der Beantwortung der dritten Fragestellung ihre<br />

Wünsche, ihre Befürchtungen, ihre Erwartungen und ihre Zielvorstellungen in Bezug<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 55 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Die Erzählanalyse JAKOB<br />

auf hilfreiche und in Bezug auf konflikthafte Beziehungen <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong> erschöpfen.<br />

Dazu dient uns eine best<strong>im</strong>mte Art von Erzählanalyse, welche sich diesen verborgenen<br />

Aspekten in einer Erzählung widmet (Jakob-Analyse von Boothe). Bei dieser Erzählanalyse<br />

geht es weniger darum allgemeingültige Muster herauszufiltern, sondern<br />

vielmehr um das erzählende Individuum und seine spezifischen Erwartungen, Wünsche,<br />

Befürchtungen und Zielvorstellungen des Individuums, das erzählt.<br />

Es wird keine Kodierung durchgeführt, wie dies bei Boothe durch AutoJAKOB gemacht<br />

wird. In dieser Arbeit wird von den Transkriptionen aus den Interviews ausgegangen.<br />

Die Interviews werde ich mit der Erzählanalyse von Boothe (2002) analysieren.<br />

Mit dieser Analyse kann ich<br />

a) individuelle Wunschvorstellungen der Lehrpersonen, wie sich schulische<br />

Beziehungen idealerweise entwickeln, wie auch<br />

b) individuelle Befürchtungen von Lehrpersonen, wie Beziehungen sich konfliktreich,<br />

spannungsgeladen oder unglücklich entwickeln, extrahieren. Wir<br />

werden<br />

c) individuelle Erwartungshorizonte von Lehrpersonen skizzieren können, auf<br />

welchen sich konfliktreiche schulische Beziehungen abzeichnen. Das heisst,<br />

ich werde die psychodynamische Voraussetzung jeweils einer Lehrpersonen<br />

beschreiben können, und<br />

d) wie diese sich <strong>im</strong> Konflikt dieser Lehrperson (während dem verbalen Angriff<br />

und der Reaktion darauf abzeichnet und auswirkt. Wir hoffen, dass wir<br />

e) zudem am Schluss aus meinen Resultaten, die auf Individuen abzielen,<br />

auch einige allgemeine Schlussfolgerungen darüber ziehen können, wie Lehrpersonen<br />

ihre Beziehungen zu Schülern, Schülerinnen und Eltern gestalten<br />

können um Konflikte vermeiden und opt<strong>im</strong>al mit verbalen <strong>Angriffe</strong>n umgehen<br />

zu können.<br />

Die für diese Arbeit relevanten Teile, die aus der Erzählanalyse JAKOB kommen,<br />

werden in den folgenden Kapiteln beschrieben.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 56 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Die Erzählanalyse JAKOB<br />

2.9.3 Die Dynamik der Startsituation zum Ergebnis: Wie muss man sich<br />

das Opt<strong>im</strong>um der Geschichte vorstellen? Wie die Katastrophe?<br />

2.9.3.1 Die Startdynamik<br />

Zuerst wird <strong>im</strong> Analyseraster der Einleitungssatz aus dem Bericht/Erzählung rausgenommen,<br />

welcher in der Startdynamik analysiert wird.<br />

Die Startdynamik situiert sich ganz am Anfang, der Initialphase, einer Erzählung und<br />

versetzt den Zuhörer in eine Erwartungshaltung. Die expliziten oder <strong>im</strong>pliziten Erwartungen,<br />

die sich aus der Startdynamik ergeben haben, verpflichten den Erzähler,<br />

darauf einzugehen und das dynamische Potential zu realisieren. Er geht über zur<br />

episodischen Entwicklung und kommt schliesslich um episodischen Abschluss als<br />

finaler Handlungssequenz. Beispiel: "... Da gehe ich so in Gedanken über die Strasse,<br />

und, was glaubst du, da steht doch der Karl, und wirklich, er sieht mich, ich kann<br />

nicht mehr ausweichen..." Das ist eine denkbare episodische Entwicklung. Sie operiert<br />

genau mit den Setzungen, die wir in unseren Analysen als "Schlüsselwörter"<br />

bezeichnen: Strasse als öffentlicher Ort des Verkehrs, Begegnung, Gefahr, Überraschung.<br />

Mit Karl verbindet sich für die Ich-Figur ein Gefahrenmoment, dem konnte<br />

sie nicht ausweichen, weil sie so in Gedanken versunken war, daher ist sie jetzt der<br />

Gefahrensituation ohne Gegenwehr ausgesetzt. Der Hörer fragt sich: Was nun? Was<br />

macht die Begegnung so schrecklich? Was muss die Ich-Figur fürchten?<br />

Nach Boothe stellen wir uns die Erzählung als ein spannendes Spiel vor. Denken wir<br />

an ihre gehe<strong>im</strong>e Logik: die dynamische Konstellation, die sich in der Initialphase der<br />

Erzählung vermittelt (Startdynamik) und auf Darstellung und Abarbeitung drängt<br />

(Entwicklung und Abschluss). Dann kann man sagen: Ein Alltagserzähler etabliert für<br />

sich selbst und seine Hörerschaft eine Versetzungsregie, einen Schauplatz des Geschehens<br />

und einen Ausgangspunkt, die ihn sowie die Hörer auf eine Reihe von<br />

Startbedingungen (Erwartungshorizont, Ziel-Erfüllung, Ziel-Verfehlung) hin verpflichtet.<br />

Stellen wir uns die Erzählung als Spiel vor und formulieren folgende Aufgabe als<br />

Spielregel: Gegeben spezifische Figuren, Aktionen, Kulissen, Requisiten als spezifische<br />

Startbedingungen, die auf ein Erfüllungsziel drängen. Wie lässt sich dieses Erfüllungsziel<br />

einerseits als Opt<strong>im</strong>um und andererseits als Katastrophe hypothetisch<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 57 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Die Erzählanalyse JAKOB<br />

formulieren? Um auf systematische Weise zu solchen Aussagen Hypothesen zu gelangen,<br />

müssen wir kombinieren. Wir fragen: Was ist das dynamische Potential dieser<br />

Aktion oder Handlung, dieser Kulisse, dieses Requisits, etc.?<br />

Wir regulieren erzählend psychische Spannung. Wir betrachten den Erzählprozess<br />

somit als psychophysischer Verarbeitungsvorgang, das heisst es ist also für uns ein<br />

psychischer Verarbeitungsprozess. Diese Regulierung oder Verarbeitung erfolgt in<br />

zweierlei Hinsicht: in der Perspektive der Wunscherfüllung und derjenigen der Angstbewältigung.<br />

Wunscherfüllende Perspektive: SOLL<br />

Perspektive der Angstbewältigung: ANTI-SOLL<br />

Was sich ereignen und entfalten soll, ist auf der Basis der Startbedingung in eine<br />

Richtung gelenkt. Die Startbedingung eröffnet einen Spielraum. Insofern hat sie Aufforderungscharakter.<br />

Ausgehend von diesem Spielraum trifft der Erzähler <strong>im</strong> Gang<br />

der Erzählung eine Entscheidung. Er lässt, <strong>im</strong> Rahmen der gegebenen Möglichkeiten,<br />

Erzähldynamik zu erzeugen, eine unter mehreren Möglichkeiten wirksam werden.<br />

Wir ermitteln, welche das ist, und damit suchen wir das "Moment handlungsbezogener<br />

Spannung". Hier konkretisiert sich der Aufforderungscharakter als spezifische<br />

Zielorientierung. Als Spielregel der Erzählung hat die Startbedingung für die<br />

Ablaufstruktur in Kombination mit dem dynamischen Spannungsmoment zu gelten.<br />

Sie zielt auf eine Erfüllung (ein SOLL). Als Startbedingung werden ausschliesslich<br />

jene Elemente (Figuren, Aktionen, Requisiten, Kulissen) der Erzählung (aus dem Anfang<br />

der Story, bei Bedarf aus dem Gesamtverlauf) best<strong>im</strong>mt, welche den Ablauf<br />

thematisch tragen. (Boothe et al., 1999, S. 34)<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 58 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Die Erzählanalyse JAKOB<br />

Kommen wir zur Erläuterung auf unser Beispiel zurück:<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Eine Strasse ist <strong>im</strong> gegebenen Kontext eine fachmännisch konstruierte Bahn<br />

für geregelten Fahrzeugverkehr <strong>im</strong> öffentlichen Kommunikations- oder Begegnungsraum.<br />

Wer auf ihr geht, muss auf Regeln achten und aufmerksam sein,<br />

um Gefahren des Fahrzeugverkehrs zu entgehen.<br />

Wer sich auf öffentlicher Strasse bewegt, muss mit ungeplanten Begegnungen<br />

rechnen.<br />

Wer sich den Gefahren des Strassenverkehrs und ungeplanten Begegnungen<br />

<strong>im</strong> öffentlichen Raum mit reduzierter Aufmerksamkeit aussetzt, setzt sich Konfrontationen<br />

aus, die physische, psychische und soziale Beeinträchtigung bedeuten<br />

können.<br />

Schreckliches kombiniert Schreck und Negatives.<br />

So lässt sich die Ausgangslage in Bezug auf ihr dynamisches Potential genau ausformulieren.<br />

(Boothe et al., 2002)<br />

2.9.3.2 SEIN<br />

"Schliesslich konkretisiert der Erzähler selbst den Ausgang seiner Geschichte. Wenn<br />

wir das SEIN der Erzählung formulieren, stellen wir das realisierte Ergebnis der dynamischen<br />

Entwicklung dar. Um den Ergebnischarakter explizit zum Ausdruck zu<br />

bringen und den Vergleich mit SOLL und ANTI-SOLL herstellen zu können, zitieren<br />

wir den Ausgang der Geschichte nicht nur in den Worten, die der Erzähler konkret<br />

gewählt hat, sondern wir verdeutlichen explizit die Anknüpfung an die Zielorientierung<br />

und stellen die Verbindung zur Ausgangslage her." (Boothe et al., 1999, S. 35)<br />

"Karl", so mag der Erzähler uns später, um be<strong>im</strong> Beispiel von oben zu bleiben, aufklären,<br />

"ist doch der, dem ich die Gerda ausgespannt habe, und er war halt wirklich<br />

mal ein enger Freund gewesen...". So informiert uns der Erzähler über die Person<br />

des Karl und die Beziehungsstörung, die zwischen Karl und dem Erzähler besteht.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 59 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Die Erzählanalyse JAKOB<br />

Die Verarbeitungsfunktion realisiert sich <strong>im</strong> Handlungsablauf und in der Rollenstruktur<br />

der Erzählung. Erzählen ist eine elementare Kommunikationsform, die Aufgehobensein<br />

in der sozialen Gesellschaft herstellt und zugleich persönliche Individualität<br />

sichtbar macht und bestätigt. Das SEIN ist eine Orientierung zwischen SOLL und<br />

ANTI-SOLL.<br />

2.9.4 SOLL und ANTI-SOLL<br />

Die Startdynamik wurde bereits in psychoanalytischer Perspektive verdeutlicht, nun<br />

ergänzen wir diese dynamische Orientierung um ihren Erfüllungsgipfel und ihren Katastrophenabgrund,<br />

um die SOLL-Hypothese und die ANTI-SOLL-Hypothese.<br />

2.9.4.1 SOLL<br />

Aus der dynamischen Basis der Startbedingungen (Startdynamik) kann man nun eine<br />

Hypothese über das hypothetische Opt<strong>im</strong>um, das Erfüllungsmoment oder SOLL<br />

ableiten. Unter dem SOLL versteht man ein Ergebnisopt<strong>im</strong>um, nicht <strong>im</strong> Sinne eines<br />

Happyends sondern als strikte Konsequenz, erschlossen aus den spezifischen Startbedingungen<br />

in Verknüpfung mit dem Moment handlungsbezogener Spannung.<br />

In unserem Beispiel von oben wäre dies: Rückgewinn voller Aufmerksamkeit und<br />

Handlungsfähigkeit – Konfrontation mit dem Moment des Desintegrativen mit dem<br />

Ergebnis eines Entwicklungsprozesses – freie, spontane und gefahrlose Bewegung<br />

<strong>im</strong> öffentlichen Raum. Dies wäre das radikale Opt<strong>im</strong>um auf der SEIN-Basis und der<br />

Best-case von der Startbedingung aus (auch unerfüllte, gehe<strong>im</strong>e Wunsche).<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 60 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Die Erzählanalyse JAKOB<br />

2.9.4.2 ANTI-SOLL<br />

Die Startdynamik erlaubt es eine kontrastierende Hypothese zu formulieren, das<br />

heisst eine negative Konsequenz, ein hypothetisches Desaster, die sich aus dem<br />

max<strong>im</strong>alen Verfehlen der konkreten Zielorientierung der Erzählung ergibt.<br />

Auf unser Beispiel bezogen wäre dies: Totaler Verlust von Aufmerksamkeit und<br />

Handlungsfähigkeit – Erfasstsein vom Desintegrativen als Zerstörung der Existenz –<br />

Rückzug aus dem öffentlichen Raum. Dies wäre das Worst-case-Szenario, die ganz<br />

negative Entwicklung.<br />

2.9.5 Wunscherfüllung und Angstbewältigung<br />

Wie schon in der Einleitung erwähnt geht es bei der Erzählanalyse nicht um quantifizierbare<br />

und interindividuell gültige Aspekte, sondern um die spezifischen Erwartungen,<br />

Wünsche, Befürchtungen und Zielvorstellungen des Individuums, das erzählt.<br />

Der Erzähler verlangt nach psychischer Restitution, das heisst der Korrektur des<br />

Gewesenen in Richtung auf das Wünschbare. "Das Erzählen dient nachträglicher<br />

wunschorientierter Erfüllung. Die Erzählung versucht Vergangenes <strong>im</strong> Sinne einer<br />

Wunscherfüllung umzumodeln. In welche Richtung geht die in der Erzählung erschliessbare<br />

Korrektur des Gewesenen in Richtung auf das Wünschbare?" (Boothe<br />

et al.,1999, S. 36)<br />

Der Erzählvorgang selbst mobilisiert, entfesselt Emotionalität als Beteiligung an einem<br />

präsentierten Geschehen. Die Motive der Wunscherfüllung und Sicherheitsgewinnung<br />

sind für Sprecher und Hörer eingebettet in eine Szenerie, die Realgeschehen<br />

nachstellt, denn die sequentielle Organisation als dramatische Szene verlangt<br />

Berücksichtigung konventioneller Darstellungstechniken und "realistischen" Materials,<br />

um vor mitvollziehenden Hörern erfolgreich zu sein (Boothe, 1994, S. 50). Wie<br />

erwähnt handelt es sich bei den Fällen der Lehrpersonen nicht nur um Erzählungen,<br />

sondern wir vermuten eine Mischform von Bericht und Erzählung. Es sollte sich möglichst<br />

ausschliesslich um "realistisches" Material handeln.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 61 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Die Erzählanalyse JAKOB<br />

Ziel dieser Arbeit ist es herauszufinden, wie individuelle Wunschvorstellungen der<br />

Lehrpersonen sind und wie sich schulische Beziehungen idealerweise entwickeln.<br />

Ebenso werden die individuelle Befürchtungen von Lehrpersonen versucht aufzuklären<br />

und wie Beziehungen sich konfliktreich, spannungsgeladen oder unglücklich<br />

entwickeln.<br />

Erzählungen sind Wunsch- und Angstgeschichten. Manchmal steht der Wunsch<br />

deutlich <strong>im</strong> Vordergrund, manchmal die Angst. Boothe (et al., 2002) haben in Erzählanalysen<br />

prototypische Wunsch- und Angstkonfigurationen gefunden. Diese sind <strong>im</strong><br />

Anhang aufgeführt.<br />

Boothe (et al., S. 37) schreibt von der Angstbewältigung: "Als reorganisierende Leistung<br />

wird die Bewältigungsstrategie bezeichnet, erlittene Erschütterung, psychische<br />

Destabilisierung in negativer, traumatisierender oder in positiver, euphorisierender<br />

Richtung <strong>im</strong> nachhinein durch wiederholtes Erzählen zu integrieren. Erzählen als<br />

Technik der Selbstvergewisserung verhilft zu psychischer Reorganisation durch Zuhilfenahme<br />

der Bewältigungsform der Verwandlung von Passivität in Aktivität. Die<br />

aktive Gestaltungsleistung, die in der erzählenden Rekonstruktion eines traumatisierenden<br />

oder euphorisierenden Geschehens liegt, trägt zur Erregungssenkung und<br />

Stabilisierung bei, so dass nachträglich die Situation als dargestellter Geschehenszusammenhang<br />

kontrollierbar erscheint."<br />

Entlang der Phasen der psychosexuellen Entwicklung lassen sich Wunsch- und<br />

Angstthemen ausmachen, welche auch <strong>im</strong> Anhang dargestellt sind.<br />

Ich möchte aus den Transkriptionen der Interviews mit den Lehrpersonen herausfinden,<br />

welche Wünsche, Befürchtungen, Hoffnungen und Zielvorstellungen die Lehrpersonen<br />

haben in Bezug auf harmonische und konfliktreiche Beziehungen <strong>im</strong><br />

<strong>Schulalltag</strong>. In der dritten Fragestellung (Welche (unbewussten) Wünsche und Befürchtungen<br />

können wir in den Erzählungen analysieren?) versuche ich mit Hilfe von<br />

Marianne Ludwig-Tauber (Psychoanalytikerin) die unbewussten Wünsche und Ängste<br />

der Lehrpersonen zu eruieren.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 62 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Die Erzählanalyse JAKOB<br />

2.9.6 Ressourcen und blinde Flecken<br />

Aus den Wünschen, Hoffnungen und Befürchtungen, Ängsten versuche ich Ressourcen<br />

und blinde Flecken aufzudecken.<br />

2.9.6.1 Ressourcen<br />

Den Begriff "Ressource" führte Bandura (1981, zitiert nach Storch & Krause, 2002) in<br />

den Sozialwissenschaften ein. Bandura plädierte damals für eine Abkehr von der<br />

Belastungsforschung und forderte statt dessen eine Ressourcenforschung. Es ist<br />

wertvoll das Augenmerk von der Pathogenese abzuwenden und zur Salutogenese<br />

überzugehen. Statt nur Defizite der Lehrperson <strong>im</strong> entsprechenden Fall zu beschreiben,<br />

versuche ich Ressourcen zu extrahieren. Ressourcenorientierung fand auch in<br />

der Psychotherapie begeisterte Aufnahme. Man geht in der Psychotherapie nach<br />

Ressourcenorientierung davon aus, dass der Mensch die meisten Ressourcen in<br />

sich trägt, die er zur Lösung seiner Probleme braucht. Ich werde sehen, wie viel sich<br />

aus der Extraktion der Ressourcen der Fälle ergeben wird. (Storch et al., 2002)<br />

2.9.6.2 Blinde Flecken<br />

Auf der anderen Seite möchte ich aufklären, was den Lehrpersonen vermutlich nicht<br />

bewusst war <strong>im</strong> erzählten Fall, was jedoch den Eltern oder Schülerin, Schüler durchaus<br />

bewusst war. Luft (1972) beschreibt blinde Flecken <strong>im</strong> Johari-Fenster als "mir<br />

unbekannt" und "anderen bekannt". Es ist der blinde Fleck der Selbstwahrnehmung.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 63 von 126


Anderen unbekannt<br />

Ich gebe Preis<br />

Anderen bekannt<br />

<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Annahmen für die Ergebnisse<br />

Es ist der Bereich des Verhaltens, den man selbst wenig, aber andere als sehr deutlich<br />

wahrnehmen. Das Johari-Fenster ist ein Schema zur Darstellung bewusster und<br />

unbewusster Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale zwischen Selbst und Anderen<br />

bzw. einer Gruppe. Es stellt die Veränderung von Selbst- und Fremdwahrnehmung<br />

dar. Entwickelt wurde es von den amerikanischen Sozialpsychologen Joseph<br />

Luft und Harry Ingham.<br />

Mir bekannt<br />

Mir unbekannt<br />

Öffentliche<br />

Person<br />

Andere teilen mir über mich mit<br />

Blinder Fleck<br />

Mein<br />

Gehe<strong>im</strong>nis<br />

Das unbewusste<br />

Wissen<br />

Abbildung 5: Johari-Fenster<br />

2.10 Annahmen für die Ergebnisse<br />

Ich nehme an, dass die Lehrpersonen in den Interviews eine Mischform von Bericht<br />

und Erzählung verwenden. Weiter nehme ich an, dass verbale <strong>Angriffe</strong> für jede Lehrperson<br />

etwas anderes bedeuten, wie dies <strong>im</strong> Kapitel 2.5 Das subjektive Element <strong>im</strong><br />

verbalen Angriff dargelegt wird. Das heisst, es ist von den individuellen Vorstellungen<br />

über harmonische und konfliktreiche Beziehungen <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong> abhängig, ob eine<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 64 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Theoretischer Hintergrund<br />

Detaillierte Fragestellungen<br />

Aussage von Schülern oder Eltern für die Lehrperson ein Angriff ist oder nicht. Ausserdem<br />

nehme ich an, dass Lehrpersonen, wenn sie ihre Beziehungen zu Schülern,<br />

Schülerinnen und Eltern aufnehmen und pflegen, ganz best<strong>im</strong>mte Wünsche und<br />

ganz best<strong>im</strong>mte Befürchtungen haben, und dass die Erfüllung oder Enttäuschung<br />

von solchen Erwartungen dann zum Erleben eines <strong>Angriffe</strong>s führt. Diese Annahmen<br />

erlauben es mir, die Erzählungen von verbalen <strong>Angriffe</strong>n auf diese Aspekte hin zu<br />

analysieren.<br />

2.11 Detaillierte Fragestellungen<br />

Die in der Einleitung formulierte Fragestellung gliedert sich nach den theoretischen<br />

Vorarbeiten in folgende detaillierte Fragestellungen auf:<br />

1. Welche verbalen <strong>Angriffe</strong> erzählten die Lehrpersonen?<br />

2. Wie erleben Lehrpersonen den verbalen Angriff?<br />

3. Welche (unbewussten) Wünsche und Befürchtungen können wir in den Erzählungen<br />

analysieren?<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 65 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Methoden<br />

Einleitung<br />

3 Methoden<br />

3.1 Einleitung<br />

Meine Masterarbeit ist eine empirische Untersuchung und situiert sich <strong>im</strong> Bereich der<br />

Kasuistik (Tiefe der Analyse ist wichtiger als die Breite).<br />

Ich interviewte 19 Lehrpersonen, die ich bereits aus Praktika oder privat kannte und<br />

fragte sie nach verbalen <strong>Angriffe</strong>n (negative Ereignisse, welche sie verletzte oder<br />

angriff), die sie in ihrer Laufbahn erlebt hatten. Wenn bei der Interviewdurchführung<br />

"wir" steht, dann ist dies mit Sabrina Talevi zusammen. Die Lehrpersonen schilderten<br />

verschiedene Episoden, die sie als verbale <strong>Angriffe</strong> empfanden, ziemlich detailliert,<br />

sodass ich diese mit einer angepassten Form der JAKOB-Erzählanalyse und der Hilfe<br />

der Psychoanalytikerin Marianne Ludwig-Tauber analysieren konnte.<br />

Ich habe aus 19 Befragungen neun Fälle, die mich besonders interessierten und<br />

meiner Definition von verbalen <strong>Angriffe</strong>n (Kapitel 2.1) entsprachen herausgegriffen,<br />

um diese genauer zu untersuchen und analysieren.<br />

3.2 Beschreibung der Stichprobe<br />

Die ursprüngliche Idee war möglichst viele Lehrpersonen (sowohl bereits bekannte<br />

wie auch fremde) zu kontaktieren und um ein Interview zu bitten.<br />

Jedoch wurde mir bewusst, dass ich nicht einfach wahllos Lehrpersonen interviewen<br />

kann, um die Befragungen zielgerichtet durchführen zu können. Ich musste sie gezielt<br />

auswählen und mich auf mir bereits bekannte Lehrpersonen beschränken. Dies<br />

aus folgendem Grunde:<br />

Bei den Interviews ging ich auf das Erleben von verbalen <strong>Angriffe</strong>n ein. Ich wollte bei<br />

diesen Erlebnissen in die Tiefe gehen. Die befragten Personen sollten ein einschneidendes,<br />

für sie mit Emotionen verbundenes und sehr persönliches Erlebnis schildern.<br />

Es erschien unvermeidlich, Lehrpersonen aus dem Bekanntenkreis um ein Interview<br />

zu bitten, weil bereits eine gewisse Nähe und Verbundenheit bestand, die ein<br />

losgelösteres Erzählen ermöglichen sollte. Ich hoffte dabei, dass diese Lehrpersonen<br />

nicht zu viel Abwehr mobilisieren würden, wenn ich sie auf kritische oder negative<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 66 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Methoden<br />

Beschreibung des Instruments<br />

Ereignisse hin befragte, welche sie verletzte oder angegriffen hatten. Für den gleichen<br />

Zweck, auch um Vertrauen herzustellen, Nähe und Verbundenheit spüren zu<br />

lassen, stellte ich der Frage zuerst eine Frage nach einem Bestätigungserlebnis voraus,<br />

das heisst ich befragte die Lehrpersonen zuerst nach einer positiv erlebten Interaktion<br />

mit einer Schülerin oder einem Schüler oder Eltern. So konnten die Lehrpersonen<br />

in einen Redefluss gebracht werden und das Gefühl von Vertrautheit konnte<br />

hergestellt werden, da die jeweils interviewte Lehrperson mir ein Ereignis schilderte,<br />

welches sie besonders bestätigte oder mit Stolz erfüllte.<br />

Alter, Geschlecht, Ausbildung, Anzahl Unterrichtsjahre, unterrichtete Fächer wurden<br />

notiert, sind jedoch bei dieser Arbeit nicht von Bedeutung. Ich fragte Lehrpersonen,<br />

die ich bereits kannte und interviewte diejenigen, die sich für ein Interview bereit erklärten.<br />

Auf ihre Zusage hin schickte ich ihnen einen Brief mit genaueren Informationen.<br />

3.3 Beschreibung des Instruments<br />

Ich interviewte 19 Lehrpersonen anhand eines Interviewleitfadens. So befragte ich<br />

sie einerseits nach ihrem Erleben von Ereignissen, die sie bestätigten und andererseits<br />

– was mich eigentlich interessierte - nach verbalen <strong>Angriffe</strong>n in der Schule, von<br />

den Schülern selbst oder seitens der Eltern. Ihre Geschichten und Berichte hielt ich<br />

<strong>im</strong> Interview fest.<br />

Der Interviewleitfaden entwickelten wir so, damit die erzählten Geschichten der Lehrpersonen<br />

anschliessend mit der Erzählanalyse JAKOB ausgewertet werden konnten.<br />

Das heisst, die von den Lehrpersonen erlebten Geschichten sollten an einem best<strong>im</strong>mten<br />

Punkt beginnen, chronologisch fortlaufen und wieder an einem best<strong>im</strong>mten<br />

Punkt enden.<br />

Dazu brauchte es einen Interviewanstoss, der bewirkte, die Lehrpersonen in einen<br />

Sprechfluss zu bringen, um <strong>im</strong> Interview die Episoden möglichst ausführlich zu schildern.<br />

Wir achteten darauf, die Lehrperson möglichst nicht ständig zu unterbrechen<br />

und möglichst nur wenig Zwischenfragen zu stellen, wenn es Verständlichkeitsprob-<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 67 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Methoden<br />

Beschreibung des Instruments<br />

leme gab. Dennoch mussten die gestellten Fragen so formuliert sein, dass die Lehrpersonen<br />

vor allem verbale <strong>Angriffe</strong> schilderten.<br />

Wir stellten die Fragen möglichst so offen, um die Lehrpersonen frei eine Episode<br />

von Anfang bis zum Schluss erzählen lassen. Gleichzeitig aber formulierten wir die<br />

Fragen so, um den Lehrpersonen gezielt auf die für sie als positiv empfundenen Ereignisse<br />

in Zusammenhang mit einer verbalen Äusserung eingehen zu können, wie<br />

auch solche, die sie als negativ (verletzend, angreifend) empfanden. Boothe erklärte<br />

uns in einer Supervisionsstunde, dass jedes geäusserte Wort die interviewte Lehrperson<br />

schon psychisch beeinflusste. Aus diesem Grund wählten wir die Wortwahl<br />

bei der Fragestellung sorgfältig mit Hilfe eines Brainstormings. Den Begriff "verbaler<br />

Angriff" wollten wir nicht verwenden, weil damit die Lehrpersonen gleich beeinflussen<br />

würden. Ein Angriff wird je nach Individuum anders empfunden. Nicht jede Person<br />

empfindet eine verbale Äusserung gleich als Angriff. Jedes Individuum empfindet<br />

dies anders. Erläuterungen dazu wurden <strong>im</strong> Theorieteil ausgeführt. (2.5 Das subjektive<br />

Element <strong>im</strong> verbalen Angriff).<br />

Deshalb stellten wir be<strong>im</strong> Interview nicht die Frage nach verbalen <strong>Angriffe</strong>n, sondern<br />

nach Situationen, in denen etwas gesagt wurde, das ganz besonders angriff oder<br />

verletzte.<br />

Der komplette Interviewleitfaden ist <strong>im</strong> Anhang zu finden. Die gestellten Fragen sind<br />

gelb markiert. Unterhalb der gestellten Frage befindet sich ein Beispiel, das <strong>im</strong> Falle<br />

einer Unklarheit als Erzählstrukturhilfe dient.<br />

Unter bb. Präzisierung des Falls sind Fragen vorgängig aufgelistet worden, welche<br />

ich bei Unklarheiten stellte, so dass die geplante Analyse des Falls möglich wurde.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 68 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Methoden<br />

Durchführung<br />

3.4 Durchführung<br />

Bevor wir jeweils die Lehrpersonen für das Interview getroffen haben, schickten wir<br />

ihnen einen Brief, welcher <strong>im</strong> Anhang zu finden ist. In diesem Brief erläuterten wir,<br />

dass wir gemeinsam eine Masterarbeit an der PHZ schreiben und dass uns dabei<br />

interessiert, was sie als Lehrpersonen <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong> hören müssen oder dürfen. In<br />

diesem Zusammenhang stellten wir ihnen auch schon die zwei Fragen, die wir ihnen<br />

be<strong>im</strong> Interview stellten, damit sie sich bereits <strong>im</strong> Voraus einige Gedanken machen<br />

konnten und sich nochmals überlegen konnten, wie das alles genau vor sich gegangen<br />

war. Ausserdem vereinbarten wir dann per Mail oder telefonisch ein Interviewtermin.<br />

Dadurch, dass die Lehrpersonen vorgängig diesen Brief erhielten war die Interviewsituation<br />

noch entspannter. Sie wussten, was be<strong>im</strong> Interview auf sie zukommen<br />

würde. Es war in diesem Sinne nicht mehr die typische Interviewsituation, sondern<br />

die Lehrpersonen wussten, dass sie uns erlebte Geschichten erzählen durften.<br />

Sie sagten uns zum Teil schon <strong>im</strong> Voraus mit verschmitztem Lächeln: "Ja, ich habe<br />

euch schon ein paar Geschichten zu erzählen...". Die Interviews wurden hauptsächlich<br />

<strong>im</strong> Schulhaus der Lehrperson in einem leeren Schulz<strong>im</strong>mer (meistens <strong>im</strong> eigenen)<br />

oder in zwei Fällen auch in einem öffentlichen Restaurant (an einem Tisch, wo<br />

wir ungestört und unbelauscht waren) durchgeführt.<br />

Diese zwei Interviewfragen stellten wir (auch so <strong>im</strong> Brief vorausgeschickt) konkret<br />

folgendermassen:<br />

<br />

„Hat dir ein Schüler oder ein Elternteil schon mal etwas gesagt, das dich ganz<br />

besonders bestätigt oder glücklich gemacht hat? Bitte erzähl mir von Anfang<br />

bis Schluss der Reihe nach wie es dazu gekommen und was passiert ist.―<br />

<br />

„Hat dir schon mal ein Schüler oder ein Elternteil etwas gesagt, das dich ganz<br />

besonders angegriffen, provoziert oder verletzt hat? Bitte erzähl mir von Anfang<br />

bis Schluss der Reihe nach wie es dazu gekommen und was passiert<br />

ist.―<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 69 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Methoden<br />

Durchführung<br />

Die Interviews führten wir alle in Mundart durch, das heisst wir stellten die Fragen in<br />

Mundart und die Lehrperson erzählte ihre Erlebnisse ebenfalls in Mundart. Dies erschien<br />

uns natürlicher für eine Erzählung.<br />

Bedeutend für unsere Interviews war, dass wir die Lehrpersonen nicht explizit nach<br />

verbalen <strong>Angriffe</strong>n fragten. Unser Interviewleitfaden weist durch die Fragestellung auf<br />

Kränkungen hin. Die Frage stellten wir so, dass es der befragten Lehrperson klar<br />

werden sollte, dass nach einem verbalen Angriff gefragt wird, der sie gekränkt hat.<br />

Die Wortwahl der Fragestellung wirft jedoch nicht mit solchen Begriffen um sich. Wir<br />

fragen nach etwas, das vorgefallen ist was ein Schüler oder Elternteil gesagt hat, das<br />

die Lehrperson verletzt oder verletzt hat.<br />

Wir fragten einleitend nach einem positiven Ereignis, das die Lehrperson ganz besonders<br />

bestätigt oder glücklich gemacht hat. Die Frage wurde tatsächlich wie siehe<br />

oben gestellt. Darauf wurde angefügt "Bitte erzähl mir von Anfang bis Schluss der<br />

Reihe nach wie es dazu gekommen und was passiert ist", um auf die Erzähl- beziehungsweise<br />

