palliativmedizin – - Hannoversche Ärzte-Verlags-Union
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klinik und praxis<br />
as „Arzt-Patienten-Verhältnis“<br />
stellt eine sehr persönliche, individuelle<br />
Beziehung dar und<br />
suggeriert eine relative Unabhängigkeit<br />
von gesellschaftlichen Bindungen.<br />
Die praktizierte Medizin hat sich jedoch<br />
an den konkreten Rahmenbedingungen<br />
des solidarischen Versicherungsund<br />
Versorgungssystems zu orientieren.<br />
Dies bedeutet, dass beispielsweise<br />
für Leistungen zur spezialisierten ambulanten<br />
Palliativversorgung (SAPV)<br />
nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) V<br />
Anspruchsvoraussetzungen und bestimmte<br />
Anforderungen an die Erkrankung<br />
vorliegen müssen und diese<br />
sich nicht allein am Wunsch des behandelnden<br />
Arztes, der Betroffenen<br />
oder Angehörigen orientieren können. 1<br />
Ein Leistungsanspruch wird erst dann<br />
begründet, wenn objektiv belegbar und<br />
plausibel nachvollziehbar die Kriterien<br />
der maßgeblichen Richtlinie des Gemeinsamen<br />
Bundesausschusses erfüllt<br />
werden. Die Sozialmedizinische Beratung<br />
und Begutachtung versteht sich<br />
als Bindeglied zwischen der individuell<br />
ausgeübten Medizin und ihren gesellschaftlichen<br />
Rahmenbedingungen. Der<br />
Gutachter vermittelt zwischen den behandelnden<br />
Therapeuten, die symptom-,<br />
befund-, diagnose- und therapieorientiert<br />
vorgehen, und dem rechtsanwendenden<br />
Verwaltungsexperten,<br />
der die Krankheit und deren Auswirkungen<br />
im Blick auf die Rechtsfolgen,<br />
die gesetzlich aus diesem Zustand abzuleiten<br />
sind, betrachtet. Aufgabe des<br />
ärztlichen Gutachters ist <strong>–</strong> quasi als<br />
Realakt <strong>–</strong> die Tatsachenfeststellung<br />
über das Vorliegen der medizinischen<br />
Voraussetzungen zur Gewährung der<br />
Versicherungsleistung, während der<br />
Mitarbeiter der Krankenkasse mit der<br />
10 niedersächsisches ärzteblatt 10 | 2012<br />
Humanität in der Palliativversorgung<br />
Die Rolle ärztlich-ethischer Aspekte in der<br />
Entscheidungsfindung des MDKN<br />
d<br />
1 Begutachtungsleitfaden „Spezialisierte ambulante<br />
Palliativversorgung“ (SAPV), MDS, Essen<br />
2010<br />
Bescheidung den Verwaltungsakt<br />
vornimmt.<br />
Die <strong>Ärzte</strong> des Medizinischen<br />
Dienstes der Krankenversicherung<br />
(MDK)<br />
sind bei der Wahrnehmung<br />
ihrer medizinischen<br />
Aufgaben nur ihrem<br />
ärztlichen Gewissen<br />
unterworfen (§275, Abs.<br />
5 SGB V). Mit dieser Regelung<br />
wird eine gutachtliche Beurteilung<br />
auf Basis der gesetzlichen und daraus<br />
abgeleiteten untergesetzlichen<br />
Vorgaben, der vorliegenden Informationen<br />
zum Versicherten, den personen-<br />
und umweltbezogenen Kontextfaktoren,<br />
der Erkrankung, der aktuellen<br />
medizinischen Erkenntnisse in Verbindung<br />
mit der ethischen Grundhaltung<br />
der medizinischen Heilkunde<br />
(zum Beispiel Grundsätze der Bundesärztekammer<br />
zur ärztlichen Sterbebegleitung)<br />
sowie unter Beachtung der<br />
unterschiedlichen Aufgaben eines Gutachters<br />
und eines behandelnden Arztes<br />
in einem Spannungsfeld unterschiedlicher<br />
Erwartungen gewährleistet. Die<br />
Begutachtungskriterien sind bundesweit<br />
einheitlich geregelt, berücksichtigen<br />
regional unterschiedliche Versorgungsstrukturen<br />
und sind unabhängig<br />
von der beauftragenden Krankenkasse.<br />
Seine persönlichen, weltanschaulichen,<br />
moralischen oder politischen Vorstellungen<br />
hat der Gutachter auszuklammern.<br />
Der Gutachter nimmt darüber hinaus<br />
hinsichtlich seiner ärztlichen Entscheidungen<br />
keine Weisungen von<br />
Nichtärzten entgegen.<br />
Allgemeine Qualitätskriterien für eine<br />
Begutachtung sind: 2 Beantwortung der<br />
2 W. Seger: Qualität der (sozial-) medizinischen<br />
Beratung und Begutachtung in der gesetzlichen<br />
Sozialversicherung, Gesundheitswesen 2011;73:<br />
520-531<br />
Fragestellung mit<br />
sachgerechter Dokumentation<br />
der Tatsachenfeststellungen<br />
und Schlussfolgerungen;<br />
medizinische<br />
und gutachtliche<br />
Grundlagen dem anerkannten<br />
Stand entsprechend;<br />
logische,<br />
transparente und widerspruchsfreieArgumentationskette;<br />
Haltung des Gutachters<br />
gegenüber Auftraggeber und<br />
Begutachtetem ohne Parteinahme; Darstellungsform<br />
mit dem Ziel der Nachvollziehbarkeit<br />
für den medizinischen<br />
Laien; Beschränkung auf das Notwendige,<br />
Zweckmäßige und Ausreichende<br />
(§12 SGB V) sowie eine geschickte Organisation.<br />
Durch besonderes Fingerspitzengefühl<br />
und eine rasche Bearbeitung<br />
werden bürokratische Hindernisse<br />
für notwendige Leistungen für sterbende<br />
Menschen vermieden. Der ärztliche<br />
Gutachter wird gegebenenfalls<br />
auch andere als die beantragten Leistungen<br />
als alternative Versorgungsmöglichkeit<br />
nachvollziehbar empfehlen,<br />
um eine angemessene und würdevolle<br />
Versorgung zu ermöglichen. Gutachter<br />
sind jedoch nicht berechtigt, in<br />
die ärztliche Behandlung einzugreifen.<br />
Damit wird eine klare Trennlinie zwischen<br />
den Rollen der Begutachtung<br />
und Behandlung gezogen. Bei Meinungsverschiedenheiten<br />
gelten für alle<br />
Beteiligten neben den Vorschriften<br />
des SGB V die Grundsätze korrekter<br />
ärztlich-kollegialer Berufsausübung.<br />
Autor:<br />
Professor Dr. med. Wolfgang Seger<br />
Stellvertretender Geschäftsführer und<br />
Leitender Arzt des MDK Niedersachsen<br />
Foto: MDKN<br />