Thema Transitional Justice - juridikum, zeitschrift für kritik | recht ...
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echt & gesellschaft<br />
me Unge<strong>recht</strong>igkeit, dem – vielleicht<br />
sogar im Wissen um den Entzug und die<br />
zukünftige Rückstellungspflicht des<br />
Eigentümers handelnden – Mieter eine<br />
günstigere Position zu verschaffen, als<br />
es sein Schutz erfordert.<br />
Zusammenfassend bin ich der Auffassung,<br />
dass eine Entscheidung nicht<br />
nur dann eine Unge<strong>recht</strong>igkeit darstellen<br />
kann, wenn sie vom Gesetz<br />
abweicht, sondern auch dann, wenn<br />
sie zwar das Gesetz korrekt beachtet,<br />
aber insgesamt einen unge<strong>recht</strong>en<br />
Zustand hergestellt hat. Nur dann ist<br />
nämlich eine Annäherung an das Ziel<br />
des EFG möglich, alle offenen Fragen<br />
der Entschädigung von Opfern des Nationalsozialismus<br />
umfassend zu lösen<br />
(§ 1 EFG). Insofern kann man eine<br />
Parallele zur Behandlung der Gleichheitswidrigkeit<br />
von Entscheidungen<br />
von Verwaltungsbehörden durch den<br />
VfGH ziehen: Ein Bescheid ist nicht<br />
nur dann gleichheitswidrig, wenn er<br />
dem Gesetz einen gleichheitswidrigen<br />
Inhalt unterstellt, sondern auch dann,<br />
wenn er sich auf ein gleichheitswidriges<br />
Gesetz stützt. 43<br />
3. Andere Kritikpunkte<br />
Lassen Sie mich mit ein paar Bemerkungen<br />
schließen, die die legistische<br />
Qualität des an sich so erfreulichen<br />
Entschädigungsfondsgesetzes betreffen.<br />
Ich habe schon angedeutet, dass<br />
die Voraussetzung der „extremen“<br />
Unge<strong>recht</strong>igkeit nicht den einzigen<br />
diskussionswürdigen Punkt dieses<br />
Gesetzes darstellt. So kann allen verfassungs<strong>recht</strong>lichen<br />
Fragezeichen entgegengehalten<br />
werden, dass – was das<br />
Gesetz gleich zweimal sagt (§ 7 zweiter<br />
Satz und § 42 zweiter Satz EFG) auf<br />
Leistungen nach dem EFG kein Rechtsanspruch<br />
besteht. Und selbst wenn die<br />
Schiedsinstanz eine Empfehlung auf<br />
Naturalrestitution abgegeben hat, trifft<br />
den zuständigen Bundesminister – da<br />
es sich ja nur um eine Empfehlung handelt<br />
– „keine <strong>recht</strong>liche Verpflichtung,<br />
der Empfehlung nachzukommen“. 44<br />
Der Verfassungsausschuss betont immerhin,<br />
dass den Minister „aber wohl<br />
eine politisch-moralische Verpflichtung“<br />
dazu treffe. 45 Nun muss man<br />
sich aber schon vor Augen halten, dass<br />
dieses Gesetz (auch) mit dieser Methode<br />
ein Unikat darstellt: Zuerst werden<br />
Voraussetzungen für die Zuerkennung<br />
von Leistungen formuliert, um diese<br />
Zuerkennung dann expressis verbis<br />
für nicht durchsetzbar zu erklären. Es<br />
scheint, als habe dem Gesetzgeber der<br />
Mut gefehlt, den eingeschlagenen Weg<br />
auch zu Ende zu gehen. Er riskiert damit,<br />
dass „extreme Unge<strong>recht</strong>igkeit“ im<br />
Fall der Fälle bestehen bleibt und das<br />
Ziel der „umfassenden Lösung offener<br />
Fragen der Entschädigung von Opfern<br />
des Nationalsozialismus“ (neuerlich)<br />
verfehlt wird.<br />
Ein weiterer Punkt: Als allgemeine<br />
Voraussetzung für Leistungen wird<br />
zwar bestimmt, dass es sich um einen<br />
Verlust oder Schaden handeln muss,<br />
der als Folge von oder im Zusammenhang<br />
mit Ereignissen während der Zeit<br />
des Nationalsozialismus entstanden ist.<br />
Für Naturalrestitutionen sind jedoch<br />
darüber hinaus nur solche Personen<br />
und Vereinigungen antragsbe<strong>recht</strong>igt,<br />
die aus politischen Gründen, aus Gründen<br />
der Abstammung, Religion, Nationalität,<br />
sexuellen Orientierung, auf<br />
Grund einer körperlichen oder geistigen<br />
Behinderung oder auf Grund des<br />
Vorwurfs der so genannten Asozialität<br />
verfolgt wurden oder das Land verlassen<br />
haben, um einer solchen Verfolgung<br />
zu entgehen. Menschen, die wegen<br />