Berichtform hinzuweisen.<br />

Damit eine passende, nicht beeinflussende Fragestellung gefunden wurde, um nach<br />

dem kritischen Ereignis zu fragen, wurde vorgängig ein detailliertes Brainstorming<br />

durchgeführt. Es ergab sich schlussendlich folgende Fragestellung daraus, die nach<br />

dem kritischen oder negativen Ereignis fragt: "Hat die ein Schüler oder Elternteil<br />

schon mal etwas gesagt, das dich angegriffen oder verletzt hat?". Ebenso wurde hier<br />

wieder angefügt, dass von Anfang bis Schluss der Reihe nach erzählt werden soll<br />

wie es dazu gekommen und was passiert ist. Die Lehrperson kennt die Erzählstruktur<br />

schon von der ersten und somit aufwärmenden Frage nach dem positiven Ereignis<br />

und kann somit freier erzählen bzw. berichten.<br />

Bei der Durchführung der Interviews achteten wir ständig darauf, die Lehrperson<br />

während der Erzählung nicht zu unterbrechen. Wir informierten sie auch noch vor der<br />

Frage, dass sie uns von Anfang bis Schluss der Reihe nach möglichst detailliert erzählen<br />

sollen, wie es dazu gekommen und was passiert ist. Dies konnten sie auch<br />

schon dem Brief entnehmen. Falls es trotzdem Unklarheiten gab, stellten wir Zwischenfragen,<br />

welche wir auch transkribiert haben. Die Zwischenfragen oder ergän-<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 70 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Methoden<br />

Transkription<br />

zende Fragen sollten uns dabei helfen, die Episoden als Ganzes und komplett zu<br />

erfassen, sodass der ganze Ablauf und die Hintergründe für uns klar wurden.<br />

3.5 Transkription<br />

Die Transkriptionen übersetzten wir von Mundart in Schriftsprache. Gewisse, schwer<br />

oder unmöglich zu übersetzende Wörter wurden in Gänsefüsschen direkt in der<br />

Transkription übernommen. Die Resultate werteten wir individuell nach Erzählung<br />

und Person aus. Das heisst, zuerst wurde selektiv die auf einem speziellen Aufnahmegerät<br />

EDIROL R-09 aufgenommen MP3-Files der negativen und kritischen Erzählungen/<br />

Ereignissen mit den von uns gestellten Zwischenfragen <strong>im</strong> Wortlaut transkribiert.<br />

Dabei verwendeten wir nur wenige Codes für nonverbale Äusserungen, welche<br />

in Klammern vermerkt sind, wie: „kurze Pause―, „lacht―, „räuspert sich― usw.<br />

Da die Transkriptionen die ganzen Fälle aufzeigen, sind sie persönlich. Trotz Anonymisierung<br />

von Ort, Personen und Fach ist zum Teil noch herzuleiten, was für ein<br />

Fall es war, wenn man aus dem entsprechenden Wohnort kommt und vom Fall Bescheid<br />

wusste. Aus diesem Grund sind lediglich zwei ausgewählte, gut anonymisierbare<br />

Fälle <strong>im</strong> Anhang zu finden. Für eine weitere Arbeit würden alle Transkriptionen<br />

mit Einverständnis bei erneuter Anfrage der Lehrpersonen zur Verfügung stehen.<br />

3.6 Analyseraster mit JAKOB und erweiterter Kategorie<br />

Zur Auswertung der Erzählungen bzw. Berichte verwendeten wir die JAKOB-Erzähl-<br />

Analyse. Wenn <strong>im</strong> Folgenden "wir" geschrieben ist, dann ist Marianne Ludwig-Tauber<br />

(Psychoanalytikerin) gemeint. Diese Analyse wird eigentlich nur in der klinischen<br />

Psychologie, konkret in der Initialerzählung der Psychotherapie verwendet (siehe 2.9<br />

Die Erzählanalyse JAKOB <strong>im</strong> Theorieteil). Aus diesem Grund passte ich den Analyseraster<br />

nach mehreren Testanalysen an. Aus der Transkription wurde anhand der<br />

Erzählanalyse JAKOB den Einleitungssatz des Berichtes oder der Erzählung eruiert.<br />

Danach machten wir die Startdynamik fest, gefolgt von SEIN, SOLL und ANTI-SOLL.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 71 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Methoden<br />

Analyseraster mit JAKOB und erweiterter Kategorie<br />

Marianne Ludwig-Tauber und ich analysierten Fälle unabhängig voneinander um herauszufinden,<br />

ob die Analyse von der Art und Weise her, wie wir analysierten, übereinst<strong>im</strong>mten.<br />

Daraufhin extrahierten wir zwei verschiedene Arten von SOLL, ANTI-<br />

SOLL und SEIN. Diese sind <strong>im</strong> Analyseraster mit SEIN 1 und SEIN 2, SOLL 1 und<br />

SOLL 2, ANTI-SOLL 1 und ANTI-SOLL 2 beschriftet. Ich einigte mich mit ihr auf ihre<br />

Analysen, die grösstenteils mit den meinigen übereinst<strong>im</strong>men, aber aufgrund jahrelanger<br />

Erfahrung eindeutig tiefgründiger waren.<br />

Analyseaspekte (das originale Analyseraster befindet sich <strong>im</strong> Anhang):<br />

1. Wo beginnt die Erzählung, bzw. der Bericht? Welches ist der Einleitungssatz?<br />

Als Einleitungssatz zur folgenden Episode verstehen wir denjenigen Satz, der dem<br />

Zuhörer signalisiert, dass ein Ereignis geschildert wird und unmittelbar vor der Startdynamik<br />

(ist in einigen Fällen bereits Teil davon) ist.<br />

Mit dem Einleitungssatz wird dem Hörer klargemacht, dass die Ideen gesammelt<br />

werden, die dann zum Ergebnis (Formulierung der Episode) führen. Die Einleitungssätze<br />

machen den Raum frei für die Positionierung der Grundbausteine der Erzählung<br />

(Startdynamik), wie die beteiligten Personen, den Zeitraum, in der die Episode<br />

stattgefunden hat, den Ort und die Aktionen und Requisiten, die das „Bühnengeschehen―<br />

der zu schildernden Episode gestalten. Die Einleitungssätze wurden meist<br />

als Antwort auf unsere Frage „Hat dir schon mal ein Schüler oder ein Elternteil etwas<br />

gesagt, dass dich angegriffen oder verletzt hat?― formuliert. Meist also ein „Ja…―<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 72 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Methoden<br />

Analyseraster mit JAKOB und erweiterter Kategorie<br />

Typische Kennzeichnungswörter für Einleitungssätze, bzw. Worte, die den Hörer<br />

aufmerksam werden lassen sind:<br />

Ich kann mich erinnern...<br />

Ah, ja:<br />

Ein Beispiel ist:<br />

Ah, ja, es ging darum:<br />

Ja, das hat es auch gegeben:<br />

Also:<br />

Ja… Ähm…<br />

Es war mal...<br />

Mhhm (bejahend)...<br />

Meist war die erste, kurze Äusserung zu unserer gestellten Frage die Antwort und<br />

zugleich der Einleitungssatz für die darauf folgende Schilderung der Episode (z.B.:<br />

"Ja, das passiert natürlich häufiger als das Positive." Oder: "Was heisst hier einmal?<br />

Das ist <strong>Schulalltag</strong>, <strong>im</strong> Fall!"), die mit der Beschreibung der Rahmenbedingungen<br />

(Startdynamik) fortgesetzt wurde. Folgend listeten wir Fragen auf, die wir <strong>im</strong> Analyseraster<br />

beantworten mussten.<br />

<br />

<br />

Wie wird die Vorgeschichte erzählt? Welches ist der Einleitungssatz <strong>im</strong> Bericht/Erzählung<br />

(zu extrahieren aus dem Transkript)?<br />

Was ist die Startdynamik des geschilderten Ereignisses? Anhand der Startdynamik<br />

und der sich daraus ergebenden Annahmen über die Erwartungen der<br />

Lehrperson konnten wir den SOLL-Zustand (positiver Erfüllungsgipfel) und<br />

den ANTI-SOLL-Zustand (negativer Erfüllungsgipfel) herausarbeiten.<br />

Auf den verbalen Angriff bezogen (wobei dieser klar durch Ereignis-Anfang und<br />

Ereignis–Ende best<strong>im</strong>mt wurde):<br />

Wie war die Reaktion (in Realität) auf diesen verbalen Angriff? (SEIN 1)<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 73 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Methoden<br />

Analyseraster mit JAKOB und erweiterter Kategorie<br />

<br />

<br />

Was wäre die opt<strong>im</strong>ale Lösung auf der SEIN-Basis (Wunscherfüllung, „best<br />

case" von der Startdynamik aus, radikales oder hypotetisches Opt<strong>im</strong>um)<br />

(SOLL 1)<br />

Was wäre das „worst-case-Szenario― von der Startdynamik aus (negativste<br />

Entwicklung, hypothetisches Desaster, Angstbewältigung) (ANTI-SOLL 1)<br />

Auf die ganze Erzählung bezogen (wiederum klar durch Erzähl-Anfang und das<br />

Erzähl-Ende best<strong>im</strong>mt):<br />

Wie war die Reaktion (in Realität) auf die ganze Erzählung bezogen? (SEIN 2)<br />

Was wäre die opt<strong>im</strong>ale Lösung auf der SEIN-Basis (Wunscherfüllung, „best<br />

case" von der Startdynamik aus, radikales oder hypotetisches Opt<strong>im</strong>um)<br />

(SOLL 2)<br />

Was wäre das „worst-case-Szenario― von der Startdynamik aus (negativste<br />

Entwicklung, hypothetisches Desaster, Angstbewältigung) (ANTI-SOLL 2)<br />

Wie kann der Konflikt diagnostiziert werden? Wie ist die Eskalationsdynamik?<br />

a. Welche Konfliktparteien kommen vor?<br />

b. Was geht dem verbalen Angriff voraus?<br />

c. Was ist der Streitpunkt <strong>im</strong> Konflikt?<br />

d. Wie ist die Eskalationsdynamik? Welche Anzeichen gibt es <strong>im</strong> Vorfeld?<br />

3.6.1 Erzählanalyse in zwei Schritten<br />

1. Schritt: Best<strong>im</strong>mung von Startdynamik, SEIN, SOLL, ANTI-SOLL, Konfliktdynamik<br />

mit dem Analyseraster<br />

Meine Betreuerin, Frau Marianne Ludwig-Tauber ist Psychologin FSP und führt eine<br />

psychoanalytische Praxis in Luzern. Sie ist daher sehr bewandt in der Psychoanalyse<br />

und kann sich auf ein breites Erfahrungswissen abstützen. Sie hat ebenfalls mit<br />

diesem Analyseraster die auserwählten Fälle anhand der Transkriptionen analysiert<br />

und sie darauf mit mir zusammen mit den meinigen verglichen. Auf diesem Weg bin<br />

ich zu einer qualitativen empirischen Untersuchung mit Induktionsprinzip gekommen.<br />

Ich schliesse von den untersuchten Fällen auf das Allgemeine. Bei der Analyse ist<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 74 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Methoden<br />

Analyseraster mit JAKOB und erweiterter Kategorie<br />

festzuhalten, dass sie <strong>im</strong>mer auch subjektive Elemente der analysierenden Person<br />

mitschwingen. Sie erfolgt nach hermeneutischen Regeln, entsprechend einem kreisförmigen<br />

Prozess, welche das Verstehen anleiten und ins Offene, noch nicht Formulierte,<br />

führen. Deshalb gewinnen wir Hypothesen und nicht gefestigtes Wissen, wenn<br />

wir aus dem manifesten Text seinen latenten, unbewussten Gehalt in Form von<br />

Wünschen und Ängsten der erzählenden Person erschliessen (Boothe et al. (2002),<br />

S. 84). Aus diesem Grund haben wir voneinander unabhängig analysiert mit demselben<br />

Raster, um unsere Sensibilität <strong>im</strong> analysieren der Texte zu üben und uns aufeinander<br />

abzust<strong>im</strong>men. So konnte auch der Analyseraster angepasst werden, damit er<br />

möglichst repräsentativ und aussagekräftig ist. Die endgültige Version des Analyserasters<br />

befindet sich <strong>im</strong> Anhang.<br />

Meine Masterarbeit ist eine kasuistische, das heisst Kasuistik (v. lat. casus: Fall) bezeichnet<br />

allgemein die Betrachtung von Einzelfällen in einem best<strong>im</strong>mten Fachgebiet.<br />

Die 19 interviewten Lehrpersonen erzählten uns Fälle, die ich anhand meiner<br />

Definition von verbalen <strong>Angriffe</strong>n (2.1<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong>) filterte. Schlussendlich wurden<br />

neun Fälle als auf meine Definition passend erklärt, welche dann analysiert werden<br />

konnten.<br />

2. Schritt: Herauskristallisieren von Hypothesen über Wünsche und Befürchtungen<br />

Wie auch die Transkription, ist die Analyse anonym und datengeschützt. So haben<br />

wir das den Lehrpersonen bei den Interviews gesagt. Die Analyse geht auch ins Unbewusste<br />

hinein. Es werden aus dem 1. Schritt (mit dem SOLL und ANTI-SOLL)<br />

Wünsche und Ängste der Lehrpersonen erschlossen, die ihnen zum Teil auch unbewusst<br />

sein können. Es sind zwei anonymisierte Analysen <strong>im</strong> Anhang, von denen<br />

ebenfalls die Transkriptionen <strong>im</strong> Anhang vorzufinden sind. Die weiteren Analysen<br />

wurden aus Privatsphäre und Datenschutzgründen nicht in den Anhang genommen<br />

(auch <strong>im</strong> Kapitel 3.5 Transkription erläutert).<br />

Die (komplett) unbewussten Wünsche und Ängste wurden psychoanalytisch von Marianne<br />

Ludwig-Tauber (Psychoanalytikerin) analysiert, die diese Kompetenz besitzt.<br />

Dies masse ich mir nicht an selbst zu tun.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 75 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Befragte Personen<br />

4 Ergebnisdarstellung<br />

Das Kapitel ist folgendermassen aufgebaut: Am Anfang beschreibe ich, welche Personen<br />

wir befragt haben (Kapitel: Befragte Personen), um anschliessend die Auswahl<br />

der Erzählungen von verbalen <strong>Angriffe</strong>n zu dokumentieren (Kapitel: Auswahl<br />

der Erzählungen). Dann folgt die Ergebnisdarstellung: Zuerst stelle ich mein Modell<br />

der Erzählungen und Berichte dar (Kapitel: Die Struktur der Erzählungen und Berichte)<br />

und anschliessend sind die Resultate gegliedert nach diesen drei Fragestellungen<br />

(Kapitel: Antworten auf die drei Fragestellungen):<br />

1. Welche verbalen <strong>Angriffe</strong> erzählten die Lehrpersonen?<br />

2. Wie erleben Lehrpersonen den verbalen Angriff?<br />

3. Welche (unbewussten) Wünsche und Befürchtungen können wir in den Erzählungen<br />

analysieren?<br />

Am Schluss wende ich mich noch der Konfliktdynamik zu, da mehr als die Hälfte der<br />

verbalen <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> Rahmen eines bereits über Jahre andauernden Konfliktes, in<br />

welchen die Lehrperson involviert war stattgefunden hatten.<br />

4.1 Befragte Personen<br />

Für die Entwicklung unserer Interviewtechnik befragten wir <strong>im</strong> Vorfeld der Hauptstudie<br />

vier Personen (drei Lehrpersonen und eine Lehrerberaterin), und für die Hauptstudie<br />

befragten wir fünfzehn Lehrpersonen. Einige der Lehrpersonen erzählten uns<br />

Fälle, die nach unserer Definition (2.1 <strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong>) keine verbalen <strong>Angriffe</strong> beinhalteten,<br />

sodass wir schliesslich die Erzählungen von insgesamt neun Lehrpersonen<br />

für die weitere Analyse der Erzählungen auswählten. Diese neun Lehrpersonen sind<br />

zwischen 29 und 54 Jahre alt, vier davon sind Frauen, fünf Männer. Eine Lehrperson<br />

hat zwei Jahre und die erfahrenste Lehrperson hat 32 Jahre Berufserfahrung. Der<br />

Durchschnitt liegt bei den befragen Lehrpersonen bei knapp 16 unterrichteten Schuljahren.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 76 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Auswahl der Erzählungen<br />

4.2 Auswahl der Erzählungen<br />

Im Laufe der Voranalysen wurde klar, dass wir die Definition eines „verbalen Angriffs―<br />

(2.1 <strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong>) nochmals verfeinern mussten (Tabelle 7: Definition und Eingrenzung<br />

des Begriffs „verbaler Angriff―), denn für meine dritte Fragestellung war es<br />

wichtig, dass wir Daten in Form von Erzählungen von konkreten Ereignissen am Tag<br />

X und nicht nur allgemeine Beschreibungen von verbalen <strong>Angriffe</strong>n zur Verfügung<br />

hatten. Es wurde uns auch klar, dass einige Verletzungen <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong> nonverbal<br />

stattfanden, das heisst durch das Verhalten von Eltern oder Schülern und Schülerinnen<br />

ausgelöst wurden. Doch wir konzentrierten uns auf die, an die Lehrperson gerichtete<br />

verbalen Äusserungen mit explizitem Wortlaut.<br />

Als verbalen Angriff definierten wir konkrete Fälle, die an einem Tag X stattfanden<br />

und in welchen eine konkrete, <strong>im</strong> Wortlaut vorhandene verbale Äusserung gegenüber<br />

der Lehrperson gemacht wurde. Mit einem verbalen Angriff meinte ich eine offener,<br />

mündlicher, direkter Angriff eines Schülers, einer Schülerin oder auch vom<br />

Elternteil gegenüber der Lehrperson der an einem Tag X stattfand. Ich konzentrierte<br />

mich ausschliesslich auf verbale <strong>Angriffe</strong>, die entweder von Schülerinnen und<br />

Schülern oder dann von Eltern kamen. Unter verbalen <strong>Angriffe</strong>n verstand ich respektlose/freche<br />

Antworten oder Bemerkungen der Lehrperson gegenüber, die sie<br />

persönlich angriffen und/oder verletzen.<br />

Ausgeschlossen wurden u.a. Fallbeispiele, in welchen der genaue Wortlaut des Angriffs<br />

nicht vorhanden war, sowie Fallbeispiele, in welchen die verletzende Handlung<br />

nonverbal war.<br />

Tabelle 7: Definition und Eingrenzung des Begriffs „verbaler Angriff―<br />

Die neun Lehrpersonen berichteten uns von insgesamt 20 verbalen <strong>Angriffe</strong>n<br />

(Tabelle 8: Transkribierte Erzählungen von verbalen <strong>Angriffe</strong>n in der Schule), <strong>im</strong> Mittel<br />

waren es zwei Fälle pro Person (Median).<br />

Da eine Person oft Fallbeispiele vom gleichen Typus erzählte beschränkte ich mich<br />

aus Kapazitätsgründen auf ein Fallbeispiel pro Person. Wenn eine Lehrperson meh-<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 77 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Die Struktur der Erzählungen und Berichte<br />

rere Fallbeispiele erzählt hatte (max<strong>im</strong>al vier pro Person), wählten wir das prägnanteste<br />

Beispiel für die weitere Analyse aus.<br />

Interviewpersonbezeichnung<br />

P 6 P 7 P 8 P 9 P 10 P 12 P 13 P 15 P 18 Total<br />

Erzählte Fälle 2 2 1 2 4 3 2 2 2 20<br />

Von uns analysierte<br />

Fälle<br />

1 1 1 1 1 1 1 1 1 9<br />

Tabelle 8: Transkribierte Erzählungen von verbalen <strong>Angriffe</strong>n in der Schule<br />

Die folgenden Auswertungen beziehen sich dementsprechend auf neun Fallbeispiele<br />

von verbalen <strong>Angriffe</strong>n, wobei jedes dieser Fallbeispiele eine andere Lehrperson erzählt<br />

hat.<br />

4.3 Die Struktur der Erzählungen und Berichte<br />

Schon in meiner Fragestellung dieser Arbeit war erkennbar, dass ich von den Lehrpersonen<br />

eine Mischform von Erzählung und Bericht erwartete, denn ich interessierte<br />

mich für verbale <strong>Angriffe</strong>. Auch die Frage, wie es dazu kam, wie die Lehrperson gefühlsmässig<br />

darauf reagierte (was der verbale Angriff bei ihr ausgelöst hatte) und wie<br />

die Lehrperson nachher reagiert hatte.<br />

Tatsächlich erhielt ich von den neun Lehrpersonen eine Mischform von Erzählung<br />

und Bericht. Die Erzählung des verbalen Angriffs selbst wurde oft von Gefühlen begleitet.<br />

Der Erzähler versuchte sein Publikum durch seine spezifische Dramaturgie zu<br />

gewinnen. Die darstellende Lehrperson präsentierte etwas, mit Gefühlen, Gedanken<br />

und wörtlichen Reden lebhaft und anschaulich, das auf die partizipierende Hörergemeinschaft<br />

gerichtet war und deren Anerkennung finden sollte. Sie wussten vom<br />

Brief her, was für die Arbeit verlangt war und was wir hören wollten. Während dem<br />

auf der anderen Seite die begleitenden Umstände, d.h. wie es dazu gekommen war<br />

und wie es nachher weiterging, meist der Form eines Berichts rapportiert wurde. Der<br />

Bericht gilt als eine rein sachliche Mitteilung, welcher ohne Gefühle, Gedanken oder<br />

wörtliche Reden Antwort auf Fragen gibt.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 78 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Die Struktur der Erzählungen und Berichte<br />

In fünf der neun Erzählungen war das Ereignis mit dem verbalen Angriff eingebettet<br />

in eine längere Vorgeschichte und hatte auch eine längere Nachgeschichte zur Folge.<br />

Das Ganze könnte man als eine Kurve beschreiben, in welcher eine Spannung<br />

oder ein Konflikt eskalierte und dann entschärft wurde. Der verbale Angriff bildete in<br />

dieser Kurve quasi den Höhepunkt der Konflikteskalation. Da wir Personen befragten,<br />

die sich <strong>im</strong> Lehrberuf bewährt hatten, hatten wir es meistens mit Konfliktgeschichten<br />

zu tun, die von der Lehrperson zu einem befriedigenden Ende geführt wurden<br />

oder von ihr seelisch erfolgreich verarbeitet wurden.<br />

Als erstes Resultat zeige ich die Struktur für die spezielle Mischform von Erzählung<br />

und Bericht, welche ich selbst erarbeitet habe (Abbildung 6 und Abbildung 7).<br />

4.3.1 Kritisches Ereignis, Erzählung, Bericht - Verknüpfung der Begriffe<br />

Abbildung 6: Kritisches Ereignis, Mischform "Erzählung/Bericht" und Verknüpfung der Begriffe<br />

In der Abbildung 6 ist erkennbar, dass das kritische Ereignis, in welchem der verbale<br />

Angriff stattgefunden hat, eher in der Form einer "Erzählung", während die Vor- und<br />

Nachgeschichte eher in der Form des "Berichts" rapportiert wird.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 79 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Die Struktur der Erzählungen und Berichte<br />

Was mir die Lehrpersonen erzählten bzw. berichteten unterteilte ich in drei Phasen.<br />

Phase 1 ist die Vorgeschichte, Phase zwei das Ereignis am Tag X und in Phase 3<br />

kommt dann die Nachgeschichte mit einer eventuellen Konfliktentschärfung.<br />

Im ersten Teil der Geschichte kommen Spannungen, das "Knistern <strong>im</strong> Gebälk" zum<br />

Vorschein. Lehrpersonen beschreiben dort auch die situativen Bedingungen (den<br />

sogenannten "Kontext" und Aussagen, die die Situation begründen und die Lehrperson<br />

entlasten. In dieser Phase beginnt die eigentliche Erzählung, in Abbildung 7 als<br />

"Anfang Bericht/Erzählung" bezeichnet.<br />

Im zweiten Teil geht es um das Ereignis am Tag X, das sie erzählen wollen. Ich definiere<br />

dort klar den Anfang und den Schluss des Ereignisses, welches in den Ablauf<br />

der Mischform "Erzählung/Bericht" eingebettet ist. Darin enthalten ist der verbale Angriff,<br />

der <strong>im</strong> Zentrum des ganzen Konfliktgeschehens steht und den Höhepunkt der<br />

dramaturgischen Darstellung bildet. Möglicherweise gibt es mehrere verbale <strong>Angriffe</strong>,<br />

aber die Lehrperson erzählt von demjenigen, das für sie besonders angreifend und<br />

verletzend ist.<br />

Im dritten Teil oder in Phase 3 steht die Nachgeschichte. Möglicherweise gibt es eine<br />

Nachgeschichte oder auch nicht, je nach dem ob es Andeutungen der Lehrperson<br />

auf weitere Geschehnisse nach diesem Tag X gibt. Der Konflikt kann in Phase 3<br />

entschärft werden oder auch nicht. Es ist jedoch nicht <strong>im</strong>mer so, dass ich dies <strong>im</strong><br />

Rahmen des Interviews erfahren habe.<br />

Diese drei Phasen sind nicht unbedingt in dieser Reihenfolge erzählt worden. Vielmehr<br />

handelt es sich um eine Struktur, die ich den Darstellungen der Lehrpersonen<br />

<strong>im</strong> Nachhinein unterlegt habe. Wichtig ist diese Struktur vor allem für die dritte Fragestellung,<br />

in welcher Hypothesen über mögliche alternative Ereignis- und Konfliktverläufe<br />

formuliert werden (Kapitel: Welche (unbewussten) Wünsche und Befürchtungen<br />

können wir in den Erzählungen analysieren?).<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 80 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Antworten auf die drei Fragestellungen<br />

4.4 Antworten auf die drei Fragestellungen<br />

4.4.1.1 Welche verbalen <strong>Angriffe</strong> erzählten die Lehrpersonen?<br />

Im folgenden geht es um den verbalen Angriff, wie er in der Abbildung 6 als blaues<br />

Kästchen dargestellt ist. Zuerst gebe ich Einblick in die Häufigkeit der verbalen <strong>Angriffe</strong>,<br />

als zweites beschreibe ich die Art der verbalen <strong>Angriffe</strong> und als drittes werden<br />

die Hypothesen über unbewusste Wünsche und Ängste der Lehrpersonen und über<br />

ihre Ressource zur Konfliktentschärfung beschrieben.<br />

4.4.1.1.1 Beschreibung der neun Fälle von verbalen <strong>Angriffe</strong>n<br />

Im Anhang ist die Tabelle 12 "Liste der verbalen <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> ungefähren Wortlaut und<br />

Klassifikation" zu finden. Darin ist eine Zusammenfassung der neun Fälle, der verbale<br />

Angriff <strong>im</strong> Wortlaut (aus dem Transkript), die Zuordnung des verbalen Angriffs zu<br />

Klassen (Typen) und die Unterteilung, ob der verbale Angriff in einen Konflikt eingebettet<br />

ist oder als isoliertes Ereignis dasteht, aufgelistet.<br />

Aus dieser Tabelle <strong>im</strong> Anhang ist folgendes ersichtlich:<br />

<br />

<br />

Von den neun Fällen betreffen fünf verbale Angriff von Elternseite (vier von<br />

Väter, einer von einer Mutter) und vier verbale <strong>Angriffe</strong> von Schülerseite (drei<br />

von einem Schüler und einer von einer Schülerin). Die fünf Elternangriffe waren<br />

auf die Berufskompetenz der Lehrperson gerichtet: Sie enthielten <strong>im</strong> gelinden<br />

Fall eine Kritik an der Kompetenz der Lehrperson (P 8), in den extremen<br />

Fällen wurde ihre Berufseignung angezweifelt oder gar abgesprochen.<br />

Fünf der neun erzählten verbalen <strong>Angriffe</strong> fanden vor Publikum statt, die anderen<br />

unter vier Augen. Vor Publikum heisst, dass der Angriff von Elternseite her<br />

vor anderen erwachsenen Zuhörern stattfanden, von Schülerseite her vor der<br />

ganzen Klasse. Bei den <strong>Angriffe</strong>n von Elternseite betraf dies zwei der fünf<br />

Fallbeispiele: Be<strong>im</strong> einen waren neben der Lehrperson auch noch der Schul-<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 81 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Antworten auf die drei Fragestellungen<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

leiter und die Klassenlehrperson anwesend, und das andere spielte sich in einer<br />

Dorfkneipe vor den Kollegen des betreffenden Vaters am Stammtisch ab.<br />

Drei der fünf Elternbeispiele hatten ohne Publikum stattgefunden, nämlich <strong>im</strong><br />

Rahmen eines Elterngesprächs oder eines Telefonats.<br />

Drei von vier Schülerbeispielen fanden vor der Klasse und eines in einem Einzelgespräch<br />

statt.<br />

Von den neun verbalen <strong>Angriffe</strong> waren fünf eingebettet in eine lang andauernde<br />

Konfliktgeschichte, in welcher sich eine Spannung in der Beziehung zwischen<br />

den Konfliktparteien über Jahre hinweg aufgebaut hatte. Nur vier verbale<br />

<strong>Angriffe</strong> stellten ein isoliert und plötzlich auftretendes Ereignis dar.<br />

Fünf der neun Fälle verbaler <strong>Angriffe</strong> waren die Folge von Spannungen oder<br />

<strong>im</strong> Dreieck zwischen SchülerIn, Lehrperson und Eltern. Die restlichen Erzählungen<br />

waren entweder nur zwischen Lehrperson und SchülerIn oder zwischen<br />

Lehrperson und Elternteil, oder dann ein Dreieckskonflikt, welcher mit<br />

weiteren Konfliktparteien verbunden war (Schulleiter, Klasse, Schulpsychologe<br />

etc.).<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 82 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Antworten auf die drei Fragestellungen<br />

In der Tabelle 9 sieht man eine Häufigkeitsliste der Klassen bzw. Typen. Die Klassifikation<br />

habe ich in Anlehnung an Kreyenberg (2005, S. 16) entwickelt und ergänzt,<br />

wobei mein System Mehrfachzuordnungen erlaubt (Tabelle 3: Die häufigsten Konfliktsymptome<br />

nach Kreyenberg (2005, S. 16)).<br />

Klasse<br />

Häufigkeit<br />

Vorwürfe machen 6<br />

Kritisieren 5<br />

Besch<strong>im</strong>pfen / Beleidigen 5<br />

"Herunterputzen" einer Person 2<br />

Unterstellen (z.B. bösartige Motive unterstellen) 2<br />

Killerphrasen äussern 1<br />

Widersprechen 1<br />

Starres Festhalten an Standpunkten 1<br />

Drohen 1<br />

Belügen 1<br />

Provozieren 1<br />

Tabelle 9: Häufigkeit der Klassen 2<br />

Aus Tabelle 9: Häufigkeit der Klassen geht hervor, dass die meisten verbalen <strong>Angriffe</strong><br />

unter die Klassen „Vorwürfe machen―, „Kritisieren―, und „Besch<strong>im</strong>pfen/Beleidigen―<br />

fallen.<br />

4.4.1.2 Wie erleben Lehrpersonen den verbalen Angriff?<br />

Die Lehrpersonen erzählten <strong>im</strong> Interview von den verbalen <strong>Angriffe</strong>n, die sie erlebt<br />

hatten, auf ihre ganz eigene Art und wir unterbrachen sie möglichst nicht mit Zusatzfragen.<br />

Nur bei Unklarheiten in der Erzählung fragten wir aus Verständnisgründen<br />

nach. Natürlich interessierte uns die Frage, welche Gefühle die verbalen <strong>Angriffe</strong> bei<br />

2 Die neun Fallbeispiele wurden zum Teil mehreren Klassen zugeordnet (Mehrfachzuordnung)<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 83 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Antworten auf die drei Fragestellungen<br />

den Lehrpersonen ausgelöst hatten, aber ich erkundigte mich nicht direkt danach.<br />

Wir überliessen es der Lehrperson, ob sie davon erzählen wollte oder nicht. In vielen<br />

Fällen sprachen die Lehrpersonen nicht direkt davon, wie sich der verbale Angriff auf<br />

sie auswirkte und welche Gefühle er in ihnen weckte. Oft kann man aber viel davon<br />

„zwischen den Zeilen lesen― in der Erzählung. Die Innenwelt der Lehrperson<br />

schwang <strong>im</strong>mer mit, wenn sie vom erinnerten kritischen Ereignis sprach.<br />

Für die Beantwortung der zweiten Fragestellung habe ich nicht „zwischen den Zeilen―<br />

gelesen, sondern ich habe mich auf die explizit geäusserten Gefühle der Lehrpersonen<br />

beschränkt. In Tabelle 10: Gefühlsbeschreibung und Einordnung in Gefühlsklassen<br />

liste ich diese auf. Als Gefühlsäusserung definiere ich wörtliche Aussagen, wenn<br />

sie die Bedingungen von Rosenberg (2000) erfüllen. Wenn in der Erzählung keine<br />

Gefühlsausdrücke vorkommen, habe ich dies in der Tabelle als „keine explizite Beschreibung<br />

des Gefühls― vermerkt.<br />

Das Modell der Gefühlsäusserungen nach Rosenberg hat <strong>im</strong> Unterschied zu demjenigen<br />

von Traxel und Plutchik den Vorteil, dass es sich bei der Definition von Gefühlen<br />

am expliziten Wortlaut orientiert. Ich konnte mich also in diesem Teil der Auswertung<br />

auf die Transkription beziehen und musste nicht „zwischen den Zeilen lesen―<br />

oder deuten, um die Frage zu beantworten, um welches Gefühl es sich handelte. Es<br />

gab zwei Probleme: Verschlüsselte Botschaften dekodieren (Gordon) & Problem der<br />

Auswahl der Textstellen, wo man die Emotionen zu entschlüsseln beginnt. Häufig ist<br />

die ganze Erzählung emotional. Es bräuchte eine Systematik, wie die Textstellen definiert<br />

werden, welche für diese Analyse verwendet wurden.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 84 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Antworten auf die drei Fragestellungen<br />

