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Thema Transitional Justice - juridikum, zeitschrift für kritik | recht ...

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thema<br />

Die Rolle des internationalen Verfassungs<strong>recht</strong>s (International<br />

Constitutional Law – ICL) und der Verfassungs<strong>recht</strong>svergleichung<br />

in der österreichischen Forschung und Lehre scheint<br />

auf den ersten Blick eher klein zu sein.<br />

Während an der Universität Zürich bereits ein eigener Lehrstuhl<br />

für Völker<strong>recht</strong>, Europa<strong>recht</strong>, öffentliches und vergleichendes<br />

Verfassungs<strong>recht</strong> 1 besteht, fehlt ein solcher an österreichischen<br />

Universitäten.<br />

Auf europäischer Ebene ist beachtenswert, inwieweit im<br />

Rahmen des Integrationsprozesses die Rechtsvergleichung zur<br />

Annäherung an die verschiedenen Systeme nationalen-öffentlichen<br />

Rechts herangezogen wird. Nicht nur, um ein besseres<br />

Verständnis dieser unterschiedlichen Systeme zu gewährleisten,<br />

sondern auch um auf aktuelle Impulse, verursacht<br />

durch den immer größer werdenden Einfluss des supranationalen<br />

Rechts, reagieren zu können 2 .<br />

Doch auch hierzulande gewinnt ICL immer mehr an<br />

Bedeutung, wie beispielsweise die Einrichtung einer<br />

speziellen Arbeitsgruppe Vergleichendes Verfassungs<strong>recht</strong><br />

3 an der <strong>recht</strong>swissenschaftlichen Fakultät Graz<br />

zeigt.<br />

Ein weiterer Grundstein für die Etablierung des ICL<br />

in der österreichischen Wissenschaftslandschaft und<br />

Rechtspraxis ist mit dem 1st International Constitutional<br />

Law Workshop, der am 20. und 21. Mai 2005 an der<br />

Universität Wien stattfand 4 , gelegt worden. Ein wichtiger<br />

Schritt dahingehend, StudentInnen die Grundlagen<br />

dieses Rechtsgebietes zu vermitteln. Die Themenpalette<br />

war von der Zweiten Kammer in föderalen Systemen,<br />

über Fundierungen der Existenz Europas bis hin zu Multikulturalismus<br />

als Antithese zum Liberalismus breit gestreut. Die<br />

Aufbereitung, insbesondere der Reader für die TeilnehmerInnen<br />

sowie der bewusst auf Diskussion ausgelegte Ablauf des<br />

Workshops, stellte eine gelungene Form des „Anstoßes“ dar.<br />

So konnten die angehenden JuristInnen die Möglichkeiten<br />

eines international vergleichenden Verfassungs<strong>recht</strong>s entdecken.<br />

