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Thema Transitional Justice - juridikum, zeitschrift für kritik | recht ...

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thema<br />

Mandela beware!<br />

Mind you share out wi (our) share!<br />

Over 400 years, dem no care!<br />

Who is going to pay for all the black blood shed?<br />

Who is going to pay for all the Soweto children dead?<br />

Freedom now! Or face the gun!<br />

Negotiating for what belong to you,<br />

could never be a noble thing to do…<br />

Sitting and talking while blacks die every day<br />

Going ’round and ’round, trying a peaceful way…<br />

Mutabaruka, Beware 1<br />

1. Einleitung: wer sagt, was wahr und ge<strong>recht</strong> ist?<br />

Lassen sich Wahrheit und Ge<strong>recht</strong>igkeit vermählen?<br />

Ist das ein <strong>recht</strong>licher, politischer, ethischer oder rituell-religiöser<br />

Akt? Gibt es Wahrheit und Ge<strong>recht</strong>igkeit<br />

überhaupt im Singular? Könnten sie aus der Pluralität<br />

der lebensweltlichen Perspektiven, Weltbilder,<br />

Interessenlagen, ethisch-religiösen Empfindungen<br />

und Befindlichkeiten durch einen allgemeingültigen<br />

Imperativ (ein „Universal<strong>recht</strong>“) – kategorisch oder<br />

nicht – heraus geschält werden? Geht das nur durch<br />

ein a Priori, dessen Gültigkeit auf der elitären Kraft<br />

der philosophischen Einsicht (be)ruht? Hätte ein derartiges<br />

Urteil jemals die Chance auf Anerkennung<br />

oder müsste es erst wieder auf eine wie auch immer<br />

gestaltete „Supermacht“ zurückgreifen? Handelt es<br />

sich dabei nicht logischerweise um Selbstge<strong>recht</strong>igkeit/Unge<strong>recht</strong>igkeit<br />

im Gewand von Ge<strong>recht</strong>igkeit<br />

und im vorgespielten Besitz der absoluten Wahrheit?<br />

Sind Wahrheit und Ge<strong>recht</strong>igkeit daher nichts anderes als<br />

kontingente Herrschaftsansprüche und Gewaltanmaßungen?<br />

Lässt sich über Wahrheit und Ge<strong>recht</strong>igkeit daher allenfalls<br />

streiten oder Krieg führen („diskutieren“ im engeren Sinn 2 ),<br />

aber niemals nur sprechen und beraten? Und falls doch, können<br />

sich Menschen auf das eine wie das andere verständigen<br />

und einigen? Oder bleibt es der Verfügungsgewalt von<br />

Lebenden entzogen und an eine imaginierte natur<strong>recht</strong>liche<br />

Unabänderlichkeit gebunden? Vielleicht sogar auf einen (oder<br />

mehrere) göttliche/n Willen verwiesen? Oder sind Wahrheit<br />

und Ge<strong>recht</strong>igkeit vielmehr aufeinander angewiesen? Als<br />

Voraussetzungen, die Recht erst begründen und legitimieren<br />

können? Sind Wahrheit und Ge<strong>recht</strong>igkeit damit gar untrennbar?<br />

Und beginnt das Recht, jedes Recht, erst dort, wo die<br />

Pluralität der Wahrheiten und Ge<strong>recht</strong>igkeiten zu einer von<br />

allen akzeptierten Konsensformel kondensiert wurde? Die<br />

erst dann „be-<strong>recht</strong>igt“ ist, aus der Zustimmung das Recht<br />

auf Zwang abzuleiten? 3 Rechtspositivisten haben diese Sorgen<br />

nicht und sind dafür – zumindest zu Beginn eines solchen<br />

Artikels – durchaus zu beneiden.<br />

Unter anderem auch, weil die Aufgabenstellung, einen<br />

kurzen Beitrag zum Verhältnis von Wahrheitskommissionen<br />

zur (transitionalen) Ge<strong>recht</strong>igkeit zu verfassen, angesichts der<br />

Menge an publizierten und unpublizierten Standpunkten und<br />

Perspektiven fast nur scheitern kann. Warum ich es trotzdem<br />

Die Flüchtigkeit<br />

des Regenbogens<br />

Werner Zips<br />

Wahrheitskommissionen<br />

als Wege zur<br />

Ge<strong>recht</strong>igkeit<br />

·································<br />

versuche, diesem sich seit Jahrtausenden ausbreitenden und<br />

verästelnden Diskursuniversum ein paar Gedanken hinzuzufügen,<br />

hat mit zwei Interessen zu tun: einem theoretischen,<br />

nämlich den Ge<strong>recht</strong>igkeitsbegriff kritisch im Rahmen einer<br />

empirischen Rechtsanthropologie zu nutzen; sowie dem praktischen,<br />

auf die Gefahren einer letztlich doch noch scheiternden<br />

Versöhnung in Südafrika, die an Wahrheit und Ge<strong>recht</strong>igkeit<br />

orientiert war, hinzuweisen. Letzteres ist mit einer persönlichen<br />

Betroffenheit verbunden. Seit einigen Jahren habe ich<br />

meine Forschungsinteressen an <strong>recht</strong>lichen und politischen<br />

Fragestellungen von der Karibik und Westafrika auf das südliche<br />

Afrika ausgedehnt. Weit gehend im Windschatten des<br />

Weltinteresses geht hier ein politisches Experiment der sozialen<br />

Transformation vonstatten, das mit Sicherheit gravierende<br />

Auswirkungen im globalen Kontext haben wird. Scheitert der<br />

beeindruckende Versuch der partizipatorischen Integration<br />

im Neuen Südafrika, werden von der lokalen Bruchstelle mit<br />

hoher Wahrscheinlichkeit Schockwellen ausgehen, die allegorisch<br />

gesprochen mit dem Tsunami im Indischen Ozean<br />

vergleichbar sein könnten.<br />

2. Aussöhnung im Transitionsprozess der<br />

Nationsbildung<br />

Wahrheit und Ge<strong>recht</strong>igkeit sind die beiden Achsen, um die<br />

in Südafrika etwas in Gang gesetzt werden sollte, das weltweit<br />

für beinahe unmöglich gehalten wurde: aus der Perversion<br />

eines Staatswesens des institutionalisierten Rassismus<br />

einen friedlichen Prozess des „nation-building“ einzuleiten,<br />

an dessen Ende der Rassismus und mit ihm vielleicht sogar<br />

die Konstruktionen von Rassen überhaupt, mit ihren unvermeidbar<br />

diskriminierenden Tendenzen, zu Grabe getragen<br />

werden sollten. Im Mittelpunkt dieses Transitionsprozesses<br />

– von governance, nicht so sehr von justice – stand eine Wahrheitskommission,<br />

die Truth and Reconciliation Commission<br />

(TRC), die ich exemplarisch (nicht repräsentativ) für andere<br />

Wahrheitskommissionen und vergleichbare Institutionen des<br />

Übergangs in diesem Beitrag behandeln möchte. Dahinter<br />

stand das unerklärte Ziel, den früheren Machthabern Süd-<br />

1) Auf der CD Melanin Man, 1994 Revolver<br />

Records.<br />

2) Von lat discutio: zerschlagen, zertrümmern.<br />

3) Siehe zu diesen und noch mehr Fragen<br />

zur Ge<strong>recht</strong>igkeit auch das Sonderheft „Was<br />

ist ge<strong>recht</strong>?“ des Journal für Philosophie: der<br />

blaue reiter, Nr 19 (1/04).<br />

Seite 82 <strong>juridikum</strong> 2005 / 2

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