Ein Beispiel für eine mögliche Analyse mit Traxels und Plutchiks Klassen ist <strong>im</strong> Anhang<br />

zu finden.<br />

Befragte Wörtliche Passagen der Gefühlsäusserungen Klassen<br />

Person der Lehrpersonen 3<br />

P 6 Keine explizite Beschreibung des Gefühls Keine explizite Beschreibung<br />

des Gefühls<br />

P 7 Keine explizite Beschreibung des Gefühls Keine explizite Beschreibung<br />

des Gefühls<br />

P 8 "Das hat mich verletzt, weil...<br />

verletzt (2 mal: Z. 90,94)<br />

... dass der Vater das so negativ aufgefasst<br />

hat, hat mich recht verletzt... "<br />

P 9 "Sie wollen ja, dass ich mich aufrege." aufgeregt (Z.146)<br />

P 10 "... dann wurde ich sehr wütend.<br />

Wütend (3 mal: Z. 184,<br />

188, 193)<br />

Also wirklich, da habe ich wirklich gezeigt,<br />

was das eigentlich ist, jemanden anzulügen.<br />

Ich war wirklich sehr wütend.<br />

P12<br />

Aber nicht, dass ich jetzt weiss nicht wie lange<br />

wütend bin auf dich, das nicht."<br />

"Denn das ist so massiv, da musst du, da<br />

wirst du in deinen Grundsätzen erschüttert,<br />

als Person."<br />

Erschüttert (Z. 280)<br />

3 Die Beschreibung wurde <strong>im</strong> Wortlaut dem Transkript entnommen<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 85 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Antworten auf die drei Fragestellungen<br />

P13<br />

P 15<br />

"In dem Moment, indem so etwas passiert, ist<br />

man <strong>im</strong>mer, gibt es innerlich einen Adrenalinschub,<br />

weil dann bist du so dermassen<br />

schockiert als Lehrer, dass du dich nicht<br />

mehr genau erinnern kannst, was du gemacht<br />

hast. Du bist so wie in einer Art Trancezustand,<br />

weil du weisst, jetzt bist du ganz,<br />

ganz... an einem Punkt, ich meine er ist ja<br />

bekannt gewesen dafür, dass er gewalttätig<br />

war, oder."<br />

"... alles solche Sachen versuchte man zu<br />

verhindern, also eben, unter der Androhung<br />

auch, natürlich denn aus Angst ja wenn ich<br />

denn das machen würde, ich will ja das nicht<br />

riskieren (LP spricht hier von der Suizidandrohung<br />

der Schülerin wenn man sie abstufe)<br />

Schockiert (Z. 378)<br />

voller Angst (R)<br />

Frustriert (Z. 426)<br />

... ich war dann völlig frustriert und habe<br />

sogar geweint dort..."<br />

P 15 Keine explizite Beschreibung des Gefühls Keine explizite Beschreibung<br />

des Gefühls<br />

P 18 Keine explizite Beschreibung des Gefühls Keine explizite Beschreibung<br />

des Gefühls<br />

Tabelle 10: Gefühlsbeschreibung und Einordnung in Gefühlsklassen<br />

In der Tabelle fällt auf dass wenige Gefühlswörter nach Rosenberg benützt worden<br />

sind. Und von neun Lehrpersonen haben vier Personen in ihrer Darstellung gar keine<br />

Gefühlswörter nach Rosenberg benützt.<br />

Bei den anderen fünf Personen zeigen sich folgende Schwerpunkte in dieser Tabelle:<br />

Die Emotionen gehen zum Teil hoch bei verbalen <strong>Angriffe</strong>n. Die fünf Personen haben<br />

ihre Innenwelt mit den Wörtern "verletzt, aufgeregt, wütend, erschüttert, schockiert,<br />

frustriert, voller Angst" beschrieben. Dabei kommen die Gefühlswörter "wütend"<br />

(dre<strong>im</strong>al) und "verletzt" (zwe<strong>im</strong>al) bei mehreren Personen vor.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 86 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Antworten auf die drei Fragestellungen<br />

4.4.1.3 Welche (unbewussten) Wünsche und Befürchtungen können wir in den<br />

Erzählungen analysieren?<br />

Für die Erzählanalyse musste ich das Ereignis in der ganzen Konfliktgeschichte verorten.<br />

In Abbildung 7 stellte ich dar, wie der verbale Angriff in ein Konfliktgeschehen<br />

eingebettet war. Ich entschied mich, Hypothesen über den opt<strong>im</strong>alen und schl<strong>im</strong>msten<br />

Verlauf (Wünsche und Befürchtungen), sowohl für das Ereignis mit dem verbalen<br />

Angriff, als auch für die ganze Konfliktgeschichte bis zur Konfliktentschärfung zu bilden.<br />

In der Abbildung ist das dargestellt mit dem SEIN 1, SOLL 1, ANTI-SOLL 1 und<br />

dem SEIN 2, SOLL 2, ANTI-SOLL 2.<br />

Abbildung 7: Einbettung des verbalen Angriffs in ein Konfliktgeschehen und meine Hypothesen<br />

über opt<strong>im</strong>ale Verläufe (SOLL) und "worst-case-Verläufe (ANTI-SOLL)<br />

Man könnte sagen, dass das Konfliktgeschehen in Form eines Reportings (Berichts)<br />

erzählt wird während dem das Ereignis am Tag X die Form einer "Erzählung" hat.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 87 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Antworten auf die drei Fragestellungen<br />

In Phase 2 starte ich mit der Extraktion des Einleitungssatzes vom Bericht / der Erzählung,<br />

der durch die Startdynamik analysiert wird. Diese ist in der Abbildung nicht<br />

aufgeführt.<br />

Danach werden zwei Perspektiven oder Hypothesen aufgestellt. Dies ist einerseits<br />

die wunscherfüllende Perspektive (SOLL) und die Perspektive der Angstbewältigung<br />

(ANTI-SOLL). Hier unterscheide ich einerseits SOLL, ANTI-SOLL und SEIN vom Erzähl-Anfang<br />

bis zum Erzähl-Ende und andererseits SOLL, ANTI-SOLL und SEIN<br />

vom Ereignisanfang bis ganz zum Ereignisschluss. Im Zwischenteil vom Ereignis-<br />

Ende bis zum Erzähl-Ende kann (muss aber nicht) noch etwas Ablaufen, was die<br />

Hypothesen daraufhin komplett verändern könnte, das die Lehrperson <strong>im</strong> Interview<br />

darstellt. Daher können zwei Arten der Hypothesen aufgestellt werden. Diese sind <strong>im</strong><br />

Analyseraster, wie auch <strong>im</strong> Schema mit SEIN 1, SOLL 1, ANTI-SOLL 1 von SEIN 2,<br />

SOLL 2, ANTI-SOLL 2 unterschieden und sind aus diesem Grund nicht zu verwechseln.<br />

In Phase 3 wird das Konfliktreporting durch eine Konfliktdiagnose analysiert. Diese<br />

Analysephase ist, wie auch <strong>im</strong> Schema vermerkt, nebensächlich in dieser Arbeit.<br />

Hier werden Konfliktparteien, "was dem verbalen Angriff voraus geht" Streitpunkte<br />

und die Eskalationsdynamik (und Anzeichen <strong>im</strong> Vorfeld) geschildert.<br />

In erster Linie wende ich mich den Hypothesen über unbewusste Wünsche in Bezug<br />

auf das sich zuspitzende Ereignis zu, in welches der verbale Angriff eingebettet ist.<br />

Weil ich bei dieser Analyse nach einer ganz anderen wissenschaftlichen Methode<br />

vorgehe bei der Analyse der Erzählungen als in den vorherigen beiden Fragestellungen,<br />

möchte ich erinnern, worauf sich die Hypothesen über den opt<strong>im</strong>alen Verlauf<br />

einer Erzählung stützen und möchte nochmals erklären was (unbewusste) Wünsche<br />

sind:<br />

Unbewusste Wünsche, wie sie sich <strong>im</strong> sogenannten SOLL der Erzählanalyse<br />

kristallisieren, sind Formen des Genusses in Beziehungen und der "Bestätigung<br />

nazistischer Zufuhr in Interaktion mit einem hochgeschätzten Objekt"<br />

(Boothe et al. (2002), S. 111). Das heisst, dass das Ereignis so umgeformt<br />

wird, dass in der Analyse die fantasievolle Lehrperson in der Beziehung mit<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 88 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Antworten auf die drei Fragestellungen<br />

dem Schüler oder den Eltern eine Bestätigung ihres Selbstwertes, Zufriedenheit<br />

und Glück erfahren könnte. Umgekehrt bedeuten Befürchtungen und<br />

Ängste wie sie sich <strong>im</strong> ANTI-SOLL kristallisieren, Erfahrungen und Vorstellungen<br />

"mit hohem Erregungspotential" (Boothe et al. (2002), S. 104), in welchen<br />

sich das Individuum in seinem Genuss bedroht fühlt und unter einer "narzisstischen<br />

Beeinträchtigung in Interaktion mit befürchteten Objekten" (Boothe et al.<br />

(2002), S. 104) leidet. Das heisst, dass in der Erzählanalyse das Ereignis so<br />

umformuliert wird, dass das erzählende Individuum (das erzählende Ich) in<br />

seiner Fantasie max<strong>im</strong>al bedroht würde, in einen unangenehmen Erregungszustand<br />

geriete und in seinem Selbstwertgefühl stark beeinträchtigt würde.<br />

Diese Analyse n<strong>im</strong>mt quasi die unbewusste Phantasietätigkeit des erzählenden<br />

Individuums in Bezug auf mögliche Erzählausgänge vorweg. Die hypothetische<br />

Erschliessung von Wunschthemen erfolgt aus der Analyse der Startdynamik<br />

und des SOLLs, währenddem die hypothetische Erschliessung von<br />

Angstthemen aus der Analyse der Startdynamik und des ANTI-SOLLs erfolgt<br />

(Boothe et al., 2002, S. 94). Auch das SEIN wird in Bezug gesetzt zu den anderen<br />

Polen und bringt Hinweise für die dynamische Organisation der Erzählung<br />

(Boothe et al., 2002, S. 84). Bei der ganzen Analyse ist aber festzuhalten,<br />

dass <strong>im</strong>mer auch subjektive Elemente der analysierenden Person mitschwingen.<br />

Sie erfolgt, entsprechend einem kreisförmigen Prozess nach hermeneutischen<br />

Regeln, welche das Verstehen anleiten und ins Offene, noch nicht Formulierte,<br />

führen. Wenn wir aus dem manifesten Text seinen latenten, unbewussten<br />

Gehalt in Form von Wünschen und Ängsten der erzählenden Person<br />

erschliessen gewinnen wir Hypothesen und nicht gefestigtes Wissen<br />

(Boothe et al., 2002, S. 84).<br />

Hypothesen über unbewusste Wünsche und Ängste der Lehrpersonen und<br />

über ihre Ressource zur Konfliktentschärfung:<br />

Im Folgenden stelle ich als Erstes die Analyse dreier Fallbeispiele <strong>im</strong> Detail vor, um<br />

den Leserinnen und Lesern zu zeigen, wie ich die Fälle analysiert habe. Anschliessend<br />

fasse ich die Hypothesen zu den unbewussten Wünschen und Ängsten aller<br />

neun Lehrpersonen zusammen.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 89 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Antworten auf die drei Fragestellungen<br />

Die drei einzelnen Fälle beschreibe ich <strong>im</strong> Detail, indem ich zuerst den Ablauf des<br />

Ereignisses, in welchem der verbale Angriff aufgetreten ist, beschreibe, anschliessend<br />

die Hypothesen zu den unbewussten Wünschen und Ängsten der Lehrperson<br />

darstelle und schliesslich die Ressource (Stärke) der Lehrperson zur Konfliktentschärfung<br />

herausarbeite.<br />

Für die drei Beispiele stelle ich also folgende drei Punkte dar:<br />

Ablauf des verbalen Angriffs und erste Interpretation<br />

Hypothesen über unbewusste Wünsche und Ängste der Lehrperson<br />

Hypothesen über die Ressource der Lehrperson zur Konfliktentschärfung<br />

Fallbeschreibung P10: Lehrperson wird in Klasse von einem Schüler mehrmals angelogen.<br />

Es geht um Absenzen vom Unterricht wegen Arztterminen.<br />

Ablauf des verbalen Angriffs und erste Interpretation: Die Lehrperson ist in diesem<br />

Beispiel verletzt, weil sie von einem Schüler angelogen wird. Dieser zeigt ihr<br />

einen Zettel mit einem Arzttermin, und lügt sie auch nachdem die Lehrperson aufgezeigt<br />

hat, dass der Zettel kaum von einem Arzt stammt, nochmals direkt an.<br />

Hypothesen über unbewusste Wünsche und Ängste der Lehrperson:<br />

Aus der Analyse stellen sich hier folgende Wünsche der Lehrpersonen dar: Die<br />

Lehrperson wünscht sich, dass Schüler ehrlich zu ihr sind, sie wünscht sich gegenseitigen<br />

Respekt und Vertrauen und sie wünscht sich, dass sie den Schülerinnen und<br />

Schülern diese Werte erfolgreich vermitteln kann. Konkret wünscht sich die Lehrperson,<br />

dass der Schüler seine Lüge zugeben und sich entschuldigen kann. Hingegen<br />

werden erfüllt der Schülerin in diesem Ereignis seine Erwartungen und Wünsche<br />

nicht. Und es werden in der Lehrperson Ängste geweckt, welche tiefe Persönlichkeitsschichten<br />

betreffen. Zu diesen gehört Angst vor Vertrauensverlust, Angst vor<br />

Verlust der Sicherheit, Angst vor dem schrecklichen Zustand, dass man niemandem<br />

(nicht einmal den nächsten) trauen kann.<br />

Hypothesen über die Ressource der Lehrperson zur Konfliktentschärfung:<br />

Interessant an diesem Fall ist, wie die Lehrperson mit ihren Gefühlen umgeht und<br />

diese in die Beziehung hineinträgt und wie sie die Krise in der Beziehung zum Schüler<br />

löst. Diese Lehrperson kann offen mit ihren Gefühlen umgehen, und das zeigt<br />

sich auch darin, dass sie ihre Gefühle in der Erzählung benennt (vgl. Tabelle 10: Ge-<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 90 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Antworten auf die drei Fragestellungen<br />

fühlsbeschreibung und Einordnung in Gefühlsklassen). Sie teilt dem Schüler ihre Wut<br />

mit, und kann dann einen Strich darunter ziehen und neu beginnen. Dadurch bewältigt<br />

sie ihre Verletzung ganz ohne äussere Hilfe. Sie bietet dem Schüler hier eine<br />

Chance, um sich zu entwickeln. Einerseits indem sie ein Modell ist, wie man mit Enttäuschungen,<br />

Verletzungen und Wut umgeht, andererseits indem sie der Verletzung<br />

nicht mit Rache begegnet, sondern verzeihen und neu beginnen kann. Zitat: "Ich habe<br />

ihm dann auch gesagt: ‚schau’, ich habe ihn dann aber so sein lassen und gesagt:<br />

‚du hast einen Scheissdreck gemacht, wir fangen jetzt schon wieder neu an, aber<br />

das bleibt in meinem Hinterkopf, bei dir bin ich von nun an wirklich kritisch. Wenn du<br />

irgendetwas hast, das schwingt mit, das musst du einfach wissen. Aber nicht, dass<br />

ich jetzt weiss nicht wie lange wütend bin auf dich, das nicht.’ Ich glaube das muss<br />

man dann auch können, irgendwann mal einen Strich ziehen und sagen, gut, Mist,<br />

aber es geht weiter.―<br />

Fallbeschreibung P13: Schüler spricht vor versammelter Klasse gegenüber der<br />

Lehrperson eine Gewaltdrohung aus, nachdem er von der Lehrperson wegen Störung<br />

des Unterrichts mehrmals verwarnt worden ist.<br />

Analyse des Ablaufs des verbalen Angriffs und erste Interpretation des Ereignisses:<br />

Der verbale Angriff in dieser Erzählung ist Teil von bereits länger andauernden<br />

Spannungen, in welchen ein schwieriger Schüler, der offenbar wegen Gewaltproblemen<br />

schon bekannt ist, der Lehrperson Sorgen bereitet, denn auch die Klasse<br />

ist schwierig zu führen. Der verbale Angriff des Schülers gegenüber der Lehrperson<br />

bildet die Spitze der Eskalation <strong>im</strong> Konfliktablauf. Der Schüler spricht eine Gewaltandrohung<br />

gegenüber der Lehrperson aus: „Hau der öppe mal eis ad Schnöre!―, und<br />

dies als Antwort auf die mehrmalige mündliche Warnung der Lehrperson wegen Störung<br />

des Unterrichts. Die Lehrperson reagiert in diesem kritischen Moment ruhig und<br />

fragt den Schüler nur: „Was hast du eben gesagt?― Der Schüler geht jetzt wortlos<br />

hinaus.<br />

Vor versammelter Klasse gewinnt die Lehrperson an diesem Punkt den Machtkampf:<br />

Sie schafft es, die Eskalation zu stoppen, indem sie dem Schüler, der offenbar innerlich<br />

kocht, mit ruhiger St<strong>im</strong>me eine Frage stellt. Dieser Moment ist für die Zuschau-<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 91 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Antworten auf die drei Fragestellungen<br />

enden entscheidend, zeigt doch die Lehrperson hier Überlegenheit <strong>im</strong> emotionalen<br />

Bereich: Sie beherrscht sich und bleibt ruhig. Damit n<strong>im</strong>mt sie eine erwachsene Rolle<br />

ein und lässt sich nicht provozieren (Containment nach Bion).<br />

Die Lehrperson n<strong>im</strong>mt anschliessend Kontakt mit den Eltern des Schülers auf, erreicht<br />

am Telefon aber nur den älteren Bruder. Die Lehrperson kann ihm am Telefon<br />

erklären, dass sein kleinerer Bruder sich ein solches Verhalten in der Schule nicht<br />

mehr leisten kann, und dass es für ihn schl<strong>im</strong>me Konsequenzen habe wenn er so<br />

weitermachen würde. Für die Lehrperson ist es jetzt in Ordnung. Auch der Schüler<br />

fügt sich von diesem Zeitpunkt an, wie wir von der Lehrperson vernehmen.<br />

Der Machtkampf ist für die Lehrperson nach der Szene <strong>im</strong> Klassenz<strong>im</strong>mer noch nicht<br />

entschieden. Sie braucht die Kooperation der Eltern. Der ältere Bruder eignet sich<br />

offenbar als Elternvertreter, denn die Lehrperson kann ihr Anliegen bei ihm deponieren<br />

und findet Gehör. Der Bruder n<strong>im</strong>mt die Drohung der Lehrperson entgegen, die<br />

Lehrperson stösst auf Verständnis und Kooperation. Sie hat mit Hilfe des ältern Bruders<br />

als Elterninstanz die Machtverhältnisse wieder ordnen können. Die Hierarchie<br />

st<strong>im</strong>mt wieder und der Konflikt mit dem Schüler ist in diesem Moment für die Lehrperson<br />

gelöst.<br />

Meine Hypothesen über unbewusste Ängste der Lehrperson bewegen sich nach<br />

der Klassifikation unbewusster Ängste nach Boothe (2002, siehe Kapitel Wunscherfüllung<br />

und Angstbewältigung <strong>im</strong> Theorieteil dieser Arbeit) auf den Polen: „Kontrolle<br />

versus Kontrollverlust―, denn die Lehrperson muss vor der versammelten Klasse ihre<br />

Führungsposition behaupten. Wenn ihr das nicht gelingt, droht Chaos und Anarchie<br />

in der Klasse, weil die Hierarchie nicht mehr gewahrt ist. Mit der überlegenen, emotional<br />

ruhigen Reaktion vor der Klasse und der Möglichkeit, dem älteren Bruder in der<br />

Elternrolle das zu sagen, was sie dem Schüler nicht sagen kann, versichert sich die<br />

Lehrperson ihrer Führungsrolle. Die Ordnung (Führungshierarchie) ist auf diese Art<br />

wieder hergestellt.<br />

Meine Hypothesen über unbewusste Wünsche der Lehrperson sind nach der<br />

Wunsch-Klassifikation von Boothe (2002, vgl. Kapitel 2.9.5 Wunscherfüllung und<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 92 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Antworten auf die drei Fragestellungen<br />

Angstbewältigung <strong>im</strong> Theorieteil dieser Arbeit) „der Wunsch nach Selbstwirksamkeit―<br />

und „der Wunsch nach Objektverfügung―: Die Lehrperson wünscht sich, dass - falls<br />

es Störungen <strong>im</strong> Unterricht gibt - ihre Strafen und Verwarnungen sofort wirksam sind,<br />

und sie wünscht sich, dass alle Schüler und Schülerinnen ihren Anweisungen Gehorsam<br />

leisten, dass keine Störungen <strong>im</strong> Unterricht auftreten und dass sie ungestört<br />

unterrichten kann. Ein verständlicher Wunsch für eine Lehrperson, welche die Aufgabe<br />

und Verantwortung hat, eine Klasse zu führen und den Lernenden Wissen und<br />

Kenntnisse zu vermitteln.<br />

Meine Hypothese über die persönlichen Ressourcen zur Konfliktentschärfung:<br />

Der Lehrperson gelingt es, den Konflikt zu entschärfen, indem sie ihre Führungsposition<br />

in doppelter Hinsicht sichert: Einerseits zeigt sie emotionale Überlegenheit vor<br />

dem Publikum der Klasse, denn sie kann sich beherrschen und steigt nicht in die Spirale<br />

der Gewalt ein. Andererseits versichert sie sich später am Telefon mithilfe der<br />

elterlichen Instanz (Bruder) ihres Führungsanspruchs. Dass es sich um einen Machtkampf<br />

handelt, zeigt die Tatsache, dass zuerst der Schüler droht und nachher die<br />

Lehrperson auch droht (am Telefon und gegenüber dem älteren Bruder). Der Konflikt<br />

ist entschärft, denn es bleibt bei der Drohung und der Schüler fügt sich der Autorität<br />

der Lehrperson. Ähnlich wie in der Tierwelt scheint hier eine Ausmarchung zwischen<br />

einem informellen und einem formellen Führer in der Gruppe stattzufinden, und die<br />

Lehrperson als formelle Führungsperson setzt ihre „Alpha―-Rolle durch. Sie hat dadurch<br />

noch ein weiteres Lernziel in emotionaler Hinsicht erreicht: Sie hat den Mitschülerinnen<br />

und Mitschülern am Modell gezeigt, wie man der Gewaltspirale entrinnen<br />

und einen Konflikt entschärfen kann.<br />

Fallbeschreibung P18: Die Lehrperson wird in Dorfbeiz von einem Vater beschuldigt,<br />

den Sohn nicht genug gefördert zu haben sodass dieser jetzt schlechte Berufschancen<br />

hat. Dies erfolgt, nachdem Lehrperson sich jahrelang für den behinderten<br />

Schüler eingesetzt hat und Eltern nicht mit der Lehrperson. kooperiert haben.<br />

Ablauf des verbalen Angriffs und erste Interpretation des Ereignisses: Diese<br />

Erzählung wird von der Lehrperson als eine „lange Geschichte, die bald drei Jahre<br />

andauert― angekündigt. Von Anfang an verhe<strong>im</strong>lichen die Eltern gegenüber der Lehr-<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 93 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Antworten auf die drei Fragestellungen<br />

person die Behinderung des Schülers, und die Lehrperson kann nicht auf ihre Hilfe<br />

zählen, weil diese die Behinderung ihres Sohnes herunterspielen. Dem Sohn fehlt<br />

das von der IV bezahlte Hörgerät oft in der Schule, und die Eltern sagen, es sei in<br />

der Reparatur. Auch in Bezug auf die Lehre versuchen sie zu vertuschen, dass ihr<br />

Sohn noch keine Lehrstelle gefunden hat, sodass die Lehrperson es überprüft. Der<br />

Schüler hat noch keine Lehrstelle und die Lehrperson findet knapp noch eine Lehrstelle<br />

für den Schüler. Wieder verhe<strong>im</strong>lichen die Eltern gegenüber dem Lehrmeister<br />

die Behinderung. Schliesslich kehrt der Vater den Spiess um und beschuldigt die<br />

Lehrperson, den Sohn nicht genügend gefördert zu haben. Die Lehrperson selber ist<br />

verletzt und entschliesst sich, die Beschuldigungen des Vaters richtig zu stellen - um<br />

den Kloss in ihrem Hals zu lösen muss sie es tun - und sie geht in die Dorfbeiz, wo<br />

der Vater unter seinen Stammkollegen diese Gerüchte verbreitet. Dort findet der verbale<br />

Angriff statt. Denn der Vater will die Sache nicht – wie die Lehrperson vorschlägt<br />

– unter vier Augen klären, sondern vor Publikum in der Beiz. Der Vater besch<strong>im</strong>pft<br />

und beschuldigt die Lehrperson, diese bleibt ruhig und legt ihre Seite dar, sodass die<br />

Stammtischkollegen des Vaters auf die Seite der Lehrperson kippen.<br />

Hypothesen über unbewusste Wünsche und Ängste der Lehrperson: Für die<br />

Lehrperson wäre es schl<strong>im</strong>m, wenn die ganze Dorfgemeinschaft mit dem Vater des<br />

Schülers sich gegen sie zusammenschliessen würde und den Vorwürfen des Vaters<br />

glauben würde, sie hätte den Schüler nicht genug gefördert. Dies umso mehr als sie<br />

sich besonders für diesen Schüler eingesetzt hat. Der Angriff des Vaters trifft sie, er<br />

greift ihre berufliche Kompetenz an. Befürchtungen und Ängste gehen also in die<br />

Richtung, dass die Lehrperson ihre berufliche Integrität verlieren würde (Angst vor<br />

Beschämung, Verlust der phallischen Integrität in der Liste von Boothe vgl. Kapitel<br />

Wunscherfüllung und Angstbewältigung in dieser Arbeit). Die unbewussten Wünsche<br />

nach „phallischer Integrität― spielen mit, denn der Ruf der Lehrperson ist in Gefahr<br />

und sie möchte in ihrer Berufsrolle glaubhaft sein und die Vorwürfe zurückweisen.<br />

Sie möchte als Lehrperson ihre Schüler und Schülerinnen opt<strong>im</strong>al fördern, und sie<br />

möchte, dass die Eltern und die Dorfgemeinschaft ihre Wirkung und ihren Erfolg als<br />

Lehrperson anerkennen.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 94 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Antworten auf die drei Fragestellungen<br />

Hypothesen über die Ressource der Lehrperson zur Konfliktentschärfung: Die<br />

Lehrperson muss die Vorwürfe des Vaters zurückweisen, seine Darstellung richtig<br />

stellen und die Öffentlichkeit <strong>im</strong> Dorf auf ihre Seite ziehen, sonst verliert sie die<br />

Glaubhaftigkeit in der Dorfgemeinschaft. Die Ressource der Lehrerperson ist es,<br />

dass sie sich die Vorwürfe und Anschuldigungen nicht gefallen lässt und sich nicht<br />

schmollend zurückzieht, sondern den Mut hat, sich der Auseinandersetzung zu stellen.<br />

Dazu wird sie aktiv: Sie sucht den Vater in der Dorfbeiz, wo er diese verungl<strong>im</strong>pfenden<br />

Gerüchte verbreitet, auf. Der Vater ist es schliesslich, welcher das vor der<br />

Öffentlichkeit tun will. Die Lehrperson hat ihm vorgeschlagen, unter vier Augen zu<br />

reden, doch der Vater bleibt am Dorfbeizentisch sitzen und will die Auseinandersetzung<br />

vor seinen Stammkollegen führen. Er besch<strong>im</strong>pft und beschuldigt die Lehrperson<br />

vor den Augen des Publikums. Die Ehre der Lehrperson ist angegriffen und sie<br />

muss sich jetzt den Vorwürfen stellen. Es gelingt ihr, diese zurückzuweisen und das<br />

Publikum für sich zu gewinnen. Sie n<strong>im</strong>mt den Kampf auf, stellt sich der Auseinandersetzung<br />

und gewinnt den Machtkampf. Sie verteidigt sich erfolgreich. Sie hat auf<br />

mehreren Fronten gewonnen: Sie hat dem Schüler eine Lehrstelle gefunden, hat den<br />

Kampf gegen Verleumdung gewonnen und den Lehrmeister vor weiteren Anschwärzungen<br />

durch den Vater geschützt.<br />

Lehrreich aus diesem Beispiel ist, wie folgenreich eine Verleugnung der Behinderung<br />

des Kindes durch seine Eltern sein kann. Wenn sich Eltern vor der Gefahr der Stigmatisierung<br />

(Abstempelung) durch die Behinderung des Kindes fürchten, und wenn<br />

sie deshalb die Behinderung zu verstecken versuchen, wirken sie der schulischen<br />

Förderung ihres Kindes entgegen. Der unbewusst ablaufende Abwehrmechanismus<br />

der Verleugnung gründet meistens darin, dass es zu schmerzlich wäre, die Realität<br />

anzuerkennen (hier die Realität der Behinderung des Sohnes). Lehrpersonen erwarten<br />

eine solche unglückliche Kettenreaktion, die aus der Abwehr der Verleugnung<br />

entsteht, <strong>im</strong> Allgemeinen nicht. Sie sind auch nicht eingeführt worden in die Kenntnisse<br />

unbewusster Abwehrmechanismen und wissen nicht, wie solche die Realitätswahrnehmung<br />

verzerren.<br />

Nach der Darstellung dreier Einzelfälle zähle ich die Schwerpunkte auf, welche sich<br />

in Bezug auf die Hypothesen über die vorherrschenden unbewussten Wünsche und<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 95 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Antworten auf die drei Fragestellungen<br />

Ängste und die Ressourcen zur Konfliktentschärfung aus der Analyse aller neun Fälle<br />

ergeben haben.<br />

Lehrpersonen wünschen sich - wie meine Hypothesen lauten - Eltern, die am gleichen<br />

Strick ziehen. Die Eltern sollen für sie Ansprechpersonen sein, wenn sie Probleme<br />

mit Schülern oder Schülerinnen haben. Die Lehrpersonen wünschen sich in<br />

schwierigen Situationen loyale Partner.<br />

Vorherrschende Ängste sind - wie meine Hypothesen lauten - alleine, ohne Hilfe<br />

und Unterstützung dazustehen. Für Lehrperson wäre es beängstigend, mit ihrer<br />

Erziehungsaufgabe alleine dazustehen und von den Eltern keine Unterstützung zu<br />

bekommen. Dass sich die Eltern auf die Seite ihres Sohnes oder ihrer Tochter schlagen<br />

und gegen die Lehrperson Stellung beziehen können, ängstigt die Lehrpersonen.<br />

Dazu gehört auch die Konsequenz, dass die Lehrperson die Macht über den<br />

Schüler oder die Schülerin sowie ihren Führungsanspruch in der Klasse verlieren<br />

könnte.<br />

Der Wunsch, in ihrer Berufsausübung anerkannt zu werden, als Lehrperson wirksam<br />

zu sein, und von der Umgebung anerkannt zu sein, ist ein weiterer Schwerpunkt. Der<br />

entsprechende Wunsch ist der Wunsch nach beruflicher Integrität und Anerkennung<br />

<strong>im</strong> Beruf. Lehrpersonen wünschen sich diese von der Umgebung, von der<br />

Schulleitung, von den Eltern, von den Behörden, von der ganzen Dorfgemeinschaft.<br />

Sie möchten einen guten Ruf haben. Entsprechend liegt ein Schwerpunkt in unseren<br />

Hypothesen bei Ängsten vor <strong>Angriffe</strong>n auf die berufliche Kompetenz, vor Vorwürfen<br />

und Kritik, auch vor berechtigter Kritik. Denn dahinter liegt die Angst, bei der Förderung<br />

ihrer Schüler und Schülerinnen nicht erfolgreich zu sein: Die Angst, beruflich<br />

zu versagen.<br />

In vielen analysierten Fallbeispielen habe ich die Hypothese aufgestellt, dass die<br />

Lehrperson sich wünscht, über Schülerinnen und Schüler und somit die ganze Klasse<br />

verfügen zu können. Es schient mir ein klares Kontrollbedürfnis zum Ausdruck.<br />

Dazu gehört auch die Angst vor einem Chaos, das mit dem Verlust von Kontrolle<br />

<strong>im</strong> Klassenz<strong>im</strong>mer einhergeht.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 96 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergebnisdarstellung<br />

Antworten auf die drei Fragestellungen<br />

Bei den Hypothesen zur den Ressourcen einer Lehrperson zur Konfliktentschärfung<br />

zeichnen sich folgende Kompetenzen ab:<br />

Emotional stabil sein: Die Fähigkeit emotional stabil bleiben zu können, selbst<br />

wenn man als Lehrperson massiv angegriffen wird, das heisst sich in der Hitze eines<br />

Angriffs ruhig zu verhalten und den eigenen Führungsanspruch vor der Klasse oder<br />

vor den Eltern geltend zu machen, bei den letztern oft mit der Unterstützung der<br />

Schulleitung und von Fachpersonen (Schulpsychologie, Heilpädagoge). Dazu gehört<br />

auch die Fähigkeit, die Verletzung überwinden zu können ohne eine dauerhafte<br />

Kränkung mit- und nachzutragen.<br />

Im Kontakt bleiben und Beziehung wenn <strong>im</strong>mer möglich nicht abbrechen: Im<br />

Konflikt und nach dem Angriff mit dem Schüler, der Schülerin oder den Eltern <strong>im</strong><br />

Kontakt zu bleiben und sich nicht zurückzuziehen oder den Kontakt abzubrechen.<br />

Interesse für die andere Seite zeigen: Für die Perspektive des Schülers, der Schülerin<br />

oder des Elternteil offen und interessiert zu bleiben, sogar dann wenn man angegriffen<br />

worden ist und sich verletzt fühlt.<br />

Sich ernst nehmen und für sich einstehen können. Auch wenn man –Verständnis<br />

für die andere Seite hat, braucht es Mut für sich selbst einzustehen und sich abzugrenzen.<br />

Kreativität: Im weiteren Vorgehen für kreative Lösungen bereit zu sein.<br />

Hilfe in Anspruch nehmen: Die Fähigkeit und innere Grösse aufbringen zu können,<br />

in einer Auseinandersetzung mit dem Schüler die Eltern anzusprechen, und in einer<br />

