Thomas Mann - Rotary Schweiz
Thomas Mann - Rotary Schweiz
Thomas Mann - Rotary Schweiz
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
21<br />
Im Gespräch mit Rot. Ulrike Landfester<br />
«Wer analytisch klar denkt, kann<br />
nicht umhin, moralisch zu handeln»<br />
Auch die nächste Generation wird komplexe Literatur lesen, wenn auch nicht zwingend zwischen Buchdeckeln, so in der digitalen<br />
Welt. Doch grosse Dichter und Denker wie <strong>Thomas</strong> <strong>Mann</strong>, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt werden es immer schwer haben,<br />
von der breiten Masse verstanden zu werden. Die in Deutschland geborene Rot. Ulrike Landfester unterrichtet Deutsch und Literatur<br />
an der Universität St. Gallen und ist Prorektorin für Internationalität und regionale Verankerung. Sie spricht über die Geschichte<br />
von <strong>Thomas</strong> <strong>Mann</strong>, die Bedeutung der Literatur und die Rolle <strong>Rotary</strong>s.<br />
Frau Landfester, <strong>Thomas</strong> <strong>Mann</strong> warnte vor<br />
dem Nationalsozialismus. Hörte niemand<br />
zu?<br />
Mit dem Hintergrund seines eigenen,<br />
nach Goethe geschulten Humanismus<br />
sagte <strong>Thomas</strong> <strong>Mann</strong> in seiner<br />
Rede von 1935 «Achtung, Europa!»,<br />
das hätte es immer schon gegeben,<br />
dass Perioden der rationalen<br />
analytischen Klarheit gefolgt werden<br />
von Perioden, wo sich der Geist<br />
gegen sich selber wendet und ins<br />
ganz andere umschwenkt wie damals<br />
zwischen Klassik und Romantik.<br />
Und die Romantik meinte, die<br />
Aufklärung ist doch lebensfeindlich,<br />
fantasiefeindlich, viel zu pragmatisch,<br />
man muss doch diese Welt<br />
wieder verzaubern. <strong>Mann</strong> hatte in<br />
seiner Rede gezeigt, dass, was da<br />
passierte in Deutschland, das der<br />
Aufstand der Romantiker gegen die<br />
Aufklärung sei. Und das Problem mit<br />
so einer Deutung ist natürlich, dass<br />
man sie an eine breite Masse gar<br />
nicht vermitteln kann.<br />
Und heute, können Dichter und Denker etwas<br />
in der Politik bewirken?<br />
Das ist eine richtig gute Frage. Stellen<br />
Sie sie einmal Dürrenmatt oder<br />
Max Frisch. Warum hört die Politik<br />
nicht auf Schriftsteller? Vielleicht hat<br />
es damit zu tun, dass Politik klare Alternativen<br />
bietet und die Literatur<br />
sagt, klare Antworten gibt es nicht,<br />
es gibt immer eine Vielzahl von<br />
Komplexitäten und Schattierungen.<br />
Passt komplexe Literatur noch in die heutige<br />
Zeit, und wird sie auch in Zukunft<br />
noch konsumiert?<br />
Ich bin inzwischen weniger kulturpessimistisch<br />
als auch schon. Denn<br />
auch in der Digitalkultur gibt es sehr<br />
komplexe ästhetische Prozesse. Die<br />
sind jetzt nicht mehr zwischen Buchdeckeln,<br />
aber die können durchaus<br />
enormes kreatives Potenzial entwickeln.<br />
Es ist sicher so, dass die junge<br />
schen immer noch das Feindbild Nazi an?<br />
Ich bin mir nicht sicher, ob der Nationalsozialismus<br />
von aussen her als<br />
Stigma an sie herangeführt wird und<br />
sich die Deutschen nicht ständig<br />
wieder in diesem Stigma verstärken.<br />
Ein völlig entkrampfter Umgang mit<br />
diesem Thema ist jedenfalls nicht<br />
Generation eher zu schnellem Konsum<br />
möglich. Zumindest nicht in<br />
neigt, aber es gibt sie noch, die<br />
Leseratten. Die Digitalkultur bedeutet<br />
nicht das Ende des Lesens, und<br />
das ist das Entscheidende. Komplexe<br />
Texte werden immer noch geschrieben<br />
Deutschland. Man spürt ja heute<br />
noch, wenn man einen Deutschen<br />
beschimpfen möchte, wird in null<br />
Komma nichts die Nazikeule herausgeholt.<br />
und werden nach wie vor<br />
ihren Platz haben, davon bin ich<br />
überzeugt.<br />
Die Geschichte sollte uns lehren, sie<br />
nicht zu wiederholen. Sind wir nun nicht<br />
moralisch dazu verpflichtet, genauer hinzusehen?<br />
Ihr RC St. Gallen war Kontaktclub des RC<br />
München. Dort gab es nach Recherchen<br />
von Erwin Bischof auch Sympathien für<br />
den Nationalsozialismus. Ein Einzelfall?<br />
Die beschriebene Gratulation von<br />
PDG (1928/29) Henry Tschudy vom<br />
RC St. Gallen zur<br />
Meiner Ansicht nach gehört es mit<br />
zu den Aufgaben von <strong>Rotary</strong> International,<br />
dafür zu sorgen, dass solche<br />
Rahmenbedingungen eines totalitären<br />
Systems nicht entstehen können.<br />
Mit unseren<br />
Aufnahme eines<br />
nationalsozialisti-<br />
daraus lernen<br />
vier Fragen sollten<br />
wir im Sinne<br />
schen Schriftstellers im RC München von <strong>Thomas</strong> <strong>Mann</strong>s Humanismus<br />
finde ich in sich nicht aussagekräftig. aktiv darauf hinwirken. Das können<br />
Man ging höflich miteinander um. Clubs nicht alleine, das ist etwas, das<br />
Für mich ist das nicht so verdammend,<br />
wie es im Kontext scheint. wirken könnte. Das Programm der<br />
aus allen Clubs in die Gesellschaft<br />
Aber es ist schon so, und das hat ja Aufklärung lautet: Mensch denke,<br />
auch Max Frisch ganz klar gesagt, es denn Gott hat dir dein Gehirn zum<br />
gab massive Sympathien, auch von Denken gegeben, und weil Gott dir<br />
<strong>Schweiz</strong>ern für den Nationalsozialismus.<br />
Das wird gerne unter den hat und die Vernunft, ist der Ge-<br />
das Gehirn zum Denken gegeben<br />
Teppich gekehrt.<br />
brauch der Vernunft a priori moralisch.<br />
Wer also analytisch klar denkt,<br />
Die Machtergreifung Hitlers liegt 80 Jahre<br />
zurück, mehrere Generationen liegen deln.<br />
kann nicht umhin, moralisch zu han-<br />
dazwischen und doch haftet den Deut-<br />
Interview: Rot. Oliver Schaffner<br />
ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN JUNI 2013