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Thema Transitional Justice - juridikum, zeitschrift für kritik | recht ...

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echt & gesellschaft<br />

in diesem Sinne „schlicht“ <strong>recht</strong>swidrige<br />

Entscheidungen der zweiten Instanz<br />

können beim OGH nicht angefochten<br />

werden.<br />

Überhaupt kann eine Entscheidung<br />

nach Ablauf der entsprechenden Fristen<br />

nicht mehr bekämpft werden; die<br />

Rechtskraft, heißt es so schön, „heilt<br />

alle Wunden“. Freilich gilt das auch<br />

im Zivilprozess nicht absolut: Für besonders<br />

gravierende Fälle (womit vor<br />

allem Verfahrensfehler gemeint sind)<br />

sieht die ZPO besondere Rechtsbehelfe,<br />

vor allem die Nichtigkeits- und die<br />

Wiederaufnahmeklage vor, mit deren<br />

Hilfe (auch) noch <strong>recht</strong>skräftige Entscheidungen<br />

beseitigt werden können.<br />

Schon Meissel 18 hat hier zu Recht eine<br />

Parallele zur „extremen“ Unge<strong>recht</strong>igkeit<br />

des EFG gezogen, aber – gleichfalls<br />

zu Recht – auch schon zumindest angedeutet,<br />

dass die qualifizierte inhaltliche<br />

Unrichtigkeit im Rahmen dieser<br />

Unge<strong>recht</strong>igkeit eine weitaus größere<br />

Rolle spielt als bei den außerordentlichen<br />

Rechtsbehelfen nach der ZPO. Es<br />

kann in der Tat nicht zweifelhaft sein,<br />

dass diese „extreme“ Unge<strong>recht</strong>igkeit<br />

sowohl materiell<strong>recht</strong>liche als auch<br />

prozessuale Fehler einschließt. 19<br />

Vielleicht am deutlichsten wird die<br />

Vorstellung einer gesteigerten Un<strong>recht</strong>mäßigkeit<br />

überall dort, wo der<br />

ordre public als Maßstab verwendet<br />

wird: Der nationale ordre public ist<br />

zunächst in § 6 IPRG angesprochen,<br />

nach dem eine Bestimmung des fremden<br />

Rechts nicht anzuwenden ist, wenn<br />

dies zu einem Ergebnis führen würde,<br />

das mit den Grundwertungen der österreichischen<br />

Rechtsordnung unvereinbar<br />

ist. Weiters ist nach § 81 Z 3<br />

EO ausländischen Entscheidungen (die<br />

Anerkennung und) Vollstreckbarerklärung<br />

zu versagen, wenn dies solchen<br />

Wertungen widersprechen würde, und<br />

letztlich ist nach § 595 Abs 1 Z 6 ZPO<br />

ein (österreichischer) Schiedsspruch<br />

aufgrund einer Aufhebungsklage aufzuheben,<br />

wenn er mit diesen Wertungen<br />

unvereinbar ist. Zugleich scheint<br />

mir hier auch die größte Ähnlichkeit<br />

mit der „extremen“ Unge<strong>recht</strong>igkeit zu<br />

bestehen, weil es dem Gesetz in diesen<br />

Fällen expressis verbis um Grundwertungen<br />

geht, wie sie zweifellos auch<br />

vom EFG angesprochen werden. Dazu<br />

kommt, dass nach übereinstimmender<br />

Lehre und Rechtsprechung die Vorbehaltsklausel<br />

nur dann durchschlägt,<br />

wenn es sich um ganz unerträgliche<br />

Verletzungen solcher Grundwertungen<br />

handelt, 20 was wohl inhaltlich einer<br />

„extremen“ Unge<strong>recht</strong>igkeit zumindest<br />

sehr nahe kommt.<br />

Beim internationalen ordre public<br />

und zum Teil auch im Europäischen<br />

Gemeinschafts<strong>recht</strong> 21 kommt der Gedanke<br />

der Steigerung der Fehlerhaftigkeit<br />

noch dadurch besonders zu<br />

Ausdruck, dass von einem offensichtlichen<br />

Widerspruch zum ordre public<br />

die Rede ist: So hat die sog Haager<br />

Formel „manifestement contre l’ordre<br />

public“ nicht nur in eine Reihe von<br />

Haager Konventionen Eingang gefunden,<br />

22 sondern ist zuletzt auch in das<br />

Europäische Zivilprozess<strong>recht</strong> übernommen<br />

worden. Die Bestrebungen<br />

der Kommission, die ordre public-<br />

Hürde bei der Vollstreckung gerichtlicher<br />

Entscheidungen in Europa in<br />

Zukunft zu beseitigen, 23 haben nämlich<br />

zu einer (weiteren) Einschränkung<br />

der Vorbehaltsklausel in der EuGV-<br />

VO 24 geführt: Nach Art 34 Z 1 der VO<br />

wird die ausländische Entscheidung<br />

nur (mehr) dann nicht anerkannt, wenn<br />

die Anerkennung der öffentlichen Ordnung<br />

des Mitgliedsstaats, in dem sie<br />

geltend gemacht wird, „offensichtlich<br />

widersprechen würde“. 25<br />

Aus aktuellem Anlass, nämlich der<br />

Entscheidung Köbler gegen Österreich,<br />

sei letztlich noch auf eine andere<br />

