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Thema Transitional Justice - juridikum, zeitschrift für kritik | recht ...

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thema<br />

„Creating a polarity between ’African’ ubuntu/reconciliation<br />

on the one hand and ’Western’ vengeance/retributive<br />

justice on the other closes down the space to discuss fully the<br />

middle position – the pursuit of legal retribution as a possible<br />

route to reconciliation in itself. The constitutional right of<br />

citizens to due justice, to pursue civil claims against perpetrators,<br />

is taken away by amnesty laws, which preclude both<br />

criminal and civil prosecutions. This was justified in terms of<br />

a uniquely African form of compassion, or ubuntu. By combining<br />

human rights and ubuntu, human rights come to express<br />

compromised justice and the state’s abrogation of the right to<br />

due process.“ 21<br />

5. Beurteilung statt Verurteilung:<br />

Das (Sprach-)Spiel der Mörder<br />

Unzählige, oftmals ergreifende Filme, Bücher und Berichte<br />

erweckten den Eindruck, dass viele der freiwillig vor der TRC<br />

aussagenden Täter vor allem das eigennützige Ziel der Straflosigkeit<br />

durch Amnestie verfolgten. 22 Damit stehen sie auch<br />

im deutlichen Widerspruch zu jüngeren Entwicklungen der<br />

internationalen Menschen<strong>recht</strong>e, etwa der Einrichtung von<br />

internationalen Straftribunalen (wenngleich diese als Ad Hoc<br />

Tribunale noch stark unter dem Beigeschmack der „Siegerjustiz“<br />

leiden) und eines Internationalen Strafgerichtshofes,<br />

die ein Weltstraf<strong>recht</strong>sprinzip vor Augen haben. 23 Von den<br />

drei Komitees, die zur TRC gehörten, namentlich das Human<br />

Rights Violations Committee, 24 das Reparations and Rehabilitation<br />

Committee 25 und das Amnesty Committee, 26 blieben<br />

vor allem die Entscheidungen des Amnestie-Komitees höchst<br />

umstritten. Obwohl sie zum Unterschied der „Persilschein“-<br />

Amnestien in Chile, Argentinien und El Salvador auf Grund<br />

genauer <strong>recht</strong>licher Vorgaben erfolgten, widersprachen sie<br />

nach einer breiten öffentlichen Meinung (der während der<br />

Apartheid Diskriminierten) den allgemeinen Grundsätzen der<br />

Ge<strong>recht</strong>igkeit und verrieten den Gedanken der individuellen<br />

Strafverfolgung bei schwerwiegenden Menschen<strong>recht</strong>sverletzungen,<br />

als Grundvoraussetzung einer demokratischen<br />

Transition des vorherigen Un<strong>recht</strong>sstaates.<br />

Für die Antragsteller auf Begnadigung und Strafverfolgungsfreiheit<br />

genügte es somit, ihre Taten offen zu legen,<br />

sich der öffentlichen Beurteilung – statt einer gerichtlichen<br />

Verurteilung – unter voller Preisgabe ihrer Identität zu stellen<br />

und die Involvierung ihrer Vorgesetzten zu dokumentieren.<br />

Dann konnten sie einer straf<strong>recht</strong>lichen Sanktion durch individuelle<br />

Amnestie entgehen. Reue oder das bloße Zeigen von<br />

Schuldgefühlen waren keine Voraussetzung. Wer die Bilder<br />

von emotionslos ihre Morde, Folterungen und andere Verbrechen<br />

schildernden Antragstellern, in der Gegenwart der<br />

nächsten Verwandten ihrer Opfer, miterlebt hat, konnte sich<br />

der Erschütterung auch aus der „zeitlichen und räumlichen<br />

Distanz“ der nicht unmittelbar Betroffenen kaum entziehen.<br />

Ihre Fassungslosigkeit, Enttäuschung und Wut war nur allzu<br />

begreiflich. Was es für die Mütter, Väter, Eheleute und Kinder<br />

aber bedeutet haben mag, die stundenlangen Schilderungen<br />

der gröbsten Menschen<strong>recht</strong>sverletzungen an ihren Angehörigen<br />

mit zu hören und dann gegebenenfalls einen im Falle<br />

einer Begnadigung sichtlich erleichterten, wenn schon nicht<br />

feiernden Täter zu erleben, bleibt kaum nachvollziehbar. Dem<br />

behaupteten Afrikanischen Heilungspotential einer kommunikativen<br />

Verständigung entsprach das jedenfalls nur in seltenen<br />

Idealfällen. 27 Zu offensichtlich bedienten sich die (in vielen<br />

Fällen bereits gerichtlich verurteilten) Täter des Verfahrens,<br />

um durch Geständnis-Sprachspiele von längst juridisch Bewiesenem<br />

ihre Freiheit zu erwirken. Zweifellos stand diese<br />

„religiös-theologische“ Kultur der (möglichen) Straflosigkeit<br />

im Geiste der Versöhnung aber im eklatanten Widerspruch<br />

zum Gedanken des Weltstraf<strong>recht</strong>sprinzips einer universal<br />

jurisdiction, die auf die innerstaatlichen Bedürfnisse der Nationsbildung,<br />

der Zusammensetzung einer stabilen Regierung<br />

und des sozialen Friedens weniger Rücksicht nehmen muss.<br />

Insofern spiegelt die Gleichung „Menschen<strong>recht</strong>sge<strong>recht</strong>igkeit<br />

ist gleich wiederherstellende Ge<strong>recht</strong>igkeit ist gleich<br />

Afrikanische Ge<strong>recht</strong>igkeit“ 28 religiöse Gebote, die zur dynamischen<br />