ICL kann einerseits der Gewinnung von Einsichten in<br />

das eigene Recht, andererseits auch der Schaffung notwendiger<br />

Distanz dienen, um bequeme Denkmuster der gewohnten<br />

Rechtsordnung leichter verlassen zu können.<br />

Impulsreferate hielt. Mit seinem Beitrag möchte ich mich auch<br />

in diesem Bericht auseinandersetzen.<br />

Kurze Chronik<br />

Afghanistan ist heute, geprägt durch Jahrzehnte gewaltsamer<br />

Konflikte, damit konfrontiert, seine Vergangenheit zu bewältigen<br />

und eine Basis für langwährenden Frieden zu schaffen. 6<br />

Ein wichtiger Schritt war das sogenannte Bonner-Agreement<br />

vom 22. Dezember 2002, mit dem eine Übergangsautorität<br />

eingesetzt wurde, die unter anderem eine Interimsverwaltung<br />

mit Hamid Karzai als Vorsitzendem und einen Obersten<br />

Afghanischen Gerichtshof umfasste. Außerdem war die Einberufung<br />

einer verfassungsgebenden Versammlung vorgesehen,<br />

Die Bedeutung des internationalen<br />

Verfassungs<strong>recht</strong>s im<br />

Transitionsprozess Afghanistans<br />

Ein Bericht über den 1 st Vienna Workshop<br />

on International Constitutional Law<br />

Gregor Ribarov<br />

·································<br />

der später von der Interimsverwaltung eine 35 Personen – darunter<br />

auch zwei Frauen – umfassende Constitutional Drafting<br />

Commission beigegeben wurde, um bei der Vorbereitung des<br />

Verfassungsentwurfs zu helfen.<br />

Diese Commission legte am 3. November 2003 einen<br />

Verfassungsentwurf vor, der sodann der Beratung durch die<br />

verfassungsgebende Versammlung zugeführt wurde. Diese<br />

Loya Jirga, von vielen Afghanen ironischerweise Loya Jarga<br />

(Großer Kampf) genannt, tagte aufgrund der erbitterten Diskussionen<br />

länger als geplant, konnte sich aber schließlich am<br />

4. Jänner 2004 auf die sechste afghanische Verfassung mit 12<br />

Kapiteln und 160 Artikeln einigen.<br />

Afghanistan – der Weg zu einer neuen Verfassung<br />

Das Ziel über einen wissenschaftlichen Austausch die internationale<br />

Zusammenarbeit zu fördern, mag für manchen Betrachter<br />

unrealistisch wirken. Bei der Erarbeitung einer neuen<br />

Verfassung für Afghanistan wurde genau dies versucht. Allerdings<br />

unter der Gefahr, dass der Versuch, eigene Erfahrungen<br />

als Hilfestellung anzubieten, schlechtesten Falls auch als Oktroyierung<br />

westlicher Doktrin verstanden werden könnte.<br />

Praktische Erfahrung mit dieser Herausforderung hat Michael<br />

Schoiswohl, der seit 2 Jahren als Mitarbeiter der legal<br />

advisory unit der UNAMA 5 in Kabul tätig ist und im Rahmen<br />

des 1 st International Constitutional Law Workshop eines der<br />

Die Funktion der Afghanischen Verfassung<br />

Die zentrale Funktion einer Verfassung ist es, die <strong>recht</strong>liche<br />

Grundlage für einen Staat zu schaffen. Sie legt die Staatsform,<br />

die Verteilung der Staatsfunktionen entlang der klassischen<br />

Trias von Legislative, Exekutive und Judikative sowie die<br />

Grenzen der staatlichen Macht durch Grund<strong>recht</strong>e fest. Die<br />

Verfassung ist damit aber auch Teil eines sozio-politischen<br />

Systems, enthält sie doch die Spielregeln für den politischen<br />

Prozess, die den Konkurrenzkampf um die Macht offen halten<br />

sollen. 7<br />

Dies erwies sich als der zentrale Punkt bei der Verfassungsgebung<br />

in Afghanistan. Da es nach dem „regime change“,<br />

1) Rechtsfakultät der Universität Zürich,<br />

http://www.ivr.unizh.ch/ivr_thuerer.html<br />

(07.07.2005).<br />

2) Trantas, Die Anwendung der Rechtsvergleichung<br />

bei der Untersuchung des öffentlichen<br />

Rechts (1998) 93.<br />

3) Rechtsfakultät der Universität Graz,<br />

http://www.kfunigraz.ac.at/opvwww/<br />

AG_home.html (07.07.2005).<br />

4) 1 st Vienna Workshop on International Constitutional<br />

Law, http://www.univie.ac.at/icl/<br />

(07.07.2005).<br />

5) UN Assistance Mission in Afghanistan,<br />

http://www.unama-afg.org (07.07.2005).<br />

6) Siehe dazu Schoiswohl, <strong>Transitional</strong> <strong>Justice</strong><br />

in Afghanistan, in diesem Heft.<br />

7) Öhlinger, Verfassungs<strong>recht</strong> 5 (2003) Rz 15.<br />

<strong>juridikum</strong> 2005 / 2 Seite 99

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