Auseinandersetzung die Schulleitung und allfällige Fachpersonen beizuziehen<br />

Notfallstrategien zur Verfügung haben: Zum Beispiel Schüler, der die Lehrperson<br />

reizt, vorübergehend in den Unterricht eines Kollegen zu schicken bevor man explodiert.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 97 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Auswertung der Untersuchungsergebnisse<br />

5 Diskussion<br />

Im folgenden Teil dieser Arbeit werden die Ergebnisse interpretiert. Er gliedert sich in<br />

zwei Teile, wobei der erste die Untersuchungsergebnisse interpretiert, Übereinst<strong>im</strong>mungen<br />

und Widersprüche zu bisherigen Befunden mit Ausblick auf zukünftige Forschungen<br />

darstellt, und der zweite eine persönliche Reflexion beinhaltet.<br />

5.1 Auswertung der Untersuchungsergebnisse<br />

Ich interessierte mich für verbale <strong>Angriffe</strong>, welche Lehrpersonen <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong> erleben,<br />

dazu habe ich zusammen mit Sabrina Talevi ein Interview entwickelt und 19<br />

Personen befragt. Alle befragten Personen erzählten uns von solchen <strong>Angriffe</strong>n, die<br />

sie seitens Eltern oder Schüler und Schülerinnen erlebt hatten.<br />

Die Lehrpersonen sprachen in den Interviews offen über ihre Erlebnisse verbaler <strong>Angriffe</strong>,<br />

und sie gaben uns grosszügig ihre persönlichen Erfahrungen preis. Die Interviews<br />

dauerten <strong>im</strong> Durchschnitt etwa eine Halbestunde. Ich schliesse daraus, dass<br />

die Entscheidung, bekannte Lp zu befragen (und nicht fremde Lp) richtig war, und<br />

dass sich das von uns entwickelte Interviewverfahren und das Setting, in welchem<br />

wir der Frage nach dem verbalen Angriff eine Frage nach positiven Erfahrungen in<br />

der Schule voranstellten, bewährt hat. So konnten wir das Vertrauen der Lehrpersonen<br />

gewinnen, und ich konnte mich in der Auswertung schliesslich auf Daten in der<br />

Form von episodischen Darstellungen verbaler <strong>Angriffe</strong> in der Schule stützen. Auch<br />

wenn ich in dieser Arbeit die positiven Erfahrungen und Glückserlebnisse der Lehrpersonen<br />

nicht ausgewertet habe, sind sie ein wichtiges Datenmaterial. Ja, es<br />

scheint mir gerade aufgrund meiner Resultate besonders wichtig zu sein, dass Lehrpersonen<br />

positive Erlebnisse und Glücksmomente in ihrem Beruf erleben, denn verletzende<br />

und kränkende Erfahrungen würden sonst unweigerlich in einen Burnout<br />

oder zur Berufsaufgabe führen. Meine Kollegin wird in ihrer Masterarbeit die bedeutsamen<br />

positiven Erfahrungen und Momente des Glücks, von welchen uns die Lehrpersonen<br />

auch erzählt haben, auswerten.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 98 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Auswertung der Untersuchungsergebnisse<br />

Unter den erzählten <strong>Angriffe</strong>n und verletzenden Erfahrungen waren etliche nonverbaler<br />

Art und aus diesem Grund schon weggelassen wurden. Aus Kapazitätsgründen<br />

beschränkte ich mich dann auf die Analyse von neun Erzählungen und Berichte über<br />

verbale <strong>Angriffe</strong> in der Schule. Die untersuchten neun verbalen <strong>Angriffe</strong> waren massiv<br />

und haben mich erschreckt. „Vorwürfe machen―, „Kritisieren―, und „Besch<strong>im</strong>pfen/Beleidigen―<br />

waren die häufigsten genannten Klassen, weiter kamen in der von<br />

mir angepassten Klassifikation verbaler <strong>Angriffe</strong> (ausgehend vom Schema „Die häufigsten<br />

Konfliktsymptome― von Kreyenberg, 2005) einzelne Fälle von Killersätzen 4 ,<br />

Provokation, Vorwürfe machen, Kritisieren, Besch<strong>im</strong>pfen / Beleidigen, „Herunterputzen―<br />

einer Person vor, Unterstellen, Widersprechen, starres Festhalten an Standpunkten,<br />

Drohen, Belügen. Von neun Fällen betreffen fünf verbale <strong>Angriffe</strong> von Elternseite.<br />

Diese enthielten <strong>im</strong> gelinden Fall eine Kritik an der Kompetenz der Lehrperson,<br />

in den krassen Fällen Zweifel an ihrer Berufseignung. Die meisten der geschilderten<br />

<strong>Angriffe</strong> waren so massiv, dass sie jede Person getroffen und verletzt<br />

hätten. Ich kann nicht sagen, dass hier eine subjektive Komponente dabei gewesen<br />

wäre, wie ich in meinem Modell zur subjektiven Komponente bei der Kränkung<br />

(Abbildung 4) postuliert habe. Man könnte interpretieren, dass der Konflikt in den fünf<br />

Fällen, in welchen der verbale Angriff in eine langandauernde Konfliktgeschichte eingebettet<br />

war, bereits derart eskaliert war und die Gefühle derart kochten, dass <strong>im</strong><br />

Moment des Angriffs die Selbstkontrolle versagte und verbale Gewalt durchbrach<br />

(Glasl, 2002). Individuelle Unterschiede könnte man bei den Lehrpersonen höchstens<br />

dort postulieren, wo es um die Frage geht, wie andere Lehrpersonen vor der<br />

Eskalation mit dem schwelenden Konflikt umgegangen wären, nicht aber be<strong>im</strong> Erleben<br />

des verbalen Angriffs: Jedermann und jede Frau wäre in den meisten Fällen, die<br />

wir analysiert haben, vom verbalen Angriff verletzt und betroffen gewesen. Dass wir<br />

derart massive Fälle zu hören bekamen, ist vermutlich auch der Auswahl unserer<br />

Lehrpersonen zuzuschreiben. Wir haben erfahrene und kompetente Lehrpersonen<br />

befragt, die sich seit durchschnittlich 16 Jahren <strong>im</strong> Beruf bewährt haben. Diese Personen<br />

können vermutlich kleinere <strong>Angriffe</strong> und Verletzungen <strong>im</strong> Alltag gut verarbei-<br />

4 Killerphrasen sind in der Regel verallgemeinernde Aussagen, oft auch abwertende Du-Botschaften<br />

an das Gegenüber. Sie blockieren kreatives Denken, wirken demotivierend, beeinflussen das Kl<strong>im</strong>a<br />

negativ und sind nach Charles Clark (1973) inhaltlich nahezu leere Argumente, also Scheinargumente<br />

oder Vorurteile.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 99 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Auswertung der Untersuchungsergebnisse<br />

ten und wieder vergessen, und sie erzählten uns <strong>im</strong> Rückblick nur die massivsten<br />

Fälle, diejenigen die sie kaum vergessen oder verdrängen konnten.<br />

Dass die meisten der neun von uns analysierten <strong>Angriffe</strong> derart massiv sind, st<strong>im</strong>mt<br />

mit der Feststellung von Schmidbauer (2007) überein, dass in der modernen Gesellschaft<br />

– <strong>im</strong> Unterschied zu früher - unmittelbar ausgelebt wird, was gefühlt wird. Früher<br />

wurden hochgehende Emotionen in der Kommunikation mit anderen mit Hilfe von<br />

Vernunft, Disziplin, Höflichkeit, Ironie und Humor so „gebrochen―, dass sie für den<br />

andern erträglich wurden. Heute hingegen wird sofort ausgesprochen was gefühlt<br />

wird, ohne Selbstkontrolle und –disziplin, was die Kränkbarkeit der Menschen heute<br />

stark erhöht. Dies ist die These von Wolfgang Schmidbauer. Entsprechend wurden<br />

uns isolierte Ereignisse von unerwartet plötzlichen verbalen <strong>Angriffe</strong>n geschildert, in<br />

welchen beispielsweise eine Mutter die Lehrperson am Telefon massiv besch<strong>im</strong>pfte<br />

und beleidigte, weil ihre Tochter den Raum, in welchem der freiwillige Kurs über Mittag<br />

hätte stattfinden sollen, nicht gefunden hatte. Oder ein Oberstufenschüler rastete<br />

nach mehrmaliger Verwarnung derart aus, dass er gegenüber der Lehrperson eine<br />

verbale Gewaltandrohung äusserte. Solche massiven plötzlichen verbalen Ausbrüche<br />

mit ehrverletzendem oder drohendem Inhalt sind offenbar in jedem Beruf, in welchen<br />

man es mit Menschen zu tun hat, heute keine Ausnahme mehr. Nicht nur Lehrpersonen<br />

müssen damit zurechtkommen, auch für Schalterbeamte, Verkaufsangestellte,<br />

Buschauffeure sind solche Ereignisse leider Teil ihres Alltags geworden, wie<br />

einschlägige Artikel in den Tageszeitungen demonstrieren.<br />

In meinen Resultaten ist das Kränkende an den <strong>Angriffe</strong>n von Elternseite her, dass<br />

die Berufsidentität und die Berufsehre der Lehrperson angegriffen wird. Dieser Befund<br />

st<strong>im</strong>mt mit Wardetzkis Aussage überein: "Kränkungen berühren <strong>im</strong>mer das<br />

Selbstwertgefühl.― Fünf der neun verbalen <strong>Angriffe</strong> fanden zudem vor Publikum statt.<br />

Vor Publikum ist man gewissermassen <strong>im</strong> offenen Schussfeld. <strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> können<br />

die Lehrperson entwürdigen und ihr Selbstvertrauen zerstören. Solche seelische<br />

Verletzungen hinterlassen Wunden. Ich interpretiere dieses Ergebnis übereinst<strong>im</strong>mend<br />

mit der Theorie von Wardetzki zum "wunden Punkt" (Wardetzki, 2000, Kapitel:<br />

Der wunde Punkt). Der wunde Punkt ist eine nicht ganz verheilte Wunde, die bei entsprechendem<br />

Anlass aufbricht. Es sind frühere verletzende Erfahrungen, die das<br />

Selbstwertgefühl angegriffen haben und dann den wunden Punkt bilden. Der wunde<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 100 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Auswertung der Untersuchungsergebnisse<br />

Punkt besteht somit aus alten, unverarbeiteten Verletzungen und löst eine Kränkungsreaktion<br />

hervor, wenn er getroffen wird. In der Abbildung 3: Kränkungsdynamik<br />

nach Wardetzki (2000) habe ich diesen Mechanismus dargestellt. Ich vermute, dass<br />

eine Anhäufung von solchen seelischen Verletzungen, die das Ehrgefühl und Selbstbewusstsein<br />

der Lehrperson treffen, ins Burnout führen kann. Eine weiterführende<br />

Arbeit könnte sich mit seelischen Verletzungen beschäftigen und untersuchen, ob<br />

eine Anhäufung solcher seelischer Verletzungen auch ein Faktor für Burnout ist. Dieses<br />

Thema hat mich in dieser Arbeit <strong>im</strong>mer wieder beschäftigt, und ich habe das letzte<br />

Kapitel der Arbeit der Frage gewidmet: Wie können Lehrpersonen mit verbalen<br />

<strong>Angriffe</strong>n und Verletzungen sowie Kränkungen <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong> umgehen, damit sie<br />

weiterhin mit Freude und voller Kraft – ohne Burnout – unterrichten können? Welche<br />

Strategien bietet uns angehenden Lehrpersonen die Literatur zum Thema der Kränkungsverarbeitung<br />

an?<br />

Wie haben die Lehrpersonen ihre Gefühle beschrieben? Wie haben sie die Wirkung<br />

des Angriffs auf ihr Erleben dargestellt? Von neun Lehrpersonen verwendeten vier<br />

keine explizite Wörter für ihre Gefühle nach Rosenberg (2005), doch waren die Berichte<br />

„zwischen den Zeilen― von Emotionen geladen. Dass vier Lehrpersonen keine<br />

expliziten Wörter für ihre Gefühle in der Erzählung benützten, heisst noch nicht, dass<br />

sie keine Gefühle hatten. Vielmehr ist einerseits zu bedenken, dass die Lehrpersonen<br />

mit unserer Intervieweröffnung aufgefordert waren, das Erlebte sachlich und objektiv<br />

zu berichten oder aber auch emotional gefärbt zu erzählen. Es stand ihnen offen,<br />

ob sie die die Form der emotional gefärbten Erzählung oder die sachliche Berichtform<br />

wählten. Oft erhielten wir auch eine Mischform von Erzählung und Bericht.<br />

Man könnte auch spekulieren, dass einige Personen Mühe haben, ihre Gefühle am<br />

Arbeitsplatz - hier in der Schule - zu zeigen, und deshalb auch in ihrer Darstellung<br />

einer emotional bewegenden Erfahrung wenige Gefühlswörter benützen. So sagt<br />

Rosenberg (2005, S. 59) "... ich habe oft Leute sagen hören, dass sie sich nicht vorstellen<br />

können, an ihrem Arbeitsplatz jemals Gefühle zu zeigen." Diese These Rosenbergs<br />

könnte vielleicht auch erklären, warum einige Lehrpersonen eher in Berichtform<br />

erzählten, als in Erzählform und ihren Auftrag <strong>im</strong> Interview eher als eine<br />

sachliche, objektive Information über verbale <strong>Angriffe</strong> auffassten und weniger als eine<br />

Schilderung ihrer Innenwelt. Doch diese Interpretation bleibt auf der Ebene der<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 101 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Auswertung der Untersuchungsergebnisse<br />

Spekulation. Eine andere eher spekulative Interpretation wäre, dass die Verletzung<br />

bei diesen Personen so gross war, dass sie ihre Gefühle auch <strong>im</strong> Bericht noch unterdrückten.<br />

Wenn ich jetzt die anderen fünf Lehrpersonen, welche be<strong>im</strong> Erzählen ihren<br />

Gefühlen explizit Ausdruck verliehen, betrachte, könnte man bei ihnen sagen, dass<br />

sie sich während des Erzählens in ihrer Verletzlichkeit gezeigt haben. Diese Personen<br />

haben ihr Erleben nach dem verbalen Angriff explizit mit "verletzt, aufgeregt, wütend,<br />

erschüttert, schockiert, frustriert, voller Angst" beschrieben. Diese expliziten<br />

Gefühlsausdrücke sind hier in einer Reihe aufgelistet, stammen aber von verschiedenen<br />

Personen und Ereignissen. Diese Art des Erzählens (mit expliziter Benennung<br />

der eigenen Gefühle) könnte ein Hinweis darauf sein, dass die erzählende Person<br />

auch dem Konfliktpartner gegenüber ihre Gefühle eröffnen kann. Diese Fähigkeit ist<br />

nach Rosenberg für den konstruktiven Umgang mit Konflikten höchst bedeutsam. Die<br />

eigenen Gefühle offen darlegen heisst, sich dem Konfliktpartner zu öffnen und sich<br />

als Mensch in seiner ganzen Verletzlichkeit zu zeigen, denn dann öffnet sich auch<br />

die Konfliktpartner und zeigen etwas von sich selbst. Für diese Hypothese sprechen<br />

auch einige punktuelle Hinweise in meinen Daten. In meinen Ergebnissen zeigt sich,<br />

dass die drei Lehrpersonen, die ihre Gefühle verbalisieren können, eine fortgeschrittene<br />

Konfliktlösestrategie angewendet haben (P10, P13, P15). Die Lehrperson (P 10)<br />

beispielsweise wendete eine fortgeschrittene Konfliktlösestrategie an und sie hat <strong>im</strong><br />

Interview in ihrer Erzählung dre<strong>im</strong>al die Gefühlsäusserung (Rosenberg, 2005) "wütend"<br />

ausgesprochen. Auch gegenüber dem Schüler äusserte sie – wie sie erzählte -<br />

ihre Gefühle, sie sagte nämlich dem Schüler, wie wütend sie sei. Am Schluss kooperierte<br />

sie mit dem Schüler, indem sie einen "Strich darunter zog" und ihm eine neue<br />

Chance gab. Die These über den Zusammenhang zwischen Gefühlsäusserungen<br />

be<strong>im</strong> Erzählen und der emotionalen Kompetenz einer Person be<strong>im</strong> Kommunizieren<br />

<strong>im</strong> Konflikt bleibt hier noch hypothesenhaft und müsste in einer Folgearbeit untersucht<br />

werden.<br />

Wenn ich meine Resultate zu den Konfliktparteien überblicke, sind fünf der neun Fälle<br />

verbaler <strong>Angriffe</strong> die Folge von Spannungen <strong>im</strong> Dreieck zwischen Schüler(-in),<br />

Eltern und Lehrperson. (Die restlichen Fälle beziehen sich entweder nur auf die<br />

Parteien Lehrperson und SchülerIn oder Lehrperson und Elternteil. Es gab jedoch<br />

auch Spannungen, in welche noch weitere Konfliktparteien einbezogen waren wie<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 102 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Auswertung der Untersuchungsergebnisse<br />

Schulhausleiter, Klasse, Schulpsychologe etc.). Der Dreieckskonflikt ist somit die am<br />

häufigsten vorgekommene Arena des Konfliktes. Die Lehrperson ist in der Arbeit mit<br />

Schülerinnen und Schüler auf die Mitarbeit der Eltern angewiesen. Denn die Lehrperson<br />

ist während der Schulzeiten für das Unterrichten und Erziehen der SchülerInnen<br />

verantwortlich, und für den Rest der Zeit sind die Eltern verantwortlich. In der<br />

Pubertät sind Jugendliche mitten in der Identitätsfindung und testen die Grenzen,<br />

welche Erziehungspersonen (hauptsächlich Eltern und Lehrperson) ihnen setzen<br />

müssen. Daher ist eine gute Zusammenarbeit, Koordination und Absprache zwischen<br />

den Erziehungspersonen von grosser Wichtigkeit. Alle sind voneinander abhängig<br />

und müssen zusammenarbeiten. Diese Konstellation ist typisch für das Vorkommen<br />

von Konflikten: Wenn Parteien voneinander abhängig sind, geraten sie eher<br />

in Konflikte, meint Kreyenberg (2005), denn sie können sich nicht einfach aus dem<br />

Weg gehen und die Nichtkooperation eines Partners ist für die Parteien folgenschwer.<br />

Nach Belschners (1976) Studie sind es vor allem Konflikte und Schwierigkeiten <strong>im</strong><br />

Umgang mit verhaltensauffälligen Schülern, die Lehrer in der Schulpraxis als belastend<br />

empfanden. Vor allem Schülerinnen und Schüler (74,5%) bereiten den Lehrpersonen<br />

Schulprobleme und weniger die Eltern (4,1%). In meinen Ergebnissen zeigt<br />

sich hier das Gegenteil. Fünf von neun Fällen von verbalen <strong>Angriffe</strong>n, die uns von<br />

den Lehrpersonen erzählt worden sind, stammen von Elternseite her und nur vier<br />

von Schülerseite. Natürlich habe ich keine quantitative Studie gemacht, und auch<br />

meine Fragestellung nach verbalen <strong>Angriffe</strong>n ist eine andere als die von Belschner,<br />

welcher nach Belastungen in der Schule fragte. Doch haben uns die befragten Lehrpersonen<br />

vor, während oder nach dem Interview erklärt, dass ihnen heutzutage vor<br />

allem Eltern das Leben schwer machen. Am Abend gäbe es oft noch Telefonate von<br />

den Eltern, die auch wegen Kleinigkeiten sofort anrufen würden. Aus unseren Resultaten<br />

interpretiere ich, dass Schülerinnen und Schüler häufiger als früher wagen, sich<br />

gegen die Lehrperson aufzulehnen und dass die Fälle zunehmen, in denen die Eltern<br />

bei Regelverstoss durch ihren Sohn oder ihre Tochter sich mit ihrem Kind solidarisieren<br />

und gegen die Lehrperson Stellung beziehen, zunehmen. Der von uns <strong>im</strong> nächsten<br />

Abschnitt dargestellte Wunsch von Lehrpersonen, bei Erziehungsfragen in den<br />

Eltern loyale Partner zu finden und mit ihnen „am gleichen Strick zu ziehen―, wird in<br />

diesen (Ausnahme-) Fällen leider nicht erfüllt.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 103 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Auswertung der Untersuchungsergebnisse<br />

Fünf der neun erzählten verbalen <strong>Angriffe</strong> waren in eine langandauernde Konfliktgeschichte<br />

eingebettet. In diesen Fällen hatte sich eine Spannung in der Beziehung<br />

zwischen den Konfliktparteien über Jahre hinweg aufgebaut. Nach Glasls Eskalationsdynamik<br />

(1998, Kapitel: Schwellen der Eskalation eines Konflikts) steigt ein Konflikt<br />

<strong>im</strong>mer tiefer ab, wenn er nicht rechtzeitig erkannt und <strong>im</strong> kleinstmöglichen Rahmen<br />

bearbeitet wird. Wenn man die wichtigsten Merkmale der unterschiedlichen Intensitätsstufen<br />

eines Konfliktes (2.3.4 Schwellen der Eskalation) erkennen kann, so<br />

kann man rechtzeitig etwas unternehmen. Man kann weitere Eskalationsschritte verhindern<br />

oder den Konflikt bewusst weiter eskalieren lassen. Man kann für die bestehenden<br />

Differenzen selbst eine konstruktive Lösung finden oder die Erkenntnis fassen,<br />

dass man auf der aktuellen Eskalationsstufe die Probleme nicht mehr selbst in<br />

den Griff bekommen kann und dann Hilfe von aussen suchen. Ich fragte mich, warum<br />

die betreffenden Lehrpersonen nicht vorher Hilfe in Anspruch nahmen, bevor der<br />

Konflikt derart eskalierte. Nahm die Lehrperson die Zeichen der Konfliktdynamik gar<br />

nicht wahr? Oder verdrängte sie diese? Oder wagte sie nicht, hinzuschauen, dass<br />

sie bei diesem Schüler mit ihrem pädagogischen Wirken erfolglos blieb? Oder wollte<br />

sie keine Hilfe in Anspruch nehmen? Im Nachhinein ist man natürlich <strong>im</strong>mer weise,<br />

und ich könnte mir vorstellen, dass alle diese Interpretationen vielleicht zutreffend<br />

sind. Aus der Kasuistik schliesse ich, dass gewisse pädagogische Aufgaben unmöglich<br />

sind: Zum Beispiel kann man einen Schüler, der nichts hört und kein Hörgerät<br />

trägt, <strong>im</strong> Normalunterricht nicht genügend fördern, oder man kann als Sportlehrer<br />

einen Schüler, der motorisch behindert ist, nur begrenzt und <strong>im</strong>mer mit einem gewissen<br />

Verletzungsrisiko verbunden, gemeinsam mit den andern Schülern unterrichten.<br />

Man müsste als Lehrperson dazu stehen können, dass man das nicht kann. Zur eigenen<br />

Begrenztheit stehen ist die Voraussetzung dafür, dass man Hilfe in Anspruch<br />

n<strong>im</strong>mt. Erst wenn die Lehrperson zu ihrer Begrenztheit steht und sagen kann: „Ich<br />

kann unter diesen Umständen meine pädagogische Aufgabe nicht erfüllen―, könnte<br />

sie Massnahmen ergreifen, wie zum Beispiel die Nichtkooperation der Eltern eines<br />

behinderten Kindes be<strong>im</strong> Schulleiter ansprechen und ihn auffordern, mit einer heilpädagogischen<br />

Fachperson und den Eltern zusammenzusitzen und zu besprechen,<br />

wie man mit dem Problem umgehen und es lösen kann. Vielleicht ist es schwierig,<br />

mit dem eigenen Versagen in gewissen Situationen umzugehen und die eigene Begrenztheit<br />

zu stehen.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 104 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Auswertung der Untersuchungsergebnisse<br />

Ich verwendete in dieser Arbeit die Erzählanalyse JAKOB von Boothe (2002). Sie<br />

hat sich für die Eruierung der opt<strong>im</strong>alen und negativsten Entwicklung des Ereignisses<br />

in unseren Erzählungen/Berichten gut geeignet, und sie war die Basis für die Gewinnung<br />

der Hypothesen über Wünsche und Befürchtungen von Lehrpersonen. Die JA-<br />

KOB Erzählanalyse wurde noch nie zuvor in einem schulischen Kontext <strong>im</strong> Zusammenhang<br />

mit Lehrpersonen angewendet. Ursprünglich ist sie als psychoanalytisch<br />

orientiertes Analyseinstrument für Alltagerzählungen aus Therapiegesprächen geschaffen<br />

worden. In den Wünschen und Befürchtungen unserer befragten neun<br />

Lehrpersonen brachte sie ähnliche Angst- und Wunsch-Themen zum Vorschein. Ich<br />

vermute, dass dies darauf zurückzuführen ist, dass wir erstens Personen einer best<strong>im</strong>mten<br />

Berufsgruppe befragt haben, zweitens einen Fokus vorgaben (verbale <strong>Angriffe</strong>)<br />

und drittens in unserem Interview-Setting eine Mischform von Erzählung und<br />

Bericht provozierten. Ich nehme an, dass die Erzählanalyse in freien Alltagserzählungen<br />

und <strong>im</strong> therapeutischen Setting tiefere Schlüsse und differenzierendere Aussagen<br />

über die Psychodynamik einer Einzelperson zulässt als in unserem Fall.<br />

Es ist mein Beitrag, dass ich für die Anpassung der Erzählanalyse an meine Fragestellung<br />

die Struktur der Interview-Darstellungen zuerst erschaffen musste. Ich entwickelte<br />

ein Modell der erzählenden Darstellung für die spezielle Mischform von Erzählung<br />

und Bericht, in welchem der verbale Angriff eingebettet ist in ein kritisches<br />

Ereignis am Tag X sowie die dazugehörende Vor- und Nachgeschichte. Die Struktur<br />

erlaubte mir, den opt<strong>im</strong>alsten und den schl<strong>im</strong>msten Verlauf einerseits für das Ereignis<br />

mit dem verbalen Angriff, und andererseits für die ganze Geschichte mit Ausgang<br />

bzw. Konfliktentschärfung zu entwickeln. Zudem konnte ich mit dieser Struktur auch<br />

Aspekte der Konfliktentstehung und Strategien der Konfliktentschärfung analysieren.<br />

Ich gehe davon aus, dass diese Struktur in zukünftigen Arbeiten, die sich mit kritischen<br />

Ereignissen <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong> befassen und die mit Erzählungen aus offenen Interviews<br />

arbeiten, verwendet werden kann.<br />

Die Resultate zu den Hypothesen über unbewusste Wünschen und Ängste der<br />

befragten Lehrpersonen in Bezug auf ihre Beziehungen in der Schule gehen in<br />

die Richtung, dass sich Lehrpersonen wünschen, dass Schüler, Schülerinnen und<br />

Eltern für sie loyale Partner sind und sie bei den Eltern in schwierigen Situationen<br />

Unterstützung finden. Ebenso hat meine Analyse Kontrollbedürfnisse und Wünsche<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 105 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Auswertung der Untersuchungsergebnisse<br />

nach beruflichem Erfolg und Anerkennung erbracht. Ängste sind: <strong>im</strong> Notfall ganz alleine<br />

und ohne Unterstützung dazustehen, die Macht und Kontrolle über den Schüler<br />

/ die Schülerin oder gar die ganze Klasse zu verlieren, <strong>im</strong> Chaos zu enden, <strong>im</strong> Beruf<br />

zu versagen, einen schlechten Ruf bei Eltern, Dorfgemeinschaft, Schulgemeinde zu<br />

bekommen. Vielleicht habe ich in diesen Schwerpunkten berufsspezifische Ängste<br />

und Wünsche getroffen. Lehrpersonen haben die Aufgabe, für Pflicht und Ordnung<br />

zu sorgen, nur so gelingt ihnen die Förderung der Schüler und Schülerinnen. Lehrpersonen<br />

haben eine Führungsaufgabe, und Führen heisst auch, hin und wieder alleine<br />

dazustehen. Ich habe auch individuelle Verschiedenheiten analysiert, vor allem<br />

in den Strategien zum Umgang mit der Spannung und dem verbalen Angriff. Weil ich<br />

erfahrene und bestandene Lehrpersonen befragt habe, ist als Resultat meiner Analyse<br />

eine ganze Palette von individuellen Ressourcen für die Konfliktentschärfung zusammengekommen:<br />

Emotional stabil sein (versus labil sein), dazu gehört: Ruhig bleiben, Lösung<br />

anstreben, Verletzung überwinden<br />

Im Kontakt bleiben und offen sein (versus Beziehungsabbruch)<br />

Notfallstrategien zur Verfügung haben<br />

Hilfe anfordern können (anstatt Alleinkämpfer sein wollen)<br />

Interessen für Menschen aufrechterhalten auch nach Kränkung (versus Rückzug<br />

in die Isolation)<br />

Flexibel sein (versus auf eigener Meinung verharren)<br />

Kreative Lösungen finden (versus in alten Gewohnheiten und Meinungen verharren)<br />

Diese Strategien haben sich in meiner Analyse der neun Einzelfälle bewährt.<br />

Zum Schluss möchte ich noch einige kasuistische Bemerkungen zur Frage, wie die<br />

Lehrpersonen den verbalen Angriff verarbeitet und wie sie den Konflikt entschärft<br />

haben, anfügen. Es ist zu bewundern, wie gut Lehrpersonen die <strong>Angriffe</strong><br />

verarbeitet haben. Die Theorie besagt, dass wir mit Selbstzweifeln, die bis zur Verunsicherung<br />

unseres Identitätsgefühls reichen können, reagieren, wenn wir durch<br />

Kränkungen in unserem Selbstwertgefühl geschwächt sind und uns nicht respektiert,<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 106 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Auswertung der Untersuchungsergebnisse<br />

wertgeschätzt, angenommen und verstanden fühlen. Doch Oraisons Sprichwort sagt:<br />

"Geboren werden heisst, in Konflikte geraten." Es ist nicht zu umgehen, dass man als<br />

Lehrperson in Konflikte gerät, die Frage ist nur, wie man damit umgeht. Alle interviewten<br />

Lehrpersonen stehen mit einem Durchschnitt von 16 unterrichteten Unterrichtsjahren<br />

<strong>im</strong> Beruf. Alle erzählten Fälle wurden von den Lehrpersonen mehr oder<br />

weniger gut verarbeitet. Es scheint, dass ihre Kränkungs- und Ihre Konfliktverarbeitungsstrategie<br />

so weit fortgeschritten, dass ihnen die erfolgreiche Verarbeitung möglich<br />

war. Nach Wardetzki (2000) hilft ein stabiles Selbstwertgefühl für die erfolgreiche<br />

Kränkungsverarbeitung. Ich nehme an, dass alle unseren erfahrenen Lehrpersonen<br />

über ein solches stabiles Selbstwertgefühl verfügten. Im Folgenden möchte ich einige<br />

Beispiele für Strategien des Umgangs mit verbalen <strong>Angriffe</strong>n kasuistisch aufgreifen<br />

und beschreiben. Ich nehme dabei eine ressourcenorientierte Haltung ein, indem<br />

ich die Strategien nicht vergleiche oder bewerte, sondern ihren je eigenen Vorteil<br />

herausgreife.<br />

Im Fall P 9, indem die Lehrperson <strong>im</strong> Unterricht provoziert wird als Schülerinnen ihr<br />

vorgaukeln, sie könnten den Computer nicht bedienen, nachdem sie schon lange am<br />

Computer gearbeitet haben, hat die Lehrperson nach wenigen Versuchen den Fall<br />

der Klassenlehrperson abgegeben und die Schülerinnen und Schüler mit einem<br />

schriftlichen Verweis bestraft. Sie hat sich nicht lange selbst mit dem Konflikt auseinandergesetzt,<br />

sondern sie hat die für sie <strong>im</strong> Moment unerträgliche Aufgabe an eine<br />

Kollegin bzw. einen Lehrerkollegen abgegeben. Dadurch ist es ihr gelungen, sich<br />

nicht provozieren zu lassen. Vielleicht hat sie einen Wutausbruch, der ja für die Person,<br />

welche die Selbstbeherrschung verliert, beschämend ist, erfolgreich abgewehrt.<br />

Ich erachte das als eine erfolgreiche Notfallstrategie.<br />

In Fall P 15 hatte es die Lehrperson mit einer depressiven Schülerin zu tun, welche<br />

ihr <strong>im</strong> Schlussgespräch eine vernichtende Kritik in Form einer Killerphrase gibt. Die<br />

gemeinsame Zusammenarbeit der letzten Jahre wird von der Schülerin ausnahmslos<br />

entwertet. Die Lehrperson zeigt darauf ihre Gefühle, sie bekommt Tränen, und sie<br />

hält der pess<strong>im</strong>istischen Sichtweise der depressiven Schülerin ihre eigene, opt<strong>im</strong>istische<br />

entgegen. Sie kann damit zwar die Schülerin nur teilweise umst<strong>im</strong>men, hat aber<br />

ihre eigene Sichtweise dargestellt und der Schülerin gezeigt, dass man verletzt sein<br />

kann und die Verletzung überstehen kann. Damit war sie der Schülerin ein Modell für<br />

emotionales Lernen. Später tröstete sich die Lehrperson indem sie an die Aussagen<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 107 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Auswertung der Untersuchungsergebnisse<br />

der Mutter dieser Schülerin zurückdachte, welche ihr dankte und ihren Einsatz über<br />

die Jahre würdigte. Sie konnte sich selbst tröstend beeinflussen, indem sie gezielt<br />

an positive Erfahrungen dachte.<br />

Die Lehrperson <strong>im</strong> Fall P6 wird am Telefon von einer Mutter massiv angegriffen und<br />

beleidigt, weil die Tochter den Raum zum Mittagskurs nicht gefunden hat. Es gelingt<br />

ihr am Telefon, den sachlich richtigen Aspekt der Anschuldigung entgegenzunehmen<br />

und sich dafür zu entschuldigen, sie kann aber die Anschuldigung dort, wo es zu viel<br />

ist, zurückweisen. Sie hört zu, entschuldigt sich für eigenes Vergessen und grenzt<br />

sich gleichzeitig erfolgreich ab. Dies scheint mir eine erfolgreiche Strategie zur<br />

