Thema Transitional Justice - juridikum, zeitschrift für kritik | recht ...
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echt & gesellschaft<br />
tik gegenüber den Alliierten, 7 sondern<br />
auch im Widerstand gegen die bereits<br />
verabschiedeten Rückstellungsgesetze.<br />
8 Anfang der fünfziger Jahre nahm<br />
auch die Rechtsprechung eine zunehmend<br />
restriktive Haltung gegenüber<br />
den NS-Opfern ein. 9<br />
Diese Erkenntnisse führten zu einer<br />
Ausnahme von der genannten Regel: In<br />
besonderen Fällen kann nämlich trotz<br />
bereits entschiedener oder verglichener<br />
Sache eine Leistung zuerkannt werden,<br />
wenn die darüber ergangene Entscheidung<br />
oder getroffene einvernehmliche<br />
Regelung eine „extreme Unge<strong>recht</strong>igkeit“<br />
dargestellt hat (§§ 10 Abs 2, 15<br />
Abs 1 Z 2, 28 Abs 1 Z 2 und Abs 2<br />
Z 2, sowie 32 Abs 2 Z 1 EFG). Im Billigkeitsverfahren<br />
kann eine Leistung<br />
überdies schon dann zugesprochen<br />
werden, wenn die Entscheidung oder<br />
Regelung bloß unzureichend war (§ 20<br />
Z 1 EFG).<br />
2. Zur „extremen<br />
Unge<strong>recht</strong>igkeit“<br />
2.1. Versuch einer<br />
Begriffsbestimmung<br />
Der – unbestimmte – Begriff der Unge<strong>recht</strong>igkeit,<br />
ganz zu schweigen von<br />
jenem der extremen Unge<strong>recht</strong>igkeit,<br />
lässt sich in dieser Form in der österreichischen<br />
Rechtsordnung nicht noch<br />
einmal finden. Das mag zwar damit<br />
zusammen hängen, dass es sich um die<br />
Übersetzung eines von US-amerikanischen<br />
Opferanwälten in die oben erwähnten<br />
Verhandlungen eingebrachten<br />
Begriffs („extreme injustice“) handelt,<br />
ändert aber nichts daran, dass seine<br />
Bedeutung im Gesamtzusammenhang<br />
der österreichischen Rechtsordnung<br />
zu sehen ist. 10<br />
Wie jeder andere geht auch der österreichische<br />
Gesetzgeber nicht von<br />
der Unfehlbarkeit der zur Vollziehung<br />
seiner Gesetze berufenen Organe aus,<br />
was schon die generelle Zulässigkeit<br />
von Rechtsmitteln gegen eine behördliche<br />
Erledigung zeigt. Auch der Verfassungsgesetzgeber<br />
rechnet durchaus<br />
mit der Möglichkeit von Fehlern des<br />
einfachen Gesetzgebers, weswegen<br />
verfassungs<strong>recht</strong>lich eine Überprüfung<br />
von Normen durch den Verfassungsgerichtshof<br />
vorgesehen ist. Unüblich ist<br />
es jedoch hierzulande, dass der Gesetzgeber<br />
auf die „Unge<strong>recht</strong>igkeit“ von<br />
Entscheidungen abstellt.<br />
Beginnen wir bei der Suche nach einer<br />
Antwort auf die schwierige Frage,<br />
was denn nun mit „Unge<strong>recht</strong>igkeit“<br />
bzw „Ge<strong>recht</strong>igkeit“ gemeint sei, etymologisch:<br />
Nach Kluges Etymologischem<br />
Wörterbuch der deutschen Sprache<br />
ist „ge<strong>recht</strong>“ gleichbedeutend mit<br />
„dem Rechtsgefühl entsprechend“, 11<br />
was zwar – mE ganz zu Recht – die Subjektivität<br />
des Ge<strong>recht</strong>igkeitsbegriffs anspricht,<br />
im gegebenen Zusammenhang<br />
aber nicht entscheidend weiter hilft.<br />
Ob dem Gesetzgeber des EFG wirklich<br />
– so wie das Graf tut 12 – zu unterstellen<br />
ist, er sei davon ausgegangen, „das<br />
gebündelte Rechtsempfinden“ der drei<br />
Mitglieder des Antragskomitees bzw<br />
der Schiedsinstanz reiche hin, „dem<br />
Begriff der extremen Unge<strong>recht</strong>igkeit<br />
Sinn zu verleihen“, möchte ich dahingestellt<br />
lassen. Ergiebiger scheint mir<br />
jedenfalls der Grosse Duden zu sein,<br />
wo „ge<strong>recht</strong>“ als „Wertmaßstäben entsprechend“<br />
erklärt wird, 13 weil darin<br />
zum Ausdruck kommt, dass Ge<strong>recht</strong>igkeit<br />
mehr bedeutet als die Erfüllung<br />
des Buchstabens des Gesetzes. Ganz in<br />
diesem Sinne hat schon Meissel darauf<br />
hingewiesen, dass in den genannten<br />
Regelungen des EFG jedenfalls auch<br />
Entscheidungen angesprochen sind,<br />
die so nicht hätten ergehen dürfen, weil<br />
