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Thema Transitional Justice - juridikum, zeitschrift für kritik | recht ...

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thema<br />

von politischen Prozessen als wichtige Ergänzungen zur straf<strong>recht</strong>lichen<br />

Ahndung gesehen. 35<br />

Aufbauend auf den Erkenntnissen aus dem Konsultationsverfahren<br />

hat die afghanische Menschen<strong>recht</strong>skommission<br />

Anfang diesen Jahres konkrete Empfehlungen an Präsident<br />

Hamid Karzai abgegeben, wobei sich die Kommission darüber<br />

im Klaren ist, dass ein schwieriger Balanceakt zwischen<br />

einer umfassenden Aufarbeitung der Vergangenheit und<br />

der Bewahrung der fragilen politischen Stabilität notwendig<br />

ist. 36 Die Kommission legt dabei den Schwerpunkt auf<br />

Verfahren zur Ausgrenzung führender Kriegsverbrecher aus<br />

dem politischen Geschehen durch das sog „vetting“, sei es<br />

hinsichtlich von Positionen innerhalb des Staatsapparates, sei<br />

es hinsichtlich des Demokratisierungsprozesses, wie zB der<br />

unmittelbar bevorstehenden Parlamentswahlen. 37 Während<br />

sie sich gleichzeitig für eine straf<strong>recht</strong>liche Verfolgung von<br />

Menschen<strong>recht</strong>sverletzern und Kriegsverbrechern ausspricht,<br />

betont die Kommission, dass das innerstaatliche Rechtswesen<br />

zunächst einem langwierigen Reformprozess unterzogen<br />

werden muss, ehe hinreichend Vertrauen in seine Fähigkeit<br />

bestehen kann, mit Hilfe der Rechtsprechung Ge<strong>recht</strong>igkeit<br />

walten zu lassen. 38 Als Übergangslösung wird vorgeschlagen,<br />

innerhalb der Staatsanwaltschaft eine eigene Abteilung zur<br />

straf<strong>recht</strong>lichen Verfolgung von Kriegsverbrechern einzurichten,<br />

wobei der Schwerpunkt auf schwerwiegende Verbrechen<br />

gegen die Menschlichkeit gelegt werden soll. Diese<br />

Abteilung würde dann zu einem späteren Zeitpunkt durch eine<br />

gerichtliche Sonderkammer ergänzt, die aus afghanischen und<br />

internationalen Richtern bestehen würde. 39 Ergänzend dazu,<br />

müssten in näherer Zukunft Maßnahmen zur Wahrheitsfindung<br />

und Dokumentation von Menschen<strong>recht</strong>sverletzungen<br />

im weitesten Sinn ergriffen werden. 40<br />

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Vereinten<br />

Nationen der afghanischen Menschen<strong>recht</strong>skommission bei<br />

der Umsetzung der Empfehlungen ihre vollste Unterstützung<br />

ausgesprochen haben. 41<br />

5. Schlussbemerkung<br />

Afghanistan steht zweifellos erst am Beginn eines langwierigen<br />

Prozesses zur Aufarbeitung der vergangenen Kriegsjahre<br />

und deren massiven Menschen<strong>recht</strong>sverletzungen bzw<br />

Kriegsverbrechen. Auch wenn das <strong>Thema</strong> der „transitional<br />

justice“ zunächst völlig von dem politischen Neuanfang und<br />

dem damit einhergehenden Blick in die Zukunft überschattet<br />

worden war, wächst der innerstaatliche Drang nach einer umfassenden<br />

Aufarbeitung der Vergangenheit als Vorbedingung<br />

für langfristigen Frieden in einem Land, in dem das Vertrauen<br />

auf staatlich geübte Ge<strong>recht</strong>igkeit nach Jahren der bewaffneten<br />

Auseinandersetzungen massiv eingeschränkt ist.<br />

Während nach wie vor der Stabilitätsgedanke überwiegt,<br />

und dementsprechend kaum an drastische Maßnahmen zur<br />

Vergangenheitsbewältigung, die das Feuer der Gewalt wieder<br />

anfachen könnten, gedacht wird, wird Stück für Stück das<br />

Fundament zur umfassenden Aufarbeitung der Jahre seit 1978<br />

gelegt. Entsprechend den jüngsten internationalen Bestrebungen,<br />

Mechanismen zur Förderung der „transitional justice“<br />

möglichst in das nationale Gefüge einzubetten, wird aufbauend<br />

auf einem breiten Konsens der Bevölkerung versucht,<br />

die tiefen Wunden der Kriegsjahre unter der Obhut der internationalen<br />

Gemeinschaft behutsam zu verarzten. Dabei wir<br />

zunächst vorwiegend auf die sukzessive Ausgrenzung jener<br />

politischen Kräfte gezielt, die sich in der Vergangenheit durch<br />

Brutalität und Verachtung der Menschen<strong>recht</strong>e ausgezeichnet<br />

haben. In der Hoffnung, dass groß angelegte Entwaffnungsprogramme<br />

und institutionelle Reformprozesse die Rahmenbedingungen<br />

für politische Stabilität bilden können, werden<br />

allmählich die Weichen in Richtung Ge<strong>recht</strong>igkeit gelegt.<br />

Auch wenn solch ein national-gesteuerter und pragmatischer<br />

Ansatz völlig an den Wunschvorstellungen vieler Anhänger<br />

des internationalen Straf<strong>recht</strong>s vorbeigeht, 42 scheint es<br />

im Vorfeld der Parlamentswahlen und der damit einhergehenden<br />

Verschärfung der Sicherheitslage verfehlt, derzeit an einen<br />

vorwiegend straf<strong>recht</strong>lichen Ansatz zu denken. 43 Vielmehr<br />

gilt es die derzeitigen politischen Prozesse zu benutzen, um<br />

den machtvollen Übeltätern zunehmend die (militärischen)<br />

Mittel zur Destabilisierung des Landes zu entziehen.<br />

Dr. Michael Schoiswohl, LL.M. (NYU), Legal<br />

Officer, Legal Advisory Unit, Office of the Special<br />

Representative, United Nations Assistance Mission<br />

in Afghanistan; schoiswohl@un.org.<br />

35 Ibid, 28ff.<br />

36) Ibid, 45.<br />

37) Ibid, 48ff, siehe auch Afghanistan <strong>Justice</strong><br />

Project (2005), supra fn 11, 6ff.<br />

38) Ibid, 53f, AIHRC, supra fn 11, 53ff.<br />

39) Ibid, 54f.<br />

40) Ibid, 56ff.<br />

41) High Commissioner for Human Rights<br />

Urges Support for Afghan Efforts to Deal with<br />

Impunity, Pressemitteilung der Vereinten Nationen<br />

vom 29. Januar 2005; Erklärung des<br />

Sondervertreters des Generalsekretärs für<br />

Afghanistan, Jean Arnault, vom 29. Januar<br />

2005.<br />

42) Vgl Schoiswohl, Buchbesprechung zu<br />

O’Shea, Amnesty for Crime in International<br />

Law and Practice (2002) in: 8 ARIEL (im<br />

Druck, 2005).<br />

43) Afghanistan <strong>Justice</strong> Project (2005), supra<br />

fn 11, 6ff; siehe dagegen Human Rights<br />

Watch, supra fn 9, 125f<br />

Seite 98 <strong>juridikum</strong> 2005 / 2

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