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Rundbrief 1 - Verband für sozial-kulturelle Arbeit eV

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erreichen, bedarf es eines andauernden Dialogs, um<br />

vorübergehende Übereinstimmungen und strategische<br />

Solidarität zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen<br />

zu erreichen.<br />

Das Settlement-Haus kann eine physische Plattform<br />

für den Dialog bereit stellen. Der „neutrale Boden“<br />

eines Settlement-Hauses erlaubt ihm, die Funktion<br />

eines „Wohnzimmers“ der Nachbarschaft darzustellen,<br />

in dem alle Mitglieder des Gemeinwesens – unterschiedlicher<br />

Generationen, rassischer, <strong>kulturelle</strong>r oder<br />

Geschlechts- Zugehörigkeit sowie politischer Orientierung<br />

– willkommen sind (Hiroto, Brown & Martin,<br />

1997). Die physische Existenz eines Settlement-Hauses<br />

in einem Gemeinwesen stellt auch so etwas wie<br />

eine symbolische Gestalt des Gemeinwesens dar. Die<br />

architektonische Gestalt vieler Settlement-Häuser und<br />

ihre Geschichte der <strong>Arbeit</strong> mit den Menschen im Gemeinwesen<br />

ist eingewoben in die Erinnerungen vieler<br />

Generationen der Bewohner. Für Neuankömmlinge<br />

bieten die physische Gegenwärtigkeit und die Dienste<br />

des Settlement-Hauses einen physischen Eintrittspunkt<br />

für die Integration in das neue Umfeld.<br />

Nach dem Beispiel von Toynbee Hall sind viele Settlement-Häuser<br />

auch „ein zentraler Punkt, an dem<br />

sich Menschen aller Schattierungen von Meinungen<br />

treffen und Probleme öffentlich diskutieren können“<br />

(Irving u.a., 1995, S. 6). Das Settlement-Haus bietet vor<br />

Ort einen Platz für Menschen mit unterschiedlichen<br />

Interessen, an dem sie teilhaben, sich engagieren und<br />

sich über Bedürfnisse, Probleme und Lösungen und<br />

über die Zukunft des Gemeinwesens verständigen<br />

können. Soziale Reform und Entwicklung der Zivilgesellschaft<br />

sind wichtige Funktionen des Settlement-<br />

Hauses. Hull House und viele andere Settlement-Häuser<br />

waren z.B. hilfreich und wichtig in der Frühzeit der<br />

<strong>Arbeit</strong>sgesetzgebung und der Beschäftigungspolitik<br />

(Addams, 1999; Andrews, 1997). Das Settlement-Haus<br />

kann ein aktiver Faktor bei der Organisierung des Gemeinwesens<br />

(Communtiy Organizing) sein, insbesondere,<br />

wenn es darum geht, die <strong>sozial</strong>en Verhältnisse in<br />

belasteten Wohngebieten zu verbessern und etwas<br />

gegen Armut, schlechte Wohnverhältnisse, unzureichende<br />

Gesundheitssituationen und <strong>Arbeit</strong>slosigkeit<br />

zu unternehmen.<br />

Traditionell haben Settlement-Häuser Initiativen in<br />

der örtlichen Stadtplanung ergriffen, insbesondere<br />

in solchen Gemeinwesen, in denen es an Führungspersönlichkeiten,<br />

Fachpersonal und Einrichtungen<br />

mangelt (Hillmann, 1960a). Die Erfahrungen, die bei<br />

der Mitwirkung in den Settlement-Häusern gemacht<br />

und die Kenntnisse über das Gemeinwesen, die dabei<br />

gewonnen werden, geben den Bewohnern Macht.<br />

Durch den Ansatz der Gruppenarbeit haben Settlement-Häuser<br />

Menschen erfolgreich von anfänglicher<br />

nur auf die individuellen Interessen bezogenen<br />

