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Collegium Logicum – Logische Grundlagen der Philosophie und

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Historisches 19<br />

zweckmäßig, genauer festzulegen, über welche Art von Objekten eine Theorie<br />

“spricht”: es sind dies die Objekte, über die mit Hilfe <strong>der</strong> geb<strong>und</strong>enen Variablen<br />

<strong>der</strong> Theorie quantifiziert wird. Der Quantifikationsbereich ist zwar eigentlich<br />

ein semantisches Konzept, das nicht explizit in <strong>der</strong> Theorie eine Rolle spielen<br />

durfte; aber man benutzte für die verschiedenen Bereiche verschiedene Typen<br />

von Variablen <strong>und</strong> “sagte dann dazu”, was <strong>der</strong> intendierte Bereich sein sollte.<br />

Die arithmetischen Quantoren z.B. variieren über Zahlen, die an<strong>der</strong>s als bei<br />

Frege als Objekte <strong>der</strong> untersten Stufe, Individuen genannt, aufgefaßt werden.<br />

Wenn man neben <strong>der</strong> Quantifikation über Zahlen auch die Quantifikation über<br />

Mengen von Zahlen zuläßt, so spricht man von einer Theorie höherer, genauer:<br />

<strong>der</strong> zweiten Stufe. Freges System entspricht einer Theorie <strong>der</strong> zweiten Stufe,<br />

Russells Typentheorie sogar einer Theorie beliebiger endlicher Stufen. Wie<br />

oben bereits erwähnt, läßt die elementare Logik nur die Quantifikation über Individuen,<br />

also Objekte <strong>der</strong> ersten Stufe, zu. Die übliche, auf den Axiomen von<br />

Peano basierende Zahlentheorie ist eine Theorie <strong>der</strong> ersten Stufe <strong>und</strong> trägt den<br />

Namen Peano-Arithmetik. Die Analysis läßt sich als Zahlentheorie <strong>der</strong> zweiten<br />

Stufe entwickeln, weil die reellen Zahlen mit gewissen Mengen von natürlichen<br />

Zahlen identifiziert werden können; dies ergibt sich aus den Reduktionsbeziehungen<br />

zwischen den Zahlensystemen. Die Mengentheorie ist wie<strong>der</strong>um eine<br />

Theorie <strong>der</strong> ersten Stufe; ihre Objekte sind alles Individuen, welche Mengen<br />

genannt werden. Die Reduktion <strong>der</strong> Mathematik auf die Mengenlehre bedeutet,<br />

daß alle mathematischen Objekte gewisse Mengen sind, speziell die verschiedenen<br />

Arten von Zahlen <strong>und</strong> alle Relationen <strong>und</strong> Funktionen über ihnen.<br />

Auch können alle mathematischen Theorien in die Mengentheorie eingebettet<br />

werden; diese ist somit die umfassendste Theorie.<br />

Was nun die Frage <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruchsfreiheit betrifft, so geriet das Hilbertsche<br />

Programm schon bei dem schwächsten System, dem <strong>der</strong> Arithmetik, in<br />

unüberwindbare Schwierigkeiten. Zwar wurde für dieses System ein Wi<strong>der</strong>spruchsfreiheitsbeweis<br />

geführt (durch Gerhard Gentzen im Jahre 1936), aber<br />

<strong>der</strong> Beweis benutzte wesentlich nicht-finite Mittel; <strong>und</strong> weit davon entfernt,<br />

schwächer zu sein, waren sie sogar erheblich stärker als die Beweismittel, die<br />

in <strong>der</strong> Arithmetik selbst zur Verfügung stehen. Dieses Resultat befindet sich<br />

im Einklang mit einer Entdeckung von Kurt Gödel wenige Jahre vorher: sie<br />

besagt, daß eine Theorie, die so stark ist wie die Peano-Arithmetik, ihre eigene<br />

Wi<strong>der</strong>spruchsfreiheit nicht beweisen kann. Dies ist <strong>der</strong> Inhalt des sogenannten<br />

zweiten Gödelschen Unvollständigkeitssatzes. Der finite Standpunkt muß also<br />

in seiner strikten Form aufgegeben werden. Das mag für Mathematiker <strong>und</strong><br />

Philosophen, die diese Position für unnötig restriktiv hielten, nicht beson<strong>der</strong>s<br />

schlimm gewesen sein. Weit schwerer wog allerdings eine weitere Folgerung aus<br />

dem Gödelschen Satz: da die Mengenlehre die Arithmetik umfaßt, gilt dasselbe<br />

für sie, d.h. ihre Wi<strong>der</strong>spruchsfreiheit kann nicht in <strong>der</strong> Mengenlehre selbst bewiesen<br />

werden. Nun umfaßt die Mengenlehre aber im wesentlichen die gesamte<br />

Mathematik; die Frage, ob die Mathematik als ganze wi<strong>der</strong>spruchsfrei ist, muß<br />

also unbeantwortet bleiben. Der Optimismus Hilberts, <strong>der</strong> verkündet hatte,<br />

in <strong>der</strong> Mathematik gebe es kein Ignorabimus, erhielt hierdurch einen gewissen<br />

Dämpfer.<br />

Zur Unbeweisbarkeit <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruchsfreiheit <strong>der</strong> Arithmetik innerhalb des<br />

Systems selbst gelangte Gödel mit Hilfe von Methoden, die er für seinen ersten

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