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Programmheft herunterladen - Münchner Philharmoniker

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16 Igor Strawinsky: „Le Sacre du Printemps“<br />

Die Vision zum „Sacre“ kam Strawinsky angeblich<br />

im Traum. Tatsächlich aber wurde sie ihm<br />

durch ein Gedicht mit dem Titel „Jarilo“ vermittelt,<br />

in dem der panslawische Frühlingsgott und<br />

ihm dargebrachte blutrünstige Opferrituale besungen<br />

werden. Es stammte aus der Feder des<br />

symbolistischen Lyrikers Sergej Gorodetskij<br />

(1884–1967), von dem Strawinsky zuvor schon<br />

zwei Texte vertont hatte. Nicolas Roerich, der<br />

ein Spezialist für archaische Volkskunst und vorchristliche<br />

slawische Geschichte war, erzählt<br />

die Fabel in einem Brief an Diaghilew so: „Die<br />

erste Szene sollte uns an den Fuß eines heiligen<br />

Hügels versetzen, in einer üppigen Ebene, wo<br />

slawische Stämme versammelt sind, um die<br />

Frühlingsfeierlichkeiten zu begehen. In dieser<br />

Szene erscheint eine alte Hexe, die die Zukunft<br />

voraussagt: hier gibt es (Braut­) Entführung<br />

und Hochzeit, Reigentänze. Dann folgt der feierlichste<br />

Augenblick. Der weise Alte wird aus dem<br />

Dorf gebracht, um seinen heiligen Kuss der neu<br />

blühenden Erde aufzudrücken; während dieser<br />

feierlichen Handlung wird die Menge von einem<br />

mystischen Schauer ergriffen. Nach dem Aufrauschen<br />

irdischer Freude führt uns die zweite<br />

Szene in ein himmlisches Mysterium. Jungfrauen<br />

tanzen im Kreise auf einem Hügel zwischen verzauberten<br />

Felsen, ehe sie das Opfer wählen, das<br />

sie darzubringen gedenken und das sogleich seinen<br />

letzten Tanz vor den uralten, in Bärenfell<br />

gekleideten Männern tanzen wird. Dann weihen<br />

die Graubärte das Opfer dem Gott Jarilo.“<br />

Der Tanz<br />

Dieses Szenario mag von einem Teil des Publikums<br />

als anstößig empfunden worden sein, als<br />

obszön, primitiv, blasphemisch; es war aber sicher<br />

nicht der einzige Grund für einen derartigen<br />

Skandal, wie er sich bei der Uraufführung<br />

ereignete. Zu den Bildern, die entgegen der Gewohnheit<br />

auch noch einer Handlung entbehrten,<br />

kam die Neuartigkeit des Tanzes: Es gab keine<br />

klassischen Schritte mehr, keinen Wechsel traditioneller<br />

Solo­ und Ensemble­Partien. „Ich<br />

möchte“, sagte Strawinsky, „der ganzen Komposition<br />

das Gefühl der Verbundenheit des Menschen<br />

mit der Erde geben, und das versuche ich<br />

in lapidaren Rhythmen auszudrücken. Die ganze<br />

Sache muss von Anfang bis Ende im Tanz ausgedrückt<br />

werden; kein Takt pantomimische<br />

Darstellung.“<br />

In seinen Memoiren mokierte sich Strawinsky,<br />

entgegen anfänglich enthusiastischer Äußerungen,<br />

über die Fähigkeiten Waslaw Nijinskys als<br />

Choreograph und zeichnete ihn als naiven, unmusikalischen<br />

Günstling Diaghilews. Unausgesprochen<br />

unterstellte er Nijinskys Choreographie,<br />

deren Hauptfehler er – wie Jean Cocteau – im<br />

„Parallelismus von Musik und Gebärde, dem Fehlen<br />

des Spielmoments oder Kontrapunkts zwischen<br />

beiden“ sah, zumindest eine gewisse Mitschuld<br />

am Desaster der Pariser Uraufführung:<br />

„Die Tänzer übersetzten Dauer, Akzente, Volumen<br />

und Timbre der Töne in Gebärden und drückten<br />

Accelerando und Ritardando des musikalischen<br />

Pulsschlages durch eine Reihe wohlüber ­<br />

legter gymnastischer Bewegungen, Beugen und<br />

Strecken der Knie, Heben und Senken der Fersen<br />

oder Stampfen aus, wobei jeder Akzent gewissenhaft<br />

herausgearbeitet wurde.“ Nijinskys<br />

Choreographie wirkte nach den Worten Strawinskys<br />

„wie eine mühvolle Arbeit ohne Zweck und

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