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Rundbrief 2/2004 - Verband für sozial-kulturelle Arbeit eV ...

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ISSN 0940-866540. Jahrgang / Dezember <strong>2004</strong>5,00 €<strong>Rundbrief</strong> 2<strong>2004</strong>• Nachbarschaftsheime • Bürgerzentren • Soziale <strong>Arbeit</strong> •• Erfahrungen • Berichte • Stellungnahmen •In dieser Ausgabe:• Vorschnelle Schlüsse - Gedanken zur Diskussion um die <strong>sozial</strong>e Stadtentwicklung• Weder Ghetto noch Slum - der Soldiner Kiez• Die KiezAktivKassen - neue Impulse für bürgerschaftliches Engagement• HartzIV und die MAE-Jobs• Leben in Nachbarschaft bis ins hohe Alter - Community Care• Eine Reise nach Wien• Die IFS-Konferenz in Toronto• Toynbee Hall und die deutsche Nachbarschaftsbewegung<strong>Verband</strong> für<strong>sozial</strong>-<strong>kulturelle</strong> <strong>Arbeit</strong> e.V.


Inhalt„Vorschnelle Schlüsse“ 4Weder Ghetto noch Slum 5Partizipationsprojekt im Soldiner Kiez 7Fragestellungen und potentielle Standards 10Die Kiezaktivkassen 12Leben in Nachbarschaft bis ins hohe Alter 16Eine Reise nach WIEN im Mai <strong>2004</strong> 20Internationale IFS-Konferenz Toronto <strong>2004</strong> 23Toronto - IFS -Konferenz 24Die Auswirkungen von Besuchen deutscher <strong>sozial</strong>er Aktivistenim Londoner Settlement „Toynbee Hall“ auf Entstehung und Konzeptionder deutschen Nachbarschaftsheimbewegung 25


Thema AusländerMancher Journalist lässt sich zum Thema Ausländer von einigenDeutschen einen Bären aufbinden. „Im Bus muss man nur maloben sitzen und durch die Soldiner fahren, da kann man wassehen. Da kann man von oben in die verhängten Fenster vonSpielhöllen sehen und wie da dicke Geldrollen auf den Tischenliegen.“, erzählt da etwa ein Aufschneider einem Schreiberling vonder Berliner Zeitung. Das kann schon deshalb nicht stimmen, weilin der Soldiner Straße nur ein Gelenkbus verkehrt, aber keine Doppelstöcker.Auch die Legenden vom ausländischen Bandenkriegverraten meist mehr über die ausländerfeindliche Gesinnungdes Sprechers als über die Ausländer im Soldiner Kiez. Wenn imSoldiner Kiez die Wellen hoch schlagen und die Nachbarschaftaufhorcht, dann meist wegen einem Familienstreit. Allerdingswünschen auch die meisten Ausländer nicht, dass noch mehrNicht-Deutsche in das Viertel ziehen. Die meisten träumen wie dieDeutschen von einer gesunden Mischung der Nationen, Berufeund Altersgruppen. Doch damit tut sich eine Großstadt wie Berlinschwer, denn der Wohnungsmarkt überträgt die Ungleichheit derwirtschaftlichen Verhältnisse in den Raum. Also gibt es ärmereund reichere Viertel. Und da Ausländer meist arm sind, konzentrierensie sich in den armen Vierteln. Und der normale Mittelschichtsdeutscheund seine Medien assoziieren Armut immer noch mitSchmutz, Gewalt und Verbrechen, bis es die Einheimischen selberglauben. Vor allem der Hundekot ist beliebter Aufreger. Den gibtes nur in Prenzlauer Berg oder Kreuzberg genauso.Die „Kolonie-Boys“Am schlimmen Ruf des Soldiner Kiezes sind auch die „Kolonie-Boys“ mit Schuld. Das ist eine Jugendgang, die im letzten Jahrzehntvon sich Rede machte. Was man von ihnen hört, müssen sieunangenehme Burschen gewesen sein. Von Drogen und Gewaltist die Rede. Auch heute gibt es wieder eine Jugendgruppe, diesich nach den schlimmen Schlägern benennt. Als Spiegel-tv sieaber vorzuführen trachtete, konnten sie nicht verhindern, dasseinzelne ihrem Wunsch nach einer bürgerlichen Karriere Ausdruckgaben, weil sie aus dem Armenviertel raus wollten. Was sie nichtsagten, war, dass sie von einem Häuschen im Grünen träumen wieMillionen Deutsche auch. Drogen und Gewalt sind bei der Mehrzahlder Jugendlichen im Soldiner Kiez out. Die ehemals rebellischeJugend träumt von materiellem Konsum und bescheidenemWohlstand. Manchem sind sie eher zu brav. Selbst Drogenhandelfindet im Soldiner Kiez nur in kleinem Umfang statt. Der Polizei istdas bekannt und sie sagt, sie hätte die Szene unter Kontrolle.„Die Politiker haben doch eh keine Ahnungvon der Lage vor Ort.“Neben der Armut der Bewohner, die selbst auf die billigen Lädenund Dönerbuden abfärbt, die sich ständig im Preis unterbietenoder gebrauchten Ramsch verkaufen, ist das größte Problem dasschlechte Image des Kiezes. Das fängt damit an, dass viele Freundenicht in das verrufene Viertel kommen wollen. Ständig müssendie Soldiner in andere Viertel fahren, wenn sie ihre Freunde vonaußerhalb treffen wollen. Das ist aber nur eine Unbequemlichkeit.Ernster ist, dass der unberechtigt schlechte Ruf bereits dasUmzugsverhalten beeinflusst. Menschen aus der Mittelschichtbeginnen deswegen und wegen der schwierigen Lage der Schulewegzuziehen, und es kommen auch neu kaum Bessergestelltehinzu. Das Image, so die Feststellung der Forschergruppe, wird zueinem eigenständigen Faktor beim Auseinanderdividieren derSchichten im Raum. Durch die schlechte Propaganda, die Kiezewie der Soldiner haben, wird sowohl der Verelendung der rundums Stadtzentrum liegenden „Slums“ wie auch dem Ausweichender Wohlhabenderen in den Speckgürtel das Wort geredet.Deshalb waren manche auch enttäuscht, als sich im Herbst letztenJahres ausgerechnet der Bürgermeister von Mitte, Joachim Zeller(CDU), für diese Propaganda benutzen ließ. Aber die meistenwinkten schon damals ab. „Die Politiker haben doch eh keineAhnung von der Lage vor Ort.“Hinweis: Sämtliche Namen sind geändert.Thomas Kilian, AG Kiezforschung im Soldiner Kiez e.V.6


EinleitungSoldiner Kiez - Projektbeschreibung13 Studierende der Stadt- und Regionalplanung an der Technischen Universität Berlin führten Ende 2003/Anfang <strong>2004</strong>eine Studie mit Kindern aus dem „Soldiner Kiez“ durch, um herauszufinden, wie diese ihr Lebensumfeld wahrnehmenund welche Möglichkeiten der Beteiligung an Veränderungsprozessen im Kiez sinnvoll sein könnten. Über dasQuartiermanagement wurde Kontakt zum arabischen Elternverein, Künstlern der „Kolonie Wedding“ und demNachbarschaftshaus Prinzenallee aufgenommen, wo schließlich mit 25 Kindern ein Doppel-Workshop stattfand, überden die Studenten hier berichten.Partizipationsprojekt im Soldiner KiezKonzept und Umsetzung1.1 Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an unseremProjekt -Entwicklung einer Konzeption1.1.1 EinleitungEin wichtiges Ziel unseres Projektes ist die Zusammenarbeit mitden im Soldiner Kiez lebenden Menschen. Allerdings ist die Durchführungvon herkömmlichen Beteiligungsverfahren in einemGebiet wie dem Soldiner Kiez nicht unproblematisch, da der dasGebiet charakterisierende Mix von Kulturen und Sprachen zumEntstehen von Kommunikationsbarrieren zwischen Planerinnenund Bewohnerinnen führen kann. Auch wenn keiner der Beteiligteneinen Ausschluss bestimmter Bewohnergruppen intendiert,so ist dieser doch häufig das Ergebnis einer Form von Beteiligung,welche lediglich Mitbestimmungsrechte einräumt, ohne die Menschenausreichend auf die Inanspruchnahme solcher Möglichkeitenvorzubereiten.Unabhängig von der besonderen Problematik der Integration vonMigrantinnen in Planungsprozesse sind Kinder und Jugendlicheeine Gruppe, deren Beteiligung schwierig ist und auch heute nochhäufig vernachlässigt wird. Die Entscheidung unserer Gruppe, sichin Form einer Partizipationswerkstatt auf Kinder und Jugendlichemit Migrationshintergrund zu konzentrieren, hat aber nichtallein mit der Tatsache zu tun, dass die Interessen dieser Gruppeaufgrund des Zusammenfallens beider Benachteilungsmerkmaleganz besonders häufig unter den Tisch fallen. In unserer Bestandsaufnahmewurden Jugendliche als eine Gruppe identifiziert, fürdie attraktive Angebote ganz besonders