Collegium Logicum – Logische Grundlagen der Philosophie und
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Historisches 17<br />
führt jetzt zusammen mit dem Komprehensionsprinzip (10) zu einem Wi<strong>der</strong>spruch.<br />
Bezeichnen wir diese Russellsche Menge mit r <strong>und</strong> fragen danach, ob<br />
r selbst ein Element von r ist. Wird das bejaht, so besitzt r die definierende<br />
Eigenschaft <strong>der</strong> Menge in (12), d.h. r ist kein Element von r. Wenn aber<br />
umgekehrt die “Selbstelementschaft” von r verneint wird, so hat r gerade die<br />
definierende Eigenschaft <strong>der</strong> Menge r, <strong>und</strong> dann müßte r eines <strong>der</strong> Elemente<br />
von r sein. In Symbolen:<br />
(13) r ∈ r genau dann, wenn r �∈ r<br />
Dies ist nun eine echte Antinomie, <strong>der</strong>en Kennzeichen es ist, daß aus unkontrovers<br />
erscheinenden Prämissen, wie hier dem naiven Komprehensionsprinzip,<br />
ein nicht auflösbarer Wi<strong>der</strong>spruch abgeleitet werden kann. Die Tatsache, daß<br />
sie so leicht erklärt werden kann, ist ein Hinweis auf Schwierigkeiten gr<strong>und</strong>sätzlicher<br />
Art, die mehr sind als ein Grenzproblem in <strong>der</strong> Mengenlehre wie das <strong>der</strong><br />
Menge aller Mengen. Der größte Logiker des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts, Kurt Gödel,<br />
sagte später zu <strong>der</strong> Russell-Paradoxie:<br />
[Russell] unterzog die Paradoxien, zu denen Cantors Mengenlehre<br />
geführt hatte, einer eingehenden Analyse <strong>und</strong> befreite sie von allen<br />
technischen Details; er för<strong>der</strong>te so das erstaunliche Faktum zu Tage,<br />
daß unsere logischen Intuitionen (d. h. Intuitionen zu Konzepten wie<br />
Wahrheit, Begriff, Sein, Klasse, usw.) Wi<strong>der</strong>sprüche in sich tragen.<br />
([97]: 131; Übersetzung G.L.)<br />
Die Paradoxie stellte die als selbstverständlich angenommene Beziehung<br />
zwischen Begriff <strong>und</strong> Umfang in Frage, nämlich daß es zu jedem beliebigen<br />
Begriff einen Umfang gibt, <strong>der</strong> genau die Objekte enthält, die unter den Begriff<br />
fallen. Dies hatte auch Frege in seinen Gr<strong>und</strong>gesetzen angenommen <strong>und</strong><br />
mußte nun feststellen, daß sein System einen analogen Wi<strong>der</strong>spruch enthielt.<br />
Mathematiker, die nichts von <strong>der</strong> neuen Logik hielten, fühlten sich in ihrer<br />
Abneigung bestärkt; so ist von dem berühmten Mathematiker Poincaré die<br />
Bemerkung überliefert: “Die Logik ist gar nicht mehr steril — sie zeugt jetzt<br />
Wi<strong>der</strong>sprüche!”<br />
Russell selbst faßte seine Entdeckung als persönliche Herausfor<strong>der</strong>ung auf,<br />
eine Lösung <strong>der</strong> Paradoxie sowie einer ganzen Reihe verwandter Paradoxien<br />
zu erarbeiten, welche in dieser Zeit sehr schnell entdeckt o<strong>der</strong> wie<strong>der</strong>entdeckt<br />
wurden. Zu den letzteren zählte auch die Jahrtausende alte Lügnerparadoxie:<br />
Wenn ich den Satz äußere: “ich lüge jetzt”, o<strong>der</strong> auch: “was ich jetzt gerade sage,<br />
ist falsch”, sage ich dann mit diesem Satz die Wahrheit o<strong>der</strong> die Unwahrheit?<br />
Beide Annahmen führen ähnlich wie bei <strong>der</strong> Russell-Paradoxie jeweils zu ihrem<br />
Gegenteil.<br />
Russell benötigte fast zehn Jahre, bevor er zusammen mit Whitehead<br />
die Principia Mathematica publizieren konnte, in <strong>der</strong> eine Lösung <strong>der</strong> Paradoxien<br />
präsentiert wird. Dazu entwickelten die Autoren eine Logik <strong>der</strong> Typen,<br />
welche Elementschaftszyklen <strong>der</strong> Form ‘x ∈ x’ o<strong>der</strong> auch ‘x �∈ x’ von vornherein<br />
unterbindet <strong>und</strong> so die Russell-Paradoxie im Ansatz blockiert. Darüberhinaus<br />
liegt die Bedeutung dieses Werks vor allem in den folgenden Punkten: Erstens<br />
baut es mit Hilfe <strong>der</strong> Peano-Notation ein umfassendes System <strong>der</strong> Logik auf,<br />
welches als Vorbild späterer Systeme <strong>der</strong> mathematischen Logik diente <strong>und</strong>