„Steigerungsvariante“ im europäischen<br />

Kontext hingewiesen: Nach<br />

der Rechtsprechung des Europäischen<br />

Gerichtshofs führt ein Verstoß gegen<br />

Gemeinschafts<strong>recht</strong> nur dann zur<br />

Staatshaftung, wenn er hinreichend<br />

qualifiziert ist. 26<br />

Gemeinsam haben alle diese Fälle,<br />

dass das Gesetz selbst fehlerhaft<br />

zustande gekommenen Rechtsakten<br />

<strong>recht</strong>liche Qualität verleiht bzw auch<br />

ein <strong>recht</strong>swidriges staatliches Handeln<br />

nicht sanktioniert wird. Die Begründungen<br />

sind je nach Situation<br />

verschieden: Während für die eingeschränkte<br />

Erreichbarkeit des OGH<br />

dessen Leitfunktion ins Treffen geführt<br />

wird, letztlich aber immer die wirkliche<br />

oder vermeintliche Überlastung<br />

des Höchstgerichts den Ausschlag gibt,<br />

wird als Rechtfertigung für den grundsätzlichen<br />

Ausschluss der Bekämpfung<br />

<strong>recht</strong>skräftiger Entscheidungen vor allem<br />

das Bedürfnis nach Rechtsfrieden<br />

genannt. 27<br />

Sofern eben nicht unerträgliche Fehler<br />

passiert sind, gewährt die Rechtsordnung<br />

<strong>recht</strong>kräftigen Entscheidungen<br />

Bestandsgarantie – was bis zu einem<br />

gewissen Grad auch für ausländische<br />

Entscheidungen und Schiedssprüche<br />

gilt. Bei den ersteren und beim fremden<br />

Recht geht es dazu um den Grundsatz<br />

der Gleichwertigkeit aller Rechtsord-<br />

18) Meissel, <strong>juridikum</strong> 2003, 43.<br />

19) Meissel, <strong>juridikum</strong> 2003, 43.<br />

20) Vgl Verschraegen in Rummel<br />

3 II/6 (2004) § 6 IPRG Rz 1;<br />

Schwimann, Internationales Privat<strong>recht</strong><br />

3 (2001) 44; ZfRV 1987,<br />

53 (H. Hoyer) = IPRE 2/98, 200;<br />

JBl 1992, 189 = IPRE 3/60 = ZfRV<br />

1991/11, 232 = RdW 1991, 75; immolex<br />

2001/8 = RdW 2000/440;<br />

ZfRV 2003/29; LGZ Wien EFSlg<br />

63.824, 75.820.<br />

21) Vgl dazu Reichelt, Ordre public<br />

und Europäisches Gemeinschafts<strong>recht</strong>,<br />

FS Weißmann (2003) 813.<br />

22) Vgl etwa Art 4 Haager Unterhaltsstatutübereinkommen<br />

(BGBl<br />

293/1961) und Art 20 Haager Kindesentführungsübereinkommen<br />

(BGBl 512/1988).<br />

23) Diese Hürde ist mit der Verordnung<br />

(EG) 85/2004 des Europäischen<br />

Parlaments und des<br />

Rates vom 21. 4. 2004 zur Einführung<br />

eines europäischen Vollstreckungstitels<br />

für unbestrittene<br />

Forderungen (EuVTVO), AblEG<br />

L 143 vom 30. 4. 2004, erstmals<br />

abgeschafft worden. Vgl zu dieser<br />

– umstrittenen – Entwicklung<br />

Kohler, Systemwechsel im europäischen<br />

Anerkennungs<strong>recht</strong>:<br />

Von der EuGVVO zur Abschaffung<br />

des Exequatur, in P. Baur/Mansel<br />

(Hrsg), Systemwechsel im europäischen<br />

Kollisions<strong>recht</strong> (2002) 147.<br />

24) Verordnung (EG) 44/2001 des<br />

Rates vom 22. 12. 2000 über die<br />

gerichtliche Zuständigkeit und die<br />

Anerkennung und Vollstreckung<br />

von Entscheidungen in Zivil- und<br />

Handelssachen, AblEG L 12/1 vom<br />

16. 1. 2001.<br />

25) Auch die österr Prozess<strong>recht</strong>sgeschichte<br />

hat ein Beispiel für diese<br />

„Manifestement-Methode“ anzubieten:<br />

Nach der Stammfassung<br />

des § 16 des alten Außerstreitgesetzes<br />

aus 1854 konnte Rekurs an<br />

den OGH außer bei Nichtigkeit nur<br />

bei offenbarer Gesetz- oder Aktenwidrigkeit<br />

der zweitinstanzlichen<br />

Entscheidung erhoben werden.<br />

Freilich führte das zu einer höchst<br />

kasuistischen höchstgerichtlichen<br />

Rechtsprechung zum Begriff der<br />

„offenbaren Gesetzwidrigkeit“ (vgl<br />

dazu etwa A. Mayer, Zum Begriff<br />

der „offenbaren Gesetzwidrigkeit“<br />

gemäß § 16 Abhandlungs-Patent,<br />

JBl 1953, 402 ff).<br />

26) Vgl Köbler/Österreich, Rs<br />

C-224/01, Slg 2003, I-10239;<br />

Queen/H.M. Treasury, ex parte:<br />

British Telecommunications, Rs<br />

C-392/93, Slg 1996, I-1631; kritisch<br />

dazu Fischer/Köck/Karollus,<br />

Europa<strong>recht</strong> 4 (2002) Rz 891.<br />

27) Fasching/Klicka in Fasching/<br />

Konecny 2 III (2004) § 411 Rz 13;<br />

NZ 2002/129; vgl auch Fasching,<br />

Lehrbuch 2 (1990) Rz 1535.<br />

<strong>juridikum</strong> 2005 / 2 Seite 61

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