Rechtsentwicklung im Bereich der individuellen<br />

straf<strong>recht</strong>lichen Verantwortung für schwere Menschen<strong>recht</strong>sverletzungen<br />

in einem Spannungsverhältnis stehen. 29<br />

Im Modus der Beichte und Absolution gingen im Ritual der<br />

Versöhnung vor der Wahrheitskommission, nach Auffassung<br />

vieler innerstaatlicher KritikerInnen des TRC-Prozesses,<br />

die „irdischeren“ Konzeptionen von Ge<strong>recht</strong>igkeit, Recht,<br />

21) Wilson, Politics 11.<br />

22) Vgl beispielsweise Burger, Freund und<br />

Mörder, in: Die Zeit 7. April 2004, 59.<br />

23) Dass die Unterzeichnung des Rom-Statuts<br />

zu dessen Einrichtung vor allem von jenen<br />

Staaten verweigert, bzw wie im Fall der USA<br />

zurückgezogen wird, die sich selbst der Delikte<br />

seines Zuständigkeitsbereichs (Völkermord,<br />

Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen<br />

und Verbrechen der Aggression)<br />

verdächtigen, liegt nach Kriterien einer Logik<br />

der Praxis nahe. Siehe dazu genauer Nowak,<br />

Einführung in das Internationale Menschen<strong>recht</strong>ssystem<br />

(2002) 318. Vgl zur Logik der<br />

Praxis: Bourdieu, Entwurf einer Theorie der<br />

Praxis, auf der Grundlage der kabylischen Gesellschaft<br />

(1976); sowie Bourdieu/Wacquant,<br />

An Invitation to Reflexive Sociology (1992).<br />

24) Mit über 21000 Befragungen im öffentlichen<br />

Raum und teilweise sogar Live-Übertragungen<br />

im Fernsehen, leistete dieses Komitee<br />

einen großen Beitrag zur Aufklärung der<br />

Apartheid-Verbrechen. Vgl Truth and Reconciliation<br />

Commission South Africa, Report. Vols<br />

1-5 (1998); http://www.struth.org.za/.<br />

25) Nach den Empfehlungen des Komitees<br />

für Reparationen sollten rund 22000 Verbrechensopfer<br />

staatliche Schadenersatzzahlungen<br />

erhalten, wofür allerdings der politische<br />

Wille und vielleicht auch die finanziellen Bedeckungsmöglichkeiten<br />

fehlten, sodass schließlich<br />

Khulumani, die Selbsthilfegruppe für<br />

Apartheidopfer, am 12. November 2002, vertreten<br />

durch den US-Anwalt Michael Hausfeld<br />

die Angelegenheit selbst in die Hand nahm und<br />

Klage gegen 21 internationale Konzerne, Banken<br />

und Großunternehmen einreichte, die mit<br />

dem Apartheid-Regime kooperiert und damit<br />

gegen die Menschen<strong>recht</strong>e verstoßen haben<br />

(darunter Barcleys National Bank, British Petroleum,<br />

Credit Suisse, Daimler Chrysler, Deutsche<br />

Bank, Exxon Mobil, Ford, General Motors,<br />

IBM, Shell oder UBS). Vgl Schwikowski, Khulumanis<br />

Weg nach New York, Tages-Anzeiger,<br />

13. November 2002. Diese Klage trug dem<br />

Faktum Rechnung, dass der TRC-Prozess die<br />

Institutionen der Apartheid ebenso wie die internationale<br />

Komplizenschaft völlig ungeschoren<br />

davon kommen ließ.<br />

26) In diesem Komitee gingen über 7000<br />

Anträge ein, die zu insgesamt 849 Begnadigungen<br />

und 5392 definitiven Ablehnungen bis<br />

zum Stichtag des 1. November 2000 führten.<br />

Um Amnestie zu empfangen, musste der Antragsteller<br />

ein politisches Motiv der Tat glaubhaft<br />

machen, zu einer lückenlosen Aufklärung<br />

des Verbrechens beitragen, die Befehlskette<br />

darlegen und die Tat zwischen 1. Mai 1960 und<br />

10. Mai 1994 begangen haben. Siehe: www.<br />

doj.gov.za/trc/amntrans/index.htm.<br />

27) Siehe zu diesem Anliegen der Heilung:<br />

Wahrheits- und Versöhnungskommission Südafrika,<br />

Das Schweigen gebrochen: Geschichte<br />

– Anhörungen – Perspektiven (2000).<br />

28) Wilson, Politics 11.<br />

29) Siehe dazu ausführlich Nowak, Einführung<br />

307-323 (mit weiter führenden Literaturangaben).<br />

Seite 86 <strong>juridikum</strong> 2005 / 2

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