fehlen. Daneben spieltenaber auch pragmatische Gründe bei der Festlegung der Zielgruppeeine Rolle: Aufgrund geringerer Sprachbarrieren und derEinbindung ausländischer Jugendlicher in Schulen und Einrichtungender Jugendpflege erschien es uns einfacher, Kinder undJugendliche mit Migrationshintergrund zu erreichen als derenEltern.1.1.2 „Reale Beteiligung“ vs. „fiktive Beteiligung“Die Idee, Kinder und Jugendliche in Planungsprozesse einzubinden,wurde zunächst in den Niederlanden praktiziert. Viele derdort entwickelten Instrumente und Methoden wurden späterauch in einigen deutschen Städten eingesetzt. Im Rahmen unserertheoretischen Vorbereitung auf den Workshop haben wir aucheinige Berichte über die hierbei gemachtenErfahrungen studiert. Allerdings stellte sich schnell die Frage,inwieweit sich die Erfahrungen dieser Workshops tatsächlich aufunser Projekt übertragen lassen. Dies hat vor allem mit einemzentralen Unterschied zwischen den von uns studierten Beteiligungsprojektenund unserem eigenen Projekt zu tun: Während essich bei diesen ausnahmslos um Vorbereitungen für tatsächlichgeplante gestalterische oder städtebauliche Maßnahmen handelt,ist unser Projekt zunächst einmal nicht mehr als eine fiktivestudentische Übung. Natürlich würden wir uns freuen, wenn vonden Verantwortlichen in der Stadtverwaltung einige der von unsentwickelten Ideen aufgegriffen würden - letzten Endes liegt diesjedoch jenseits unseres Einflussbereichs.Dieser Unterschied ist für die Durchführung eines Workshops vonzentraler Bedeutung: Im Gegensatz zu tatsächlichen Planungsprozessenkönnen wir für unser Projekt nicht in Anspruch nehmen,dass die Beteiligung der Bewohner zu einer Berücksichtigungihrer Interessen führen würde. Dies dennoch zu suggerieren, hießedie Beteiligten nicht ernst zu nehmen und würde bei den beteiligtenJugendlichen wohl nur die evtl. ohnehin vorhandene Skepsisgegenüber Bürgerbeteiligung und Politik („Am Ende kommt ehnichts bei raus“) stärken.Aus diesem Grunde war für uns schnell klar, dass wir gegenüberden zu beteiligenden Kindern und Jugendlichen auf keinen Fallder Eindruck erwecken wollen, dass das Einbringen ihrer Meinungzu realen Veränderungen im Kiez führen wird. Damit stellte sichdie Frage, wie wir die Jugendlichen zum Mitmachen bewegenkönnen würden ohne zu große Erwartungen zu erwecken.1.1.3 Konzeption unseres Partizipationsworkshops„Kids im Kiez“Unser Projekt hat aus dem in 1.2 skizzierten Dilemma vor allemden Schluss gezogen, dass der Workshop den zu beteiligenden JugendlichenSpaß bereiten muss. Wir haben gleichzeitig beschlossen,alles zu vermeiden, was bei den Jugendlichen den Eindruckerwecken könnte, dass die von ihnen geäußerten Meinungenbzw. die von uns entwickelten Konzeptionen irgendwelcheKonsequenzen für die Situation im Soldiner Kiez mit sich bringenkönnten. Hierdurch stellte sich jedoch zugleich die Frage, wieaus der Durchführung eines solchen lern- und spaßorientiertenWorkshops Erkenntnisse für unsere eigenen <strong>Arbeit</strong> gewonnenwerden können.Da wir selbst wenig Erfahrungen im Umgang mit Kindern und Jugendlichenhaben, haben wir uns von Anfang an bemüht, unsereIdeen mit Kooperationspartnern abzustimmen, die Erfahrungen inder <strong>Arbeit</strong> mit Kindern und Jugendlichen im Kiez haben. Die Nutzungvon vorhandenen Strukturen und Netzwerken war zugleichdie einzige realistische Möglichkeit, in kurzer Zeit eine größere Anzahlvon Kindern und Jugendlichen zum Mitmachen zu bewegen.Auch wenn die Ergebnisse unserer eigenen Bestandsaufnahmeeigentlich eine Konzentration auf ältere Jugendliche nahegelegthätten, hat uns unsere Abhängigkeit von existierenden Strukturenzu der pragmatischen Entscheidung geführt, uns auf Kinder im7


gegenüber den Studenten. Eingeschränkt wurde diese gute<strong>Arbeit</strong>satmosphäre allenfalls durch vereinzelte Demonstrationenvon „Coolness“ durch Kinder und Jugendliche männlichenGeschlechts. Auch war in einem Fall die Gruppenzusammenstellungetwas unglücklich, da sich die Kinder gegenseitig„beharkten“. Dies war jedoch durch das von uns durchgeführteLosverfahren zur Gruppenzusammenstellung nicht beeinflussbar.Eventuell müssten hier Strategien entwickelt werden,wie solche Gruppenzusammenstellungen verhindert werdenkönntenDie zu Partizipierenden dort aufsuchen, wo sie sichbefinden.In unserem Fall hieß das: Hingehen ins Nachbarschaftshausund die Betreuer und Kinder aufsuchen, nicht etwa, Artikel indie Zeitung zu setzen oder einen Aushang zu machen.Erkenntnisziel, Motivation und der Workshopablauf müssensich nach der jeweiligen Zielgruppe richten.In unserem Fall bedeutete das die Schaffung eines niedrigschwelligenAngebotes, welches den Kindern Spaß undAbwechslung bot und zudem mit Kuchen und Getränken als„Belohnung“ endete. Sicher war für die Kinder auch unserWunsch, etwas über das Leben der Kinder allgemein undinsbesondere über ihreNutzung der öffentlichenRäume zu erfahren, eineMotivation, da sie in dieserRolle zu den Expertenwurden, die selbst auchetwas anzubieten haben.Unserer Erfahrungnach sind Workshops, die„etwas anzubieten haben“,erfolgreicher als solche, dienur auf „Engagement fürdie Sache“ oder Idealismussetzen.Die Methodik und Kommunikationsformanpassen:In unserem Fall : EinfacheSprache, Malen, „spannendeFotoserien“. LangeErklärungen, Fachausdrücke und komplizierte Abläufe wäreden Kindern nicht gerecht geworden. Einige Kleingruppenmachten dennoch die Erfahrung, dass nicht alle Fragen für dieKinder verständlich waren. Hier wäre es bei einer Wiederholungeines Workshops notwendig, darüber nachzudenken, wiesich einige Fragen noch anschaulicher formulieren ließen.Darüber hinaus lassen sich einige Lehren und Anregungen, aberauch offene Fragen für spätere Workshops und Beteiligungsverfahrenformulieren:Der <strong>Arbeit</strong>e- und Zeitaufwand für Konzeptionierung, Kontaktaufnahme,das Besorgen von Materialien und die Durchführungund Nachbereitung selbst ist nicht zu unterschätzen.Es bestätigte sich, dass vor Ort vorhandene Organisationen(lokale Akteure) unbedingt einbezogen werden sollten.Bei uns half besonders das Nachbarschaftshaus, das demVorhaben positiv gegenüberstand, den Aufwand für Kontaktaufnahmeerheblich reduzierte und spezifische Informationenüber die Bevölkerung vor Ort (notwendiges Vorwissen fürKonzeptionierung) lieferte.Versuchen, andere Mitwirkende frühzeitig festzulegen: GrundsätzlichesInteresse bekunden viele der Angesprochenen,aber Künstler und andere müssen zu einem gewissen Terminfest zusagen, damit einige „feste Eckpunkte“ des Workshopsstehen.1,3.2 Inhaltliche AnalyseZiel unseres Partizipationsworkshops war es, weitere Informationenüber die Zielgruppe, ihr Leben, ihre Wünsche und Prioritätenzu erhalten. Dies ist gelungen und wir sollten die erzieltenErgebnisse in unserer weiteren Planung ernst nehmen. Allerdingsmüssen die Ergebnisse des Workshops auch gewichtet werden,da die von uns Befragten - Kinder im Alter von 8-14 Jahren,größtenteils aus arabischen Familien - nur eine kleine Gruppe derBevölkerung im Soldiner Kiez darstellen. Möglicherweise deckensich die Wünsche und Vorstellungen dieser Gruppe nicht mit denWünschen und Vorstellung anderer Gruppen (z.B. Alte, erwachsene<strong>Arbeit</strong>nehmer, Gewerbetreibende, Alkoholiker, Kinder undJugendliche türkischer Herkunft). Daher sind unsere Ergebnisse,wenn überhaupt, nur für die von uns befragte Gruppe als repräsentativzu bezeichnen.Die Gebietekenntnis der Kinder ist sehr unterschiedlich. Sokennen einige nur den Block, in welchem sie wohnen, den Block,in welchem sich das Nachbarschaftshaus befindet sowie denSchulweg. Andere wiederum kennen sich im gesamten Kiez gutaus; ältere berichteten gar, dass sie bis zum Alexanderplatz odernach Kreuzberg fahren würden. Im Allgemeinen hängt die Ortskenntnismit der Erlaubnisder Eltern zusammen, wieweit sich ihre Kinder von dereigenen Wohnung in ihrerFreizeit entfernen dürfen.Neben der Festlegung vonAktionsradien, verbotenenoder gefährlichen Gebieten(Pankeufer, Stellen mitDrogenabhängigen und-dealern bzw. Alkoholikern,verkehrsreiche KreuzungOsloer Straße/Prinzenallee)sowie zeitlichen Grenzendurch die Eltern zeigt sichdie große Rolle der Familieauch an den Antworten zurFrage über Kenntnisse vonaußerhalb des Soldiner Kiezliegenden Bereichen derStadt. Sind solche vorhanden, handelt es sich hierbei in der Regelum die Wohnorte von Verwandten.Die Kinder, welche sich im gesamten Kiez gut auskennen, konntenden Studierenden viel über nicht sichtbare Nutzungsbarrieren deröffentlichen Räume berichten. Diese hängen in erster Linie mit derethnischen Zugehörigkeit der Bewohner und einer für Ausstehendekaum erkennbaren Segregation zusammen: „Da geh‘ ich nichtso gern hin, das ist die Straße der Türken / Straße der Albaner.