Selbstbehauptung bei gleichzeitiger Offenheit <strong>im</strong> Kontakt zu sein.<br />

Die Lehrperson P 10 wird in der Klasse von einem Schüler mehrmals angelogen. Es<br />

geht um Absenzen vom Unterricht wegen Arztterminen. Konkret wünscht sich die<br />

Lehrperson, dass der Schüler seine Lüge zugeben und sich entschuldigen kann.<br />

Hingegen erfüllt der Schüler in diesem Ereignis seine Erwartungen und Wünsche<br />

nicht. Es werden in der Lehrperson Ängste geweckt, welche tiefe Persönlichkeitsschichten<br />

betreffen. Zu diesen gehört u.a. die Angst vor dem schrecklichen Zustand,<br />

dass man niemandem (nicht einmal den nächsten) trauen kann. Hier zeigt sich, dass<br />

die Lehrperson selbst massiv verletzt ist, dem Schüler ihre Wut mitteilen kann, und<br />

schon nach kurzer Zeit einen Strich darunter ziehen kann. Sie bewältigt ihre Verletzung<br />

ohne äussere Hilfe. Sie bietet dem Schüler auch eine Chance, um sich zu entwickeln.<br />

Einerseits indem sie ein Modell ist, wie man mit Enttäuschungen, Verletzungen<br />

und Wut umgeht, andererseits indem sie der Verletzung nicht mit Rache begegnet,<br />

sondern verzeihen und neu beginnen kann.<br />

Die Lehrperson P8 erfährt vom Vater in einem Elterngespräch, dass die Tochter wütend<br />

nach Hause kommt, auch kritisiert der Vater ihren Stil und meint, sie könne die<br />

Klasse mit weniger Strafen führen. Die Lehrperson ist in diesem Moment verletzt,<br />

doch hört sie dem Vater <strong>im</strong>mer noch zu. Und zwar so gut, dass sie mit der Klasse,<br />

die ihr tatsächlich schon seit Monaten Disziplinschwierigkeiten bietet, einen neuen<br />

Weg geht. Sie bespricht mit der Klasse die Disziplinprobleme und bezieht die Schülerinnen<br />

und Schüler bei der Lösung dieser Probleme mit ein, sie zieht sie somit in die<br />

Verantwortung. Zwar gelingt es nicht, die Disziplinprobleme ganz zu lösen, aber die<br />

Lehrperson kommt mit der Klasse auf eine neue Ebene der Problemlösung. Dieser<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 108 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Umgang mit Verletzungen und Kränkungen<br />

Fall beeindruckt, weil die Lehrperson die Verletzung nicht zum Anlass n<strong>im</strong>mt, sich<br />

aus dem Kontakt zurückzuziehen und zu schmollen. Vielmehr zeigt sie Offenheit <strong>im</strong><br />

Kontakt, Kreativität in der Problemlösung und die persönliche Stärke, eine verletzende<br />

Erfahrung als Chance für einen Neubeginn zu verwerten.<br />

Mein Fazit aus dieser kasuistischen Betrachtung ist, dass viele Wege nach Rom führen.<br />

Es gibt verschiedene "richtige" Konfliktlösestrategien. So wie jede Lehrperson<br />

ein Individuum ist, so hat auch jede ihre individuelle Konfliktlösestrategie und dementsprechend<br />

gibt es unterschiedliche Reaktionen auf die gleiche Ausgangslage eines<br />

Konfliktes. Es stellte sich in den Ergebnissen heraus, dass alle neun Lehrpersonen<br />

Ressourcen für die Lösung des Konflikts oder die Verarbeitung des Angriffs besitzen.<br />

Andererseits gab es Aspekte, die mich nachdenklich st<strong>im</strong>mten. Zum Beispiel erzählte<br />

uns eine Lehrperson ihre Geschichte eines Angriffs von Elternseite in einem kämpferischen<br />

Ton. Es kommt mir vor, wie wenn diese Lehrperson die Aggressionen, welche<br />

ihr von den Eltern entgegenkam, jetzt selbst übernommen hätte. Ich stelle mir da<br />

folgende Fragen: Muss man sich nach verletzenden Erfahrungen mit Eltern von diesen<br />

bedroht fühlen oder geht es auch anders? Und wie viele Kräfte zieht eine defensive<br />

Position gegenüber Eltern vom eigentlichen Lehrberuf ab?<br />

Im letzten Abschnitt widme ich mich der Frage, wie wir Lehrpersonen mit <strong>Angriffe</strong>n,<br />

Verletzungen oder Kränkungen umgehen können, damit wir die Freude an unserem<br />

Beruf erhalten können, und welche Hinweise uns die Fachliteratur zu dieser Frage<br />

gibt.<br />

5.2 Umgang mit Verletzungen und Kränkungen<br />

Um die Freude am Beruf nicht zu verlieren ist es als Lehrperson von grosser Wichtigkeit,<br />

ein gewisses Wissen über den Umgang mit Verletzungen und Kränkungen zu<br />

haben. Ein wichtiger Vorgang be<strong>im</strong> Umgang mit Verletzungen und Kränkungen ist<br />

der Verdrängungsprozess. Alle Lehrpersonen wussten etwas zu erzählen oder zu<br />

berichten, das heisst, verbale <strong>Angriffe</strong> gehören offenbar zum Alltag eines Lehrberufs.<br />

Die Fälle die sie uns erzählten sind die Fälle, die ihnen am meisten in Erinnerung<br />

geblieben sind. Die Lehrpersonen sagten häufig, dass es ganz viele Fälle gäbe, die<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 109 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Umgang mit Verletzungen und Kränkungen<br />

sie erzählen könnten, sie sich aber auf die extremsten beschränken. Der Mensch<br />

vergisst auch möglichst schnell die negativen Erlebnisse, damit er überleben kann.<br />

Man nennt diese Art von Vergessen "Verdrängung". Sigmund Freud stellte vor mehr<br />

als hundert Jahren das erste mal die These auf, dass wir Dinge aus unserem Bewusstsein<br />

schieben können, die dann <strong>im</strong> Untergrund lauern und womöglich in anderer<br />

Form wieder an die Oberfläche kriechen (Stöcker, 2007). Ein Forscherteam aus<br />

den USA will gezeigt haben, dass <strong>im</strong> Gehirn Verdrängung stattfindet. "These results<br />

indicate that memory suppression does occur and, at least in nonpsychiatric populations,<br />

is under the control of prefrontal regions." (Depue et al., 2007)<br />

Depue hat eine evolutionäre Theorie darüber, warum der Mensch das Verdrängen<br />

gelernt haben könnte. Er behauptet, es sei um Steinzeit-Jäger vor ständigen traumatischen<br />

Erinnerungen an fürchterliche Ereignisse zu bewahren. Ein Jäger, der ständig<br />

daran denken musste, dass er kürzlich nur knapp einem Raubtier entronnen ist,<br />

hätte unter diesen Erinnerungen so leiden können, dass er aufgehört hätte zu jagen,<br />

und dann wäre er verhungert (Depue et al., 2007). Verdrängen statt verhungern.<br />

Ebenso, so vermute ich zumindest, geht es auch den Lehrpersonen. Sie verdrängen<br />

negative Erlebnisse, um weiterhin unterrichten zu können. Wenn sie ständig an Negativerlebnisse<br />

denken würden, kämen sie schneller an den Anschlag, was sie zum<br />

Burnout führen könnte. Es ist also von grosser Wichtigkeit, Negativerlebnisse verdrängen<br />

zu können. Depue und seine Kollegen sehen generell den beschriebenen<br />

Prozess des Verdrängens durchaus positiv - vielleicht könnte man die neuen Erkenntnisse<br />

eines Tages einsetzen, um Menschen zu helfen, die sich ständig an Dinge<br />

erinnern müssen, die sie allzu gern vergessen möchten. Patienten, die an posttraumatischen<br />

Belastungsstörungen leiden - etwa Soldaten nach Kriegseinsätzen<br />

oder auch Unfallopfer - werden oft von Flashback-artigen, äusserst unangenehmen<br />

Erinnerungen an ihre Erlebnisse he<strong>im</strong>gesucht. Genauso kann es Lehrpersonen gehen,<br />

die nicht mehr Schlafen können nach Negativerlebnissen in der Schule. Vielleicht,<br />

hofft Depue, könnte solchen Menschen mit Therapieansätzen oder Medikamenten<br />

geholfen werden, die direkt den Verdrängungsweg angehen. Diese sei nun<br />

erstmals so konkret beschrieben worden. (Stöcker, 2007)<br />

Ein anderer Weg, mit Verletzungen und Kränkungen umzugehen ist die Möglichkeit<br />

der Beratung, die genutzt werden kann und soll, sei es ausserhalb oder innerhalb<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 110 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Umgang mit Verletzungen und Kränkungen<br />

des schulischen Kontextes: Denner (2000) schreibt, dass Lehrpersonen in Baden-<br />

Württemberg ausserhalb der bisher skizzierten Formen institutioneller Beratung eigene<br />

Möglichkeiten gefunden haben, ihren Beratungsbedarf zu decken. Sie skizzieren<br />

selbstorganisierte Versuche, für die eigene berufliche und persönliche Weiterentwicklung<br />

zu sorgen: Ausserschulische Beratung <strong>im</strong> privaten Raum durch Möglichkeiten<br />

des Rückzugs und der Psychohygiene, einer Selbsterfahrungsgruppe, einer<br />

Therapie oder einer Heilbehandlung in einer psychosomatischen Klinik. Wieder andere<br />

suchen über einen Ferienkursus oder eine Zusatzqualifikation (z.B. in Gestaltpädagogik,<br />

Themenzentrierter Interaktion (TZI), Neurolinguistischem Programmieren<br />

(NLP) oder in Systemischer Beratung) das, was ihnen hilft, gesund, beruflich engagiert,<br />

kompetent und zufrieden zu bleiben oder zu werden. Den Kolleginnen und Kollegen<br />

bleiben diese Aktivitäten verborgen, falls sich nicht Gleichgesinnte einer Schule<br />

zusammentun. Mit "Supervision", "Pädagogischer Fallbesprechung" und "Kollegialer<br />

Beratung" kommen drei neuere Konzepte der Lehrerberatung in den Blick. Diese<br />

können als individuelle Angelegenheit organisiert sein oder auch zur gemeinsamen<br />

Sache von Kollegen und Kolleginnen einer Schule werden. Im Buch „Supervision―<br />

schreibt Schneider (2000, S. 12):<br />

Wissen und Können tragen letztendlich nur dann zu beruflichem, privatem,<br />

gesellschaftlichem, geistigem und seelischem Wohlergehen bei, wenn es von<br />

sich entwickelnden Persönlichkeiten gelebt wird. Insofern n<strong>im</strong>mt für mich als<br />

Lehrer und Supervisor hinter aller Wissensvermittlung und aller Schulung von<br />

Fertigkeiten und Kompetenzen die Entwicklung und Förderung der Persönlichkeit<br />

<strong>im</strong> Sinne einer reifen professionellen und privaten Rollenidentität eine<br />

Schlüsselposition ein.<br />

Auch jede Mitarbeiterbeurteilung sollte die Förderung der Persönlichkeit und somit<br />

des Selbstvertrauens der Lehrpersonen <strong>im</strong> oben zitierten Sinn zum Ziel haben, wobei<br />

wir wieder bei Wardetzkis Zitat angelangt wären. An der Pädagogische Hochschule<br />

Zentralschweiz Luzern wird ausdrücklich gelehrt, dass man sich als Lehrperson abgrenzen<br />

muss, weil ungenügende Abgrenzung zu Burnout führen kann, was eine<br />

Übereinst<strong>im</strong>mung zu bisherigen Untersuchungen u.a. von Schaarschmidt (2007)<br />

darstellt. Burnout war <strong>im</strong> 8. Semester ein halbes Jahr lang Thema eines Seminars,<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 111 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Umgang mit Verletzungen und Kränkungen<br />

um präventiv darauf vorbereitet zu werden und zu wissen, welche Symptome Anzeichen<br />

für Burnout sind, um diese frühzeitig zu erkennen. Der Lehrberuf gehört bekanntlich<br />

zu den gefährdetsten Berufen für Burnout. Diese Tatsache ist nichts Neues.<br />

Es gibt es schon genügend Untersuchungen und Literatur zum Thema Burnout. Uns<br />

Studenten wurde auch die "Fachstelle für Schulberatung des Kanton Luzern" (fsb)<br />

vorgestellt und zur Nutzung empfohlen.<br />

Bei den verwendeten Gefühlswörtern nach Rosenberg kommen "wütend" und "verletzt"<br />

am häufigsten vor bei den Lehrpersonen. Wut, Ärger und Zorn beschreiben<br />

viele Beteiligte als die unangenehmen Gefühle bei Konflikten. Diese werden von den<br />

Empfängern häufig als <strong>Angriffe</strong> erlebt. Dabei kommen Fragen auf wie: Welcher Umgang<br />

ist mit wütenden Personen angebracht? Wie kann ich am besten mit meiner<br />

eigenen Wut umgehen? Wut ist in solchen Situationen unvermeidlich. In der Einleitung<br />

fragte ich mich, wie sich eine Lehrperson professionell verhalten kann, wenn<br />

solche Emotionen in ihr hochkommen. Im Kapitel 2.4 wurde beschrieben, dass verbale<br />

<strong>Angriffe</strong> nicht objektiv definierbar sind, denn wie wir in Schultz von Thuns 4-<br />

Ohren-Modell gesehen haben ist es individuell, wie der Empfänger eine Nachricht<br />

empfängt. Auch Tücke (2003) beschreibt das subjektive Erleben als die vielleicht<br />

wichtigste Komponente der Emotionen. Die individuelle Interpretation der jeweiligen<br />

Situation spielt nach Tücke dabei eine wichtige Rolle, weil subjektiv erlebte Gefühle<br />

sind situationsspezifisch und variieren von Person zu Person. Unterschiedliche Reize<br />

rufen bei unterschiedlichen Personen unterschiedliche Reaktionen hervor. Ich frage<br />

mich nun was die Fachliteratur sagt, wie man mit den subjektiv empfundenen Gefühlen<br />

umgehen kann, damit die Reaktion als Lehrperson professionell ist. Nach Bauer<br />

(et al. ,1999, S. 15):<br />

Pädagogisch professionell handelt eine Person, die gezielt ein berufliches<br />

Selbst aufbaut, das sich an berufstypischen Werten orientiert, sich eines umfassenden<br />

pädagogischen Handlungsrepertoires zur Bewältigung von Arbeitsaufgaben<br />

sicher ist, sich mit sich und anderen Angehörigen der Berufsgruppe<br />

Pädagogen in einer nicht-alltäglichen Berufssprache verständigt, ihre<br />

Handlungen unter Bezug auf eine Berufswissenschaft begründen kann und<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 112 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Umgang mit Verletzungen und Kränkungen<br />

persönlich die Verantwortung für Handlungsfolgen in ihrem Einflussbereich<br />

übern<strong>im</strong>mt.<br />

Was braucht eine Lehrperson, wenn sie wütend ist, um professionell handeln zu<br />

können? Aus der Wut heraus brechen wir die Beziehung zum Kränkenden ab und<br />

wollen mit ihm nichts mehr zu tun haben. In unserem Trotz sinnen wir häufig auf Rache<br />

und Vergeltung. In der Kränkung drücken wir aus: "So will ich das nicht haben,<br />

da mach´ ich nicht mehr mit" (Wardetzki, 2000). Beschwichtigungen oder Nichtbeachtung<br />

sind meist fehl am Platz, da sie die wütende Person grösstenteils nur noch<br />

mehr erzürnen. Viel hilfreicher ist es, den Ärger ernst zu nehmen. Wut drückt eine<br />

Unzufriedenheit mit dem momentanen Zustand aus, der verändert werden soll. Hier<br />

ist das Verhalten auf die eigene Wut, die man als Lehrperson hat, zu verstehen und<br />

auf der anderen Seite die Wut der Schülerinnen oder Schüler, beziehungsweise der<br />

Eltern, die sich gegenüber der Lehrperson äussert, ernst zu nehmen, um am besten<br />

damit umgehen zu können. Wie kann man aber am besten mit der eigenen Wut umgehen?<br />

Frey (2000) nennt in "Gelassenheit siegt" folgende Punkte, die zum Überwinden der<br />

eigenen Wut zu befolgen sind:<br />

<br />

<br />

<br />

Bewusstheit: Zuerst ist es wichtig Klarheit darüber zu erlangen, was einem<br />

verärgert. Dabei ist es wichtig die inneren und äusseren Faktoren, die ein Ärgernis<br />

auslösen, zu erkennen. Die Gefühle, die ausgelöst werden, widerspiegeln<br />

dabei die Bedürfnisse. Die äusseren Faktoren sind nur der Auslöser der<br />

Gefühle, nicht aber die Ursache.<br />

Bedürfnisse ausdrücken: Sobald die Bedürfnisse identifiziert werden konnten,<br />

die hinter dem Ärger liegen, sollte man versuchen diese in Form von Bitten<br />

auszudrücken. (Dabei ist es wichtig die Bitten nicht wie Forderungen zu formulieren,<br />

da solche konfliktfördernd wären.) Ich-Botschaften, wie sie in der<br />

gewaltfreien Kommunikation (GFK) gebraucht werden, sind hier empfehlenswert.<br />

St<strong>im</strong>mungen beeinflussen: Falls man eine zu Ärger neigende Person ist, soll<br />

man versuchen gezielt über einen gesetzten Zeitraum, beispielsweise eine<br />

Minute, zu lächeln. Man kann dabei feststellen, wie lang eine Minute ist und<br />

wie wenig man es sich gewöhnt ist zu lächeln.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 113 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Umgang mit Verletzungen und Kränkungen<br />

<br />

<br />

<br />

Sich Gutes tun: Viele Menschen sind sehr streng mit sich selbst, wenn sie sich<br />

ärgern oder einen Fehler machen. Belohnungen sind jedoch sehr wichtig und<br />

so sollte man sich selbst jeden Tag drei Dinge vornehmen, die einem Freude<br />

bereiten.<br />

Adrenalin abbauen: Wutausbrüche, Herumtoben und Gewalttätigkeiten helfen<br />

dem Abbau von Wut nicht. Solche Verhaltensweisen können die Ursache der<br />

Wut nicht aus der Welt schaffen, sie richten nur Schäden an und lassen das<br />

Beziehungsumfeld gespannter werden, was zu weiteren Konflikten führen<br />

kann. Zum Abbau von Adrenalin ist es jedoch empfehlenswert Sport zu machen.<br />

So kann man die überschüssige Energie sinnvoll verarbeiten.<br />

Entspannung: Stille, Ruhe und Einsamkeit fördern die Entspannung und ermöglichen<br />

die eigene Gelassenheit wieder zu finden. Auch Lachen hilft hier,<br />

denn es dies ist ja bekanntlich die beste Medizin.<br />

Wie gehe ich damit um, wenn jemand (Schülerin/Schüler oder Elternteil) wütend ist?<br />

Frey (2000) nennt folgende Punkte, um mit der Wut einer anderen Person umzugehen:<br />

<br />

<br />

<br />

Pausentechnik: Zuerst sollte man einfach nur zuhören, den Blickkontakt halten<br />

und schweigen. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Wutausbrüche<br />

nach durchschnittlich etwa sieben Minuten vorbei sind, da den Wütenden<br />

dann die Argumente ausgehen.<br />

Aktiv zuhören: Durch ein inhaltliche Zusammenfassung der Punkte, die das<br />

Ärgernis verursachen und eine Formulierung der dahinter liegenden Bedürfnisse,<br />

kann man das Gehörte besser wahrnehmen. Man kann dabei zwischen<br />

der inhaltlichen Ebene und der eigenen emotionalen Reaktion unterscheiden.<br />

Entschuldigen: Dort wo die Kritik berechtigt ist, sollte man sich entschuldigen<br />

und nach einer sachlichen Lösung des Problems suchen. Wichtig ist es, nie<br />

direkt zu widersprechen, da dies die negative St<strong>im</strong>mung nur anheizen würde.<br />

Viel mehr sollte man sich jetzt auf die Punkte konzentrieren, bei denen man<br />

eine ähnliche Ansicht vertritt. Die Punkte, bei denen man nicht einverstanden<br />

ist, verschiebt man zur Besprechung besser auf später, da das Gegenüber<br />

dann viel eher sachlich reagieren wird.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 114 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Umgang mit Verletzungen und Kränkungen<br />

<br />

<br />

Ziel <strong>im</strong> Auge behalten: Man muss sich fragen, ob es in dieser jeweiligen Situation<br />

mehr Vorteile hat sich einen Wutanfall zu leisten oder das Problem sachlich<br />

anzugehen und so auch das eigenen Ziel zu erreichen.<br />

Energiepotenzial sehen: Um die grundlegenden Bedürfnisse des Anderen zu<br />

sehen, muss man ihn ernst nehmen und das Energiepotenzial erkennen, das<br />

hinter der jeweiligen Aggression liegt.<br />

Diese Art von Wutmanagement kann hilfreich sein. Es ist sicherlich von Vorteil, wenn<br />

man sich dessen bewusst ist. Die Situation der Wut kommt erwartet oder unerwartet,<br />

aber reagieren muss man sofort. Wenn Zeit bleibt, nachzudenken über die Handlung<br />

(Reaktion) einer kritischen Situation, dann öffnen sich weitere Möglichkeiten, welche<br />

<strong>im</strong> ersten Teil der Diskussion schon erwähnt wurden.<br />

Die (unbewussten) Wünsche und Befürchtungen, die sich in dieser Arbeit ergeben<br />

haben, sind also von grosser Relevanz. "Menschliches Verhalten ist zu einem überwiegenden<br />

Teil nicht vernunftorientiert ("kopfgesteuert"), sondern wird überwiegend<br />

durch Gefühle, St<strong>im</strong>mungen und unbewusste Impulse getrieben ("bauchgesteuert")."<br />

(Kreyenberg, 2005, S. 296)<br />

Das bekannte Eisbergmodell veranschaulicht dies ebenfalls. Das Eisberg-Modell des<br />

Bewusstseins geht auf den Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud (1856 -<br />

1939) zurück und ist Teil seiner allgemeinen Theorie der Persönlichkeit. Das<br />

menschliche Bewusstsein ist danach gut zu verstehen, wenn man es mit einem <strong>im</strong><br />

Meer treibenden Eisberg vergleicht. Be<strong>im</strong> Umgang mit Verletzungen und Kränkungen<br />

ist es Verständnis fördernd, wenn man weiss dass die Spitze des Eisbergs die<br />

rationalen sichtbaren Äusserungen auf der Sachebene sind, die getragen werden<br />

von einem verdeckten Berg von Gefühlen auf der Beziehungsebene. Der Konflikt ist<br />

also zum grössten Teil nicht sichtbar aussen.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 115 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Umgang mit Verletzungen und Kränkungen<br />

Der sichtbare Konflikt ist nur die Spitze des Eisbergs; unter der Oberfläche gibt es<br />

alle denkbaren Gründe für den betreffenden Konflikt.<br />

Abbildung 8: Das Eisbergmodell<br />

(http://www.mediation.peterrosenkranz.de/Der_Konflikt/Der_Eisberg/der_eisberg.html<br />

besucht am 24. Oktober 2007)<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 116 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Umgang mit Verletzungen und Kränkungen<br />

Kommunikation beinhaltet auch nach Watzlawick (1990) <strong>im</strong>mer einen rationalen und<br />

eine emotionalen Inhalt. Der emotionale Anteil besitzt ein sehr grosses Gewicht, ist<br />

aber nicht sichtbar! Er wirkt wie ein Eisberg, der nur den Inhalt, die Spitze des Eisberges<br />

zeigt. Emotionale Ungere<strong>im</strong>theiten werden durch rationale Argumente verdeckt.<br />

Abbildung 9: Eisbergmodell nach Schultz von Thun und Watzlawick<br />

(http://www.buchwiss.uni-erlangen.de/Materialien/JanssenEisberg.pdf abgerufen am<br />

24. Oktober 2007)<br />

Je nachdem wie die Lehrpersonen die Äusserungen der Schülerinnen und Schüler<br />

oder der Elternteile "gehört" haben, fühlten sie sich angegriffen oder verletzt.<br />

Für manche Lehrpersonen kann eine Aussage schon ein Angriff darstellen, für andere<br />

noch überhaupt nicht (Schultz von Thuns Modell). Dies war in den Interviews den<br />

befragten Lehrpersonen meist gut anzumerken. Es gab einige, die sich noch nie verbal<br />

angegriffen fühlten. Auf der Selbstkundgabe- sowie auf der Beziehungsebene<br />

läuft hier ein entscheidender Prozess ab.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 117 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Umgang mit Verletzungen und Kränkungen<br />

Auch die eigenen Wünsche und Befürchtungen, die eigenen "wunden Punkte" sollte<br />

man sich bewusst werden. Berckhan schreibt ebenfalls vom "wunden Punkt", der uns<br />

durch andere unabsichtlich verletzen kann, wenn er von ihnen getroffen wird. Dies<br />

sind, wie auch durch Wardetzki (2000) <strong>im</strong> Theorieteil beschrieben "alte seelische<br />

Verletzungen, die noch nicht richtig verheilt sind" (Berckhan, 2003, S. 222). Das kann<br />

nach Berckhan verhindert werden, wenn die Betroffenen darüber reden, was sie verletzt<br />

oder gekränkt hat, statt gleich zurückzuschlagen oder den anderen (z.B. nach<br />

dem Motto "Wie du mir, so ich dir.") zu bestrafen. Allerdings wird hier vorausgesetzt,<br />

dass einem die eigenen wunden Punkte bewusst sind und sich der oder die Betreffende<br />

in der eigenen Seele auskennt, also ein gewisses "Selbstbewusstsein" hat.<br />

Berckhan (2003, S. 18) schreibt, dass "Gefühle und Einstellungen, die wir anderen<br />

Menschen oder best<strong>im</strong>mten Situationen gegenüber haben, von uns selbst verursacht<br />

werden." Es geht darum, wie unsere Selbstsicherheit und Gelassenheit von innen<br />

her entstehen kann. Das "seelische Fundament unserer Selbstbehauptung", schreibt<br />

Berckhan weiter hänge damit zusammen, welches Selbst über unser inneres "Betriebskl<strong>im</strong>a"<br />

best<strong>im</strong>mt. Berckhan nennt das kritisierende Selbst den inneren Kritiker,<br />

das antreibende Selbst den inneren Antreiber. "Bei den meisten Menschen, Frauen<br />

wie auch Männern, beherrschen der innere Kritiker und der innere Antreiber das seelische<br />

Betriebskl<strong>im</strong>a." (Berckhan, 2003, S. 19) Das heisst, das "kritisierende Selbst"<br />

erteilt uns Befehle, es macht uns Vorschriften, droht mit Katastrophen, wenn wir gegen<br />

seine Vorschriften verstossen, vergleicht uns mit anderen und lässt uns dabei<br />

schlechter abschneiden, reibt uns Fehler, Versagen und Misserfolge unter die Nase,<br />

kritisiert unsere Leistung, unsere Art und Weise mit anderen umzugehen, verurteilt<br />

unsere Gefühle und Bedürfnisse und entmutigt uns. Der "innere Antreiber" arbeitet<br />

Hand in Hand mit dem inneren Kritiker zusammen, verlangt von uns Perfektion und<br />

Vollkommenheit, gönnt uns keine Pause, sagt uns, dass wir uns zusammenreissen<br />

sollen und uns anstrengen müssen, sagt uns ständig, was wir noch alles tun müssen<br />

und duldet keine mittelmässigen Leistungen. Berckhan betont, dass es wichtig zu<br />

verstehen ist, dass sowohl der innere Kritiker als auch der innere Antreiber keine bösen<br />

oder verrückten Teile unserer Persönlichkeit sind. "Beide Seelenteile sind in ihrer<br />

positiven Funktion durchaus dienlich und produktiv." (Berckhan, 2003, S. 29). Gefährlich<br />

werden diese Teile der Seele erst, wenn sie übermächtig werden, das heisst<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 118 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Umgang mit Verletzungen und Kränkungen<br />

wenn man ihnen zu viel Macht gibt und gleichzeitig andere Teile unterdrückt. Dies ist<br />

eine Form von Selbstunterdrückung. Berckhan rät, diese unterdrückten Teile der<br />

Seele hervorzuholen und aufleben zu lassen. Dies sei ein Akt von Selbstbehauptung<br />

sich selbst gegenüber. Berckhan schreibt "wenn wir selbst von der Berechtigung unserer<br />

Wünsche und Forderungen überzeugt sind, können wir auch andere davon<br />

leichter überzeugen." Als Lehrperson sollte man sich der eigenen Wünsche und Forderungen<br />

an die Eltern oder Schülerinnen und Schüler bewusst und überzeugt sein,<br />

um sich selbst vor ihnen zu behaupten. Dabei ist wichtig, dass man sich über den<br />

Streit stellen kann, also eine Distanz zum Konfliktgeschehen entwickelt. So kann<br />

man den Streit von aussen sehen und ihn so besser durchschauen. Berckhan nennt<br />

diese Selbstbehauptungsstrategie "inneres Schutzschild".<br />

Nicht für alle Menschen und Interessengruppen in der Schule sind alle Ziele gleich<br />

oder gleich wichtig. Neben schulischen Interessen sind ausserdem auch persönliche<br />

Interessen vorhanden. Für eine Erreichung dieser Ziele nehmen Menschen jeweils<br />

aus ihrem Blickwinkel unterschiedliche Wege und Strategien wahr, wollen möglicherweise<br />

unterschiedliche Handlungswege realisieren (Schütz, 2003). Dabei werden<br />

unterschiedliche Ressourcen genutzt und verschiedene Rollen eingenommen –<br />

private und berufliche Rollen. Möglicherweise widersprechen sich diese Rollen. So<br />

können Lehrpersonen in ihren Ansichten, Überzeugungen, Richtungen, Vorlieben<br />

überein oder nicht übereinst<strong>im</strong>men. Elternteile massen sich zum Teil an, vor allem<br />

wenn sie beruflich selber auch in einer Führungsrolle stehen, der Lehrperson reinzureden<br />

wie sie unterrichten sollten. Letztlich beeinflussen Personen mit ihrer Persönlichkeit<br />

das Geschehen, insbesondere wenn es sich eben um Führungspersonen<br />

handelt.<br />

Grundsätzlich hat in der heutigen Zeit zuerst der Sohn oder die Tochter recht, egal<br />

was passiert ist. Früher haben die Eltern grundsätzlich der Lehrperson geglaubt und<br />

die Tochter oder der Sohn wurde bestraft. Diese Haltung der Eltern gibt den Schülerinnen<br />

und Schülern Selbstvertrauen und sie getrauen sich eine Lehrperson zu testen.<br />

Sie wissen und nutzen dies vielleicht zu einem gewissen Grad auch aus, dass<br />

ihre Eltern grundsätzlich hinter ihnen stehen. Dies führt meiner Meinung nach auch<br />

zu Provokationen. Eine Lehrperson drückte dies mit "Kritisieren" aus, was auch ein<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 119 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Umgang mit Verletzungen und Kränkungen<br />

wenig in diesen Bereich hinein geht. Diese Schülerin wagte sich die Lehrperson unter<br />

vier Augen zu kritisieren und machte ihr Vorwürfe. Dies könnte ein ähnlicher<br />

Grund haben. Dazu kommt in diesem Fall vielleicht, dass die Schülerin wusste, dass<br />

die Lehrperson sie in der Klasse behalten hatte, weil sie eine Drohung aussprach,<br />

welche Wirkung zeigte. In einem gewissen Mass hatte diese Schülerin die Lehrperson<br />

<strong>im</strong> Griff. Wie könnte sie sich dagegen wehren? Die Lehrperson hat nicht nur mit<br />

dieser Schülerin eine sozialpädagogische Aufgabe, sonder vielmehr braucht sie in<br />

dieser Situation eine psychologische Hilfskraft. Bei der Beantwortung der zweiten<br />

Fragestellung zeigte sich in diesem Fall, dass die Schülerin unter einer Depression<br />

leidet. Die Lehrperson hätte durch eine Supervision bei einer psychologischen Beraterin<br />

(zum Beispiel der fsb) diese Depression vorausgesehen und sich so schützen<br />

können.<br />

Früher hatte man in der Sekundarlehrerausbildung keine Veranstaltung über Konfliktmanagement.<br />

In der heutigen Zeit ist es als Lehrperson wichtig, vorbereitet zu<br />

sein auf "kritische Ereignisse <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong>". Möglichkeiten wie man ein Konfliktgespräch<br />

führen kann und Grundregeln der Kommunikation in der Gesprächsführung<br />

lernt man in der heutigen Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule <strong>im</strong> Modul<br />

Kommunikationstraining. Es ist nicht zu erwarten, dass zukünftige Lehrpersonen nur<br />

durch ein Modul wissen wie man reagieren kann in kritischen Situationen, aber sie<br />

haben zumindest Möglichkeiten aus der Gesprächsführung kennengelernt. Dazu wäre<br />

es von Vorteil, wenn man vor allem als junge, unerfahrene Lehrperson regelmässig<br />

eine Supervision oder ein Coaching besuchen müsste. Auch wenn man selbst<br />

nichts merkt, das sich anbahnen könnte, merkt die Supervisorin früher, wenn sich<br />

etwas anbahnt oder kann unerklärliche Situationen verständlich machen. Sie kann<br />

einer jungen Lehrperson Konfliktlösestrategien aufzeigen, die ihr hilfreich sein könnten.<br />

Nur ein Bruchteil ist wahrnehmbar.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 120 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Diskussion<br />

Umgang mit Verletzungen und Kränkungen<br />

Fazit: In dieser Arbeit glaube ich gezeigt zu haben, dass es <strong>im</strong> emotionalen Bereich<br />

ganz best<strong>im</strong>mte Anforderungen an die Beziehungskompetenz der Lehrperson gibt,<br />

wenn sie <strong>im</strong> Lehrberuf ohne Burnout bestehen will. Dazu gehört die Fähigkeit, die<br />

