Thema Transitional Justice - juridikum, zeitschrift für kritik | recht ...
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echt & gesellschaft<br />
46 %). Es muss aber auch hinzugefügt<br />
werden, dass es große Gruppen von<br />
AsylwerberInnen gibt, die straf<strong>recht</strong>lich<br />
nicht auffällig werden.<br />
• Der Anteil Gefangener fremder Staatsbürgerschaft<br />
am Durchschnittsbelag der<br />
österreichischen Justizanstalten ist zwischen<br />
den Jahren 2001 und 2003 von<br />
31 auf 45 % gestiegen. Der Zuwachs an<br />
Hafttagen zwischen 2000 und 2002 geht<br />
zu 38 % auf das Konto bzw. zulasten von<br />
ÖsterreicherInnen und zu 44 % auf das<br />
von Personen aus schwarzafrikanischen<br />
Ländern.<br />
Was es braucht:<br />
• Eine praktische Reorganisation des<br />
Asylverfahrens (durch Personalaufstockung<br />
und Qualifikation), damit Verfahren<br />
fair und schnell Klarheit und<br />
Sicherheit bringen.<br />
• Weniger Voraussetzungen bzw. Schikanen<br />
für AsylwerberInnen, um zu einer<br />
guten Grundversorgung und besserem<br />
Arbeitsmarktzugang zu kommen.<br />
• „Sozialpolitik“, soziale Mindest<strong>recht</strong>e<br />
(Sozialhilfe, Gesundheitsversorgung,<br />
schulische Erziehung von<br />
Kindern) und Rechtshilfe auch für irregulär<br />
Aufhältige.<br />
• Mehr Verständnis für wirtschaftliche<br />
Fluchtmotive, eine „Entkriminalisierung“<br />
irregulärer Wanderung, darauf<br />
aufbauend die<br />
• Anerkennung von faktischer sozialer<br />
Integration bei der Zuerkennung<br />
von Aufenthalts<strong>recht</strong>: Wer einen Jobnachweis<br />
erbringt, wer soziale/familiäre<br />
Beziehungen aufgebaut hat, wer<br />
in diesem Sinne Bürgschaften für gesellschaftliche<br />
Integration vorweisen<br />
kann und sich legal verhalten hat, soll<br />
Legalisierungschancen eingeräumt bekommen.<br />
• Schließlich verstärkte Rückkehrberatung<br />
und -hilfen, um Personen ohne<br />
Aufenthalts<strong>recht</strong> aus Abhängigkeitsverhältnissen<br />
zu befreien und ihre notwendige<br />
Kooperation für eine erfolgreiche<br />
Repatriierung zu erreichen.<br />
Die VerfasserInnen der Kriminalpolitischen<br />
Initiative sind: Univ.Prof. Dr.<br />
Christian Grafl, Universität Wien, Institut<br />
für Straf<strong>recht</strong> und Kriminologie;<br />
Univ.Prof. Dr. Wolfgang Gratz, Fortbildungszentrum<br />
Strafvollzug; Univ.Prof.<br />
Dr. Frank Höpfel, Universität Wien, Institut<br />
für Straf<strong>recht</strong> und Kriminologie;<br />
Zu klein oder zu voll?<br />
Walter Geyer<br />
···········································<br />
Die Errichtung einer zweiten großen<br />
Haftanstalt in Wien scheint beschlossen<br />
zu sein. In der wissenschaftlichen<br />
und auch politischen Debatte wird der<br />
veränderten Kriminalität und der Differenzierung<br />
zwischen in Österreich<br />
integrierten und nicht integrierten Personen<br />
zu wenig Beachtung geschenkt.<br />
Eine Diskussion über Alternativen zur<br />
Freiheitsstrafe wie Ausweitung der<br />
gemeinnützigen Leistungen, bedingten<br />
Entlassungen, Abschiebungen und<br />
Strafvollstreckungen im Herkunftsstaat<br />
findet gleichfalls kaum statt, hier hinkt<br />
Österreich immer deutlicher der Entwicklung<br />
im Ausland nach. So bleibt<br />
die Frage offen: gibt es tatsächlich zu<br />
wenig Haftplätze oder bloß zu viele<br />
Häftlinge? 1<br />
DSA Christine Hovorka, Sozialarbeiterin;<br />
Univ.Doz. Dr. Arno Pilgram, Institut<br />
für Rechts- und Kriminalsoziologie;<br />
Hon.Prof. Dr. Hans Valentin Schroll,<br />
Richter des Obersten Gerichtshofs;<br />
Univ.Doz. Dr. Richard Soyer, Rechtsanwalt.<br />
Der Inhalt der Initiative gibt unsere<br />
persönliche Meinung wieder.<br />
Drastisch geänderte Kriminalität<br />
Allein in den letzten vier Jahren ist<br />
der Anteil an ausländischen Häftlingen<br />
in Österreichs Justizanstalten von<br />
28 % am 1. 1. 2000 auf 42,8 % am<br />
21. 10. 2004, also um beinahe 50 Prozent<br />
auf rund 3.700 Personen gestiegen.<br />
Das ist eine dramatische und tief<br />
greifende Veränderung gleichsam des<br />
Fundamentes, auf dem die Justiz arbeitet<br />
und Entscheidungen trifft. Die<br />
Unterscheidung zwischen Inländern<br />
und integrierten Ausländern einerseits<br />
und dem wachsenden Anteil an nicht<br />
integrierten Ausländern andererseits<br />
betrifft das gesamte Strafverfahren und<br />
ist in allen Stadien des Verfahrens bedeutend.<br />
Die Justiz ist hier vor eine neue<br />
Herausforderung gestellt, für deren Bewältigung<br />
die Unterstützung durch die<br />
Wissenschaft notwendig wäre. Auf Basis<br />
dieser jüngsten Entwicklungen erscheint<br />
Selbstverständliches plötzlich<br />
fragwürdig im Sinne von würdig, neu<br />
hinterfragt zu werden. Was bedeuten<br />
unsere Vorstellungen und Methoden zur<br />
Resozialisierung, wenn die Betroffenen<br />
kein Aufenthalts<strong>recht</strong> in Österreich haben<br />
und unsere Sprache nicht verstehen?<br />
Wenn bei einem immer größer werdenden<br />
Teil von ihnen Berufsausbildung,<br />
Vermittlung von Arbeitsplätzen und<br />
Wohnmöglichkeiten von vornherein<br />
genauso wenig in Frage kommen wie<br />
Bewährungshilfe als Hilfe zur Bewährung<br />
in der Freiheit?<br />
Fragwürdige Haftentscheidungen<br />
Die Unterscheidung zwischen in Österreich<br />
integrierten und nicht integrierten<br />
1) Der Beitrag ist eine überarbeitete<br />
Fassung eines Referats bei<br />
der Enquete „Moderner Strafvollzug<br />
– Sicherheit und Resozialisierung“<br />
am 8./9. November 2004 im<br />
Bundesministerium für Justiz.<br />
<strong>juridikum</strong> 2005 / 2 Seite 71