Jahrgang 81 Nr. 2 - Reformierte Siebenten-Tags-Adventisten in ...
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mag nicht dieses Gefühl der Hilflosigkeit,<br />
der Nutzlosigkeit. Diese Frage<br />
stellen sich viele Hilfsbedürftige: „B<strong>in</strong><br />
ich noch nütze? Wenn ich jetzt stürbe,<br />
wäre das nicht für alle besser?“. So<br />
lange ich kann, möchte ich me<strong>in</strong>en<br />
Lieben viel geben. Es kann aber e<strong>in</strong>e<br />
Zeit kommen, da kann ich es nur noch<br />
mit dem Erzählen von Erfahrungen,<br />
durch Zuhören und vielleicht nur noch<br />
mit e<strong>in</strong>em <strong>in</strong> Gedanken verfassten<br />
Gebet. Ist das alles überhaupt etwas<br />
wert? Ob me<strong>in</strong> Erzählen, me<strong>in</strong> Zuhören<br />
und me<strong>in</strong>e Gebete me<strong>in</strong>er Familie<br />
etwas wert s<strong>in</strong>d, wird heute entschieden!<br />
Wenn wir heute ke<strong>in</strong> liebevolles<br />
Verhältnis gestalten können, wie sollte<br />
es <strong>in</strong> schweren Tagen aufblühen? Wir<br />
säen heute und formen schon jetzt <strong>in</strong><br />
K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen das Wissen,<br />
dass die Weisheit des Alters e<strong>in</strong><br />
Schatz ist.<br />
Lebenshilfe statt Sterbehilfe!<br />
Bevor wir uns über Sterbehilfe Gedanken<br />
machen, sollten wir uns fragen:<br />
Helfen wir e<strong>in</strong>ander leben? Seit<br />
dem Sündenfall existiert unsere Erde<br />
unter dem Fluch der Sünde. Unzählige<br />
Menschen müssen mit Widrigkeiten<br />
leben, die ihnen e<strong>in</strong> glückliches<br />
Leben verwehren. Wir s<strong>in</strong>d zwar <strong>in</strong> der<br />
erfreulichen Lage, nicht hungern oder<br />
frieren zu müssen, doch mit all den<br />
traurigen E<strong>in</strong>flüssen der Sünde haben<br />
wir alle zu kämpfen. E<strong>in</strong>ander Lebenshilfe<br />
zu geben, sollte e<strong>in</strong> christliches<br />
Grundbedürfnis se<strong>in</strong>. Nehmen wir die<br />
Nöte des anderen wahr? Wagen wir<br />
es Hilfe anzubieten oder heißt unser<br />
Motto „Das geht mich nichts an!“? Wir<br />
haben wunderbare Schriften aus dem<br />
Bereich „Lebenshilfe“, z. B. „In den<br />
Fußspuren des großen Arztes“. Aber<br />
wir dürfen auch direkt mit Menschen<br />
<strong>in</strong>s Gespräch kommen und e<strong>in</strong>e praktisch<br />
helfende Hand reichen. Das gilt<br />
sicher nicht nur bei Menschen, denen<br />
wir vom Evangelium erzählen wollen.<br />
Auch <strong>in</strong>nerhalb der Geme<strong>in</strong>de sollte<br />
es uns noch mehr e<strong>in</strong> Herzensanliegen<br />
se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>ander Gutes zu tun.<br />
„Lasst uns Gutes tun an jedermann,<br />
allermeist aber an des Glaubens Genossen.“<br />
(Galater 6, 10)<br />
Sterbebegleitung<br />
statt Sterbehilfe!<br />
jemandem zum Tode zu verhelfen,<br />
ihm mediz<strong>in</strong>ische und menschliche<br />
Zuwendung zu verwehren. Sterbebegleitung<br />
h<strong>in</strong>gegen heißt für den Sterbenden<br />
zu sorgen, ihm die mögliche<br />
mediz<strong>in</strong>ische Betreuung zu gewähren<br />
und vor allem, was heute vielfach<br />
vernachlässigt wird, die menschliche<br />
Zuwendung. Ideal s<strong>in</strong>d die Anwesenheit<br />
von nahen Verwandten und<br />
die vertraute Atmosphäre des eigenen<br />
Heims. Wo das nicht möglich ist,<br />
sollte doch diesem Ideal möglichst<br />
nahe gekommen werden. In Altersund<br />
Pflegeheimen wird oft aufopferungsvoll<br />
für Sterbende gesorgt. Wer<br />
e<strong>in</strong> christliches oder gar adventistisch<br />
geführtes Heim <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Nähe hat,<br />
kann dankbar se<strong>in</strong>. Wir können alle<br />
schneller als wir denken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Situation<br />
kommen, e<strong>in</strong>em Sterbenden<br />
beizustehen: e<strong>in</strong> beruhigendes Wort,<br />
das Halten e<strong>in</strong>er Hand, das Streicheln<br />
e<strong>in</strong>es Gesichts, das Vorlesen aus der<br />
Bibel und das Beten mit und für den<br />
Sterbenden. „… verachte de<strong>in</strong>e Mutter<br />
nicht, wenn sie alt wird.“<br />
(Sprüche 23, 22)<br />
Jedes Leben ist wertvoll!<br />
lebensunerfahrene Jugend, wenn<br />
nicht jemand, der ihr schon vorausgegangen<br />
ist, mit Rat und Tat zur Stelle<br />
ist? Wir brauchen Geschwister, die<br />
uns erzählen: „Ich b<strong>in</strong> jung gewesen<br />
und alt geworden …“ (Psalm 37, 25)<br />