Aufgabe für Kontrolle und Ordnung <strong>im</strong> Klassenz<strong>im</strong>mer zu sorgen, mit der Aufgabe <strong>im</strong><br />

Kontakt offen zu sein, trotz Verletzungen neugierig zu bleiben und für kreative Lösungen<br />

flexibel zu sein, zu vereinbaren. Vor allem gehört ein gutes Selbstwertgefühl<br />

dazu, damit Kränkungen welche durch spontane emotionale Ausbrüche, sowohl auf<br />

Schüler, wie auch auf Elternseite vorkommen zu verarbeiten und zu überwinden und<br />

sich nicht zurückzuziehen oder Beziehungen nicht abzubrechen.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 121 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Literaturverzeichnis<br />

6 Literaturverzeichnis<br />

Belschner, W. (1976). Schulprobleme: Schwierigkeiten in der Beziehung zwischen<br />

Lehrer und Schüler. In W. Belschner, M. Hoffmann, F. Schott, & C. Schulze (Hrsg.),<br />

Verhaltenstherapie in Erziehung und Unterricht (Bd. I Grundlagen, S. 13-35). Stuttgart:<br />

Klett.<br />

Berckhan, B. (2003). Die etwas gelassenere Art, sich durchzusetzen. München:<br />

Wilhelm Heyne Verlag.<br />

Bickhoff, M. (2004). Psychische und körperliche Belastung bei Lehrkräften. Eichstätt:<br />

BPB-Verlag.<br />

Boothe, B. (1994). Der Patient als Erzähler in der Psychotherapie. Göttingen:<br />

Vandenhoeck & Ruprecht.<br />

Boothe, B. (2007). Klinische Erzählanalyse - JAKOB. Skript aus der<br />

Supervisionsstunde, 26. April 2007.<br />

Boothe, B. (1999). Psychoanalyse <strong>im</strong> Dialog - Im psychotherapeutischen Alltag und<br />

<strong>im</strong> literarischen Kontext. (A. von Wyl, Hrsg.) Bern: Peter Lang AG, Europäischer<br />

Verlag der Wissenschaften.<br />

Boothe, B., Gr<strong>im</strong>mer, B., Luder, M., Luif, V., Neukom, M., & Spiegel, U. (Oktober<br />

2002). Manual der Erzähanalyse JAKOB. Berichte aus der Abteilung Klinische<br />

Psychologie .<br />

Bütting, K.-D. (2002). Praktische Stilistik: Schreibaufgaben. Abgerufen am 21.<br />

November 2003 von<br />

http://www.uni-essen.de/linguistik.buenting/Stilaufgaben_2002.pdf<br />

Clark, C. (1973). Brainstorming. Methoden der Zusammenarbeit und Ideenfindung.<br />

München: Verlag Moderne Industrie.<br />

Definition Bericht. (Juni 2007). Abgerufen am 07. Juni 2007 von<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Bericht<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 122 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Literaturverzeichnis<br />

Definition Erzählung. (Mai 2007). Abgerufen am 07. Juni 2007 von<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Erzählung<br />

Denner, L. (2000). Gruppenberatung für Lehrer und Lehrerinnen - eine empirische<br />

Untersuchung zur Wirkung schulinterner Supervision und Fallbesprechung. Bal<br />

Heilbrunn: Klinkhard.<br />

Depue, B. E., Curran, T., & Banich, M. T. (Juli 2007). Prefrontal Regions Orchestrate<br />

Suppression of Emotional Memories via a Two-Phase Process. Abgerufen am 18.<br />

Oktober 2007 von http://www.sciencemag.org/cgi/content/abstract/317/5835/215<br />

Der Bericht. (kein Datum). Abgerufen am 7. Juni 2007 von<br />

http://www.zum.de/Faecher/Materialien/dittrich/Berichten/Theorie_Berichten.htm<br />

Die neun Eskalationsstufen nach F. Glasl. (2006). Abgerufen am 15. Oktober 2007<br />

von http://www.humanfocus.at/de/downloads/Eskalationsstufen.pdf<br />

Döring, D. (Juni 2007). Tief getroffen - Wie Sie auf Kränkungen richtig reagieren.<br />

Psychologie Heute , S. 26-29.<br />

Fölling-Albers, M. (1995). Schulkinder aus Lehrersicht - Unterricht und Schulleben<br />

unter veränderten Sozialisationsbedingungen. In H. Eberwein, & J. Mand (Hrsg.),<br />

Forschen für die Schulpraxis (S. 88-102). Weinhe<strong>im</strong>: Deutscher Studien-Verlag.<br />

Glasl, F. (2002). Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte,<br />

Beraterinnen und Berater. Bern, Stuttgart: Verl. Freies Geistesleben.<br />

Glasl, F. (1998). Selbsthilfe in Konflikten. Stuttgart: Verl. Freies Geistesleben.<br />

Glossar wissenschaftlicher Texsorten. (kein Datum). Abgerufen am 7. Juni 2007 von<br />

http://www.ph-freiburg.de/deutsch/vademec/glossar.htm<br />

Jung, C. G. (1978). Psychologische Typen, Gesammelte Werke (Bd. VI). Olffen:<br />

Walter.<br />

Kopka, A., & Brindt, S. (1999). Pädagogische Professionalität und Lehrerarbeit. (K.-<br />

O. Bauer, Hrsg.) Weinhe<strong>im</strong> und München: Juventa.<br />

Kreyenberg, J. (2005). Handbuch Konfliktmanagement. Berlin: Cornelsen.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 123 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Literaturverzeichnis<br />

Luft, J. (1972). Einführung in die Gruppendynamik. Stuttgart: Klett Verlag.<br />

Rosenberg, M. (2005). Gewaltfreie Kommunikation - eine Sprache des Lebens.<br />

Paderborn: Junfermann Verlag.<br />

Schaarschmidt, U. (2007). Gerüstet für den <strong>Schulalltag</strong>. Weinhe<strong>im</strong>: Belz.<br />

Schneider, J. (2000). Supervision, Supervidieren & beraten lernen. Paderborn:<br />

Junfermannsche Verlagsbuchhandlung.<br />

Schütz, P. (2003). Grabenkriege <strong>im</strong> Management. Frankfurt: Ueberreuter.<br />

Schulz von Thun, F. (1981). Miteinander reden 1 - Störungen und Klärungen.<br />

Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuchverlag.<br />

Schulz von Thun, F. (1989). Miteinander reden 2 - Stile, Werte und<br />

Persönlichkeitsentwicklung. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuchverlag.<br />

Schulz von Thun, F., Ruppel, J., & Stratmann, R. (2000). Miteinander reden für<br />

Führungskräfte. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuchverlag.<br />

Stöcker, C. (Juli 2007). Negative Erinnerungen - Hirn be<strong>im</strong> Verdrängen beobachtet.<br />

Abgerufen am 18. Oktober 2007 von<br />

http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,494236,00.html<br />

Storch, M., & Krause, F. (2002). Selbstmanagement - ressourcenorientiert.<br />

Grundlagen und Trainingsmanual für die Arbeit mit dem Zürcher Ressourcen Modell.<br />

Bern: Huber.<br />

Tücke, M. (2003). Grundlagen der Psychologie für (zukünftige) Lehrer. Münster: LIT<br />

Verlag.<br />

Wardetzki, B. (2000). Ohrfeigen für die Seele - Wie wir mit Kränkung und<br />

Zurückweisung besser umgehen können. München: Kösel Verlag.<br />

Watzlawick, P., & Beavin, J. H. (1990). Menschliche Kommunkation - Formen,<br />

Störungen, Paradoxien. Bern: Huber.<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 124 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Abbildungsverzeichnis<br />

7 Abbildungsverzeichnis<br />

Abbildung 1: Kommunikationsquadrat von Schultz von Thun ................................... 14<br />

Abbildung 2: Eskalationsdynamik von Konflikten nach Glasl, 1998 .......................... 30<br />

Abbildung 3: Kränkungsdynamik nach Wardetzki (2000) ......................................... 33<br />

Abbildung 4: <strong>Verbale</strong>r Angriff und Verletzung (Kränkung) ........................................ 35<br />

Abbildung 5: Johari-Fenster ...................................................................................... 64<br />

Abbildung 6: Kritisches Ereignis, Mischform "Erzählung/Bericht" und Verknüpfung der<br />

Begriffe ..................................................................................................................... 79<br />

Abbildung 7: Einbettung des verbalen Angriffs in ein Konfliktgeschehen und meine<br />

Hypothesen über opt<strong>im</strong>ale Verläufe (SOLL) und "worst-case-Verläufe (ANTI-SOLL)<br />

................................................................................................................................. 87<br />

Abbildung 8: Das Eisbergmodell ............................................................................. 116<br />

Abbildung 9: Eisbergmodell nach Schultz von Thun und Watzlawick ..................... 117<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 125 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Tabellenverzeichnis<br />

8 Tabellenverzeichnis<br />

Tabelle 1: Prozentuale Häufigkeiten der Schulprobleme aus der Sicht der Lehrperson<br />

bezogen auf einzelne Kategorien. Zitiert nach Belschner (1976), S. 19. .................. 11<br />

Tabelle 2: Konfliktarten nach Kreyenberg (2005, 25f) .............................................. 19<br />

Tabelle 3: Die häufigsten Konfliktsymptome nach Kreyenberg (2005, S. 16) ........... 27<br />

Tabelle 4: Differenzierung von Konflikten aufgrund unterschiedlicher Fragen zu den<br />

beteiligten Parteien (Glasl vs. Kreyenberg) .............................................................. 29<br />

Tabelle 5: Gefühlsäusserungen nach Rosenberg (2005, S. 64) ............................... 41<br />

Tabelle 6: Vergleich Erzählung – Bericht .................................................................. 51<br />

Tabelle 7: Definition und Eingrenzung des Begriffs „verbaler Angriff― ...................... 77<br />

Tabelle 8: Transkribierte Erzählungen von verbalen <strong>Angriffe</strong>n in der Schule ........... 78<br />

Tabelle 9: Häufigkeit der Klassen ............................................................................. 83<br />

Tabelle 10: Gefühlsbeschreibung und Einordnung in Gefühlsklassen ...................... 86<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Seite 126 von 126


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Anhang<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

A. INTERVIEWLEITFADEN<br />

B. BRIEF<br />

C. TRANSKRIPTIONEN<br />

D. ANALYSERASTER - LEER<br />

E. ANALYSERASTER – ZWEI ANONYMISIERTE FÄLLE<br />

F. ERGÄNZENDE THEORIE<br />

F.1 Kommunikationsmodell nach Schultz von Thun<br />

F.2 Konfliktparteien<br />

F.3 Ergänzung zu den Emotionstheorien von Plutchik und Traxel<br />

F.3.1 Ansatz nach Plutchik (1980)<br />

F.3.2 Ansatz nach Traxel (1963)<br />

F.4 Ergänzungen zur Erzählanalyse JAKOB<br />

F.5 Prototypische Wunsch- und Angstthemen der Erzählanalyse JAKOB<br />

G. ANHANG ZU DEN ERGEBNISSEN<br />

H. IDEEN FÜR WEITERFÜHRENDE ARBEITEN<br />

H.1 Gefühlsdeutungen Emotionsschemen<br />

Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007 Anhang


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Interviewleitfaden<br />

A. Interviewleitfaden<br />

Fragebogen an die Lehrpersonen<br />

1. Informationen zur LP (anfangs Interview abzuklären)<br />

Fallnummer:<br />

Alter:<br />

Geschlecht:<br />

Anzahl unterrichtete Schuljahre und Klasse/Stufe:<br />

Aktuelle Tätigkeit (Klasse, Stufe?):<br />

Vorbildung der LP:<br />

2. Mündliche (neutrale) Einleitung für die Interviews<br />

(bei jedem Interview gleich):<br />

„Wie du dem Brief bereits entnehmen konntest, machen wir eine Masterarbeit an der<br />

PHZ.<br />

Bei dieser Arbeit interessiert mich was du als Lehrperson <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong> alles hören<br />

darfst oder musst.“<br />

3. Interview<br />

a. Schilderung eines positiven Ereignisses<br />

„Hat dir ein Schüler oder ein Elternteil schon mal etwas gesagt, dass dich bestätigt<br />

oder glücklich gemacht hat?<br />

Bitte erzähl mir vom Anfang bis zum Schluss der Reihe nach wie es dazu gekommen<br />

und was passiert ist.“<br />

Zum Beispiel: Es war Montagnachmittag, als Schülerin X auf mich zukam, mir Y erzählte<br />

und ich mich Z fühlte, weil ... "<br />

Beispiel = Erzählstrukturhilfe<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Interviewleitfaden<br />

b. Schilderung eines kritischen oder negativen Ereignisses<br />

„Hat dir schon mal ein Schüler oder ein Elternteil etwas gesagt, das dich angegriffen<br />

oder verletzt hat?<br />

Bitte erzähl mir vom Anfang bis zum Schluss der Reihe nach wie es dazu gekommen<br />

und was passiert ist.“<br />

Zum Beispiel: Es war Montagnachmittag, als Schülerin X auf mich zukam, mir Y erzählte<br />

und ich mich Z fühlte, weil ... "<br />

Beispiel = Erzählstrukturhilfe<br />

bb. Präzisierung des Falls<br />

Sollte das Ereignis nicht komplett ausformuliert sein, dann werden weitere Fragen<br />

gestellt, um den Fall vollständig festzuhalten. Dabei müssen sich<br />

SEIN (tatsächliche Entwicklung, tatsächlicher Ablauf)<br />

SOLL (opt<strong>im</strong>ale Zielerreichung unter Berücksichtigung der gegebenen Ausgangsbedingungen)<br />

ANTI-SOLL (max<strong>im</strong>ale Zielverfehlung unter Berücksichtigung der gegebenen<br />

Ausgangsbedingungen)<br />

rauskristallisieren.<br />

Mögliche Fragen:<br />

Aus welchen Gründen entstand dieser Angriff?<br />

(Hintergrundinfo, Vermutung der LP, evt. Vorgeschichte)<br />

Relevanz dieser Frage? Wichtig für Erzählanalyse?<br />

Wie haben sie direkt und wie später darauf reagiert?<br />

(SEIN)<br />

Was wurde daraus gelernt? Würden sie <strong>im</strong> Nachhinein anders reagieren? Wie?<br />

(SOLL)<br />

Was empfehlen sie jungen LP, wie uns? Was möchten sie uns auf den Weg mitgeben?<br />

(Empfehlung best<strong>im</strong>mter Techniken der Gesprächsführung / Konfliktmanagement?<br />

Prävention?)<br />

Gehört nicht zur Erzählanalyse. Es interessiert uns und ist evt. hilfreich.<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Brief<br />

B. Brief<br />

Adresse Studentin 1<br />

XXX<br />

XXX<br />

Luzern, Datum<br />

Schulhaus XY<br />

XXX<br />

XXX<br />

Lieber (Name der Lehrperson)<br />

Wie ich Dir bereits erzählt habe schreibe ich mit (Name der Studentin 2) der die Masterarbeit.<br />

In diesem Zusammenhang machen wir Interviews und wollten dich anfragen, ob du bereit<br />

bist ein solches Interview mit uns durchzuführen.<br />

In unserer Masterarbeit geht es um Aussagen, die eine Lehrperson <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong> hört und<br />

womit sie konfrontiert ist.<br />

Wir werden dir folgende Fragen stellen:<br />

<br />

<br />

„Hat dir ein Schüler oder ein Elternteil schon mal etwas gesagt, dass dich bestätigt<br />

oder glücklich gemacht hat? Bitte erzähl mir vom Anfang bis zum Schluss der Reihe<br />

nach wie es dazu gekommen und was passiert ist.“<br />

„Hat dir schon mal ein Schüler oder ein Elternteil etwas gesagt, dass dich angegriffen<br />

oder verletzt hat? Bitte erzähl mir vom Anfang bis zum Schluss der Reihe nach wie<br />

es dazu gekommen und was passiert ist.“<br />

Wir würden uns freuen mit dir ein solches Interview durchzuführen.<br />

Bei unseren Interviews wird Deine Anonymität gewährt. Die Dauer eines Interviews beläuft<br />

sich auf etwa 20 Minuten.<br />

Falls Du gerade noch eine Berufskollegin oder -kollegen hättest, der/die auch bereit wäre mit<br />

uns ein solches Interview durchzuführen, würde uns dies freuen. Die Interviews werden natürlich<br />

separat in Einzelinterviews durchgeführt.<br />

Wann würde es Dir zeitlich gehen?<br />

Bitte schick mir oder (Name der Studentin 2) eine E-Mail.<br />

(Mailadresse Studentin 1) oder (Mailadresse Studentin 2)<br />

Vielen Dank und liebe Grüsse<br />

(Name der Studentin 1)<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Transkriptionen<br />

C. Transkriptionen<br />

Fallnummer 6.1 (Basteln – LP vergass explizit abzusagen und Schülerin stand<br />

vor der Tür – Mutter wurde verbal ausfällig)<br />

TRANSKRIPTION<br />

"Ähm ja (atmet tief ein und aus)... das gibt’s häufiger, ehrlich gesagt, diese Variante...<br />

ähhm... ein Beispiel, das gerade vor kurzem passiert ist, ist ähhm... das hat indirekt<br />

damit zu tun, weil ich freiwilligen Bastelunterricht gebe über den Mittag, das ist<br />

eine Schülerin aus der Pr<strong>im</strong>arschule, die hätte am Bastelunterricht teilnehmen sollen.<br />

Be<strong>im</strong> ersten Training ist sie aus Versehen in die verkehrte (=falsche) Halle und ging<br />

danach nach Hause und sagte es sei kein Tanzen gewesen. Danach hat mich die<br />

Mutter angerufen und war relativ empört, dass ich Basteln ausschreibe und nicht da<br />

sei. Dies konnte ich dann erklären, weil ich am richtigen Ort war und die Tocher<br />

falsch (= am falschen Ort) und die Woche darauf hatten wir Skilager und ich hatte<br />

vergessen explizit abzusagen, mit Anschlägen usw. und die Tochter war wieder vor<br />

der Tür gestanden. Und diese Mutter hat... ähh... mich auch relativ fest angefahren,<br />

das sei keine Art und Weise... es sei eine Frage wo ich mein Diplom her haben,<br />

wenn es mir nicht einmal gelinge Sachen zu organisieren... äähhh... dann sollte es<br />

mir eigentlich verboten sein mit Schülern zu arbeiten, wenn ich solche Sachen nicht<br />

<strong>im</strong> Griff habe und Schüler dürfen sich so was wohl nie erlauben und ich nähme mir<br />

solche Sachen raus und ähh... sie wurde relativ emotional."<br />

Notiz der Interviewerin: Wie es raus kam:<br />

"Ich habe ihr relativ lange diskutiert und habe mich bei ihr entschuldige und habe<br />

damals die Sachen nicht von mir gewiesen, sondern die Sachen mit ihr angeschaut...<br />

und mich gar nicht gross auf Diskussionen eingelassen ... aber ihr dann auch gesagt,<br />

sie schaue nur einen Fall an, dass sie über alle Sachen gar nicht den Überblick habe<br />

und dass es mir Leid täte und dass ich das mit den Schülern wieder in Ordnung bringen<br />

werde, weil die Schüler haben ja irgendwie darunter gelitten haben und nicht die<br />

Eltern."<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Transkriptionen<br />

Fallnummer 10.4 (Sch fälscht Zettel von Arzt und belügt LP mehrmals)<br />

TRANSKRIPTION<br />

„Oder, das ist wieder eine ähnliche Situation gewesen…Es ist ein Schüler gekommen,<br />

mit einem Zettel, dritte Oberstufe, Werken gebe ich ja noch als Fachlehrer, er<br />

müsse zum Arzt. Den Zettel, mit Bleistift geschrieben, Schülerschrift. (kurze Pause)<br />

Habe ich gesagt. ‚komm, glaube ich dir nicht. Das st<strong>im</strong>mt doch nicht.’, ‚doch, das<br />

st<strong>im</strong>mt.’, ‚hat das der Arzt geschrieben?’, ‚ja, das hat der Arzt geschrieben.’ Wirklich,<br />

so… also.. habe ich gesagt: ‚schau jetzt, ich gehe in diese Praxis runter-das ist in<br />

Immensee 1 - und frage, ob das so ist.’, ‚ja, sie können gehen, es st<strong>im</strong>mt.’ Habe ich<br />

gesagt: ‚gut, also gehe ich’ bin ich gegangen, prompt hat es nicht gest<strong>im</strong>mt. Also<br />

wirklich, so extrem, oder.“<br />

Interviewerin: "Und der hat dich sogar gehen lassen, zum Arzt?"<br />

„Ja. Und um halb vier ist er dann ins Werken gekommen, am Nachmittag und hat mir<br />

noch gesagt: ‚ouh, sorry, ich habe ja den Termin morgen.’ Aber er hatte auch morgen<br />

keinen Termin. Also von dem her… Am Anfang war ich…Das ist vielleicht etwas, das<br />

man auch noch mitnehmen könnte. Am Anfang war ich schon noch etwas naiv. Ich<br />

hatte wirklich das Gefühl, die lügen mich nicht an, die Schüler. Auch in der fünften,<br />

sechsten, die machen ihre Sachen, die Husi sind gemacht und alles, aber… kontrollieren…<br />

Man muss die Dinge kontrollieren, es ist wirklich so. Weil scheinbar ist der<br />

Mensch so ein Bisschen… probiert zu schlüpfen, wenn es irgendwie geht.“<br />

Interviewerin: "Wie hast du dann reagiert, als er mit dem Spruch kam, er hätte den<br />

Termin erst morgen?"<br />

„dann würde ich sehr wütend. Ich habe ihm gesagt:’ schau, es ist…’ dort habe ich ihn<br />

wirklich zusammengeschissen, das kann ich sagen. ‚jetzt hast du mich am Morgen<br />

angelogen und jetzt schon wieder genau dasselbe, hey, was meinst du eigentlich wer<br />

ich bin.’ Also wirklich, da habe ich wirklich gezeigt, was das eigentlich ist, jemanden<br />

anlügen. Ich war wirklich sehr wütend. Und seither ist er wirklich wie ein Lämmchen.<br />

Ich habe ihm dann auch gesagt: ‚schau’, ich habe ihn dann aber so sein lassen und<br />

gesagt: ‚du hast einen Scheissdreck gemacht, wir fangen jetzt schon wieder neu an,<br />

aber das bleibt in meinem Hinterkopf, bei dir bin ich von nun an wirklich kritisch.<br />

Wenn du irgend etwas hast, das schwingt mit, das musst du einfach wissen. Aber<br />

nicht, dass ich jetzt weiss nicht wie lange wütend bin auf dich, das nicht.’ Ich glaube<br />

das muss man dann auch können, irgendwann mal einen Strich ziehen und sagen,<br />

gut, Mist, aber es geht weiter.“<br />

Interviewerin: "Und seither ist gut?"<br />

„Ja, ja. Gut eben, weisst du, es war vor zwei, drei Wochen und der hat jetzt noch<br />

sechs, sieben Wochen Schule. Aber trotzdem, es liegt einfach nicht drin. Also, das<br />

beleidigt einen dann schon sehr, oder, so knallhart belogen zu werden.“<br />

1 Ort geändert (aus Datenschutzgründen)<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Transkriptionen<br />

Fallnummer 13.1 (Schüler sagt: „Hau der eis ad Schnöre“)<br />

TRANSKRIPTION:<br />

„Und in der gleichen Klasse hatte es auch einen…der ging früher ins Wesmelin-<br />

Quartier 2 in die Schule und hatte schon seit der vierten Klasse Probleme wegen Gewalt,<br />

oder… Und der hatte schon dort irgendwie… musste er zum Teil eingeschickt,<br />

also zu diesen einschlägigen Stellen geschickt werden, weisst du, wegen Gewaltprävention<br />

und Zeugs und Sachen, und der war nachher auch in dieser Klasse. Und in<br />

dieser Klasse dann musste ich wirklich permanent jemanden bestrafen und ich habe<br />

zum Beispiel angefangen mit der Zeit, dass ich gesagt habe: ’hört zu, ich verwarne<br />

euch noch einmal, be<strong>im</strong> zweiten Mal geht ihr nach hinten abschreiben’, also einfach<br />

so ein Bisschen… Es hatte so eine Art, du musst dir vorstellen so wie eine Art zweiten<br />

Raum, so ein Bisschen eine Vertiefung. Und dort waren sie so wie ein Bisschen<br />

für sich selber, ich konnte sie beobachten und zur gleichen Zeit konnten sie aber die<br />

Klasse nicht stören. Ich sagte: ’hör zu, du bist verwarnt worden, du gehst dort nach<br />

hinten schreiben.’ Und so einer… eben, diesen Typ da hab ich mal so verwiesen,<br />

dann musste er nach hinten schreiben gehen, und dann musste ich zur gleichen Zeit<br />

noch vier andere nach hinten schicken. Dann waren die zu fünft dort hinten und dann<br />

hat er irgendwie angefangen, die anderen zu stören, die auch noch schreiben mussten.<br />

Und die mussten mindestens drei Seiten schreiben, also vorne, hinten und<br />

nochmals vorne, oder. Weil ich hatte ihnen gesagt: ‚ich will nicht, dass ihr dort hinten<br />

den Globi macht, ihr müsst drei Seiten schreiben und sonst macht ihr es zu Hause<br />

fertig. Und dann waren die wirklich… die sind 45 Minuten am Schreiben und können<br />

niemanden stören, oder. Und ehm… dann hat er irgendwie blöd getan und dann ging<br />

ich ihn zurechtweisen und so, und irgendwie hatte er dann „rüüdig en Frächi“ und<br />

dann habe ich gesagt: ‚du, jetzt kannst du aber gehen, he. Jetzt gehst du gleich nach<br />

Hause.’ Also, er ist wirklich relativ frech geworden, also… ich weiss nicht mehr ganz<br />

genau was er gesagt hatte, aber einfach enorm frech. Und dann habe ich gesagt:<br />

‚jetzt kannst du deine Sachen gleich zusammenpacken und gehen, und die drei Seiten<br />

bringst du mir morgen, ich will dich nicht mehr sehen.’ Und dann nachher lief er<br />

raus und sagte:’ Hau dir öppe mol eis ad Schnöre’. Gut, dann habe ich nachher mal<br />

angerufen zuhause, da waren auch wieder keine Eltern erreichbar, oder. Keine Eltern<br />

zuhause. Und dann habe ich.. ehm (kurze Pause) den grösseren Bruder am Telefon,<br />

am Abend und…. Der war einer… recht ein vernünftiger, er macht die Kanti,<br />

der hat die Kanti jetzt vermutlich schon abgeschlossen, oder, das war ja schon vor<br />

vielen Jahren. Und dann habe ich mit ihm gesprochen und gesagt… ich müsste eigentlich<br />

mit den Eltern reden, aber ich sehe, dass hier der ältere, verantwortungsvolle<br />

Bruder am Apparat ist, und dann habe ich die ganze Situation erklärt und habe ihm<br />

gesagt, er solle mit seinem Bruder reden und das käme einfach nicht mehr vor. Es<br />

darf absolut keine Gewaltandrohungen geben gegen Lehrpersonen, weder verbal<br />

noch schriftlich oder so, das ist… das können wir einfach nicht akzeptieren, und er<br />

sowieso… Bei ihm ist sowieso der Bogen gespannt, oder, weil er ja früher schon viel<br />

so… Bei Kameraden oder in der Schule mit anderen Schülern einfach Schlägereien<br />

gehabt hat. Dann habe ich das mit dem Bruder einfach so abgeklärt, dass er mit ihm<br />

reden soll und ihm klar machen, dass ich so etwas in Zukunft absolut null Toleranz<br />

mehr dulde, dass er irgend eine Bemerkung oder so etwas macht gegenüber mir,<br />

weil so etwas... sonst werde ich mit ganz schwerem Geschütz gegen ihn und gegen<br />

2 Name geändert (aus Datenschutzgründen)<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Transkriptionen<br />

die ganze Familie einfahren, oder. Also einfach wirklich, dass er merkt, und die haben<br />

ja gewusst wie ich bin. Die wussten, wenn ich etwas sage, dann mache ich es<br />

auch. Weil das musst du natürlich bei solchen sehr schwierigen Klassen, musst du<br />

einfach ganz klar sein. Du musst das machen, was du sagst. Ihnen kannst du nicht<br />

sagen, wenn ihr irgendwie nicht… dann gibt’s das. Das kannst du vielleicht bei ganz<br />

lieben Sekschülern machen, dann sind die nachher brav, aber ein Realschüler will<br />

dann <strong>im</strong>mer wissen, ob du es wirklich auch machst, oder. Wenn du etwas androhst.<br />

Darum, hat er nachher… das ist dann wieder das Positive, es wurde dann nachher<br />

gut. Und das war das Eine.“<br />

Interviewerin; "Wie hast du dann direkt reagiert, als er dir das gesagt hatte?"<br />

„Also…er war etwa sieben Meter von mir entfernt. Und ich habe einfach… eh… ich<br />

habe glaubs gesagt: ‚was hast du jetzt gesagt?’ oder…., weisst du, ich habe so<br />

nachgefragt und dann hat er, dann ist er einfach gegangen. Ich habe glaube ich gesagt:<br />

‚was hast du gesagt? Habe ich dich jetzt richtig verstanden?’ und dann ist er<br />

gegangen. Und dann habe ich ihm gesagt:’du bekommst dann noch ein Telefon von<br />

mir’ oder ‚ihr bekommt dann noch ein Telefon von mir’ so, irgend so habe ich reagiert.<br />

Aber ich bin nicht mehr ganz sicher, weil ehm… In dem Moment, indem so etwas<br />

passiert, ist man <strong>im</strong>mer, gibt es innerlich einen Adrenalinschub, weil dann bist<br />

du so dermassen schockiert als Lehrer, dass du dich nicht mehr genau erinnern<br />

kannst, was du gemacht hast. Du bist so wie in einer Art Trancezustand, weil du<br />

weisst, jetzt bist du ganz, ganz… an einem Punkt, ich meine er ist ja bekannt gewesen<br />

dafür, dass er gewalttätig war, oder. Von der Pr<strong>im</strong>arschule her schon. Wenn er<br />

so etwas sagt, dann ist das nicht einfach eine harmlose Bemerkung, oder. Und dort<br />

war für mich ein Bisschen bedauerlich, dass dieser Klassenlehrer schon ein Bisschen<br />

in einem Semi-Burnout-Syndrom drinnen war, der konnte wirklich nicht mehr<br />

viel machen….“.<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Analyseraster - leer<br />

D. Analyseraster - leer<br />

Fallnummer XY (kurz, um was es geht <strong>im</strong> vorliegenden Fall)<br />

Analyse von ......<br />

Aus dem Transkript<br />

1. Einleitungssatz <strong>im</strong> Bericht/Erzählung<br />

ANALYSE<br />

STARTDYNAMIK<br />

"..."<br />

2. <strong>Verbale</strong>r Angriff<br />

SOLL 1<br />

"..."<br />

Ereignis-Anfang:<br />

ANTI-SOLL 1<br />

Ereignis-Ende:<br />

SEIN 1<br />

3. Erzählanfang und -ende<br />

SOLL 2<br />

Erzähl-Anfang:<br />

Erzähl-Ende:<br />

ANTI-SOLL 2<br />

SEIN 2<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Analyseraster - leer<br />

4. KONFLIKTREPORTING KONFLIKTDIAGNOSE:<br />

Verfremdungsvorschlag<br />

(Anonymität)<br />

Parteien:<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff<br />

Dem Angriff voraus geht<br />

Streitpunkt:<br />

Eskalationsdynamik und Ablauf / Anzeichen <strong>im</strong> Vorfeld:<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Analyseraster – zwei anonymisierte Fälle<br />

E. Analyseraster – zwei anonymisierte Fälle<br />

Fallnummer 6.1 (Tanzen – LP vergass explizit abzusagen und Schülerin stand<br />

vor der Tür – Mutter wurde verbal ausfällig)<br />

Analyse von Marianne<br />

Aus dem Transkript<br />

1. Einleitungssatz <strong>im</strong> Bericht/Erzählung<br />

Ähm ja (atmet tief ein und<br />

aus)... das gibt’s häufiger,<br />

ehrlich gesagt, diese Variante...<br />

ähhm... ein Beispiel,<br />

das gerade vor kurzem<br />

passiert ist, ist ähhm... das<br />

hat indirekt damit zu tun,<br />

weil ich freiwilligen Bastelunterricht<br />

3 gebe über den<br />

Mittag, das ist eine Schülerin<br />

aus der Pr<strong>im</strong>arschule,<br />

die hätte am Tanzen teilnehmen<br />

sollen.<br />

ANALYSE<br />

STARTDYNAMIK<br />

Die Lehrerin stellt an den Anfang, dass die folgende Erzählung<br />

nicht <strong>im</strong> obligatorischen Schulunterricht stattfindet, sondern in einem<br />

ausserunterrichtlichen Kontext, dem freiwilligen Bastelunterricht<br />

1 . Dieser Kontext ist weniger verpflichtend für eine Lehrerin<br />

aber auch für eine Schülerin, es gibt in diesem Kontext Wahlmöglichkeiten<br />

für die Schüler und Schülerinnen, sie dürfen sich für<br />

einen Kurs anmelden, welcher über den Mittag stattfindet. Dies<br />

hat zur Konsequenz, dass der Schüler oder die Schülerin mehr<br />

Verantwortung trägt als <strong>im</strong> obligatorischen Unterricht und auch<br />

mehr Eigeninitiative entwickeln muss. Diese Vorbemerkung könnte<br />

die Lehrerin von Schuld oder Verantwortung entlasten, weil für<br />

diese ausserunterrichtlichen Anlässe <strong>im</strong> Vergleich zum obligatorischen<br />

