Thema Transitional Justice - juridikum, zeitschrift für kritik | recht ...
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echt & gesellschaft<br />
Ist Unge<strong>recht</strong>igkeit<br />
komparationsfähig?<br />
Walter H. Rechberger*<br />
Zum Begriff der „extremen<br />
Unge<strong>recht</strong>igkeit“<br />
in § 10 Entschädigungsfondsgesetz<br />
············································<br />
1. Einleitung<br />
Dieser Vortrag ist gewissermaßen der<br />
dritte in einer Reihe, mit der sich die<br />
Wiener Rechtshistorische Gesellschaft<br />
des <strong>Thema</strong>s der Entschädigung für sog<br />
„Arisierungen“ und andere unge<strong>recht</strong>fertigte<br />
oder zumindest ohne angemessene<br />
Entschädigung erfolgte Enteignungen<br />
durch das NS-Regime in Österreich<br />
angenommen hat. Die Tatsache, dass<br />
hier 2001 Georg Graf zum <strong>Thema</strong> „Arisierung<br />
und Rückstellung – ein aktuelles<br />
Problem der österreichischen Rechtsgeschichte“<br />
1 und 2003 Clemens Jabloner<br />
zum <strong>Thema</strong> „Der juristische Einschlag<br />
der Historikerkommission“ 2 gesprochen<br />
haben, gestattet es mir, auf lange Einleitungen<br />
zu verzichten. Es genügt an dieser<br />
Stelle, darauf hinzuweisen, dass sich<br />
Österreich weder seiner Verantwortung<br />
entzogen, noch vollständige Wiedergutmachung<br />
geleistet hat. Es wurde zwar<br />
– um Jabloner zu zitieren – „ein System<br />
der Rückstellung und Entschädigung<br />
aufgebaut, allerdings zögerlich und zäh<br />
und es war voller Lücken und Fallen“.<br />
Es ist bemerkenswert, dass es erst<br />
im Jahr 2001 – also auf Initiative der<br />
schwarz-blauen Koalition – gelang, ein<br />
„Entschädigungsfondsgesetz“ (EFG<br />
– BGBl I 2001/12) zu schaffen, welches<br />
den (in § 1 erklärten) Zweck hat,<br />
die „umfassende Lösung offener Fragen<br />
der Entschädigung von Opfern des Nationalsozialismus<br />
für Verluste und Schäden“<br />
zu erreichen, wenn auch – worauf<br />
noch zurückzukommen sein wird – auf<br />
die Leistungen nach diesem Gesetz<br />
generell kein Rechtsanspruch besteht.<br />
Die Erlassung dieses Gesetzes war bekanntlich<br />
eine der Folgen der Sammelklagen<br />
gegen die Republik Österreich,<br />
die in den Vereinigten Staaten teils von<br />
ehemaligen Zwangsarbeitern, teils von<br />
Opfern von Vermögensentziehungen<br />
eingebracht worden waren. Aus diesem<br />
Grund sah sich Österreich dazu veranlasst,<br />
außergerichtliche Verhandlungen<br />
mit den Opferanwälten zu führen, die<br />
unter Vermittlung der Regierung der<br />
Vereinigten Staaten stattfanden. In der<br />
Folge wurde durch das Versöhnungsfondsgesetz<br />
(BGBl I 2000/74) für die<br />
ehemaligen Zwangsarbeiter eine Regelung<br />
geschaffen, während – als Folge<br />
der „umfassenden Einigung über die<br />
abschließende Regelung sämtlicher<br />
noch offener Restitutionsfragen mit der<br />
amerikanischen Regierung, den Opferverbänden<br />
und den Klagsanwälten“ 3 im<br />
sog „Washingtoner Abkommen“ vom<br />
17. Jänner 2001 – durch das Entschädigungsfondsgesetz<br />
eben der Problemkreis<br />
der Vermögensentziehung geregelt<br />
werden sollte. 4<br />
Bei den Leistungen nach dem Entschädigungsfondsgesetz<br />
ist nach ihrer<br />
Art zu unterscheiden: einerseits werden<br />
sie als Entschädigung in Form von<br />
Geld gewährt, andererseits als Naturalrestitution.<br />
