Sehnsucht nach Ebene II - Hagen Ruhr.2010
Sehnsucht nach Ebene II - Hagen Ruhr.2010
Sehnsucht nach Ebene II - Hagen Ruhr.2010
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
4.2 Erinnerung, Gefühl und <strong>Sehnsucht</strong><br />
Grundsätzlich erinnern wir nur, was von gefühlsmäßiger Bedeutung für uns war, und<br />
indem wir erinnern und erzählen, kommt es auch zu einem aktuellen emotionalen<br />
Erleben. „(…) [W]ir versetzen (…) uns in gewesene Situationen mit Gefühlen und<br />
Vorstellungen hinein – und so werden sie gegenwärtig.“ 105 Für die Psychologin Verena<br />
Kast ist diese Verbindung zu unseren Emotionen der entscheidende Zugang zu unseren<br />
Wurzeln und damit unserer Identität beim Erinnern. Unter anderem sind Wurzeln dabei<br />
für sie in Form der geographischen Heimat und Familie gegeben. 106<br />
Wie oben dargelegt, bemerkt Jacobi bezüglich ihrer Arbeit mit der Bilddiagnostik, dass<br />
mittels Farben das Denken umgangen werden kann und dadurch eine direkte<br />
Verbindung zu Gefühlen entsteht. In der Übertragung dieses Gedankens auf die<br />
Vorgehensweise bei <strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Ebene</strong> <strong>II</strong> wird daher angenommen, dass die Frage<br />
<strong>nach</strong> Farben den bewusst-verbalisierten Modus der Erinnerung in den Interviews<br />
ergänzt: Diese können mit Erinnerungen in Verbindung stehen, bei denen starke<br />
Gefühle von Bedeutung sind. Auch binden die Künstlerinnen somit die<br />
Erinnerungsfähigkeit auf sinnlich-leiblicher <strong>Ebene</strong> ein. Nach dem Psychoanalytiker<br />
Christopher Bollas wird durch Projektionen auf Orte, Dinge etc. und deren<br />
Rückwirkung auf uns durch ihre strukturelle Eigenart 107 bei Wiederbegegnung mit<br />
ihnen ein „(…) innere[r] seelische[r] Zustand voller Bilder, Gefühle und starker<br />
körperlicher Empfindungen“ 108 wachgerufen. Ein solches Erlebnis ist nicht sprachlich<br />
mitteilbar 109 , zumindest nicht in voller Intensität. In den untersuchten Interviews liegt<br />
allerdings kein Auslöser in Form des ursprünglichen Reizes vor, sondern nur die Frage<br />
<strong>nach</strong> Farben, deshalb kann eine solche ‚Begegnung‘ hier nur rein imaginativ<br />
verlaufen. 110<br />
105 Siehe: Neuen (Hg.), 2006, S. 14.<br />
106 Vgl.: ebd. 10 f., 16.<br />
Obwohl das Erinnerte, wie oben angemerkt, keineswegs dem tatsächlich Erlebten entspricht, ist <strong>nach</strong><br />
Kast das subjektive Gefühl entscheidend, das dies so sei. (Vgl.: ebd. 12 ff.)<br />
107 Wozu auch die Farbe gehören kann, für die spezielle Wechselwirkungen bereits skizziert wurden:<br />
Bollas nennt hier beispielsweise eine rote Eisenbahn, die er allerdings nur im Film sieht. (Vgl.: Bollas,<br />
Christopher: Genese der Persönlichkeit. Stuttgart, 2000, S. 25)<br />
108 Siehe: Bollas, 2000, S. 11.<br />
109 Vgl.: ebd. S. 11 f.<br />
Die vom ihm dargelegte Erinnerungsform beschreibt Aleida Assmann als Mich-Gedächtnis, wobei sie<br />
einen anderen Fokus hat als Bollas und ihre Thesen diesbezüglich einen zu starren Rahmen für diese<br />
Arbeit bilden. (Vgl.: Welzer (Hg.), 2006, S. 95 ff.)<br />
110 Die Frage, inwiefern das Zeigen der Farben annährend einen solchen Reiz darstellt, wird in Fußnote<br />
196 wieder aufgegriffen.<br />
23