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Thomas Mann - Rotary Schweiz

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Im Gespräch mit Rot. Ulrike Landfester<br />

«Wer analytisch klar denkt, kann<br />

nicht umhin, moralisch zu handeln»<br />

Auch die nächste Generation wird komplexe Literatur lesen, wenn auch nicht zwingend zwischen Buchdeckeln, so in der digitalen<br />

Welt. Doch grosse Dichter und Denker wie <strong>Thomas</strong> <strong>Mann</strong>, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt werden es immer schwer haben,<br />

von der breiten Masse verstanden zu werden. Die in Deutschland geborene Rot. Ulrike Landfester unterrichtet Deutsch und Literatur<br />

an der Universität St. Gallen und ist Prorektorin für Internationalität und regionale Verankerung. Sie spricht über die Geschichte<br />

von <strong>Thomas</strong> <strong>Mann</strong>, die Bedeutung der Literatur und die Rolle <strong>Rotary</strong>s.<br />

Frau Landfester, <strong>Thomas</strong> <strong>Mann</strong> warnte vor<br />

dem Nationalsozialismus. Hörte niemand<br />

zu?<br />

Mit dem Hintergrund seines eigenen,<br />

nach Goethe geschulten Humanismus<br />

sagte <strong>Thomas</strong> <strong>Mann</strong> in seiner<br />

Rede von 1935 «Achtung, Europa!»,<br />

das hätte es immer schon gegeben,<br />

dass Perioden der rationalen<br />

analytischen Klarheit gefolgt werden<br />

von Perioden, wo sich der Geist<br />

gegen sich selber wendet und ins<br />

ganz andere umschwenkt wie damals<br />

zwischen Klassik und Romantik.<br />

Und die Romantik meinte, die<br />

Aufklärung ist doch lebensfeindlich,<br />

fantasiefeindlich, viel zu pragmatisch,<br />

man muss doch diese Welt<br />

wieder verzaubern. <strong>Mann</strong> hatte in<br />

seiner Rede gezeigt, dass, was da<br />

passierte in Deutschland, das der<br />

Aufstand der Romantiker gegen die<br />

Aufklärung sei. Und das Problem mit<br />

so einer Deutung ist natürlich, dass<br />

man sie an eine breite Masse gar<br />

nicht vermitteln kann.<br />

Und heute, können Dichter und Denker etwas<br />

in der Politik bewirken?<br />

Das ist eine richtig gute Frage. Stellen<br />

Sie sie einmal Dürrenmatt oder<br />

Max Frisch. Warum hört die Politik<br />

nicht auf Schriftsteller? Vielleicht hat<br />

es damit zu tun, dass Politik klare Alternativen<br />

bietet und die Literatur<br />

sagt, klare Antworten gibt es nicht,<br />

es gibt immer eine Vielzahl von<br />

Komplexitäten und Schattierungen.<br />

Passt komplexe Literatur noch in die heutige<br />

Zeit, und wird sie auch in Zukunft<br />

noch konsumiert?<br />

Ich bin inzwischen weniger kulturpessimistisch<br />

als auch schon. Denn<br />

auch in der Digitalkultur gibt es sehr<br />

komplexe ästhetische Prozesse. Die<br />

sind jetzt nicht mehr zwischen Buchdeckeln,<br />

aber die können durchaus<br />

enormes kreatives Potenzial entwickeln.<br />

Es ist sicher so, dass die junge<br />

schen immer noch das Feindbild Nazi an?<br />

Ich bin mir nicht sicher, ob der Nationalsozialismus<br />

von aussen her als<br />

Stigma an sie herangeführt wird und<br />

sich die Deutschen nicht ständig<br />

wieder in diesem Stigma verstärken.<br />

Ein völlig entkrampfter Umgang mit<br />

diesem Thema ist jedenfalls nicht<br />

Generation eher zu schnellem Konsum<br />

möglich. Zumindest nicht in<br />

neigt, aber es gibt sie noch, die<br />

Leseratten. Die Digitalkultur bedeutet<br />

nicht das Ende des Lesens, und<br />

das ist das Entscheidende. Komplexe<br />

Texte werden immer noch geschrieben<br />

Deutschland. Man spürt ja heute<br />

noch, wenn man einen Deutschen<br />

beschimpfen möchte, wird in null<br />

Komma nichts die Nazikeule herausgeholt.<br />

und werden nach wie vor<br />

ihren Platz haben, davon bin ich<br />

überzeugt.<br />

Die Geschichte sollte uns lehren, sie<br />

nicht zu wiederholen. Sind wir nun nicht<br />

moralisch dazu verpflichtet, genauer hinzusehen?<br />

Ihr RC St. Gallen war Kontaktclub des RC<br />

München. Dort gab es nach Recherchen<br />

von Erwin Bischof auch Sympathien für<br />

den Nationalsozialismus. Ein Einzelfall?<br />

Die beschriebene Gratulation von<br />

PDG (1928/29) Henry Tschudy vom<br />

RC St. Gallen zur<br />

Meiner Ansicht nach gehört es mit<br />

zu den Aufgaben von <strong>Rotary</strong> International,<br />

dafür zu sorgen, dass solche<br />

Rahmenbedingungen eines totalitären<br />

Systems nicht entstehen können.<br />

Mit unseren<br />

Aufnahme eines<br />

nationalsozialisti-<br />

daraus lernen<br />

vier Fragen sollten<br />

wir im Sinne<br />

schen Schriftstellers im RC München von <strong>Thomas</strong> <strong>Mann</strong>s Humanismus<br />

finde ich in sich nicht aussagekräftig. aktiv darauf hinwirken. Das können<br />

Man ging höflich miteinander um. Clubs nicht alleine, das ist etwas, das<br />

Für mich ist das nicht so verdammend,<br />

wie es im Kontext scheint. wirken könnte. Das Programm der<br />

aus allen Clubs in die Gesellschaft<br />

Aber es ist schon so, und das hat ja Aufklärung lautet: Mensch denke,<br />

auch Max Frisch ganz klar gesagt, es denn Gott hat dir dein Gehirn zum<br />

gab massive Sympathien, auch von Denken gegeben, und weil Gott dir<br />

<strong>Schweiz</strong>ern für den Nationalsozialismus.<br />

Das wird gerne unter den hat und die Vernunft, ist der Ge-<br />

das Gehirn zum Denken gegeben<br />

Teppich gekehrt.<br />

brauch der Vernunft a priori moralisch.<br />

Wer also analytisch klar denkt,<br />

Die Machtergreifung Hitlers liegt 80 Jahre<br />

zurück, mehrere Generationen liegen deln.<br />

kann nicht umhin, moralisch zu han-<br />

dazwischen und doch haftet den Deut-<br />

Interview: Rot. Oliver Schaffner<br />

ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN JUNI 2013

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