“Probleme gibt es auch mit älteren Bewohnern, die den Spiel-Lärmder Kinder nicht haben wollen. Auf der anderen Seite wurde festgestellt,dass bestimmte physische Barrieren wie Zäune und Mauernunter Umständen keine Barrieren für die Kinder darstellen,weil diese über Zäune klettern, Durchschlupfmöglichkeiten kennenusw. Auf diese Weise entstehen inoffizielle Wege, welche ohnegenaue Gebietskenntnis für Außenstehende nicht ersichtlich sind.Die meisten Kinder mögen Bäume. Allerdings wird der „baumreichste“Ort, der Pankegrünzug, aufgrund der dort vorhandenenProbleme mit Alkoholikern als negativer Ort wahrgenommen.Dies hängt mit den dort wahrgenommenen Problemen (Drogenkonsum,Alkoholismus) zusammen. Der Konsum von legalen undillegalen Drogen und die potenziellen Konsumfolgeerscheinungen(z.B. Verschmutzung öffentlicher Räume, Gewaltbereitschaftder Drogenkonsumenten) im öffentlichen Raum werden von den9


Kindern auch an anderer Stelle wahrgenommen und als negativbewertet. Er führt auch dazu, dass die Kinder bestimmte Orte zubestimmten Zeiten nicht aufsuchen oder generell meiden. Danebenwurde auch die Verwahrlosung von Häusern und Hinterhöfen,von Straßen und Spielplätzen (z. B. Hundekot und kaputtes Gerätauf Spielplätzen), Leerstand und das „Kaputtmachen von Orten“durch „Besoffene“ als negativ empfunden. Die meisten der Kindernehmen ungepflegte/verwahrloste Häuser als unschön, moderneoder modernisierte Häuser mit farbiger oder heller Fassade hingegenals schön wahr. Dem „Charme bröckligen Putzes“ an Gründerzeitbautenscheinen die Kinder also nicht erlegen zu sein.Die Wahrnehmung funktioniert anders, als wir das vorausgesetzthatten: So wird z. B. die Qualität von Räumen und Orten durchpersönliche, auch zufällige Erlebnisse entscheidend definiert undnicht durch (vordergründig) objektive Kriterien wie Größe, Materialqualität,Proportionen, Zustand. Kinder, welche bereits einmal indie Panke gefallen sind, betrachten diese auch aus diesem Grundals negativen Ort, Weitere Gründe sind die Verschmutzung vonTeilen des Pankeufers und die schlechte Wasserqualität, welchesich in dem von den Kindern beklagten Gestank bemerkbarmacht. Dabei ist die Charakterisierung als positiver oder negativerOrt jedoch nicht statisch, sondern kann sich auch ändern, wennsich der Charakter des Ortes ändert. Beispielsweise war das Pkw-Wrack im dritten Hinterhof der Prinzenallee 58 früher für einigeKinder ein beliebter Spielplatz. Seit jedoch die Fensterscheibendes Wracks zerstört sind, wird der Ort als negativ bewertet.Das Nachbarschaftshaus mit seinen Freizeitangeboten wird vonallen als positiver Ort gesehen. Seine Umgebung, die Hinterhöfeder Prinzenallee 58, zeigt, dass es bei einem „Makroort“ (hier diePrinzenallee 58) mehrere „Mikroorte“(hier die einzelnen Hinterhöfeund sogar einzelne Bereiche in denselben Hof ) gibt, welcheentgegengesetzt bewertet werden.Neben dem Nachbarschaftshaus werden auch andere <strong>sozial</strong>e Einrichtungenwie die Remise und auch die Fabrik in der Osloer Straßegern und intensiv genutzt. Daneben spielen Sport, die Schule,Computer, Fernsehen und Spiel mit Freunden eine große Rolle.Spielorte sind zum einen die Spielplätze, deren Bewertung durchdie Kinder oft ohne ersichtliche Systematik auseinander gehtund sich häufig deutlich von der der Studierenden unterscheidet.Daneben werden aber auch Schulhöfe, Höfe von Wohnhäusern,Orte wie Bibliotheken, sowie, seltener, die Straße (zum Fahrradfahrenoder Fußballspielen), als Spiel-und Aufenthaltsort genutzt.Der motorisierte Individualverkehr stört die Kinder in erster Linieals Sicherheitsrisiko beim Überqueren der Straßen, weniger alsLärmquelle. Unklar blieb, ob das eine Folge von Gewöhnung oderAkzeptanz des Unabänderlichen war oder ob die Empfindlichkeitvon Kindern woanders liegt.1.4 FazitZusammenfassend gesagt war der Partizipationsworkshop einErfolg für die beteiligten Akteure. Methodisch lässt sich durch dasUntersuchen des Ablaufes und daraus ableitbaren Veränderungeneine Verbesserung für einen nächsten Workshop dieser Art erreichen,auch wenn bei jedem Partizipationsworkshop die Rahmenbedingungenund Zielsetzungen neu untersucht werden müssenund die Vorgehensweise daran angepasst werden muss.Inhaltlich diente der Workshop mit dazu, eine wichtige Zielgruppeder Planung im Soldiner Kiez kennen zu lernen und einen räumlichenund gestalterischen Rahmen für den Entwurf zu finden.Und nicht zuletzt war der Workshop auch für alle Beteiligten eineinteressante persönliche Erfahrung.Verfasser: Aimo, Beata, Garsten, JakobFragestellungen und potentielle StandardsBetr. „Mehraufwandsentschädigung“Von den verschiedenen Instrumenten, die bei der sog. <strong>Arbeit</strong>smarktreformeingesetzt werden können, findet zur Zeit eines besondereAufmerksamkeit: in der öffentlichen Debatte und in derTrägerlandschaft. Es handelt sich um die „<strong>Arbeit</strong>sgelegenheiten“,die nach dem Willen der Reformer mit 1-2 Euro pro <strong>Arbeit</strong>sstunde„Mehraufwandsentschädigung“ entgolten werden sollen.500.000 <strong>Arbeit</strong>sgelegenheitenDer Bundeswirtschaftsminister möchte im nächsten Jahr bundesweit500.000 solcher <strong>Arbeit</strong>sgelegenheiten schaffen (und finanzieren),große Verbände wie Caritas und Rotes Kreuz haben ihreBereitschaft erklärt, Tausende von <strong>Arbeit</strong>slosen in entsprechendenMaßnahmen zu beschäftigen.Im Vorgriff auf die zukünftigen Regelungen wird derzeit von derBundesagentur für <strong>Arbeit</strong> ein Sofortprogramm aufgelegt, mit demzum Stichtag 1. Oktober schon 100.000 solche <strong>Arbeit</strong>sgelegenheitenbundesweit geschaffen werden.Zielgruppe des Sofortprogramms sind Menschen, die zur Zeitnoch <strong>Arbeit</strong>slosenhilfe beziehen und ab Januar zu den Empfängernvon <strong>Arbeit</strong>slosengeld II gehören werden.• Die Nachbarschaftsheime/Stadtteilzentren sind in denletzten Tagen in unterschiedlichen Rollen angesprochenworden, sich an dem Programm zu beteiligen:• entweder von Beschäftigungsgesellschaften, die sichbei den <strong>Arbeit</strong>sagenturen als Vertragspartner zur Programmumsetzungbeworben haben und die jetzt aufder Suche nach konkreten Einsatzmöglichkeiten sind,• oder von den <strong>Arbeit</strong>sagenturen als potentielle Vertragspartner(Bedingung: Einsatzmöglichkeiten für mindestens 50 Beschäftigte anmelden)• oder von Bezirksämtern, die als Zwischeninstanz zwischen<strong>Arbeit</strong>sagenturen und Beschäftigungsträgern dieUmsetzung des Programms beeinflussen wollen.In einem ersten Schritt richtete sich die Ansprache insbesonderean Träger, die in der Vergangenheit schon Beschäftigungsmaßnahmenfür <strong>Arbeit</strong>slose oder Sozialhilfeempfänger angeboten haben(ABM, SAM, LKZ, AfL, Hilfe zur <strong>Arbeit</strong> etc.).Kleine Unterschiede mit großen NebenwirkungenOberflächlich betrachtet unterscheiden sich die neu zu schaffenden<strong>Arbeit</strong>sgelegenheiten nicht allzu sehr von den bisherigengemeinnützigen Tätigkeiten für Sozialhilfe-Empfänger. Allerdingsgibt es kleine Unterschiede, die schwerwiegende Nebenwirkungenhaben können, wenn sie nicht mit bedacht werden!Zum einen ist es der Personenkreis, für den diese <strong>Arbeit</strong>sgelegenheitenangeboten werden, zum andern ist es die damit verbundene(potentielle) Perspektive:10


