Programmheft herunterladen - Münchner Philharmoniker
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4 Ludwig van Beethoven: „Coriolan“-Ouvertüre<br />
Collins Trauerspiel „Coriolan“<br />
Anders als lange vermutet, fußt Heinrich Joseph<br />
von Collins Trauerspiel keineswegs auf dem um<br />
1602 verfassten Drama William Shakespeares;<br />
die Übersetzungen Schlegels und Tiecks, die<br />
die Werke Shakespeares im deutschen Sprachraum<br />
bekannt machten, sind ohnehin jüngeren<br />
Datums. Wie die Aufzeichnungen seines Bruders<br />
Matthias belegen, beruht Collins Drama<br />
auf einer Darstellung des griechischen Schriftstellers<br />
und Philosophen Plutarch, dessen Werke<br />
im Übrigen auch Beethoven sehr schätzte.<br />
Inhaltlich geht es um eine Gestalt aus der frühen<br />
römischen Geschichte. Der ehemals ob seines<br />
Sieges gegen die Volsker umjubelte, inzwischen<br />
aber wegen seiner Willkür und Selbstherrlichkeit<br />
beim Volk von Rom verhasste Coriolan wird<br />
in die Verbannung geschickt. Er schwört Rache.<br />
Trotzig läuft er zu den Volskern über und führt<br />
sie zum Kampf gegen seine Vaterstadt. Erst<br />
seiner Mutter und seiner Frau gelingt es, den<br />
Abtrünnigen zur Aufgabe seines Vorhabens zu<br />
bewegen. Coriolans Gegner bei den Volskern<br />
trachten ihm daraufhin nach dem Leben. Coriolan<br />
weiß, dass er den persönlichen Konflikt zwischen<br />
der Familientradition und dem den Volskern<br />
gegebenen Treueschwur nur durch den eigenen<br />
Tod lösen kann. Er stürzt sich in sein Schwert<br />
und bleibt somit einer höheren Moral treu, indem<br />
er weder Rom noch die Volsker verrät.<br />
Begeisterung für die klassische<br />
Antike<br />
Warum Beethoven sich für das Thema entschieden<br />
hat, kann nur vermutet werden. Vielleicht<br />
benötigte er eine Konzerteinleitung, vielleicht<br />
wollte er sich dem Dichter gefällig zeigen, sollte<br />
dessen 1802 in Wien uraufgeführtes, aber<br />
seit 1805 abgesetztes Drama doch noch einmal<br />
ins Repertoire des k. k. Hoftheaters zurückkehren.<br />
Überdies war Collin als Hofsekretär bei der Hofkammer<br />
in Diensten, was Beethoven bei seinen<br />
damaligen Bemüh ungen um eine Anstellung<br />
bei Hofe gewiss nicht ganz ungelegen kam.<br />
Vielleicht auch wünschte Beethoven dem fürstlichen<br />
Direktorium des Theaters sein Können<br />
als Komponist für die Bühne erneut zu demonstrieren.<br />
All die genannten Gründe mögen mitgespielt<br />
haben. Den Ausschlag aber, sich dem<br />
„Coriolan“-Thema zu stellen, gab sicherlich Beethovens<br />
Begeisterung für die klassische Antike,<br />
eine Vorliebe, die er mit vielen seiner Zeitgenossen<br />
teilte. Der in Collins „Coriolan“ innewohnende<br />
„moralische Appell“, dass der Mensch<br />
als Einzelwesen der Vernichtung preisgegeben<br />
ist, wenn er, wie es Paul Bekker in seinem berühmten<br />
Beethoven-Buch (1911) darlegte, „die<br />
eigene Persönlichkeit nicht in Einklang mit den<br />
höchsten Gesetzen der Menschlichkeit zu bringen<br />
vermag“, dürfte den Komponisten zusätzlich<br />
bestärkt haben.<br />
Themendualismus der Sonatensatzform<br />
Der allgemeinen Praxis seit Christoph Willibald<br />
Gluck folgend steht auch Beethovens „Coriolan“-<br />
Ouvertüre in Sonatensatzform. Ohnehin Ort<br />
konfliktreichen Geschehens, geprägt durch gegensätzliche<br />
Thematik bzw. Themenkomplexe<br />
und deren manchmal geradezu exzessive Verarbeitung<br />
in der Durchführung und teilweise<br />
sogar Coda, erscheint sie wie keine andere Form<br />
prädestiniert, die extremen Charakterzüge des