Zahlungen können entweder<br />
im Forderungsverfahren oder im<br />
Billigkeitsverfahren erwirkt werden.<br />
Das Forderungsverfahren hat strengere<br />
Beweisregeln und gilt nur für Verluste<br />
oder Schäden in bestimmten Vermögenskategorien.<br />
In den Fällen, in denen<br />
ein Forderungsverfahren nicht stattfinden<br />
kann oder mangels Erfüllung der<br />
Beweisstandards nicht erfolgreich verläuft,<br />
gewährt das Billigkeitsverfahren<br />
dennoch eine Leistung. Die Leistungen<br />
(unabhängig davon, ob sie im Forderungsverfahren<br />
oder im Billigkeitsverfahren<br />
gewährt werden) erfolgen durch<br />
einen eigens dafür eingerichteten Entschädigungsfonds.<br />
5<br />
Bei diesem Fonds wurde ferner eine<br />
Schiedsinstanz eingerichtet, die Anträge<br />
auf Naturalrestitution von öffentlichem<br />
Vermögen im Einzelfall prüft<br />
und danach eine Empfehlung oder<br />
Ablehnung an den zuständigen Bundesminister<br />
abgibt, die entzogenen im<br />
öffentlichen Vermögen stehenden Vermögenswerte<br />
(zurück) zu übereignen.<br />
Das Entschädigungsfondsgesetz<br />
schließt allerdings grundsätzlich Leistungen<br />
für Forderungen aus, die bereits<br />
durch österreichische Gerichte oder<br />
Verwaltungsbehörden endgültig entschieden<br />
oder einvernehmlich geregelt<br />
wurden (§§ 10 Abs 1, 15 Abs 1 Z 1,<br />
28 Abs 1 Z 2 und Abs 2 Z 2, sowie 32<br />
Abs 1 EFG), wahrt also die Rechtskraft<br />
von Entscheidungen bzw die Bereinigungswirkung<br />
von Vergleichen.<br />
Freilich ist bekannt, dass die Nachkriegsregierungen<br />
– beginnend mit der<br />
provisorischen Regierung des Jahres<br />
1945 – durchaus bestrebt waren, die<br />
Rückstellung möglichst einzuschränken.<br />
Die Wortmeldung des damaligen<br />
Innenministers Oskar Helmer in der<br />
Ministerratssitzung vom 9. November<br />
1948 „Ich wäre dafür, daß man die Sache<br />
in die Länge zieht“ hat der britische<br />
Historiker Robert Knight als, diese Situation<br />
drastisch illustrierenden, Titel<br />
seines Buches über die Wortprotokolle<br />
der österreichischen Bundesregierung<br />
von 1945 bis 1952 über die Entschädigung<br />
der Juden gewählt. 6 Dies äußerte<br />
sich nicht nur in der Verhandlungspoli-<br />
*) Geringfügig überarbeitete und<br />
mit Fußnoten versehene Fassung<br />
eines Vortrags vor der Wiener<br />
Rechtsgeschichtlichen Gesellschaft<br />
am 8. März 2005 im Wiener Juridicum.<br />
1) Vgl dazu G. Graf, „Arisierung“<br />
und Restitution, JBl 2001, 746.<br />
2) Vgl dazu Jabloner, Der juristische<br />
Einschlag der Historikerkommission,<br />
Schriftenreihe<br />
Niederösterreichische Juristische<br />
Gesellschaft Bd 92 (2003) 23.<br />
3) So der Bericht des Verfassungsausschusses<br />
zum Entwurf<br />
des EFG, 476 BlgNR 21. GP 2.<br />
4) Zum Problemkreis der entzogenen<br />
Kunstwerke, der immer noch<br />
einer „umfassenden Lösung“ harrt<br />
(vgl die Kritik von Noll, Fortschritt<br />
und Versäumnis – Kunstrückgabe in<br />
Österreich, <strong>juridikum</strong> 2003, 31 ff),<br />
da das Entschädigungsfondsgesetz<br />
dafür nicht gilt (§ 1 Abs 2 letzter<br />
Satz EFG), kann hier nicht Stellung<br />
genommen werden.<br />
5) Vgl zum Entschädigungsfonds<br />
www.nationalfonds.parlament.<br />
gv.at.<br />
6) Knight, „Ich bin dafür, die<br />
Sache in die Länge zu ziehen“ 2<br />
(2000) 146.<br />
<strong>juridikum</strong> 2005 / 2 Seite 59