Für die meisten Sozialhilfe-Empfänger war mit der Annahme einergemeinnützigen zusätzlichen Beschäftigung die Möglichkeitverbunden, sich Schritt für Schritt (in der Regel über eine „Maßnahmen-Kette“)aus der Sozialhilfe herausarbeiten zu können, dieTätigkeit hatte also eine „Aufstiegsperspektive“. Eine Reihe dero.g. Fördermöglichkeiten scheint zur Zeit abgebaut zu werden.Die Beschäftigung im Rahmen der 1-2 Euro Jobs, die auch wiedernur auf 6-12 Monate befristet sein soll, verharrt insofern in einerSackgasse.Für diejenigen unter den <strong>Arbeit</strong>slosenhilfebeziehern, für die das<strong>Arbeit</strong>slosengeld II eine massive Kürzung ihre Bezüge bedeutet,ist diese Art von Beschäftigungsangeboten neu, weil ihnen bisherdas <strong>Arbeit</strong>samt Beschäftigungsangebote nur in Form <strong>sozial</strong>versicherungspflichtigerBeschäftigungsverhältnisse gemacht hat(abgesehen von Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen.)Dabei gab es wenigstens theoretisch immer einen Bezug zur bisherigenQualifikation und angedachten möglichen Beschäftigungenauf dem 1. <strong>Arbeit</strong>smarkt. Dieser Zusammenhang entfällt beiden neuen Beschäftigungsmöglichkeiten. Es ist anzunehmen, dassdas von vielen <strong>Arbeit</strong>slosen als eine Deklassierung empfundenwird, die auf sie (ausgerechnet) im gleichen Augenblick zukommt,in denen sich für viele auch ihre materielle Situation massiv zumSchlechteren verändert.In einem Punkt unterscheidet sich allerdings das aktuelle Sofortprogrammnoch von den Regelungen, die ab 1.1.2005 geltensollen: die <strong>Arbeit</strong>slosenhilfe-Empfänger, denen jetzt eine entsprechende<strong>Arbeit</strong>sgelegenheit angeboten wird, dürfen das Angebotablehnen, ohne dass das zu Sanktionen (wie Kürzung der Bezüge)führt. Dafür gibt es zur Zeit nämlich keine Rechtsgrundlage, diewird erst mit dem <strong>Arbeit</strong>slosengeld II geschaffen.Prinzip FreiwilligkeitDamit ist in diesem Sofortprogramm noch ein Prinzip praktischgewahrt, das für die Nachbarschaftseinrichtungen, die in diesemFeld tätig sind, von entscheidender Bedeutung ist, nämlich, dasseine freiwillige Entscheidung zur Aufnahme der Tätigkeit vorliegt.Anders als für manche anderen <strong>sozial</strong>en Institutionen ist Freiwilligkeitder Beziehungen auf allen Ebenen das Grundprinzip der<strong>Arbeit</strong> der Nachbarschaftseinrichtungen. Bei der Beteiligung anden jetzt anlaufenden Programmen zur Schaffung von „<strong>Arbeit</strong>sgelegenheiten“müssen die Einrichtungen dafür eintreten, dass diesPrinzip gewahrt bleibt.Viele der bisher angedachten Tätigkeitsfelder liegen im Bereichder im weitesten Sinne <strong>sozial</strong>en Dienste, wo es vor allem um dieGestaltung von Beziehungen zu anderen Menschen geht. Daslässt sich mit Zwang nicht vereinbaren, insbesondere wenn solcheTätigkeiten in der Verantwortung von Nachbarschaftseinrichtungenstattfinden, deren Ansatz immer wieder einen Perspektivenwechselerfordert: d.h. die Dinge aus der Sicht der Nutzer und ihrersubjektiven wie objektiven Interessen zu betrachten. Bezogenauf die „Kunden“ von ALG II bedeutet das, die subjektive Wahrnehmungdes Zwangscharakters entsprechender Zuweisungenauch dann ernst zu nehmen, wenn sie objektiv nicht die ganzeWahrheit widerspiegelt. Diejenigen, die vom ALG II betroffen sind,sind u.a. auch Zielgruppe der Nachbarschaftseinrichtungen, Diesemüssen mit ihnen gemeinsam Wege aus dem Dilemma finden, diefür sie subjektiv und objektiv akzeptabel sind.Standards beachtenDas ist möglich, wenn in der konkreten Gestaltung einige Standardsbeachtet werden:• keine Beschäftigung von irgendjemand gegen seinen/ihren Willen• das Recht des Trägers zur Auswahl der Beschäftigtenbleibt gewahrt• wer eine der angebotenen Beschäftigungsmöglichkeitennicht will, passt aus konzeptionellen Gründen nichtin eine Nachbarschaftseinrichtung. Deswegen ist diekonzeptionelle Nicht-Übereinstimmung, die nicht zuLasten des „Bewerbers“ geht, ein ausreichender Grundfür die evtl. Ablehnung einer Zuweisung.• Klärung der individuellen Perspektiven (welchen Nutzenkann jemand aus der Beschäftigung ziehen ?)• Qualifizierungsanteile festlegen und garantieren (Bewerbungstrainingwird nicht als Qualifizierunggewertet)• Sprachsensibilität (wir „melden“ keinen „Bedarf an“ sondernwir „stellen Beschäftigungsmöglichkeiten zurVerfügung“)Für Einrichtungen, die nicht selber Beschäftigungsträger unddamit Vertragspartner einer <strong>Arbeit</strong>sagentur sind, sind diesePrinzipien leicht durchzuhalten. Sie sollten aber auch für Einrichtungengelten, die Beschäftigte direkt von der <strong>Arbeit</strong>sagentur„zugewiesen“ bekommen und durch die fallbezogene Förderungder Trägerkosten (immerhin bis zu 300 Euro pro Teilnehmer undMonat) leicht unter Druck geraten können.Wenn wir hier eine klare Haltung beziehen, ist das nicht nur eine„Gewissensfrage“ sondern wird uns auf mittlere Sicht auch gegenüberPolitik, Verwaltung und <strong>Arbeit</strong>sagenturen für den Fall nützen,dass die anvisierten großen Zahlen bei dem zu erwartendenWiderstandspotential der (subjektiv) deklassierten <strong>Arbeit</strong>slosenhilfeempfänger/innen gegen alle Formen von „Zwangsarbeit“ nichtzu erreichen sind.Ohne Vermittlungsprozesse, die ein hohes Maß an Freiwilligkeit(auf beiden Seiten) zur Grundlage haben, wird es nicht gehen.Vorschläge zur Diskussion gestelltDafür sollten wir eigene Vorschläge machen, wie sie z.B. vomNachbarschaftshaus KiekIn zur Diskussion gestellt worden sind:• Es wäre denkbar, dass zuweisungsberechtigte Erwerbsloseeinen Gutschein erhalten, auf dem der Förderzeitraumsowie eventuelle Stundenvorgaben vermerkt sind.Träger, die <strong>Arbeit</strong>sgelegenheiten anbieten wollen,müssten diese in Form eines Angebotskatalogespräsentieren, der im Vorfeld mit der „ARGE“ abgestimmtwird. Der Gutscheininhaber könnte nunmehr innerhalbeiner kurzen Frist selbständig das Angebot bei demTräger auswählen, das ihn am meisten anspricht. NachKontaktaufnahme mit dem Träger könnte dann dieindividuelle Fördervereinbarung abgeschlossen werden.Ein Ansatz, der auf diese oder ähnliche Weise auf zweiseitig<strong>eV</strong>ereinbarungen statt auf einseitig ausgeübten Zwang setzt,hat gegenüber den bislang im Gespräch befindlichen Abläufenfolgende Vorteile:• Die <strong>Arbeit</strong> entspricht dem Interesse der Erwerbslosen• Diese übernehmen Verantwortung für sich selbst, ein<strong>eV</strong>orbedingung für die Überwindung jener Resignation,die jede Beschäftigungschance verhindert• Die Träger treten in einen Wettbewerb untereinanderein, sie müssen die <strong>Arbeit</strong>sgelegenheiten möglichstattraktiv gestaltenDen offiziellen Zielsetzungen des Programmswäre damit besser gedient als mit der Vermittlung ungewollterBeschäftigungen: geht es doch darum, bei Langzeitarbeitslosendie „Beschäftigungsfähigkeit“ zu erhalten, bzw. Jugendliche undjunge Erwachsene an eine reguläre Beschäftigung heranzuführen.Dafür ist alles von Vorteil, was Motivationen weckt und potentielleStärken einbezieht.11