Unterricht mehr Freiheitsgrade bestehen und vom Schüler,<br />

von der Schülerin mehr Eigeninitiative und Verantwortung verlangt<br />

wird. Die Lehrerin betont anschliessend, dass die Schülerin am<br />

Basteln hätte teilnehmen sollen, das <strong>im</strong>pliziert, dass die Schülerin<br />

sich selbst für diese Variante angemeldet und somit verpflichtet<br />

hat, zu kommen. Zusätzlich erwähnt die Sekundarlehrerin, dass es<br />

sich um eine Schülerin aus der Pr<strong>im</strong>arschule handelt. Damit<br />

stellt sie dar, dass diese Schülerin nicht zu ihrem regulären Zielpublikum<br />

gehört, sondern ihr über das Wahlangebot „Basteln“ zugeteilt<br />

worden ist. Es handelt sich also nicht um eine Schülerin für<br />

welche die Lehrperson täglich Verantwortung <strong>im</strong> regulären Bastelunterricht<br />

trägt, vielmehr ist die Beziehung lockerer und somit weniger<br />

verpflichtend. Die Aussage <strong>im</strong>pliziert auch, dass einer Pr<strong>im</strong>arschülerin<br />

(<strong>im</strong> Vergleich zur Oberstufenschülerin) auch eher<br />

Fehler unterlaufen können. Die Formulierung „sie hätte am Basteln<br />

teilnehmen sollen“ drückt eine Erwartungshaltung der Lehrerin<br />

gegenüber der Schülerin aus, eine Forderung an die Schülerin,<br />

die sich ja selbst angemeldet hat und von welcher jetzt auch erwartet<br />

wird, dass sie <strong>im</strong> Bastelkurs erscheint und den Ort findet.<br />

3 Kursivgestelltes wurde geändert (aus Datenschutzgründen)<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Analyseraster – zwei anonymisierte Fälle<br />

2. <strong>Verbale</strong>r Angriff<br />

"Und diese Mutter hat...<br />

ähh... mich auch relativ fest<br />

angefahren, das sei keine<br />

Art und Weise... es sei eine<br />

Frage wo ich mein Diplom<br />

her habe, wenn es mir nicht<br />

einmal gelinge Sachen zu<br />

organisieren... äähhh...<br />

dann sollte es mir eigentlich<br />

verboten sein mit Schülern<br />

zu arbeiten, wenn ich solche<br />

Sachen nicht <strong>im</strong> Griff<br />

habe und Schüler dürfen<br />

sich so was wohl nie erlauben<br />

und ich nähme mir solche<br />

Sachen raus und ähh...<br />

sie wurde relativ emotional."<br />

SOLL 1<br />

Die Mutter ist am Anfang des Telefons aufgebracht und lässt sich<br />

dann durch die Erklärungen der Lehrperson beruhigen. Die Mutter<br />

hört der Lehrerin zu und zeigt Verständnis für ihre Seite.<br />

Oder: Die Mutter verhält sich schon von Anfang an neutral am<br />

Telefon, spricht von ihren Gefühlen höchstens in Ich-Form, klagt<br />

die Lp nicht an, sondern fragt, wieso die Tochter vor verschlossener<br />

Bastelhalle stand.<br />

ANTI-SOLL 1<br />

Siehe SEIN und zusätzlich noch: Die Mutter kündigt an, dass sie<br />

Klage bei Schulleitung und Behörden einreichen und andere Eltern<br />

gegen die Lehrperson mobilisieren wird.<br />

SEIN 1<br />

Die Mutter ruft an, beschuldigt die Lehrperson, unterstellt be<strong>im</strong><br />

ersten Telefon dass es das Versäumnis der Lehrperson war, und<br />

greift sie an, indem sie ihr die berufliche Kompetenz abzuspricht.<br />

Ereignis-Anfang: Anfang<br />

des Telefons<br />

Ereignis-Ende: Ende des<br />

Telefons<br />

3. Erzählanfang und -ende<br />

Erzähl-Anfang:<br />

Schülerin steht das erste<br />

mal vor der verschlossnen<br />

Bastelhalle, in der sie<br />

Tanzunterricht gehabt hätte<br />

über den Mittag (LP vergass<br />

abzusagen).<br />

Erzähl-Ende:<br />

Telefon zwischen Mutter<br />

SOLL 2<br />

Die Schülerin kann sich selbständig über Ort und Zeit des freiwilligen<br />

Bastelkurses 4 orientieren und wartet vor der richtigen Bastelhalle.<br />

Und be<strong>im</strong> zweiten Mal orientiert die Lehrerin die Kinder und<br />

Eltern, dass das Basteln ausfällt wegen Skilager. (Schülerin macht<br />

keinen Fehler, Lehrerin macht keinen Fehler).<br />

Wenn ein Fehler passiert, bleibt die Mutter neutral und klärt am<br />

Telefon, wie das Missgeschick passiert ist.<br />

Wenn die Mutter der Lehrperson anruft und sich beklagt, entschuldigt<br />

sich die Lehrperson für ihren Anteil am Missgeschick. Auch die<br />

Mutter n<strong>im</strong>mt ihre falsche Unterstellung zurück und entschuldigt<br />

sich dafür. Beide Parteien nehmen Verantwortung für ihren Anteil<br />

am Missgeschick. Sie trennen sich in Frieden am Telefon.<br />

4 Kursivgestelltes wurde geändert (aus Datenschutzgründen)<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Analyseraster – zwei anonymisierte Fälle<br />

und LP. LP weist Mutter in<br />

Schranken und entschuldigt<br />

sich.<br />

ANTI-SOLL 2<br />

Der Schülerin passierte ein Fehler, und dann auch noch der Lehrerin.<br />

Es geschehen noch mehr: drei, vier fünf Missgeschicke. (noch<br />

mehr Missgeschicke)<br />

4. KONFLIKTREPORTING KONFLIKTDIAGNOSE:<br />

Die Mutter telefoniert nicht nur der Lehrperson, sondern breitet ihre<br />

Anklage zusätzlich in der Öffentlichkeit (Eltern, Schulleitung, Behörden)<br />

aus. (Weiterziehen in die Öffentlichkeit)<br />

Nicht nur macht die Mutter die Lehrperson für die Missgeschicke<br />

verantwortlich und klagt sie an, sondern auch die Lehrperson<br />

macht die Schülerin und ihre Mutter dafür verantwortlich. Es bricht<br />

ein öffentlicher Streit zwischen den Parteien mit gegenseitigen<br />

Beschuldigungen und Anklagen aus. Man wird laut und der Streit<br />

eskaliert. (nicht nur einseitige sondern gegenseitige Beschuldigungen<br />

/ Unterstellungen und dadurch Eskalation)<br />

SEIN 2<br />

Die Missgeschicke (Fehler) passieren, be<strong>im</strong> ersten liegt der Fehler<br />

bei der Schülerin, be<strong>im</strong> zweiten liegt der Fehler bei der Lehrperson.<br />

Die Mutter klagt die Lehrperson an, indem sie ihr die Berufskompetenz<br />

abspricht. Die Lehrperson klärt das Missgeschick auf,<br />

entschuldigt sich für ihren Fehler und weist einen Teil der Anklagen<br />

der Mutter zurück. Die Lehrperson kann die Eskalation stoppen,<br />

indem sie ruhig bleibt. Gelungene Konfliktentschärfung.<br />

Parteien: Schülerin, Mutter, Lehrperson<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff der Mutter am Telefon, ohne Publikum, der Lehrperson<br />

wird Berufskompetenz abgesprochen.<br />

Dem Angriff voraus geht ein Missgeschick, das die Schülerin frustriert.<br />

Streitpunkt: Die Schülerin wartete vergebens vor der Bastelhalle 5 ,<br />

die verschlossen war, und konnte nicht am freiwilligen Kurs teilnehmen.<br />

Sie war offensichtlich enttäuscht und frustriert.<br />

Eskalationsdynamik und Ablauf / Anzeichen <strong>im</strong> Vorfeld: Es gibt<br />

zwei Missgeschicke nacheinander, also zwei Episoden, die<br />

sich gegenseitig verstärken, die Wut der Mutter wird <strong>im</strong>mer grösser.<br />

Das erste Missgeschick stellt sich nachträglich als ein Fehlverhalten<br />

der Schülerin heraus, das zweite als ein Fehlverhalten<br />

der Lehrerin.<br />

Verfremdungsvorschlag<br />

(Anonymität)<br />

Freiwilliger Bastelkurs statt XY<br />

5 Kursivgestelltes wurde geändert (aus Datenschutzgründen)<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Analyseraster – zwei anonymisierte Fälle<br />

Fallnummer 13.1 (Schüler sagt: „Hau der eis ad Schnöre“)<br />

Analyse von Marianne<br />

Aus dem Transkript<br />

1. Einleitungssatz <strong>im</strong> Bericht/Erzählung<br />

Und in der gleichen Klasse<br />

hatte es auch einen…der<br />

ging früher ins St. Karli-<br />

Quartier in die Schule und<br />

hatte schon seit der vierten<br />

Klasse Probleme wegen Gewalt,<br />

oder…<br />

2. <strong>Verbale</strong>r Angriff<br />

Schüler sagt: „Hau der öppe<br />

mal eis ad Schnöre“<br />

Ereignis-Anfang: LP schickt<br />

fünf Schüler nach hinten in<br />

den "Strafraum" zum Abschreiben.<br />

Ereignis-Ende: Schüler geht<br />

aus dem Z<strong>im</strong>mer.<br />

ANALYSE<br />

STARTDYNAMIK<br />

Es wird ein Schüler erwähnt, es hatte „einen“, nicht ein Junge<br />

oder ein Schüler wird erwähnt, es wird von „einem“ gesprochen.<br />

Einer, der früher ins Wesmelin-Quartier 6 ging, offenbar ein berüchtigtes<br />

Schulhaus. Zudem hatte er schon seit der vierten<br />

Klasse Probleme wegen Gewalt. Die mehrjährige Vorgeschichte<br />

des Schülers wird betont (schon drei Jahre vor der Oberstufe<br />

hatte dieser Schüler Probleme wegen Gewalt). Die Lehrperson<br />

hat mit einem Schüler zu tun, der vorbelastet ist. Gewalt ist genannt,<br />

es geht also nicht nur um Worte sondern auch um Taten,<br />

der Ruf eilt dem Schüler voraus: Achtung, das ist einer, der gewalttätig<br />

werden kann! Wie wird sich dieser Schüler bei der<br />

Lehrperson und in dieser Klasse verhalten? Wie wird die Lehrperson<br />

mit diesem Schüler umgehen? Man könnte ja Angst haben<br />

vor einem solchen Schüler, oder man müsste vielleicht besonders<br />

wachsam sein bei diesem Schüler, damit er nicht gegenüber<br />

MitschülerInnen gewalttägig wird, jedenfalls muss man<br />

ihn <strong>im</strong> Auge behalten, wenn er schon einen solchen Ruf hat. Die<br />

Zuhörerin ist gespannt.<br />

SOLL 1<br />

Wenn der Lehrer diesen Schüler in den hinteren Raum schickt,<br />

weil er zu laut war, n<strong>im</strong>mt der Schüler diese Massnahme an,<br />

geht nach hinten und macht seine Arbeit, ohne zusätzlich noch<br />

Unfug zu machen <strong>im</strong> Strafraum.<br />

Wenn die Lehrperson ihn ermahnt, wird der Schüler ruhig und<br />

arbeitet still weiter.<br />

ANTI-SOLL 1<br />

Der Schüler widersetzt sich der Zurechtweisung der Lehrperson.<br />

Sie widerspricht und wird dann gewalttätig. Der Schüler schlägt<br />

die Lehrperson. (Die Angst der Lehrperson ist zwischen den<br />

Zeilen spürbar).<br />

SEIN 1<br />

Der Schüler geht zwar mit den anderen vier in den Strafraum,<br />

macht aber dort Unfug, sodass der Lehrer zu ihm nach hinten<br />

geht, um ihn zurechtzuweisen. Der Schüler widerspricht dem<br />

Lehrer, es gibt einen Wortwechsel, und am Schluss sagt der<br />

Schüler zum Lehrer: „Hau der eis ad Schnöre!“ Die Lehrperson<br />

fragt zurück, der Schüler geht wortlos hinaus.<br />

6 Kursivgestelltes wurde geändert (aus Datenschutzgründen)<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Analyseraster – zwei anonymisierte Fälle<br />

3. Erzählanfang & -ende<br />

Erzähl-Anfang:<br />

LP erzählt von einer schwierigen<br />

Klasse und einem<br />

Schüler der schon früher<br />

Gewaltprobleme hatte.<br />

Erzähl-Ende:<br />

LP einigt sich mit Bruder des<br />

Schülers am Telefon und<br />

sagt dem älteren Bruder wie<br />

der Schüler sich in der Schule<br />

zu herhalten hat und darauf<br />

besserte sich die Situation.<br />

SOLL 2<br />

Der Schüler befolgt die Regeln in der Klasse und wenn er das<br />

nicht tut, n<strong>im</strong>mt die Klasse Einfluss auf ihn, denn es ist eine ruhige<br />

und disziplinierte Klasse, die sich nicht von einem neuen<br />

Schüler mit regelbrechendem Verhalten anstecken lässt.<br />

Schüler oder Klasse sind zwar schwierig, doch die Lehrperson<br />

kann sie <strong>im</strong> Zaun halten, der Schüler wird folgsam und die Klasse<br />

wird eine einfache Klasse.<br />

Wenn der Schüler Schwierigkeiten macht, und wenn die Lehrperson<br />

ihn nicht bändigen kann, sind Eltern da, welchen die<br />

Lehrperson anrufen kann. Die Eltern ziehen am gleichen Strick<br />

wie er. Die Lehrperson hat in den Eltern Ansprechpersonen,<br />

gemeinsam mit ihnen bringt er den Schüler zur Vernunft. Die<br />

Kooperation zwischen Schule und Elternhaus gelingt mit dem<br />

Erfolg, dass der Schüler gehorsam und fleissig wird.<br />

ANTI-SOLL 2<br />

Der Schüler macht in der Schule was er will. Die Lehrperson hat<br />

Angst vor ihm und wagt nicht, ihn in Schranken zu weisen. Der<br />

Schüler steckt alle anderen in der Klasse an. Es herrscht ein<br />

Kl<strong>im</strong>a von Chaos, Anarchie und Gewalt in der ganzen Klasse.<br />

Die Lehrperson kann sich nicht an die Eltern wenden, es ist niemand<br />

zuhause, der sich für die Erziehung und das Benehmen<br />

des Schülers einsetzt und Verantwortung übern<strong>im</strong>mt. Die Lehrperson<br />

steht alleine da und bekommt keine Unterstützung.<br />

SEIN 2<br />

Der Schüler kommt in die Klasse der Lehrperson und die ganze<br />

Klasse ist eine schwierige, die Lehrperson muss einige Schüler<br />

in einen Strafraum setzen und sie Strafaufgaben machen lassen.<br />

Dort gibt es einen Wortwechsel weil der Schüler der Lehrperson<br />

widerspricht. Der Schüler spricht eine Drohung aus und geht<br />

wortlos hinaus und nach Hause, die Lehrperson ruft zuhause an<br />

und erreicht am Telefon den älteren und vernünftigeren Bruder<br />

des Schülers. Diesem erklärt er, dass dies eine Warnung sei, er<br />

droht dem Schüler mit stärkeren Massnahmen wenn das so<br />

weiter gehe. Der Bruder n<strong>im</strong>mt das entgegen. Der Bruder ist<br />

eine Ansprechperson, auf welche die Lehrperson offenbar zählen<br />

kann, die ihn unterstützt. Die Drohung hat ihre Wirkung und<br />

die Sache beruhigt sich. Die Lehrperson kann auf ihren Ruf (sie<br />

sei konsequent, sie mache ihre Drohungen wahr) zählen.<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Analyseraster – zwei anonymisierte Fälle<br />

5. KONFLIKTREPORTING KONFLIKTDIAGNOSE:<br />

Parteien: Schüler, Mitschüler und –schülerinnen, Lehrperson<br />

(es ist Publikum da: Die Klasse)<br />

Streitpunkte: Disziplin und Ordnung in der Klasse, Regelverstoss<br />

oder Gehorsam des Schülers (es geht um die Führung und<br />

Hierarchie: Wer ist in der Gruppe das Alphatier, wer ist stärker,<br />

Lehrperson oder Schüler? Dabei spielt die Klasse als Publikum<br />

eine wichtige Rolle.<br />

Eskalationsdynamik und Ablauf / Anzeichen <strong>im</strong> Vorfeld:<br />

Die Lehrperson muss zu Strafen greifen weil die Klasse<br />

auch schwierig ist. Die Lehrperson greift zu Strafen, doch auch<br />

während der Strafaufgabe geht der Unfug weiter. Der Schüler<br />

wird frech, verbal ungehorsam, widerspricht, die Lehrperson geht<br />

zum Schüler und versucht ihn zu mässigen, doch der Schüler<br />

droht der Lehrperson er würde sie einmal schlagen. Die Lehrperson<br />

ruft zuhause an und spricht eine Verwarnung aus. Er<br />

droht stärkere Massnahmen an. Er findet be<strong>im</strong> älteren verantwortungsvollen<br />

Bruder Gehör. Erst danach kann er seine Autorität<br />

durchsetzen, der Schüler beruhigt sich.<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergänzende Theorie<br />

F. Ergänzende Theorie<br />

F.1 Kommunikationsmodell nach Schultz von Thun<br />

Der Sachinhalt ist meistens direkt, das heisst "explizit" ausgesprochen. Im professionellen<br />

Kontext spielt er die Hauptrolle oder sollte die Hauptrolle spielen. Auf der<br />

Sachebene des Gesprächs steht die Sachinformation <strong>im</strong> Vordergrund, hier geht es<br />

um Daten, Fakten und Sachverhalte. Dabei gilt zum einen das Wahrheitskriterium<br />

wahr oder unwahr (zutreffend/nicht zutreffend), zum anderen das Kriterium der Relevanz<br />

(sind die aufgeführten Sachverhalte für das anstehende Thema von Belang/nicht<br />

von Belang?) und zum Dritten erscheint das Kriterium der Hinlänglichkeit<br />

(sind die angeführten Sachhinweise für das Thema ausreichend, oder muss vieles<br />

andere auch bedacht sein?).<br />

Wenn jemand etwas von sich gibt, gibt er auch etwas von sich (kund, preis). Während<br />

der Sender also mit dem Selbstkundgabe-Schnabel, <strong>im</strong>plizit oder explizit, Informationen<br />

über sich preis gibt, n<strong>im</strong>mt der Empfänger diese mit dem Selbstkundgabe-Ohr<br />

auf: Was sagt mir das über den Anderen? Was ist der für einer? Wie ist er<br />

gest<strong>im</strong>mt? Wie schon der Sach-Schnabel, kann auch der Selbstkundgabe-Schnabel<br />

unterschiedlich gewachsen sein. Gewisse Menschen nutzen ihn zur (positiven)<br />

Selbstdarstellung ("Sie her, so bin ich!") indem sie <strong>im</strong> Sinne der Authentizität folgendes<br />

aussagen: "Ich zeige mich so, wie ich bin, wie mir innerlich zumute ist."<br />

Beziehungsseite: In jeder Äusserung steckt somit auch ein Beziehungshinweis, für<br />

welchen der Empfänger oft ein besonders sensibles (über)empfindliches Beziehungs-Ohr<br />

besitzt. Aufgrund dieses Ohres wird entschieden: "Wie fühle ich mich behandelt<br />

durch die Art, in der der andere mit mir spricht? Was hält der andere von mir<br />

und wie steht er zu mir?". Beziehungssignale werden meist <strong>im</strong>plizit, "zwischen den<br />

Zeilen" gesendet.<br />

Weitere Konfliktdefinitionen<br />

Ein sozialer Konflikt liegt dann vor, wenn eine Spannungssituation besteht, in der<br />

zwei oder mehrere Parteien, die voneinander abhängig sind, mit Nachdruck versuchen,<br />

unvereinbare Handlungspläne zu verwirklichen und sich dabei ihrer Gegnerschaft<br />

bewusst sind. (Rüttinger)<br />

Konflikt besteht, wenn man sich nicht einig wird und damit negative Gefühle hochkommen.<br />

(Tondeur)<br />

Als Konflikt wird eine berufsfeldspezifische Auseinandersetzung, Belastung und/ oder<br />

Schwierigkeit verstanden, die die betroffenen Personen emotional, kognitiv und/ oder<br />

physisch beeinträchtigt. (Becker)<br />

Konflikte treten dort auf, wo unvereinbare Gegensätze und Verhaltenstendenzen<br />

aufeinander prallen und sich so störend auswirken, dass eine neue Regelung gefunden<br />

werden muss. (Delhees)<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergänzende Theorie<br />

F.2 Konfliktparteien<br />

Ergänzung zur Beschreibung der Konfliktparteien nach Glasl (2002) und Kreyenberg<br />

(2005).<br />

Konfliktparteien werden unterschieden. Es ist nicht <strong>im</strong>mer klar, wer alles zur Konfliktpartei<br />

gehört und mit wem man zusammenarbeiten muss, um den Konflikt zu lösen.<br />

Aus diesem Grund sind Unterscheidungskriterien der Konfliktparteien nach Kreyenberg<br />

(2005, S. 60) folgendermassen best<strong>im</strong>mt:<br />

Abgrenzungsgrad: Konfliktparteien können klar oder unscharf abgegrenzt<br />

sein. Wer sind eigentlich die Parteien? Manchmal sind es einzelne Individuen,<br />

die sich nicht verstehen. Oder die Personen agieren einen Gruppenkonflikt<br />

aus oder sehen sich als Sprecher einer best<strong>im</strong>mten Gruppe, wie das z.B.<br />

Rechtsanwälte genauso wie Lehrpersonen tun.<br />

Formalisierungsgrad: Sind die Konfliktparteien formell oder unorganisiert?<br />

Wenn beide Parteien eine formelle anerkannte Struktur aufweisen, verlaufen<br />

Konflikte häufig eher in geregelten Bahnen, als wenn beide oder eine der Parteien<br />

z.B. einen spontanen Aufstand beschliesst. Genau das ist z.B. oft das<br />

Problem bei Bürgerkriegen oder Rebellenaufständen.<br />

Macht: Wie stark oder schwach sind die Konfliktparteien? Mit welche3n<br />

Machtmitteln sind sie ausgerüstet? Stehen die Parteien gleichrangig nebeneinander<br />

oder in einem Herrschaftsverhältnis? Diese Frage stellt sich, wenn<br />

ein Elternteil sich auch in einer Führungsrolle befindet. Dabei entsteht möglicherweise<br />

ein Rollenkonflikt (vgl. Rollenwelten 2.3.1). Wenn beispielsweise<br />

der Vater Offizier <strong>im</strong> Generalstab ist, dann versucht er vielleicht der Lehrperson<br />

zu sagen, wie so unterrichten soll. Dies kann einen Konflikt auslösen.<br />

Anzahl der Beteiligten: Wie gross sind die Parteien? Wie viele Personen sind<br />

beteiligt? Macht es mehr Sinn, eine Teilgruppe herauszunehmen und hier erst<br />

einmal eine Lösung zu suchen oder sollte das ganze System einbezogen<br />

werden? Wer sind die zentralen Konfliktträger? Im System Schule hat es<br />

schnell viele Beteiligt. Aus Lehrerseite steht beispielsweise das Lehrerteam<br />

und auf Eltern oder Schülerseite die Familie oder sogar weitere Eltern oder<br />

andere Mitschüler. Je nach Konflikt variiert dies eben.<br />

Kernpersonen: Wer hat das Sagen innerhalb der einzelnen Gruppen? Dies<br />

müssen nicht unbedingt die formellen Leiter sein, sondern es können auch<br />

respektierte anerkannte Mitglieder einer Gruppe sein, beispielsweise das Alphatier<br />

einer Gang in der Schule, die Mitschüler unterdrückt und sich nun versucht<br />

gegen die Lehrperson aufzulehnen. Die Frage ist hier: Wen sollte man<br />

auf keinen Fall übergehen? Wer vertritt die Gruppe nach aussen?<br />

Innere Kohäsion: Wie ist er Zusammenhalt der Gruppe? Gibt es klare Rollenverteilungen?<br />

Üben die Mitglieder Druck aufeinander aus? Häufig ist der Grad<br />

der inneren Kohäsion verantwortlich, wie stark die Konfliktpartei sich von anderen<br />

abgrenzt bzw. abgrenzen lässt.<br />

Glasl (2002) lässt sich bei der Art und Beschaffenheit der Konfliktparteien von sieben<br />

Hauptfragen leiten, welche unten aufgeführt werden.<br />

Wer sind eigentlich die Parteien?<br />

Sind die Parteien organisiert oder formlos?<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergänzende Theorie<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Welche sind die Kernpersonen der Konfliktparteien?<br />

Welche Beziehung haben die Repräsentanten zu ihrer eigenen Hintermannschaft?<br />

Sind die Parteien scharf voneinander abgegrenzt?<br />

Welche innere Kohäsion weisen die Parteien auf?<br />

Wie gross ist tatsächlich die Arena des Konfliktes?<br />

F.3 Ergänzung zu den Emotionstheorien von Plutchik und Traxel<br />

F.3.1 Ansatz nach Plutchik (1980)<br />

Die Arbeitsgruppe um Robert Plutchik ist besonders in den USA verbreitet (Plutchik<br />

& Kellerman, 1980, aus Tücke (2003)). Plutchik geht davon aus, dass verschiedene<br />

grundlegende Emotionen praktisch beliebig miteinander kombiniert werden können.<br />

Das Resultat ist das gesamte differenzierte Spektrum "sekundärer Emotionen". Plutchik<br />

ordnet die Emotionen in einer "Emotionspalette" an, welche an das Mischen der<br />

Grundfarbein erinnert aus denen man das gesamte Farbenspektrum erstellen kann<br />

(Abbildung). So ergeben beispielsweise Freude und Akzeptanz die abgeleitete Emotion<br />

"Liebe", die Kombination von Ärger und Abscheu ergibt "Verachtung". Die "Emotionsanteile"<br />

können (wie die Farben) in einer sekundären Emotion zu unterschiedlichen<br />

Teilen enthalten sein; das resultiert dann wiederum in subjektiv unterschiedlichen<br />

Gefühlen.<br />

Kritik an Plutchiks Emotionspalette: Wo befindet sich die Emotion Angst?<br />

Liebe<br />

Opt<strong>im</strong>ismus<br />

Freude<br />

Akzeptanz<br />

Unterwerfung<br />

Erwartung<br />

Furcht<br />

Aggression<br />

Ehrfurcht<br />

Ärger<br />

Überraschung<br />

Verachtung<br />

Abscheu<br />

Traurigkeit<br />

Enttäuschung<br />

Reue<br />

Abbildung 1: Plutchiks "Emotionspalette"<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergänzende Theorie<br />

F.3.2 Ansatz nach Traxel (1963)<br />

Ein anderer Ansatz zur Klassifikation der Emotionen stammt von Traxel (1963, aus<br />

Tücke (2003)). Traxel liess verschiedene Gefühlsbegriffe nach ihrer Ähnlichkeit bzw.<br />

Unähnlichkeit einschätzen. Als Ergebnis kam eine kreisförmige Anordnung der Emotionen<br />

raus. In weiteren Untersuchungen wurden die Konnotationen von Gefühlsbegriffen<br />

mit Hilfe von "Polaritätsprofilen" weit er aufbereitet und statistisch analysiert.<br />

Das Ergebnis war das in Abbildung 2: Das System der Gefühlqualitäten von Traxel<br />

(Bild aus: Tücke (2003, S. 310) dargestellte "System der Gefühlsqualitäten".<br />

Abbildung 2: Das System der Gefühlqualitäten von Traxel (Bild aus: Tücke (2003, S. 310)<br />

Durch dieses System lassen sich Emotionen nach den D<strong>im</strong>ensionen "angenehmunangenehm"<br />

und "Unterwerfung-Überhebung" klassifizieren. Der "Aktivationsgrad",<br />

wie ihn Traxel nennt, besagt, dass jedes Gefühl auch mehr oder weniger intensiv<br />

erlebt werden kann.<br />

So scheint in Traxels System der "Freude" das entgegengesetzte Gefühl am meisten<br />

die "Angst" zu sein.<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergänzende Theorie<br />

F.4 Ergänzungen zur Erzählanalyse JAKOB<br />

Nachdem eine Erzählung <strong>im</strong> mündlichen Dialog identifiziert und transkribiert worden<br />

ist, wird sie nach Subjekt-Prädikat-Verknüpfungen segmentiert. Danach wird das<br />

Personal, die Requisiten, Kulissen und das Bühnengeschehen mittels eines a priori<br />

festgelegten Kodierlexikons kategorisiert.<br />

Auf der Basis dieser Textaufbereitung gelangt man in zunehmend interpretativer<br />

werdenden Analyseschritten zu fundierten Aussagen bezüglich der Konfliktlage und<br />

Beziehungsmuster der Sprechenden. Das Zentrum bildet die interpretative Erschliessung<br />

des dramaturgischen Potentials. Hier geht es darum, auf dem Hintergrund von<br />

Hypothesen zu Wunscherfüllung, Angstspannung, Konflikt, Abwehr und Kompromiss<br />

ein psychodynamisches Konfliktmodell zu erschliessen.<br />

Die erzählanalytische Auswertung wird unterstützt durch das Computerprogramm<br />

AutoJAKOB. Dieses Programm erlaubt es, die vorbereiteten Erzählungen zu erfassen,<br />

eine partielle linguistische Morphologie- und Syntaxanalyse durchzuführen und<br />

aufbauend auf diese Schritte die lexikalische Kodierung vorzunehmen.<br />

Die Erzählanalyse JAKOB vollzieht sich grundsätzlich in neun Bearbeitungsschritten<br />

(nach Boothe, Brigitte / von Wyl, Agnes (Hrsg.), 1999, S. 20ff):<br />

Schritt 1: Identifikation des Erzählereignisses<br />

Schritt 2: Aufgliederung einer Erzählung<br />

Schritt 3: Kodierung<br />

Schritt 4: Rekonstruktion des dramaturgischen Prozesses (Wunscherfüllung, Angstspannung)<br />

Schritt 5: Akteurschicksal<br />

Schritt 6: Beziehungsdefinition<br />

Schritt 7: Spielregel<br />

Schritt 8: Modellierungsleistungen<br />

Schritt 9: Konflikt<br />

Die systematische interpretative Analyse einer Erzählung erfolgt mit den Bearbeitungsschritten<br />

4 bis 9.<br />

(Das vollständige Manual (mit Regeln für die Rekonstruktion, Kodierung und Interpretation)<br />

zur Erzählanalyse JAKOB: nach http://www.jakob.unizh.ch )<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergänzende Theorie<br />

F.5 Prototypische Wunsch- und Angstthemen der Erzählanalyse<br />

JAKOB<br />

Prototypische Wunschthemen<br />

1. EK: Verewigter Kindstatus<br />

Bedingungslose Akzeptanz durch Elterninstanzen<br />

"Ich bin das Zentrum des elterlichen Lebens, für alle Zeit und finde Applaus für alles,<br />

was ich biete"<br />

2. SU: Verbundenheit und Sicherheit<br />

Der Zustand des Urvertrauens<br />

"Ich bin von einer freundlich bergenden und schützenden Welt umgeben"<br />

3. VO Objektverfügung<br />

Kontrolle und Verfügung über Objekte nach Bedarf, positive Selbstverfügung und<br />

Selbstwirksamkeit<br />

"Ich kontrolliere lustvoll die Welt der Objekte und/oder mich selbst und verfüge nach<br />

Bedarf über sie"<br />

4. AE: Loyales Alter-Ego<br />

Genuss bedingungsloser Solidarität<br />

"Ich verfüge über einen loyalen Begleiter, der alles mit mir teilt, der nichts fordert, für<br />

mich da ist und dem ich blind vertrauen kann"<br />

5. PR: Phallische Integrität<br />

Imponierende, Beifall fordernde Selbstpositionierung<br />

"Ich bin ein intaktes phallisches Lust- und Kraftzentrum"<br />

6. SV: Selbstgenügsamkeit<br />

Genuss der Selbstpositionierung <strong>im</strong> Eigenbezirk<br />

"Ich verfüge über alles, dessen ich bedarf, und kann mich auf eine freundlich bergende<br />

und schützende Welt verlassen"<br />

7. ÖT: Ödipaler Triumph (männlich)<br />

Privilegierte, anerkannte, exklusive öffentliche Dyadenbildung als Ergebnis des Konkurrenz<br />

und Rivalitätskampfes <strong>im</strong> triadischen Raum. Anerkennung des Mannes in<br />

seinem männlichen Potential durch die Frau - Int<strong>im</strong>e Selbstverwandlung der Frau für<br />

den Mann zum Ideal der Weiblichkeit<br />

"Ich kann Mutter dazu bringen, meine Männlichkeit anzuerkennen, und sie verwandelt<br />

sich für mich in die Frau meiner Träume"<br />

8. ÖT: Ödipaler Triumph (weiblich)<br />

Privilegierte, anerkannte, exklusive öffentliche Dyadenbildung als Ergebnis des Konkurrenz-<br />

& Rivalitätskampfes <strong>im</strong> triadischen Raum. Auszeichnung der Frau durch den<br />

Mann – Beschenkung der Frau durch den Mann mit den Ressourcen seiner Phallizität<br />

"Vater zeichnet mich vor allen Konkurrenten und Konkurrentinnen aus, legt mir sein<br />

Herz, seine Macht und seine Schätze zu Füssen"<br />

9. GI: Anerkennung durch die Gewissensinstanz<br />

Selbstverantwortung als Selbstbilligung<br />

"Für mein Denken, Fühlen und Handeln wird mir der ungeteilte Beifall meines Gewissens<br />

zuteil"<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergänzende Theorie<br />

10. GN Generativität<br />

Prokreativität, Fruchtbarkeit, Kreativität und Selbsttranszendenz<br />

"Ich kann etwas wachsen lassen, zum Gedeihen bringen, etwas Neues schaffen,<br />

innovativ und originell sein"<br />

Tabelle 1: Prototypische Wunschthemen nach dem Manual der Erzählanalyse JAKOB<br />