sie wesentlichen Wertvorstellungen des<br />
Gesetzgebers widersprechen. 14 Allerdings<br />
wird in der Definition des Duden<br />
gar nicht notwendigerweise auf Werte<br />
der Rechtsordnung abgestellt, sondern<br />
durchaus auf allgemeine Werte. Geht<br />
man davon aus, so ist es nach EFG im<br />
Einzelfall Sache des Antragskomitees<br />
bzw der Schiedsinstanz, solche Werte<br />
zu finden – vorgegeben hat sie das<br />
Gesetz ja nicht. Gemeint sein können<br />
wohl nur die zur Zeit des Inkrafttretens<br />
des EFG „geltenden“ Werte; eine frühere<br />
Entscheidung oder einvernehmliche<br />
Regelung muss also aus heutiger<br />
Sicht den allgemeinen Wertmaßstäben<br />
nicht entsprechen. Wegen der Verwendung<br />
des Perfekt („dargestellt hat“)<br />
sind aber nur Umstände gemeint, die<br />
zum Zeitpunkt der (Rechtskraft der)<br />
Entscheidung oder der einvernehmlichen<br />
Regelung vorlagen.<br />
Das Gesetz stellt allerdings auf eine<br />
„extreme“ Unge<strong>recht</strong>igkeit ab, womit<br />
der Begriff der Unge<strong>recht</strong>igkeit gesteigert<br />
und noch unklarer wird. Ist es<br />
schon schwer genug, „schlichte“ Unge<strong>recht</strong>igkeit“<br />
zu definieren, die offensichtlich<br />
– da stimme ich Graf 15 durchaus<br />
zu – nicht zur Rückstellung führen<br />
soll, so kann man sich auch noch weiter<br />
fragen, ob „extreme“ Unge<strong>recht</strong>igkeit<br />
nun den Superlativ oder bloß den Komparativ<br />
der Unge<strong>recht</strong>igkeit darstellt.<br />
So ist „extrem“ nach Meissel „nicht<br />
als außergewöhnlich hohe Hürde zu<br />
sehen“, wenn auch eine „qualifizierte<br />
Rechtswidrigkeit“ vorliegen müsse. 16<br />
Die Materialen zum EFG stellen ausdrücklich<br />
auf „außergewöhnliche Umstände“<br />
ab. 17<br />
Mag man es also – wie es mein Vortragstitel<br />
tut – mit einem Fragezeichen<br />
versehen, ob Unge<strong>recht</strong>igkeit komparationsfähig<br />
ist, so ist die Beschränkung<br />
bzw der Ausschluss der Möglichkeit<br />
zur Bekämpfung einer Entscheidung<br />
mithilfe von Gravitätskriterien hinsichtlich<br />
ihrer Mängel der österreichischen<br />
Rechtsordnung nicht fremd. So<br />
wird im Zivilprozess die Anrufung<br />
des Obersten Gerichtshofs grundsätzlich<br />
nur dann zugelassen, wenn die<br />
Entscheidung von einer Rechtsfrage<br />
abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit,<br />
Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung<br />
erhebliche Bedeutung<br />
zukommt (§ 502 Abs 1 ZPO). Andere,<br />
7) Knight, Ich bin dafür 41.<br />
8) Knight, Ich bin dafür 43; Jabloner,<br />
Historikerkommission 24.<br />
9) Vgl Jabloner, Historikerkommission<br />
24.<br />
10) In diesem Sinne hat der OGH<br />
bereits ausgeführt, der Bund<br />
habe mit dem EFG „positiviert,<br />
was unter den guten Sitten bei<br />
der Lösung von Entschädigungsfragen<br />
zu verstehen ist“. Insofern<br />
reiche dessen „<strong>recht</strong>liche Signalwirkung“<br />
über den unmittelbaren<br />
Regelungsgegenstand hinaus<br />
(1 Ob 149/02 x = JBl 2003, 454,<br />
wo es um die Auslegung des Begriffs<br />
der „billigen Entschädigung“<br />
gem Art 24 Z 2 StV von Wien<br />
ging). Freilich könnte damit der<br />
(unscharfe) Begriff der extremen<br />
Unge<strong>recht</strong>igkeit noch zu einer unabsehbaren<br />
Vervielfachung der<br />
Unklarheiten führen.<br />
11) Kluge (Hrsg), Etymologischem<br />
Wörterbuch der deutschen Sprache<br />
23 (1999) 316 (Seebold).<br />
12) Graf, JBl 2001, 751.<br />
13) Duden, Das große Wörterbuch<br />
der deutschen Sprache in sechs<br />
Bänden, Bd III (1977) 1002.<br />
14) Meissel, Un<strong>recht</strong>sbewältigung<br />
durch Rechtsgeschichte, <strong>juridikum</strong><br />
2003, 44; Graf, JBl 2001, 751.<br />
15) Graf, JBl 2001, 748.<br />
16) Meissel, <strong>juridikum</strong> 2003, 43 f.<br />
17) Vgl AB 476 BlgNR 21. GP 3<br />
und 4.<br />
Seite 60 <strong>juridikum</strong> 2005 / 2