Die KiezaktivkassenNeue impulse für bürgerschaftliches EngagementDie Bürgergesellschaft wird ständig in Reden, Aufsätzenund Debatten beschworen. Was verbirgt sichhinter diesem Verständnis von Gemeinwesen? Wiesieht die Bürgergesellschaft im lokalen Raum aus?Was für Projekte können dazu beitragen diese zuaktivieren?Diese Fragen sind der Ausgangspunkt für die KiezAktivKassengewesen. In einem Hotel im Berliner BezirkKöpenick sind sie im Jahr 2002 intensiv von Praktikern ausganz Europa diskutiert worden. Die europäischen Gästepräsentierten im Rahmen dieser Veranstaltung Projekte,mit denen sie in ihren Heimatländern Bürgerinnen undBürger für gesellschaftliches Engagement gewinnen. Diebest-practice Beispiele reichten von Moderationsmethodenzur Engagementförderung bis zur Ausbildung vonJugendlichen als Organisationsberatern, die Vereine aufJugendtauglichkeit prüfen.Eines der Projekte, die Youthbank aus Großbritannien, fasziniertedurch Einfachheit und einen hohen Wirkungsgrad.In Großbritannien hat sich ein Netzwerk lokaler Youthbanksetabliert. Die „Banken“, die von Jugendlichen selbergetragen werden, vergeben Geldbeträge an Gleichaltrige,die damit Projekte verfolgen, die jungen Menschen vor Ortzu Gute kommen.Die zu vergebenen Gelder werben die Jugendlichen beiStiftungen oder der öffentlichen Hand ein.Dieses Projekt ging verschiedenen Teilnehmern der Tagungin Berlin nicht mehr aus dem Kopf. Es bildete die Grundlagefür die KiezAktivKassen der Jugend- und Familienstiftung.In Kooperation mit der Landesgruppe Berlin des <strong>Verband</strong>esfür <strong>sozial</strong>-<strong>kulturelle</strong> <strong>Arbeit</strong> und der Bertelsmann Stiftungentstand ein Konzept, das die Zielgruppe der „Bank“ aufalle Menschen in einem Kiez erweiterte, aber ansonsten di<strong>eV</strong>erantwortung für das Kassengeld an die Mitglieder derKiezAktivKassen übertrug - außer der Geldbeschaffung,denn das stellte die Jugend- und Familienstiftung bereit:mit 30.000 Euro wurden sechs KiezAktivKassen in sechsverschiedenen Berliner Bezirken gefüllt.Wie sie Ihre <strong>Arbeit</strong> organisiert haben und was für Projektesie förderten, wird im Folgenden geschildert. Die KiezAktivKassensind ein Beispiel dafür, wie mit einfachen Mittelnund dem Vertrauen in Bürgerinnen und Bürger im lokalenRaum Bürgergesellschaft entstehen kann.Es zeigt sich, dass die Menschen vor Ort sehr gut die ProblemeIhres Kiezes kennen und auch Ideen für deren Lösunghaben. Wir hoffen, dass diese Beschreibung Interessefür KiezAktivKassen in anderen Teilen Deutschlands weckt.Wir würden uns freuen, wenn das Berliner Beispiel Schulemacht und somit die Bürgergesellschaft um einen weiterenAktivierungsbaustein bereichert werden kann.Michael SeberichBertelsmann Stiftung - Projekt Erziehung zu Gemeinsinnund GemeinschaftsfähigkeitWas ist das besondere an der KiezAktivkasse?Das Programm KiezAktivKasse wurde als ein speziellesFörderprogramm der Jugend- und Familienstiftung desLandes Berlin gemeinsam mit der Bertelsmann-Stiftungund dem <strong>Verband</strong> für <strong>sozial</strong>-<strong>kulturelle</strong> <strong>Arbeit</strong> entwickelt.Kerngedanke dabei war, dass lokale gemeinwesenorientierteAktivitäten von Bürger/-innen für Bürger/-innenmit kleinen Förderbeträgen unterstützt werden. Zielwar es, anfänglich in sechs Kiezen verschiedener BerlinerBezirke das Zusammenleben der Generationen zufördern und die Familienfreundlichkeit zu verbessern.In der KiezAktivKasse sollten Bewohnerinnen und Bewohnereines bestimmten Wohngebietes nach einemöffentlichen Aufruf eine Förderjury bilden. Die Jury solltevor Ort nach eigenen Vergabekriterien einen Förderfondverwalten, an den alle Bewohnerinnen Förderanträge ineinem Umfang bis maximal 750.- Euro richten können.Die Jury verfügte dabei zunächst jeweils über eine vonder Jugend- und Familienstiftung des Landes Berlin bereitgestellteFördersumme von 5.000.- Euro, die sie jedochdurch zusätzliche Einwerbung lokaler Mittel erweiternkonnte. Eine Förderung durch die KiezAktivKasse solltedie Funktion einer „Initialzündung“ haben für weiterefinanzielle und persönliche Unterstützung durch Dritte.Die Bürgerinnen und Bürger sollten somit als „Kassenaktive“oder „Kiezaktive“ Verantwortung für ihr Wohngebiet übernehmenund auf der Grundlage ihrer örtlichen Sachkenntnisunbürokratisch über die Verwendung der Mittel entscheiden.Die Kiezaktivkassen - Beschreibung und ersteAuswertung eines PilotprojektesStandorte findenJede KiezAktivKasse benötigt ein Dach. Sie wird deshalb Gast beieinem Nachbarschafts- oder Stadtteilzentrum oder einer ähnlichengemeinnützigen Einrichtung und erhält dort die nötigeUnterstützung.Die Strukturen für einen reibungslosen und unbürokratischenAblauf vom Programmstart bis zur Abrechnung wurden von derJugend- und Familienstiftung in Zusammenarbeit mit entsprechendenEinrichtungen entwickelt.Bei einem Startworkshop wurden die Vorüberlegungen derJugend- und Familienstiftung mit den Erfahrungen und Anregungender Mitarbeiter/-innen von Nachbarschafts- und Stadtteileinrichtungenverbunden.Interessierte Einrichtungen konnten sich dann innerhalb einesMonats als Gastorganisationen bewerben. Daraus wurden 6 Trägerfür die Pilotphase der KiezAktivKasse ausgewählt.Leitbild war dabei, eine große Vielfalt zu erreichen. Große und kleineTräger sollten vertreten sein, innerstädtische ebenso wie solchemit Sitz außerhalb des Zentrums.Für die umfangreichen Aufgaben stand den Gastgeberorganisationenjeweils ein Etat von 300.- Euro zur Verfügung. Dies erscheintauf den ersten Blick vielleicht unangemessen. Allerdings müssendie Kosten in einem akzeptablen Verhältnis zum Umfang derFördermittel stehen und die Gastgeberorganisationen profitierenauch auf andere Weise von ihrem Engagement:12


• Die Einrichtungen gewinnen an Bekanntheit und erreicheneine bessere Auslastung ihrer Angebote• Sie können sich gegenüber öffentlichen Zuwendungsgebernals innovative Partner profilieren• Sie gewinnen Zugang zu potenziellen Sponsoren auchfür die eigene EinrichtungIn der Auftaktveranstaltung zur Einrichtung der Kiez-AktivKassenwurden folgende Vorschläge für die Öffentlichkeitsarbeit derGast- bzw. Trägerorganisationen gesammelt:• Öffentliche Einladung zur Start- Veranstaltung durchPlakataushang sowie Verteilung und Auslage von Programmflyernim Stadtteil• Gezielte Ansprache von Einzelpersonen• Gezielte Information von Multiplikatoren in örtlichenGremien wie Elternvertretungen, Mieterberatungen,Interessensverbänden von Gewerbetreibenden• Nutzung öffentlicher Veranstaltungen (Podiumsdiskussionen,Straßenfeste etc.)Die Kiezaktivkasse bekannt machenInteressierte Bürgerinnen und Bürger bekommen vor allem überpersönliche Ansprache den entscheidenden Anstoß zur Mitarbeitin der KiezAktivKasse. Dennoch macht eine breite Öffentlichkeitsarbeitzur Werbung für die Mitarbeit Sinn, denn dadurch wirdgleichzeitig über die Möglichkeit informiert, dass Förderanträgebei der Jury gestellt werden können.Außerdem zeigen Erfahrungen aus dem professionellen PR-Geschäft,dass eine Ansprache über mehrere Kanäle und Medieninsgesamt immer den besten Erfolg bringt.Die Jury zusammenstellenDie Zusammenstellung der Förderjury ist eine besonders sensiblePhase bei der Einrichtung der KiezAktivKasse. Einerseits solltendie Kassenaktiven möglichst den Querschnitt der Bevölkerung imEinzugsgebiet abbilden.Andererseits muss auch auf eine arbeitsfähige Größe geachtetwerden, bei der