Wie steht es um den Kranken? Ist er<br />
e<strong>in</strong> lebender Beweis für e<strong>in</strong> sündiges<br />
oder ungesundes Leben? Nehmen<br />
wir ihn wahr als e<strong>in</strong> zu bedauerndes<br />
Geschöpf oder ist er an unsere Seite<br />
gestellt, damit wir mit ihm leben lernen<br />
– so wie Jesus es uns vorlebte?<br />
Wir denken natürlich zuerst an die<br />
Heilung. Aber auch das Aufrichten,<br />
das Annehmen und die Bewältigung<br />
der Krankheitssituation s<strong>in</strong>d Bereiche,<br />
<strong>in</strong> denen wir e<strong>in</strong>ander helfen sollten.<br />
Helft e<strong>in</strong>ander praktisch!<br />
Die gestresste Mutter kle<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>der,<br />
der überarbeitete Familienvater, Alle<strong>in</strong>erziehende,<br />
Menschen <strong>in</strong> schwierigen<br />
Lebenslagen, Betreuende von<br />
pflegebedürftigen Angehörigen – sie<br />
alle bräuchten e<strong>in</strong> ermutigendes Wort<br />
und vor allem e<strong>in</strong>e helfende Hand.<br />
Machen wir uns doch die Mühe, uns<br />
<strong>in</strong> die Lage des anderen zu versetzen<br />
und se<strong>in</strong>e Bedürfnisse zu verstehen.<br />
„Christen schaffen immer alles alle<strong>in</strong>,<br />
denn sie haben ja Jesus!“ – ist e<strong>in</strong>e<br />
bequeme, selbstbezogene Feststellung.<br />
Wie wollen wir Freundlichkeit,<br />
Güte und Barmherzigkeit lernen,<br />
wenn wir nicht <strong>in</strong> die Praxis gehen?<br />
In unserer verwirrten Gesellschaft<br />
f<strong>in</strong>den wir stets Extreme: Menschen,<br />
die vor Überlastung fast zusammenbrechen<br />
und jene, die kaum etwas zu<br />
tun haben. Je nach dem, was auf uns<br />
zutrifft, dürfen wir Hilfe anbieten oder<br />
annehmen. „Gutes zu tun und mit anderen<br />
zu teilen, vergesst nicht; denn<br />
solche Opfer gefallen Gott.“<br />
(Hebräer 13, 16)<br />
„Jeder, der Christi Geist hat, hegt<br />
für die Schwachen und Betagten besondere<br />
Achtung und zärtliche Liebe.<br />
…Wir dürfen unsere Verantwortung<br />
nicht auf andere abschieben. Denen,<br />
die <strong>in</strong> unseren Geme<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d, sollen<br />
wir dieselbe Liebe und dasselbe<br />
Mitgefühl erzeigen, das Christus<br />
an den Tag legte, wäre er an unsrer<br />
Stelle. So sollen wir dazu zugerichtet<br />
werden, im S<strong>in</strong>ne Christi zu arbeiten.“<br />
(Schatzkammer Bd. II, S. 457)<br />
Mögen wir alle jetzt schon freudig<br />
lernen, uns im Leben beizustehen,<br />
damit wir auch e<strong>in</strong>mal befähigt se<strong>in</strong><br />
Menschen als „altes Eisen“ zu bezeichnen,<br />
ist e<strong>in</strong> Ausdruck der Unvernunft<br />
unserer Zeit. Wir s<strong>in</strong>d zu recht<br />
entsetzt über die folgenschwere Bezeichnung<br />
„lebensunwertes Leben“<br />
des Naziregimes. Aber auch die moderne<br />
Zeit sortiert z. B. eventuell beh<strong>in</strong>derte<br />
K<strong>in</strong>der schon im Mutterleib<br />
aus. Es ist nicht mehr nötig, dass<br />
kranke und beh<strong>in</strong>derte K<strong>in</strong>der geboren<br />
werden. Müssen sich dann lebende<br />
Schwerkranke und Beh<strong>in</strong>derte als<br />
„ich dürfte eigentlich nicht da se<strong>in</strong>“<br />
fühlen? Gott kennt ke<strong>in</strong>e Wertung des<br />
Menschen als Nutz- und Kostenfaktor.<br />
Bei ihm ist jedes Leben wertvoll; so<br />
wertvoll, dass er se<strong>in</strong>en Sohn für die<br />
Erlösung des Menschen ans Kreuz<br />
gab – auch für alte, kranke und beh<strong>in</strong>derte<br />
Menschen!<br />
Schätzen wir den Erfahrungsreichtum<br />
älterer Menschen? Wir s<strong>in</strong>d seit<br />
ungefähr 16 Jahren Glieder e<strong>in</strong>er<br />
Ortsgeme<strong>in</strong>de, die oft wegen ihres<br />
Reichtums an jungen Familien mit<br />
vielen K<strong>in</strong>dern gerühmt wurde. Das<br />
war auch wirklich sehr schön. Dennoch,<br />
nicht selten stellten wir fest:<br />
uns fehlen ältere Geschwister. H<strong>in</strong><br />
und wieder war zwar jemand da, aber<br />
ich denke, wir hätten noch mehr die<br />
Erfahrung, Weisheit, Ausgeglichenheit<br />
und Besonnenheit des Alters ge-<br />
Den Prozess des Sterbens können<br />
wir nicht aus dem Leben ausblenden.<br />
Wie viele Menschen leben und<br />
mögen, Menschen im Sterben zu begleiten!<br />
sterben alle<strong>in</strong>? Sterbehilfe bedeutet braucht. Woh<strong>in</strong> läuft die ungestüme,<br />
Amen.<br />
Ines Müller<br />
<strong>Jahrgang</strong> <strong>81</strong>, <strong>Nr</strong>. 2 11