militärischer Interessen enteignet<br />
wurden, sah die Schiedsinstanz deswegen<br />
in ihrer ersten Entscheidung 46 nicht<br />
als antragsbe<strong>recht</strong>igt an. Wiederum ist<br />
dieser Entscheidung zwar im Ergebnis<br />
zuzustimmen (war doch über diese Forderung<br />
bereits <strong>recht</strong>skräftig und offensichtlich<br />
nicht extrem unge<strong>recht</strong> entschieden<br />
worden), doch wird mit dieser<br />
gesetzlichen Einschränkung – sofern es<br />
sich tatsächlich um eine solche handelt<br />
und man nicht doch eine Analogie statt<br />
eines Umkehrschlusses für methodisch<br />
vertretbar hält, welcher Frage hier aber<br />
nicht näher nachgegangen werden kann<br />
– von der bisherigen Rückstellungspraxis<br />
abgegangen und eine Lösung<br />
offener Fragen verhindert. 47 Vor allem<br />
aber stellt sich auch hier die Frage<br />
der Gleichheitswidrigkeit: Wären die<br />
Liegenschaften zum Stichtag nämlich<br />
nicht (mehr) „öffentliches Vermögen“<br />
gewesen, so wären die Geschädigten<br />
im Forderungsverfahren durchaus antragsbe<strong>recht</strong>igt.<br />
Und zu guter Letzt noch ein, wie mir<br />
scheint, sehr gravierender Punkt, der<br />
gleichfalls die Naturalrestitution betrifft:<br />
Es geht um die schon mehrfach<br />
diskutierte Rechtssicherheit hinsichtlich<br />
der “in den Vereinigten Staaten<br />
am 30. Juni 2001 anhängigen Klagen<br />
gegen Österreich oder österreichische<br />
Unternehmen, die sich aus oder im Zusammenhang<br />
mit der Zeit des Nationalsozialismus<br />
oder dem zweiten Weltkrieg<br />
ergeben“. Von ihnen ist zunächst<br />
in § 2 EFG die Rede, also im ersten<br />
Teil des Gesetzes, der sich mit dem<br />
Allgemeinen Entschädigungsfonds<br />
beschäftigt. Über die Be<strong>recht</strong>igung des<br />
österreichischen Anliegens, vor Prozessen<br />
in den USA gefeit zu sein, bevor<br />
Zahlungen aus diesem Fonds geleistet<br />
werden, braucht wohl nicht diskutiert<br />
zu werden. Es stellt sich aber sehr wohl<br />
die Frage, ob zwischen diesen Klagen<br />
und der Naturalrestitution irgendein<br />
Zusammenhang herzustellen ist. Der<br />
2. Teil des Gesetzes über die Naturalrestitution<br />
tut es – konsequenterweise,<br />
möchte ich hinzufügen – jedenfalls<br />
nicht. Im 3. Teil („In-Kraft-Treten und<br />
Schlussbestimmungen“) erklärt dann<br />
aber § 44 Abs 1 EFG, dass Leistungen<br />
(gemeint ist also: alle Leistungen)<br />
nach diesem Bundesgesetz erst erfolgen<br />
können, „nachdem die Klagen<br />
nach § 2 Abs 1 abgewiesen worden<br />
sind.“ Nun ist aber in der Tat keinerlei<br />
Zusammenhang zwischen der Naturalrestitution<br />
und den anhängigen<br />
oder überhaupt Klagen in den USA<br />
erkennbar, zumal wohl nicht einmal<br />
die theoretische Möglichkeit besteht,<br />
dass in den Vereinigten Staaten eine<br />
43) Vgl VfSlg 10.303, 10.515,<br />
10.767, 10.881, 10.994 ua; Öhlinger,<br />
Verfassungs<strong>recht</strong> 5 (2003)<br />
Rz 793; Mayer, Entwicklungstendenzen<br />
in der Rechtsprechung<br />
des Verfassungsgerichtshofes ÖJZ<br />
1980, 337 ff (343); OLG Wien ZAS<br />
1987/14.<br />
44) AB 476 BlgNR 21. GP 4; Wilhelm,<br />
Zur Naturalrestitution nach<br />
dem Entschädigungsfondsgesetz,<br />
ecolex 2004, 847 ff (847) sieht dieses<br />
Selbstbindungsgesetz deswegen<br />
als Teil der Privatwirtschaftsverwaltung.<br />
45) Dennoch steht das Gesetz<br />
unter der Anforderung des Gleichheitssatzes,<br />
vgl Wilhelm, ecolex<br />
2004, 850, der darauf hinweist,<br />
dass der Gleichheitssatz sogar einen<br />
klagbaren Anspruch schaffen<br />
könnte (mit Hinweis auf OGH 1 Ob<br />
272/02 k; 10 Ob 23/03 k).<br />
46) Entscheidungsnummer<br />
1/2003.<br />
47) Vgl dazu auch Graf, Schiedsinstanz<br />
erschwert Restitution: NS-<br />
Verfolgung vor der Enteignung<br />
nötig?, „Die Presse“ – Rechtspanorama<br />
vom 20. 10. 2003.<br />
Seite 64 <strong>juridikum</strong> 2005 / 2