vielleicht nicht jede Interessensgruppe Berücksichtigungfindet. Insbesondere in multikulturell geprägten Stadtteilenist dies nicht immer eine leichte Aufgabe. Sie setzt voraus,dass die Verantwortlichen der Trägerorganisation mit den <strong>sozial</strong>enNetzwerken und Organisationen im Stadtteil vertraut sind. Inbenachteiligten Quartieren kann es vorkommen, dass Anwohnerzögern, Verantwortung für die Verteilung von aus ihrer Sicht „großenSummen“ zu übernehmen. Hier können Finanzerfahrene dazubeitragen, die Hemmschwellen zu senken.Die meisten Kiezaktivkassen haben mit einer Größe von 5-7 Jurymitgliederngute Erfahrungen gemacht. Weniger sollten es nichtsein, weil immer damit gerechnet werden muss, dass einzelneJurymitglieder nicht alle Entscheidungstermine wahrnehmenkönnen. Auch hat es sich als sinnvoll erwiesen, dass sowohl „lokalesUrgestein“ als auch mehr und weniger frisch Zugezogene inder Jury vertreten sind.Grundsätzlich hat es sich als problematisch erwiesen, wennJurymitglieder selber auch Förderanträge stellen. Um Interessenskonflikteoder gar eine dauerhaft belastete <strong>Arbeit</strong>satmosphäre zuvermeiden haben einzelne KiezAktivKassen sich von vornhereineinstimmig für eine Geschäftsordnung entschieden, die Stimmenthaltungvorsieht, wenn persönliche Interessen mit Vorhabenverknüpft sind, für die ein Förderantrag gestellt wurde.Am meisten Erfolg bei der Drittmittelakquise hatten solche Akteure,die nicht nur von einem konkreten Projekt überzeugt warenund dies auch mit Selbstbewusstsein nach außen vertreten konnten,sondern für die Projekte auch Rückendeckung von örtlichenEntscheidungsträgern aus Politik und Verwaltung bekamen.Entscheidend war aber vor allem, dass die geförderten Vorhaben,für den Stadtteil eine besondere Bedeutung hatten und vonvielen Akteuren mitgetragen wurden Werbung zur Verstärkungeiner „anonymen“ KiezAktivkasse hatte meist weniger Erfolg alsdie Werbung zur Ko-Finanzierung eines konkreten Vorhabens,wie beispielsweise die Finanzierung von Bodenschwellen zurVerkehrsberuhigung einer Wohnstraße.Drittmittel akquirierenAuch die begrenzten Mittel einer KiezAktivKasse können nachsorgfältiger Prüfung und Vergabe große Wirkungen im Stadtteilentfalten. Insbesondere dann, wenn es gelingt, das vorhandeneKapital der KiezAktivKasse durch Einwerbung von Drittmittelnaufzustocken. Erfahrungsgemäß ist die Bereitschaft zu ergänzenderFörderung besonders groß, weil durch die bereits vorhandeneKapitalbasis ein gewisser Erfolg bereits garantiert ist, an demSpendenwillige auch mit kleinen zusätzlichen Beträgen in vollemUmfang beteiligt sind.Im Übrigen gelten für Drittmittelakquise die gleichen Prinzipienwie für jede erfolgreiche Werbung um Unterstützung und Spenden:Es gilt vom Kleinen ins Große zu gehen, vom Bekannten zumUnbekannten. Von der Werbung im Freundes- und Bekanntenkreisüber die Ansprache lokaler Gewerbetreibender bis hin zur Unterstützungdurch Presse und Medien.Förderkriterien entwickelnSoll eine KiezAktivKasse als „Förderinstanz“ dauerhaft etabliertwerden, ist eine Festlegung von Förderkriterien unabdingbar. Jestärker sich die Anträge häufen, desto deutlicher wird das allenBeteiligten: Wird jeweils erst im Nachhinein oder im Einzelfallentschieden, so kann es zum Eindruck von Intransparenz oder garWillkür kommen.Deshalb macht es Sinn, frühzeitig wenigstens einen Kriterienkatalogoder eine Prioritätenliste zu erstellen, die zumindest eine grobeOrientierung für Entscheidungen bieten, ohne eine inhaltlicheDiskussion im Einzelfall ersetzen zu können.Kriterien könne beispielsweise sein:• Das Vorhaben soll generationsübergreifenden Charakterhaben• Das Vorhaben soll einen hohen Beteilungseffekt haben• Die Ergebnisse des Vorhabens sollen allgemein öffentlichzugänglich sein• Es soll erkennbar sein, dass Eigenarbeit bzw. Eigenmittelin das Vorhaben einfließenAus grundsätzlichen Erwägungen wird empfohlen, auf dieFörderung von Vorhaben zu verzichten, bei denen der Eindrucküberwiegt, dass es sich um eine Ersatzfinanzierung nach Mittelkürzungenfür eine öffentliche oder öffentlich geförderte Einrichtunghandelt.Vor Beginn der Antragsprüfung stellten die meisten Förderrjuryseine Geschäftsordnung auf, die nur wenige Punkte umfasst. Sowurden beispielsweise Beschlüsse zu Antragsrecht und Grundsätzebeim Abstimmungsverhalten der Jury-Mitglieder festgelegtoder Termine für die Abstimmung über Anträge verabredet. DifferenzierteFörderkriterien wurden zunächst von den wenigsten Jurysaufgestellt. In der ersten Förderperiode war die KiezAktivKassenur wenig bekannt und es gab deshalb oft gerade genug Anträge,über die überhaupt entschieden werden konnte. Entsprechenddrehten sich die Diskussionen in der Jury dann meist eher um dieFrage der Förderhöhe, als um die grundsätzliche Förderwürdigkeitder beantragten Vorhaben.Wie weit geht mein Kiez?Im Zusammenhang mit Förderkriterien stellt sich auch die Frage,in welchem räumlichen Wirkungsbereich sich die KiezAktivKassebewegen soll.Die Diskussion um die Wahrnehmung von Grenzen des Stadtteilshat jedoch nicht nur die Funktion, ein weiteres Förderkriteriumaufzustellen, sondern auch: unterschiedliche Sichtweisen auf13


den Kiez offen zu legen und Erfahrungswissen der Kassenaktivenauszutauschen und für andere verfügbar zu machen.Die Erstellung einer Kiezkarte hat sich in unterschiedlichen Zusammenhängenals sehr wirkungsvolles Instrument der Mobilisierungund Beteiligung erwiesen. Als Medium der Öffentlichkeitsarbeit- ergänzt durch Fotomaterial oder „Spielgeld“ - sorgte dieKiezkarte im Schaufenster oder auf öffentlichen Veranstaltungenfür Aufsehen und machte plastisch, um was es bei der KiezAktiv-Kasse geht. Nicht zuletzt lernten sich die Kassenaktiven bei derErarbeitung auch ein bisschen besser kennen.Gute Erfahrungen haben die Berliner KiezAktivKassen mit der Auslageund Verteilung von einfachen Antragsformularen gemacht.Die Nutzung dieser Formulierungshilfen war aber nie Fördervoraussetzung.Um das Risiko der Sprachbarriere zu vermindernwurden in einem Fall sowohl Informationen als auch Antragsformularein die von MigrantInnen am häufigsten genutzten MuttersprachenübersetztUm den <strong>Arbeit</strong>saufwand möglichst gering zu halten, haben sichviele KiezAktivKassen dazu entschieden, den Antrag inklusiveProjektbeschreibung auf 1-2 Seiten zu begrenzen und mehrereAnträge zu sammeln, bis darüber in einer gemeinsamen Sitzungentschieden wurde. Es wurde auch in den meisten Fällen aufeine persönliche Vorstellung des Vorhabens durch die Antragstellendenverzichtet. Einige haben sich jedoch auch viel Zeit fürpersönliche Gespräche und Vor-Ort-Besuche genommen. ÖffentlicheBeratungstermine haben, wenn alle Antragsteller eingeladenwurden, zu hilfreichen Kontakten unter Kiezaktiven beigetragen.Antragstellung und Mittelvergabe organisierenAuch wenn im Stadtteil intensiv für die Antragstellung geworbenwird, dauert es in der Regel mehrere Wochen, bis die erstenAnträge bei der KiezAktivKasse eingehen. Deshalb sollte mit derWerbung und Ankündigung eines ersten Entscheidungsterminsnicht gewartet werden, bis alle Details der Förderkriterien oderder „Kiezgrenzen“ entschieden sind.Das Verfahren der Antragstellung soll keine bürokratischenHürden aufbauen und die Mittelvergabe sollte zeitnah erfolgen.So kann gewährleistet werden, dass der Kreis der Antragsteller/-innen nicht nur aus den üblichen „Akquisitionsprofis“ besteht.Eine klare Trennung zwischen Entscheidungsverfahren (durch dieKassenaktiven) und formaler Abwicklung der Förderung (Auszahlung,Abrechnung und Dokumentation durch die Gastorganisation)ist für das Funktionieren der KiezAktivKasse besondershilfreich..Erfahrungen