(Boothe et al. (2002)), Version 10/02 (S. 87f)<br />

Prototypische Angstthemen<br />

1. VA: Vernichtung<br />

Der Zustand des Urmisstrauens<br />

"Ich bin von einer abweisenden bedrohlichen Welt umgeben ohne Versorgung,<br />

Schutz und Sicherheit"<br />

2. AV Verstossung<br />

Bedingungslose Missachtung durch Elterninstanzen<br />

"Die Eltern ignorieren mich, ich bin für sie ohne Bedeutung und finde keinerlei Beachtung,<br />

gleichgültig, was ich tue"<br />

3. AF Fremdverfügung<br />

Auslieferung an Zugriff, Kontrolle und Verfügung der Objekte nach Bedarf<br />

"Ich bin hilflos der Kontrolle und Steuerung durch mächtige Objekte ausgesetzt"<br />

4. AA Soziale Ablehnung<br />

Bedingungslose Verweigerung von Solidarität<br />

"Ich finde in meiner sozialen Umgebung keinen Anklang, keine Unterstützung, kann<br />

mich nicht anvertrauen und niemandem trauen"<br />

5. AP Potenzverlust<br />

Ressourcenschwund und -verlust in den Bereichen Kraft, Attraktivität und Lust<br />

"Ich bin kraftlos, lustlos und unattraktiv"<br />

6. AG Preisgabe<br />

Verhinderte Selbstpositionierung <strong>im</strong> Eigenbezirk<br />

"Mir steht kein eigener innerer Raum zur Verfügung, dessen Integrität geschützt und<br />

respektiert ist und der zu mir gehört"<br />

7. KA Kastration<br />

Sexuelle Avance mit Verlust der Phallizität sanktioniert<br />

"Die körperlich int<strong>im</strong>e Annäherung ans ödipale Objekt wird durch Verlust der Phallizität<br />

bestraft"<br />

8. AB: Beschämung<br />

Selbstenthüllung als Entblössung der Defizienz, Abgelehnte Werbung<br />

"Die körperlich int<strong>im</strong>e Annäherung ans ödipale Objekt macht beschämend deutlich,<br />

dass ich nicht genüge"<br />

9. SG Sanktion der Gewissensinstanz<br />

Selbstverantwortung als Selbstverurteilung<br />

"Das Gewissen verfolgt mich mit Verurteilung für Dinge, die ich gedacht, gefühlt oder<br />

ausgeführt habe"<br />

10. AU Unproduktivität<br />

Stagnation, Burnout, Unfruchtbarkeit, Selbstaufgabe<br />

"Ich bin isoliert und unproduktiv"<br />

Tabelle 2: Prototypische Angstthemen nach dem Manual der Erzählanalyse JAKOB (Boothe<br />

et al. (2002)), Version 10/02 (S. 87f):<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ergänzende Theorie<br />

Zusammengefasst lassen sich entlang der Phasen der psychosexuellen Entwicklung<br />

die folgenden Wunsch- und Angstthemen ausmachen:<br />

Phasen der psychosexuellen<br />

Entwicklung<br />

orale Phase<br />

anale Phase<br />

ödipale Phase<br />

Pubertät, Adoleszenz,<br />

Erwachsenenalter<br />

Phasen der Entwicklung<br />

<strong>im</strong> Beziehungskontext<br />

Vermittlung<br />

Exodus (lat. Auszug,<br />

Ausgang)<br />

Einschluss-<br />

Ausschluss<br />

Fremdwerdung<br />

Wunschthemen<br />

- Verewigter Kindstatus<br />

- Verbundenheit<br />

und Sicherheit<br />

- Objektverfügung<br />

- Loyales Alter Ego<br />

- männlicher ödipaler<br />

Triumph<br />

- weiblicher ödipaler<br />

Triumph<br />

- Anerkennung<br />

durch die Gewissensinstanz<br />

- Generativität<br />

Tabelle 3: Wunsch- und Angstthemen <strong>im</strong> Überblick<br />

(Manual der Erzählanalyse JAKOB,Version 10/02)<br />

Angstthemen<br />

- Verstossung<br />

- Vernichtung<br />

- Potenzverlust<br />

- Preisgabe<br />

- Kastration<br />

- Beschämung<br />

- Sanktion der Gewissensinstanz<br />

- Unproduktivität<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Anhang zu den Ergebnissen<br />

G. Anhang zu den Ergebnissen<br />

Personennummer<br />

P6<br />

Kurzbeschreibung<br />

der Fälle 7<br />

Mutter besch<strong>im</strong>pft und beschuldigt<br />

am Telefon die<br />

Lehrperson, nachdem die<br />

Tochter <strong>im</strong> freiwilligen Mittagskurs<br />

vergeblich vor falschem<br />

Raum gewartet hat.<br />

<strong>Verbale</strong>r Angriff der<br />

Erzählung <strong>im</strong> Wortlaut<br />

der Erzählung<br />

(aus dem Transkript)<br />

Lehrperson spricht von der Mutter:<br />

"Und diese Mutter hat... ähh... mich<br />

auch relativ fest angefahren, das<br />

sei keine Art und Weise... es sei<br />

eine Frage wo ich mein Diplom her<br />

habe, wenn es mir nicht einmal<br />

gelinge Sachen zu organisieren...<br />

äähhh... dann sollte es mir eigentlich<br />

verboten sein mit Schülern zu<br />

arbeiten, wenn ich solche Sachen<br />

nicht <strong>im</strong> Griff habe und Schüler<br />

dürfen sich so was wohl nie erlauben<br />

und ich nähme mir solche<br />

Sachen raus und ähh... sie wurde<br />

relativ emotional."<br />

Zuordnung des verbalen<br />

Angriffs zu Klassen<br />

(Typen)<br />

Vorwürfe machen<br />

Kritisieren<br />

Besch<strong>im</strong>pfen/<br />

Beleidigen<br />

"Herunterputzen" einer Person<br />

Eingebettet in einen<br />

Konflikt oder isoliertes<br />

Ereignis?<br />

isoliertes Ereignis<br />

7 Anmerkung: Bei der Kurzbeschreibung der neun Fälle hielt ich mich an folgende Regeln: Zuerst schildere ich den Akteur des verbalen Angriffs und die Situation.<br />

Das Ganze beschreibe ich <strong>im</strong> Präsens, und die Vorgeschichte fasse ich so zusammen, dass ich der Komplexität der ursächlichen Zusammenhänge Rechnung<br />

trage. Ich verwende also kein "weil", sondern "wenn" oder "nachdem". Alle Details lasse ich weg. Zusätzlich verfremde ich aus Gründen der Vertraulichkeit<br />

gewisse Elemente, damit die Lesenden, welche <strong>im</strong> gleichen geographischen Umfeld in der Schule tätig sind, nicht rekonstruieren können, um welche Personen<br />

es sich handelt.<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Anhang zu den Ergebnissen<br />

P7<br />

Vater macht in Gespräch mit<br />

Klassenlehrperson und<br />

Schulleitung der Lehrperson<br />

bittere Vorwürfe, nachdem<br />

sein Sohn sich <strong>im</strong> Sportkurs<br />

von der Lehrperson ungerecht<br />

behandelt fühlte. Eltern<br />

hatten der Lehrperson<br />

zu Beginn des Kurses vorenthalten,<br />

dass Sohn unter<br />

einer Lernbehinderung leidet.<br />

Lehrperson spricht vom Vater:<br />

"...dann kam der Vater und wollte<br />

ein Gespräch mit mir, mit dem<br />

Schulleiter und dem Klassenlehrer<br />

und sagte sein Sohn sei psychisch<br />

so fertig gemacht worden von mir,<br />

dass er in Behandlung müsse zu<br />

einem Psychiater. Und er verlange<br />

von der Schulleitung, dass sie<br />

mich dispensieren würden und<br />

vom Job wegbringen, weil ich nicht<br />

fähig sei Schüler oder Kinder zu<br />

unterrichten.“<br />

Vorwürfe machen<br />

Kritisieren<br />

Besch<strong>im</strong>pfen/<br />

Beleidigen<br />

eingebettet in einen Konflikt<br />

P8<br />

P9<br />

Vater äussert anlässlich eines<br />

Elterngesprächs Kritik<br />

am Unterricht der Lehrperson.<br />

Lehrperson wird <strong>im</strong> Unterricht<br />

provoziert wenn Schülerinnen<br />

ihr vorgaukeln, sie<br />

könnten den Computer nicht<br />

bedienen, nachdem sie<br />

schon lange am Computer<br />

gearbeitet haben.<br />

Lehrperson spricht vom Vater: "...<br />

und der Vater dieser Schülerin<br />

sagte dann 'Ja, das könnte theoretisch<br />

schon sein, aber entweder<br />

liegt es an der Klasse oder es liegt<br />

am Lehrer'...und er hat es dann<br />

irgendwie so ausgesprochen, dass<br />

es irgendwie ja, so getönt hat,<br />

wie… wenn ich nicht so streng<br />

wäre… oder vielleicht wenn ich es<br />

besser organisieren würde, was<br />

auch <strong>im</strong>mer, dann müssten nicht<br />

so viele Schüler nachhocken."<br />

Lehrperson spricht von Schülern:<br />

"Die kamen rein und sagten: (mit<br />

leicht verstellter St<strong>im</strong>me) 'Sie, wir<br />

wissen einfach nicht, wo wir den<br />

PC anstellen müssen.’ "<br />

Vorwürfe machen Kritisieren<br />

Provozieren<br />

eingebettet in einen Konflikt<br />

isoliertes Ereignis<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Anhang zu den Ergebnissen<br />

P10<br />

P12<br />

P13<br />

Lehrperson wird in Klasse<br />

von einem Schüler mehrmals<br />

angelogen. Es geht um Absenzen<br />

vom Unterricht wegen<br />

Arztterminen.<br />

Vater wirft <strong>im</strong> Elterngespräch<br />

der Lehrperson Trunksucht<br />

vor und versucht den Betragens-Eintrag<br />

des Sohnes <strong>im</strong><br />

Zeugnis zu verhindern.<br />

Schüler spricht vor versammelter<br />

Klasse gegenüber der<br />

Lehrperson eine Gewaltdrohung<br />

aus, nachdem er von<br />

ihr wegen Störung des Unterrichts<br />

mehrmals verwarnt<br />

worden ist.<br />

Lehrperson spricht von Schüler:<br />

" ...Den Zettel, mit Bleistift geschrieben,<br />

Schülerschrift. (kurze<br />

Pause) Habe ich gesagt. ‚komm,<br />

glaube ich dir nicht. Das st<strong>im</strong>mt<br />

doch nicht.’, ‚doch, das st<strong>im</strong>mt.’,<br />

‚hat das der Arzt geschrieben?’, ‚ja,<br />

das hat der Arzt geschrieben.’<br />

Wirklich, so… also.. habe ich gesagt:<br />

‚schau jetzt, ich gehe in diese<br />

Praxis runter-das ist in Immensee 8 -<br />

und frage, ob das so ist.’, ‚ja, sie<br />

können gehen, es st<strong>im</strong>mt.’ Habe<br />

ich gesagt: ‚gut, also gehe ich’ bin<br />

ich gegangen, prompt hat es nicht<br />

gest<strong>im</strong>mt. Also wirklich, so extrem,<br />

oder.“<br />

Lehrperson spricht vom Vater: "Ich<br />

sei kein Vorbild für seinen Sohn<br />

gewesen <strong>im</strong> Klassenlager, weil ich<br />

jeden Morgen betrunken gewesen<br />

sei."<br />

Lehrperson spricht vom Schüler:<br />

"Und dann nachher lief er raus und<br />

sagte:’ Hau dir öppe mol eis ad<br />

Schnöre’."<br />

Belügen<br />

Vorwürfe machen<br />

Besch<strong>im</strong>pfen/<br />

Beleidigen<br />

Unterstellen<br />

Besch<strong>im</strong>pfen/<br />

Beleidigen<br />

Drohen<br />

Widersprechen<br />

isoliertes Ereignis<br />

isoliertes Ereignis<br />

eingebettet in einen Konflikt<br />

8 Ort geändert (aus Datenschutzgründen)<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Anhang zu den Ergebnissen<br />

P15<br />

P18<br />

Schülerin gibt <strong>im</strong> Schlussgespräch<br />

der Lehrperson eine<br />

ausnahmslos negative Kritik<br />

ab, nachdem diese sich für<br />

die depressiv erkrankte<br />

Schülerin jahrelang und mit<br />

grossem Aufwand eingesetzt<br />

hat.<br />

Lehrperson wird in Dorfbeiz<br />

von Vater beschuldigt, den<br />

Sohn nicht genug gefördert<br />

zu haben sodass dieser jetzt<br />

schlechte Berufschancen<br />

habe. Dies erfolgt nachdem<br />

Lehrperson sich jahrelang für<br />

den behinderten Schüler<br />

eingesetzt hat und Eltern<br />

nicht mit der Lehrperson kooperiert<br />

haben.<br />

Lehrperson spricht von Schülerin:<br />

"... die mir dann so ins Gesicht<br />

hinein sagen musste... ööhhmm...<br />

so quasi (wartet kurz)... sie haben<br />

mich... <strong>im</strong>mer... oder (wartet<br />

kurz)... sie haben mir (wartet<br />

kurz)... mich drei Jahre lang...<br />

schlecht... also nicht so behandelt,<br />

wie sie sich das vorgestellt hat...<br />

oder sie sei... sie sei enttäuscht<br />

und es gäbe Sachen, bei denen<br />

sie fand... ähhh.... das sei völlig<br />

daneben gewesen... Erlebnisse,<br />

die sie gehabt habe... (wartet<br />

kurz)..."<br />

Lehrperson spricht vom Vater: „Ja,<br />

das sind natürlich schon Äusserungen<br />

wie arrogant, ehm… überheblich,<br />

hinterlistig, ehm… berechnend,<br />

das sind so die Anfangsausdrücke<br />

gewesen und danach ist es<br />

sehr vulgär geworden, Schlampe<br />

und dumme Kuh und Zicke und<br />

solche Ausdrücke.“<br />

(in Dorfbeiz)<br />

Vorwürfe machen<br />

Kritisieren<br />

Killerphrasen äussern<br />

Starres Festhalten an Standpunkten<br />

Vorwürfe machen<br />

Kritisieren<br />

Besch<strong>im</strong>pfen/<br />

Beleidigen<br />

"Herunterputzen" einer Person<br />

Unterstellen<br />

eingebettet in einen Konflikt<br />

eingebettet in einen Konflikt<br />

Tabelle 4: Liste der verbalen <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> ungefähren Wortlaut und Klassifikation<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ideen für weiterführende Arbeiten<br />

H. Ideen für weiterführende Arbeiten<br />

H.1 Gefühlsdeutungen Emotionsschemen<br />

Eine Liste der Gefühlsklassen könnte folgende Klassen enthalten:<br />

Von Traxel übernommene Klassen<br />

Von Plutchik übernommene Klassen<br />

Trauer, Ärger, Gleichgültigkeit, Zorn, Aggressionslust,<br />

Sorge, Angst, Mitleid, Demut,<br />

Schüchternheit, Begehren, Triumphgefühl<br />

Traurigkeit, Ärger, Überraschung, Überraschung,<br />

Enttäuschung, Furcht, Überraschung<br />

ausser sich sein vor Wut (Adrenalinschub),<br />

Selbstberuhigung und -bewältigung der<br />

Eigene zusätzliche Klassen<br />

Verletzung,<br />

(zu ergänzen)<br />

Peinlichkeit,<br />

Klärungsbedürfnis,<br />

Frustration<br />

Tabelle 5: Gefühls-Klassen für die Auswertung<br />

Befragte<br />

Person<br />

P 8<br />

P 9<br />

Wörtliche Passagen der Gefühlsäusserungen<br />

der Lehrpersonen 9<br />

Das hat mich überrascht, weil ... ich hätte es<br />

nicht so erwartet. (LP spricht hier von der<br />

Aussage des Vaters, dass die Tochter<br />

manchmal nach der Schule recht wütend<br />

nach Hause komme)<br />

Das hat mich verletzt, weil...<br />

... dass der Vater das so negativ aufgefasst<br />

hat, hat mich recht verletzt...<br />

Ich habe genau gemerkt, die wollen auf Provokation<br />

raus, oder.<br />

Und dann habe ich gefunden, ich lasse mich<br />

hier nicht provozieren.<br />

Sie wollen ja, dass ich mich aufrege.<br />

Ich gehe <strong>im</strong>mer ein Bisschen nach dem Prinzip<br />

genau nicht das zu tun, was die Schüler<br />

erwarten.<br />

Klassen<br />

Überraschung (P)<br />

Trauer (T), Traurigkeit (P),<br />

Überraschung (P), Ärger<br />

(P, T), Gleichgültigkeit (T),<br />

Zorn (T)<br />

9 Die Beschreibung wurde dem Transkript entnommen<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ideen für weiterführende Arbeiten<br />

P 10 ... dann wurde ich sehr wütend. Ärger (P, T), Zorn (T),<br />

wütend (R)<br />

Also wirklich, da habe ich wirklich gezeigt,<br />

was das eigentlich ist, jemanden anzulügen.<br />

Aggressionslust (T), Ärger<br />

(P, T), Zorn (T),<br />

Ich war wirklich sehr wütend.<br />

Also, das beleidigt einen dann schon sehr, Trauer (T), Traurigkeit (P),<br />

P 13<br />

P 15<br />

P 18<br />

oder, so knallhart belogen zu werden.<br />

In dem Moment, indem so etwas passiert, ist<br />

man <strong>im</strong>mer, gibt es innerlich einen Adrenalinschub,<br />

weil dann bist du so dermassen<br />

schockiert als Lehrer, dass du dich nicht<br />

mehr genau erinnern kannst, was du gemacht<br />

hast. Du bist so wie in einer Art Trancezustand,<br />

weil du weisst, jetzt bist du ganz,<br />

ganz... an einem Punkt, ich meine er ist ja<br />

bekannt gewesen dafür, dass er gewalttätig<br />

war, oder.<br />

... alles solche Sachen versuchte man zu<br />

verhindern, also eben, unter der Androhung<br />

auch, natürlich denn aus Angst ja wenn ich<br />

denn das machen würde, ich will ja das nicht<br />

riskieren (LP spricht hier von der Suizidandrohung<br />

der Schülerin wenn man sie abstufe)<br />

... ich war dann völlig frustriert und habe sogar<br />

geweint dort... also vor ihr eigentlich...<br />

.. und eben... vor allem „hat es mich mögä"...<br />

weil das eine war, die exrem viel Energie und<br />

Zeit von mir brauchte und ich wirklich extrem<br />

das Gefühl hatte... ich habe versucht diese<br />

zu verstehen und alles für sie gemacht und<br />

genau von ihr bekommst du so ein Hammer,<br />

oder...<br />

... <strong>im</strong> ersten Moment hat es mich wahnsinnig<br />

getroffen und....<br />

...nachher musste ich es irgendwie wegstecken<br />

und dann musste ich sagen, ja gut...<br />

wahrscheinlich kann man es denen einfach<br />

nicht recht machen...<br />

Also ich habe ihn dauernd bei so Lügengeschichten<br />

ertappen müssen und es wurde mir<br />

fast ein Bisschen peinlich.<br />

Es ist dann so ein bisschen peinlich, wenn<br />

wir uns sehen sagt er 'hoi' und ich sage 'grüezi'.<br />

(Schmunzeln) und damit hat sich’s.<br />

Aber ich wusste, wenn ich das nicht mache,<br />

dann habe ich diesen Klotz <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Hals,<br />

das belastet mich einfach.<br />

Enttäuschung (P)<br />

Furcht (P), Überraschung<br />

(P), Enttäuschung (P),<br />

Sorge (T), Angst (T), ausser<br />

sich sein vor Wut (Adrenalinschub)<br />

Angst (T), Sorge (T),<br />

Furcht (P),<br />

Ärger (T, P), Trauer (T),<br />

Traurigkeit (P)<br />

Traurigkeit (P), Trauer (T),<br />

Traurigkeit (P), Trauer (T),<br />

Gleichgültigkeit (T),<br />

Selbstberuhigung und<br />

-bewältigung der Verletzung<br />

Enttäuschung (P), Mitleid<br />

(T), Demut, Schüchternheit<br />

(T), Peinlichkeit<br />

Peinlichkeit?, Demut,<br />

Schüchternheit (T)<br />

Begehren (T), Triumphgefühl<br />

(T), Klärungsbedürfnis<br />

Tabelle 6: Gefühlsbeschreibung und Einordnung in Gefühlsklassen<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ideen für weiterführende Arbeiten<br />

Die Auswahl der Textstellen müsste man begründen. In der zweiten Kolonne wurde<br />

die Wirkung des verbalen Angriffs (in der Erzählung) auf die Lehrperson aufgelistet.<br />

Für die Klassen wurden die Begriffe aus Traxels System der Gefühlsqualitäten (T)<br />

und Plutchiks "Emotionspalette" (P) verwendet.<br />

Plutchik hat nur "Ärger" in seiner Emotionspalette. Dieser Begriff könnte meiner Meinung<br />

nach teilweise zu schwach sein. Traxel beschreibt ihn mit "Zorn, Ärger, Abscheu",<br />

was mehr Auswahlmöglichkeit bietet und somit treffender ist.<br />

Bei Plutchik fehlt "Angst" als Begriff. "Enttäuschung" fehlt bei Traxel.<br />

Entschuldigung fehlt bei Traxel und Plutchik. Diese muss gedeutet werden.<br />

Ich habe folgende Emotionsbegriffe ergänzt und somit Traxels System der Gefühlsqualitäten<br />

folgendermassen erweitert:<br />

Empörung, Nichtverstehen (= Verstand und kein Gefühl?), Peinlichkeit, Interesse,<br />

Klärungsbedürfnis, Fairness, Verantwortungsgefühl<br />

Traxels System der Gefühlsqualitäten könnte man erweitern mit den eigenen Gefühlswörtern,<br />

die gefunden wurde und diese in die vier Achsen einteilen von Traxels<br />

System der Gefühlsqualitäten. Diese Abbildung könnte man ergänzen mit den eigenen<br />

Gefühlsklassen.<br />

Abbildung 3: Das System der Gefühlqualitäten von Traxel<br />

(Bild aus: Tücke (2003, S. 310)<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ideen für weiterführende Arbeiten<br />

Typische Reaktionsweisen auf Kränkungen<br />

Stellen wir uns die Situation <strong>im</strong> Klassenz<strong>im</strong>mer vor. Manchmal sind wir in der Lage<br />

kontrolliert und sachlich zu überlegen, welches Verhalten in der entsprechenden Situation<br />

der Verletzung sinnvoll wäre, ohne diese Verletzung dem anderen zurückzugeben.<br />

Beispielsweise könnte ein Schüler sagen: "Sie sind eine schlechte Lehrperson,<br />

ich komme nie draus wenn sie etwas erklären." In dieser Lage könnte man dem<br />

Schüler zum Beispiel sagen, dass seine Bemerkung sehr verletzt hat oder dass man<br />

ärgerlich ist oder eine Entschuldigung erwartet. Die Voraussetzung, um so souverän<br />

reagieren zu können ist, dass man weiss was man fühlt. Gerade diese Wahrnehmung<br />

ist bei Kränkungen getrübt, was dazu führt, dass man keine wirkliche Wahlmöglichkeit<br />

mehr zu haben scheint. Statt dessen verhält man sich "reflexartig", je<br />

nach Veranlagung, auf eine der folgenden Weisen:<br />

Man entscheidet sich für den Rückzug<br />

Man geht zum Gegenangriff über<br />

Man bleibt passiv in der Opferrolle<br />

Eine weitere Arbeit könnte untersuchen, ob in den Fällen aus dieser Arbeit auch mit<br />

diesen typischen Mustern auf Kränkungen reagiert wurde. Folgende Fragestellung<br />

könnten sich ergeben: Wie geht eine Lehrperson mit solchen Kränkungen um, ohne<br />

dass sie noch mehr Schaden anrichtet? Heilen emotionale Verletzungen schneller,<br />

wenn man lernt zu Verzeihen? Im Folgenden sind die drei typischen Reaktionsweisen<br />

auf Kränkungen nach Döring (Döring, D.,Juni 2007, S. 26-29) aufgelistet.<br />

Rückzug<br />

Bei Schülern ist der Rückzug nicht in der typischen Art möglich. Es ist obligatorisch,<br />

täglich zur Schule zu gehen. Sie können sich höchstens in Form von "weniger oder<br />

nichts mehr sagen" gegenüber der Lehrperson zurückziehen. Sie könnten sie ihr gegenüber<br />

verschliessen. Bei Eltern ist ein Rückzug viel besser möglich. Ein Rückzug<br />

geschieht durch einen Kontaktabbruch. Dieser zementiert jedoch die negative Einstellung<br />

gegenüber einander und zu sich selbst. Wenn sich die Eltern beispielsweise<br />

an einem Elterngespräch gekränkt fühlen durch die Lehrperson, egal aus welchem<br />

Grunde, dann können sie den Kontakt zur Lehrperson ohne Probleme abbrechen,<br />

indem sie das Telefon nicht abnehmen, Briefe nicht beantworten und insgesamt einfach<br />

nichts mehr von sich hören lassen. Besser wäre es, vielleicht für eine gewisse<br />

Zeit auf Abstand zu gehen, die Tür aber nicht völlig zuzuschlagen, damit einer späteren<br />

Versöhnung nichts <strong>im</strong> Wege steht.<br />

Kontaktabbruch heisst, dem anderen "die kalte Schulter" zu zeigen, ihn "mit Verachtung<br />

zu strafen." Gekränkte sagen: "Ich will nichts mehr mit dem/der zu tun haben.<br />

Der/die ist für mich gestorben." In Familienkreisen würde man mit Schweigen und<br />

Liebesentzug reagieren. Doch die Abwendung vom Kränkenden ist nicht die Lösung<br />

des Problems, denn auch wenn man mit dem Kränkenden nichts mehr zu tun hat, ist<br />

man dennoch mit ihm beschäftigt – und das oft heftiger und länger, als uns lieb ist.<br />

Man wird in belastender Weise an den Kränkenden gebunden und damit hat er weiter<br />

Macht über uns. Be<strong>im</strong> Gekränkten verbindet sich nicht selten Wut mit Verachtung,<br />

die Folgen sind Destruktivität, Gnadenlosigkeit und Trotz. Der Gekränkte wendet sich<br />

ab, "spielt" nicht mehr mit und verweigert sich damit. Die Wut infolge einer Kränkung<br />

löst das Problem, wie schon oben erwähnt, nicht, sondern sie zerstört allenfalls die<br />

Beziehung zum anderen, oft sogar vorsätzlich.<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ideen für weiterführende Arbeiten<br />

Gegenangriff<br />

"Rache ist süss." Eine typische Person, die die Veranlagung hat zum Gegenangriff ist<br />

diese von Fall 12. Ihr Motto, das sie den Schülerinnen und Schüler in der ersten<br />

Schulstunde bekannt gibt ist "Auge und Auge, Zahn um Zahn." Be<strong>im</strong> Gegenangriff<br />

will der Gekränkte in seiner Enttäuschung den anderen verletzten, ihn treffen, ihm so<br />

viel Schmerz zufügen, wie er selbst erlitten hat. Dieser Gedanke erfüllt ihn mit Genugtuung.<br />

Rache verschafft der Person die Illusion, die verloren gegangene Kontrolle<br />

zurückzugewinnen. Rache ist aber Aggression nach aussen, wodurch der Gekränkte<br />

sich stärker und selbstbewusster fühlt. Er gibt erlittene Aggressionen und Verletzungen<br />

zurück. Es kann ein einschneidendes Erlebnis gegeben haben, das dem Gekränkten<br />

Rache zur Lebensaufgabe macht. Alles Denken und Fühlen kreist dabei<br />

<strong>im</strong>mer und <strong>im</strong>mer wieder um das erlittene Unrecht und denjenigen, der es verursachte.<br />

Bei einer Lehrperson kann dies ein Schüler gewesen sein, worauf sich die Rache<br />

auf Schüler <strong>im</strong> Allgemeinen ausdehnen könnte. In dieser Spirale wird das "Opfer"<br />

zum Gefangenen seiner negativen Gefühle. Der Gekränkte fürchtetet, dass seine<br />

Aufgabe seiner Rachegelüste dem Kränkenden "Oberwasser" verschaffen könnte<br />

und er ohne Strafe davonkommt.<br />

Was kann man in so einer hoffnungslos verfahrenen Situation tun? Vor allem Handeln<br />

muss die Erkenntnis stehen, dass Rache keine Lösung ist das Problem zu lösen<br />

und es muss die Bereitschaft aufgebracht werden können, nach einer besseren Lösung<br />

zu suchen. Darüber hinaus müssen die Konfliktparteien auch bereit sein, ihren<br />

Stolz zu überwinden und über ihren eigenen Schatten zu springen. Gerade das ist so<br />

schwer, weil der Gekränkte, der grosszügig die Hand zur Versöhnung reicht, fürchtet,<br />

am Ende als Verlierer dazustehen – was als Lehrperson nicht nur eine zusätzliche<br />

Kränkung wäre, sondern eine Angst nicht mehr als Autoritätsperson anerkannt zu<br />

sein.<br />

Passives Bleiben in der Opferrolle<br />

Neben Scham und Wut ist Schmerz eine weitere Möglichkeit einer emotionalen Reaktion<br />

auf Kränkungen. Statt eine emotionale Enttäuschung zu betrauern, flüchten<br />

viele Gekränkte in Selbstmitleid. Man gefällt sich in der Opferrolle.<br />

Wer in seiner führen Kindheit Wertschätzung entbehrte, dann besteht eine hohe<br />

Wahrscheinlichkeit, dass er als Erwachsener überhöhte Anforderungen nach Anerkennung,<br />

Akzeptanz und Achtung hat. Wer dagegen früh in seinem Leben positive<br />

Erfahrungen sammeln konnte und das Gefühl bekam, liebevoll angenommen zu sein,<br />

wird <strong>im</strong> Erwachsenenalter weniger auf äussere Zuwendung angewiesen sein, sondern<br />

seine Zuversicht und sein Selbstvertrauen werden ihm die Unterstützung geben,<br />

die andere unbedingt von aussen benötigen und erwarten. Lehrpersonen in so<br />

einer Situation erwarten dann beispielweise von den Schülerinnen und Schüler, den<br />

Eltern oder den Lehrerkollegen diese Anerkennung. Sobald diese Erwartungshaltung<br />

von aussen nicht erfüllt wird, gerät das Leben solcher Menschen oft aus dem Lot.<br />

Das Sprichwort "Zeit heilt alle Wunden" st<strong>im</strong>mt nicht <strong>im</strong>mer. Wer Verletzungen und<br />

Kränkungen verdrängt, statt sie zu verarbeiten, schafft die Grundlage für körperliche<br />

Erkrankungen.<br />

Viele Menschen haben Mühe erlittene Verletzungen zu vergessen oder zu verzeihen.<br />

Sie denken jahrelang verbittert und unversöhnlich an eine erlittene Verletzung, pflegen<br />

die Erinnerung daran und meinen, dies sei ein Zeichen von seelischer Stärke<br />

und Charakterfestigkeit. Wer mit einer so starren, unversöhnlichen Haltung durchs<br />

Leben geht, kann seines Lebens nicht mehr froh werden, denn das Aufrechterhalten<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007


<strong>Verbale</strong> <strong>Angriffe</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulalltag</strong><br />

Ideen für weiterführende Arbeiten<br />

eines Feindbildes vergiftet die Gefühle, weil man fühlt, was man denkt. Groll macht<br />

die Seele hart! Viel Zeit und Energie sind an Kränkungen gebunden, gehen an ihnen<br />

verloren und stehen dem übrigen Leben nicht mehr zu Verfügung. Eine Kränkung<br />

heilt nur schwer, solange sie nicht verarbeitet und vergeben ist. "Unerledigt" taucht<br />

sie <strong>im</strong> Seelenleben <strong>im</strong>mer wieder auf und verhindert eine wirkliche Heilung.<br />

Es ist ungesund nachtragend zu sein. Solange man jemandem etwas nachträgt, ist<br />

nicht der andere das wahre Opfer, sondern man selber. Solange man sich auf die<br />

seelischen Verletzungen konzentriert, gibt man dem Menschen, der sie verletzt hat,<br />

erhebliche Macht über sich selber. Dies beweisen Forschungsergebnisse der USamerikanischen<br />

Stanford-Universität. Die Dauerqual, verletzt zu sein, macht Seele<br />

und Körper krank. Verzeihen dagegen, hilft. Dies fanden Forscher heraus.<br />

Kreyenberg's Ansatz zur Deeskalation von Konflikten<br />

Kreyenberg (2005) versteht unter einer Intervention zur Konfliktlösung und Konsensfindung<br />

eine zielgerichtete Kommunikation zur Deeskalation von Konflikten, die die<br />

Beteiligten so beeinflusst, dass eine kooperative Zusammenarbeit wieder möglichst.<br />

Kreyenberg unterteilt diese positive Beeinflussung der Beteiligten in drei Ebenen<br />

(Kreyenberg, 2005, S. 296):<br />

1. Die wichtigste Beeinflussung betrifft die eigene Person. Konfliktmanagement<br />

muss <strong>im</strong>mer daran ansetzen, sich selbst in einen günstigen emotionalen Zustand<br />

zu versetzen und die eigenen Verhaltensweisen bewusst und flexibel<br />

einzusetzen.<br />

2. Andere Menschen sind nicht zwangsläufig durch Fremdeinwirkung veränderbar<br />

– wir können sie jedoch durch eine Veränderung des eigenen Vorgehens<br />

dazu einladen, das Zusammenleben und arbeiten angenehmer zu gestalten.<br />

3. Als unparteiischer, unbeteiligter Dritter stehen uns noch weitere Interventionsmethoden<br />

zur Verfügung. Es ist jedoch auch möglich, diese innere Haltung<br />

des Abstands als Beteiligter einzunehmen.<br />

Anhang Masterarbeit Tanja Rothenfluh 8. November 2007

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!