Collegium Logicum – Logische Grundlagen der Philosophie und
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Historisches 15<br />
Jede <strong>der</strong>artige Zusammenfassung zu einem Ganzen, von dem Cantor spricht,<br />
benötigt ein Kriterium, das über die Mitgliedschaft in einer Menge entscheidet.<br />
Da die Cantorsche Bestimmung keinerlei Einschränkungen für ein solches<br />
Kriterium enthält, könnte man allgemein sagen, daß jede beliebige Eigenschaft<br />
von Objekten unserer Anschauung o<strong>der</strong> unseres Denkens zu einer Menge führt,<br />
<strong>und</strong> zwar gerade zu <strong>der</strong> Menge <strong>der</strong>jenigen Objekte, die diese Eigenschaft erfüllen.<br />
Cantor benutzte als Notation für Mengen geschweifte Klammern, die bis<br />
heute üblich sind: wenn das Symbol Φ für die gegebene Eigenschaft steht, so<br />
bezeichnen wir die Menge <strong>der</strong>jenigen Objekte x, die die Eigenschaft Φ besitzen,<br />
mit<br />
(9) { x | Φ[x] }<br />
Man kann dann aus <strong>der</strong> Cantorschen Bestimmung das folgende allgemeine Prinzip<br />
für die Zugehörigkeit zu einer Menge <strong>der</strong> Gestalt (9) gewinnen:<br />
(10) y ∈ { x | Φ[x] } genau dann, wenn y die Eigenschaft Φ hat<br />
Das lateinische Wort für ‘zusammenfassen’ ist comprehen<strong>der</strong>e, <strong>und</strong> so wird diese<br />
Bestimmung das Cantorsche Komprehensionsprinzip für Mengen genannt. 7<br />
Man spricht heute auch von einem “naiven” Komprehensionsprinzip, weil man<br />
es nicht ganz wörtlich nehmen kann, wie wir unten sehen werden. Beispiele für<br />
Mengen in <strong>der</strong> Mathematik sind natürlich in erster Linie die Zahlensysteme;<br />
natürliche o<strong>der</strong> reelle Zahlen sind “wohlunterschiedene” Objekte unseres Denkens,<br />
<strong>und</strong> also kann man die Menge <strong>der</strong> natürlichen Zahlen <strong>und</strong> die Menge<br />
<strong>der</strong> reellen Zahlen bilden. Beide Mengen sind unendliche Mengen; ihre aktuale<br />
Existenz nahm Cantor ohne Umschweife an <strong>und</strong> stellte sich damit gegen die<br />
traditionelle philosophische Auffassung von Unendlichkeit als etwas, was niemals<br />
in Wirklichkeit, son<strong>der</strong>n stets nur in seiner “Potentialität” gegeben ist.<br />
Diese Auffassung des potentiell Unendlichen, die auf Aristoteles zurückgeht,<br />
wurde auch von Mathematikern bis hin zu Gauß geteilt. Der Begriff des<br />
Aktual-Unendlichen erlaubte es Cantor jedoch, das Unendliche als einen Bereich<br />
aufzufassen, <strong>der</strong> <strong>der</strong> mathematischen Erforschung zugänglich ist, während<br />
die alte Auffassung das Unendliche vorwiegend entwe<strong>der</strong> als etwas Negatives<br />
begriff, über das man wenig mehr sagen konnte, als daß es nicht endlich sei,<br />
o<strong>der</strong> aber es mit metaphysischen Begriffen wie Gott o<strong>der</strong> dem Absoluten identifizierte,<br />
dem unser endlicher Verstand nicht beikommen kann.<br />
Der Gr<strong>und</strong>stein für die Strukturierung des Unendlichen wurde durch die<br />
Entdeckung Cantors gelegt, daß nach Festlegung eines geeigneten Größenbegriffs<br />
für unendliche Mengen (dem <strong>der</strong> Mächtigkeit) sich unendliche Mengen<br />
verschiedener Mächtigkeit ergeben. Während die Menge <strong>der</strong> natürlichen Zahlen<br />
die kleinste unendliche Mächtigkeit repräsentiert, besitzt die Menge <strong>der</strong> reellen<br />
Zahlen eine höhere Mächtigkeit; dies fand Cantor mit Hilfe seines berühmten<br />
Diagonalverfahrens heraus. Es zeigte sich schnell, daß es sogar unendlich<br />
viele verschiedene Mächtigkeiten gibt. Dazu betrachtete Cantor zu einer unendlichen<br />
Menge die Menge aller ihrer Teilmengen, Potenzmenge genannt; er<br />
7 Diese Bezeichnung ist historisch nicht ganz korrekt, da sich ein solches Prinzip nicht<br />
bei Cantor findet <strong>und</strong> auch dem Geist seiner Mengenauffassung zuwi<strong>der</strong>läuft, wie etwa S.<br />
Lavine [157] argumentiert.