austauschenZur Weiterentwicklung der KiezAktivKasse sollten nach einerangemessenen Laufzeit die am Programm beteiligtenKiezbewohner/-innen zu einem Erfahrungsaustausch eingeladenwerden. Hier können geförderte Aktivitäten vorgestellt, bisherErlebtes ausgetauscht und ausgewertet werden.Bestimmte Themen, zum Beispiel Öffentlichkeitsarbeit undFundraising, können aus der Nähe betrachtet und bei BedarfFragen geklärt, benötigtes Wissen vermittelt und Tipps gegebenwerden - und auch das gemeinsame Feiern sollte nicht zu kurzkommen.Erfolge feiernSehr positiv haben die Beteiligten in Berlin das Angebot zumErfahrungsaustausch aufgegriffen. Nach einigen Erfahrungen mitAntragstellungen und Mittelvergabe wurde dazu im Mai <strong>2004</strong>eine weitere KiezAktivKassen - Werkstatt durchgeführt.Der Schwerpunkt lag bei Erfahrungen und Anregungen derKassenaktiven. Außerdem wurden von einer PR-Fachkraft Informationenund Empfehlungen zur Öffentlichkeitsarbeit und zurWerbung von Partnern und Förderern vermittelt.Der von Michael Seberich moderierte Austausch machte folgendesdeutlich: Die Etablierung der Idee benötigt in der Regel einhalbes Jahr Vorlauf bis zur Umsetzung der ersten Projekte. EinStart im Winterhalbjahr ist deshalb günstiger als im Sommer• In der Anfangsphase macht es Sinn auch bereits bestehendeInitiativen zu fördern, um die Fördermöglichkeitbekannt zu machen. Später ist es sinnvoller neueInitiativen anzuregen ·• Wird der Kiez zu weitläufig definiert steigt der Organisationsaufwandüberproportional an und es besteht dieGefahr sich zu verzetteln.• In multikulturell geprägten Stadtteilen ist es sinnvoll, Infomaterialienin verschiedenen Sprachen zur Verfügungzu haben• Je mehr Menschen von einem Thema betroffen sindund sich bei einem Vorhaben einbringen können, destoleichter ist es zusätzliche Mittel für die Verwirklichung zuakquirieren• Aktivitäten zur Verkehrsberuhigung und zur Gestaltungbzw. Pflege öffentlicher Räume bzw. Freiflächen habensich als besonders wirkungsvoll erwiesen• Unerfahrene Kassenaktive benötigen Coaching, um dieBalance zwischen Autonomie der Jury und vorgegebenenFörderzielen zu entwickeln• Die Mitarbeit in der Jury bedarf der besonderen AnerkennungDie Einladung aller Beteiligten zu einem schmackhaften undreichhaltigen Buffet bildete einen angemessenen und gern angenommenenAbschluss der Pilotphase.PerspektivenAls wichtigste Erkenntnis aus der <strong>Arbeit</strong> der KiezAktivKassen wurdeimmer wieder formuliert, dass schon mit wenig Mitteln viel inBewegung gebracht werden kann. So bekam bei einer Befragungder Kassenaktiven das Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzensehr gute Noten.Die Befragung ergab auch, dass niemand die Teilnahme bereuthat und fast alle sich erneut daran beteiligen würden. Auch wennin Bezug auf spezifische Wirkungen der geförderten Aktivitätennoch nicht viel ausgesagt werden konnte, außer, dass mit Sicherheitbestehendes Engagement gestärkt wurde, so waren sich dieBeteiligten doch mehrheitlich darüber einig, dass die Wirkungenfür den Stadtteil dauerhafter Natur sein werden.Neben der Motivation, sich für den Kiez zu engagieren spielt auchdas Knüpfen neuer Kontakte im Stadtteil eine wichtige Rolle beimEngagement in der KiezAktivKasse. Das von den Jurybeteiligtenselbst entwickelte Vergabeverfahren wurde einheitlich von allenals sinnvoll bezeichnet. Dies bestätigt die Herangehensweise derJugend- und Familienstiftung, diesbezüglich möglichst wenig<strong>eV</strong>orgaben zu machen.Interessant war die äußerst ausgewogene Mischung von Alteingesessenenund neu oder erst vor wenigen Jahren Zugezogenenin den Jurien. Rund die Hälfte der Beteiligten Kassenaktiven hättesich etwas mehr Unterstützung erhofft, vor allem im BereichInformation und Öffentlichkeitsarbeit sowie bei der Akquisitionvon weiteren Mitteln.In Einzelinterviews mit Kassenaktiven wurde aber auch deutlich,dass durch den Erfahrungsaustausch bereits viele Anregungen indie weitere <strong>Arbeit</strong> der Kiezaktivkassen eingeflossen sind oder zuweitergehenden Versuchen angeregt wurde.Als Konsequenz aus den guten Erfahrungen mit der Pilotphasehat die Jugend- und Familienstiftung beschlossen, das Förderprogrammzu verlängern und auf weitere Standorte auszudehnen.Die Bertelsmann-Stiftung hat sich darüber hinaus für eine Initiativezur Übertragung in andere Städte entschieden.Oliver Ginsberg(Dieser Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung der JugendundFamilienstiftung einer ausführlicheren Projektdokumentationentnommen, die bei der JFSB - Kontaktadresse s.o. - zu beziehen ist)14


KontaktJugend- und Familienstiftungdes Landes BerlinStiftung des öffentlichen RechtsObentrautstraße 55 / 10963 BerlinFon: 030-2175 1370 / Fax: -1372kiezaktiv@jfsb.de / www.jfsb.deBertelsmann StiftungCarl-Bertelsmann-Straße 256PF 103 / 33311 GüterslohFon: 05241-810 / Fax: -81 81 999info@bertelsmann-stiftung.dewww.bertelsmann-stiftung.deKiez-Aktiv-Kasse wird wieder gefülltStiftung fördert Aktionen in WeißenseeWeißensee. Mit Mitteln aus der Kiez-Aktiv-Kasse wurden in diesem Jahr 13 Projektegefördert. Im kommenden Jahr steht erneutGeld zur Verfügung.Daten und FaktenProgrammumfang:30.000.- EuroFördermittel je KiezAktivKasse: 5.000.- EuroAnzahl geförderter Aktivitäten: 82Durchschnittliche Fördersumme: 365.- EuroTräger der KiezaktivKassen:• Frei-Zeit-Haus in Weißensee e.V.• Kiez-Spinne FAS e.V.• Nachbarschaftshaus Urbanstraße e.V.• N.U.S.Z. - NachbarschaftsundSelbsthilfezentrum ufafabrik e.V.• Rabenhaus e.V.• Verein für eine billige Prachtstraße -Lehrter Straße e.V.In der KiezAktivKasse bilden Bewohnerinnen undBewohner eines bestimmten Wohngebietes nacheinem öffentlichen Aufruf eine Förderjury. Alle dieim Wohngebiet leben können bei der Jury Förderanträgebis maximal 750 Euro stellen für Vorhaben,die eine Verbesserung des Zusammenlebens derGenerationen und der Familienfreundlichkeit zumZiel haben. Anhand selbst aufgestellter Kriterienentscheidet die Jury über die Anträge, vergibtdie Mittel und informiert sich später über dieErgebnisse.Bei der Kiez-Aktiv-Kasse handelt es sich um einFörderprogramm der Jugend- und Familienstiftungdes Landes Berlin, das in diesem Jahr zunächstin sechs Kiezen getestet wurde. 5000 Eurostanden in Weißensee zur Verfügung.Im Kern geht es darum, dass lokale Aktivitätenzur Verbesserung der Wohn- und Lebensqualitätmit kleinen Förderbeträgen unterstützt werden.Für jedes Projekt konnten <strong>2004</strong> bis zu 750 Eurobeantragt werden. Über die Vergabe entschiedeine achtköpfige Bürger-Jury „Unter anderemerhielten die Organisatoren der Afrika-WocheUnterstützung, eine Kita-Kunstaktion wurdegefördert, und ein Jugendklub bekam Geld fürein Gewaltpräventionsprojekt“, bericht ChristofLewek, der Geschäftsführer des Frei-Zeit-Hauses.Vorschläge willkommenDie Kiez-Aktiv-Kasse gibt es auch im kommendenJahr. Bereits jetzt können Projekte für eine Förderungvorgeschlagen werden. Insgesamt 3500Euro: stehen zur Verfügung. Wer ein Kiezprojektumsetzen will kann sich im Frei-Zeit-Haus, Pistoriusstraße23, informieren, ein Antragsformularabholen und einen Antrag stellen.Weitere Informationen gibt es unter 92 79 94 63.Berliner Woche, 13. Oktober <strong>2004</strong>15


