Sehnsucht nach Ebene II - Hagen Ruhr.2010
Sehnsucht nach Ebene II - Hagen Ruhr.2010
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Ausnahme, indem sie bereits multiple Ortsbezüge in Kolumbien hat und sich zukünftig<br />
zwischen Orten und Ländern sieht, was auch ihrer <strong>Sehnsucht</strong>sbeschreibung entspricht.<br />
Teilweise von Widersprüchen begleitete (Re-)konstruktionsprozesse bezüglich ihrer<br />
Identitäten, die sich aus ihren multiplen Orts- und kulturellen Bezügen ergeben, werden<br />
an mehreren Stellen beispielhaft deutlich:<br />
Inês Marques reflektiert in der mit der farbigen Umgebung zusammenhängenden<br />
Kindheits- und Weih<strong>nach</strong>terinnerung bewusst ein damaliges Fremdheitsgefühl<br />
gegenüber dem zugleich als Heimat bewerteten Land Portugal und verweist damit auf<br />
Brüche, denen ihre Identitätsbildung ausgesetzt war und ist. An anderen Stellen spiegelt<br />
sich unreflektiert Inkonsistenz: Sie bezeichnet Portugal als ‚ihr‘ Land, wobei die<br />
Geburt auf dessen Territorium und dessen Staatsbürgerschaft für sie wichtige<br />
(nationale) Identifikationspunkte markieren. Demgegenüber steht an der gleichen<br />
Textstelle zunächst eine Abwertung ihres Lebens in Deutschland durch das Wort ‚nur‘.<br />
Dies ist besonders im Zusammenhang mit der vorgängigen Kindheitserinnerung oder<br />
mit der späteren Aussage, dass Portugal lediglich ein Urlaubsland sei, in dem sie keine<br />
Zukunft für sich sieht, als Hinweis auf widersprüchliche (Zugehörigkeits-)Gefühle zu<br />
deuten. Später im Gespräch entwickelt sie allerdings eine für sie stimmige Einstellung<br />
und bringt diese zum Ausdruck, indem sie <strong>Hagen</strong> bzw. Deutschland, wo ihr<br />
Lebensmittelpunkt ist, als zweite Heimat bezeichnet.<br />
Auch in Hayat Gülers Erzählung zeigen sich Differenzen, mit denen sie bei ihrer<br />
Identitätsbildung konfrontiert ist: Zwar identifiziert sie sich mit zwei Heimatländern,<br />
erlebt aber andersartige Fremdzuschreibungen als jeweils nicht zugehörig: Im Fall der<br />
Türkei generalisiert sie diese Erfahrung, was für sie zu einer eindeutigen Verortung in<br />
Deutschland und <strong>Hagen</strong> führt. Wenn sie einerseits sagt, sie müsse das Kopftuch tragen<br />
und andererseits, dass dies freiwillig sei, treten Widersprüche in der Erzählung zu Tage,<br />
die auch auf die damit zusammenhängende kulturell-religiöse Identitätsbildung<br />
schließen lassen. Aber auch sie versucht dies für sich aufzulösen, indem sie darauf<br />
verweist, sich eigentlich auch momentan in ihren Entscheidungen frei zu fühlen.<br />
Obwohl bei Rose Busia die primäre lokale Identifikation eindeutig nicht in <strong>Hagen</strong> liegt,<br />
zeigt sich bei ihr deutlich eine Verwebung verschiedener Traditionen beziehungsweise<br />
kultureller Orientierungsrahmen sowie Sprachen. Durch ihre Betonung sozialer Bezüge<br />
in <strong>Hagen</strong> wird zudem deutlich, dass sie auch dort nicht-familiäre soziale Bindungen<br />
hat. Weiterhin versucht sie, widersprüchliche Erfahrungen und Gefühle zu ordnen.<br />
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