Betroffenheit dazu gebracht, sich aktiv mit <strong>sozial</strong>en<br />

Fragen auseinander zu setzen (Yan, 2002b). Durch<br />

enge Beziehungen zu Universitäten und Akademien<br />

haben Settlement-Häuser ebenfalls eine Tradition,<br />

Forschungen und Untersuchungen im Gemeinwesen<br />

durchzuführen (Irving u.a., 1995). Durch programmatische<br />

Arrangements, wie z.B. Rathaustreffen, bieten<br />

Settlement-Häuser einen effektiven Weg, die öffentliche<br />

Meinungsbildung zu organisieren, die für die Formulierung<br />

der Regierungspolitik wichtig ist.<br />

Die pragmatische und humanistische Herangehensweise<br />

sowie das umfassende und ganzheitliche Diensleistungsmodell<br />

der Settlement-Häuser statten diese<br />

hundertjährige <strong>sozial</strong>e Bewegung und ihre Nachfolger<br />

mit der anpassungsfähigen Infrastruktur aus, die<br />

Antworten auf die neu entstehenden Bedarfslagen<br />

der meisten Gemeinwesen von heute finden kann.<br />

Im Unterschied zu manch anderen Gemeinwesenarbeits-Ansätzen,<br />

die kommen und gehen, wenn ihre<br />

Aufgaben im Gemeinwesen beendet sind, sind die<br />

Settlement-Häuser eine auf Dauer angelegte Infrastruktur,<br />

mit einer Dienstleistungskapazität, die ihren<br />

Platz mitten im Gemeinwesen hat. Die Dauerhaftigkeit<br />

der Settlement-Häuser erlaubt ihren nicht nur, auf die<br />

tagesaktuellen Problemlagen im Gemeinwesen zu reagieren,<br />

sondern ermöglicht ihnen auch, sich mit der<br />

Planung künftiger Veränderungen zu beschäftigen.<br />

Mit ihrer Dienstleistungskapazität und professionellen<br />

Kenntnis können Settlement-Häuser auch schnell<br />

auf Bedarfslagen im Gemeinwesen reagieren und ein<br />

Vehikel dafür sein, gegenseitige Hilfe anzuregen und<br />

Netzwerkzusammenhänge zu stiften, und das auf eine<br />

flexiblere Art und Weise.<br />

Wenn die Regierung im Zeitalter der Globalisierung<br />

ihre <strong>sozial</strong>en Dienstleistungen dezentralisieren will,<br />

kann sie ihre Wohlfahrtsressourcen über die Settlement-Häuser<br />

verteilen und damit sicherstellen, dass<br />

ihre Bürger in den Genuss qualitativ hochwertiger<br />

<strong>sozial</strong>er Dienste kommen, wenn dabei zugleich ein<br />

angemessenes System örtlicher Leitung und Überwachung<br />

geschaffen wird (Wharf, 1998). Der Ansatz<br />

örtlicher Leitung und Überwachung würde durch die<br />

Demokratie vor Ort geschaffen, die vom Settlement-<br />

Haus etabliert wird. Auch wenn die meisten Settlement-Häuser<br />

von ausgebildetem Personal geleitet<br />

werden (Trollander, 1987), ist die lokale Demokratie,<br />

deren Ideal in die zivilgesellschaftliche Funktion der<br />

Settlement-Häuser eingebettet ist, in vielerlei Form<br />

erhalten geblieben. Insbesondere sind die Mitglieder<br />

des Gemeinwesens in ihrer Eigenschaft als Bürger,<br />

nicht als Klienten, aktiv beteiligt an der Gestaltung<br />

der <strong>Arbeit</strong> des Settlement-Hauses beteiligt: im Vorstands-Management,<br />

in Planung und Durchführung<br />

der Programme und in der Verwaltung (Klein, 1968).<br />

Freiwillige und ehrenamtliche Mitwirkung in einem<br />

Settlement-Haus ist eine Form von lokaler Demokratie,<br />

mittels derer die Mitglieder des Gemeinwesens

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