Leben in Nachbarschaft bis ins hohe AlterCommunity Care in einem urbanen Wohnquartier- Projektskizze -Kurzfassung des Projekts:Die Gesellschaften in allen westlichen Industrienationen werden älter.Die hier vorgelegte Projektskizze beschreibt eine humane Strategie, wie ein Gemeinwesendurch die Nutzung nachbarschaftlicher Netze und ein intelligentes Care - Management indie Lage versetzt wird, seine älteren Mitbürger - auch in existenziell schwierigen Lebenslagen- zu integrieren und die Übersiedlung in Pflegeeinrichtungen zu verhindern. NachbarschaftlicheNetze bedeuten die Einbeziehung unentgeltlicher und geringfügig bezahlternachbarschaftlicher Hilfeleistungen, Care - Management bedeutet in diesem Projekt di<strong>eV</strong>ernetzung vorhandener Ressourcen und die Entwicklung neuer selbst organisierter HilfeundPflegeeinheiten.Das Projekt ist so angelegt, dass alle Altersgruppen von diesem Prozess profitieren könnenund dass sich letztendlich ein neues Bewusstsein von Altern und Nachbarschaft entwickelnkann. Last but not least wird deutlich werden, wie Community Care Selbstorganisation undbürgerschaftliches Engagement innerhalb eines Gemeinwesens befördern kann.Zukunftsweisend ist dabei die enge Kooperation mit einer Wohnungsbaugesellschaft undeiner Vielzahl von Services.Geplanter Projektbeginn: Frühjahr 2005Projektende: Frühjahr 2008, erste Evaluation Mitte 2006Projektpartner: <strong>Verband</strong> für <strong>sozial</strong>-<strong>kulturelle</strong> <strong>Arbeit</strong> e.V. - Freunde alter Menschen e.V.Übersicht:I. ProblembeschreibungII. Ziele, Prinzipien und EssentialsIII. BausteineIV. Organisation und KooperationI. ProblembeschreibungI.1. Die Situation älterer Menschen inurbanen GemeinwesenImmer mehr Menschen wollen dort alt werden, wo sieschon lange wohnen.Obwohl wünschenswert und nachvollziehbar, birgt der Wunsch,im vertrauten Wohnquartier alt zu werden, eine Reihe von Risiken.Bereits heute erhält ein großer Teil der Älteren keine Unterstützungsleistungen(mehr) von Familie, Freunden oder nachbarschaftlichemUmfeld - ein Trend, der durch die Zunahme vonSingle-Haushalten in die Zukunft verlängert und verstärkt wird.Durch den Ausbau ambulanter Pflegedienste konnte zwar die Zeitzu Hause erheblich verlängert werden, bei komplexen Problemlagen(z.B. einer demenziellen Erkrankung des alten Menschen)bleibt jedoch oft als scheinbar einzige Möglichkeit die Übersiedlungin ein Pflegeheim.I.2. Die Infrastruktur ist nicht altenfreundlichDie Ursachen für diesen vermeintlichen Automatismus liegen aufvielen Ebenen:Wohnungen, die nicht (mehr) bedarfsgerecht sind, ein ausgedünntesDienstleistungsangebot und eine zunehmend anonymeNachbarschaftsstruktur verstärken Tendenzen zur Abhängigkeitvon professionellen Hilfesystemen bei gleichzeitigem Verlust vonMöglichkeiten der selbst bestimmten Lebensführung. Der betroffenealte Mensch und sein Umfeld sehen unter diesen Umständenhäufig keine andere Lösung als den Umzug in eine Institution.Gewünscht ist dieser Umzug in den meisten Fällen nicht.I.3. Die Nachbarschaft ist überfordertNachbarschaftliche und familiale Hilfeleistungen, die durchaushäufiger vorkommen als gemeinhin angenommen, können aufDauer nur tragfähig bleiben, wenn keine Abhängigkeiten entstehenund die Last der Verantwortung nicht allein auf den Schulterneiniger weniger ruht. Das gilt sowohl für die Familienmitglieder(meist Ehepartner oder Töchter/Schwiegertöchter) als auch für dieNachbarschaft.In Kombination mit einem verlässlichen professionellen Hintergrundsystemist und bleibt familiale und nachbarschaftliche Hilfe(nicht nur) für alte Menschen eine tragende Säule im Gemeinwesen.I.4. Neue Akteure sind gefragtBis in die Gegenwart gelten Problemlagen alter Menschen alseine Sache, um die sich die Familie oder die Wohlfahrt kümmert.Wir haben schon festgestellt, dass beide damit längst überfordertsind. Die Wohnungswirtschaft - die den größten Teil der alten16


Menschen beherbergt - wird zunehmend mit der Situation ihreralten Mieter konfrontiert und ist gefordert, Aufgaben zu übernehmen,die nicht im Bereich ihrer Kernkompetenzen liegen.Aus der Verantwortung gegenüber den Mietern heraus aber auchzunehmend aufgrund wirtschaftlicher Zwänge (aktueller oderdrohender Leerstand) müssen auch Wohnungswirtschaftsunternehmennach Lösungen suchen, alt gewordenen Mietern dasWeiterleben in ihrem Quartier zu ermöglichen. Sie werden damitzu neuen Akteuren/Partnern in einem Handlungsfeld, das bislangWohlfahrtsorganisationen vorbehalten war.I.5. Ein bedarfsgerechtes und barrierefreiesUmfeld tut NotUnsere städtebaulichen Strukturen sind nicht für alte Menschenkonzipiert.Einkaufsmöglichkeiten sind häufig nur mit dem Auto zu erreichen,Zugangswege sind nicht barrierefrei oder schlecht beleuchtet, Bewegungsflächenund Ausstattung der Wohnungen (vor allem derBäder) sind nicht funktionsgerecht. Abhilfe ist mit relativ geringenMitteln zu schaffen und es lassen sich Effekte erzielen, die durchausauch für jüngere Mieter attraktiv sein können. Ein lebendigesund „sorgendes“ Gemeinwesen ist und bleibt ein Standortvorteilfür jedes Wohnquartier. Ein barrierefreier Zugang zum Haus gefälltnicht nur dem gehbehinderten alten Menschen, sondern auch derMutter mit Kinderwagen.I.6. Die alten NachbarnI.6.1. Die „Go-go‘s“Die älteren Menschen selbst sind eine äußerst heterogeneGruppe. Je länger die dritte Lebensphase dauert, desto stärkerdifferenzieren sich Unterschiede aus.Die agilen (die sog. Jungen Alten oder „go-go‘s“) suchen Chancen,den dritten Lebensabschnitt sinnvoll zu gestalten - und diesdurchaus im Dialog mit jüngeren Generationen. Sie sind keineAdressaten von Angeboten, die einen „Sozialtouch“ haben, aberdurchaus zugänglich für Service- und „Wellness“-Angebote. Wiebei den nachfolgend genannten auch, ist dieser Status nichtzwangsläufig an ein bestimmtes Lebensalter gebunden, findetsich naturgemäß aber häufiger bei jüngeren Alten.I.6.2. Die „Slow-go‘s“Alte Menschen mit eingeschränktem Aktionsradius aufgrund körperlicherGebrechen (die „slow-go‘s“) laufen Gefahr zunehmendisoliert zu werden und haben häufig alltagspraktische Probleme.Vor allem die adäquate Versorgung mit Dienstleistungen (Einkauf,Reinigung von Wohnung und Kleidung, Arzt- und Frisörbesuchetc.) und Freizeitangeboten gestaltet sich häufig schwierig. Beidieser Gruppe muss vor allem die Versorgung mit niedrigschwelligenService- und Unterstützungsleistungen organisiert werden.In dem Lebensabschnitt, in dem solche Gebrechen drohen, sindbesonders Frauen zudem häufig vom Verlust des Lebenspartners- und damit der wichtigsten Kontaktperson - betroffen. Damitdrohen Isolation, Vereinsamung und entsprechende psychischeFolgeerscheinungen (Depressionen). Bei diesen Menschen erlangtdie (Re-) Aktivierung von familialen und nachbarschaftlichen Kontaktenhohe Priorität. Auch hier gilt, dass dieser körperliche Statusnicht automatisch an ein bestimmtes Labensalter gebunden ist,aber häufig bei den „mittleren Alten“, also den 70 - 80jährigeneintritt.I.6.3. Die „No-go‘s“Eine dritte Gruppe schließlich, die von Pflegebedürftigkeit betroffenenoder bedrohten alten Menscheni, sind in besonderer Weiseexistenziell gefährdet. Ihnen drohen Rückzug von Freunden undNachbarschaft (und damit Kontaktverlust und Isolation), Verlustvon Autonomie, Abhängigkeit und psychische Folgeerscheinungenwie Depressionen etc. Hiervon sind besonders die Hochbetagtenoder solche alten Menschen betroffen, die einen Schlaganfall(Apoplex) hatten.I.6.4. Die „No-know‘s“Eine zahlenmäßig immer größer werdende Gruppe in allen westlichenIndustrienationen sind die von demenziellen Erkrankungenbetroffenen alten Menschen. Dieses Risiko betrifft vornehmlichHochaltrige, ist aber nicht auf diesen Personenkreis beschränkt.Bei dieser Gruppe ist die Gefahr des Verlusts der eigenen Wohnungund der Institutionalisierung am höchsten. Das traditionelleambulante Hilfesystem mit seinen sporadischen Einsätzen istnicht in der Lage, diese Menschen adäquat zu versorgen. MitIhrem hohen Potential an Selbst- und Fremdgefährdung sinddiese alten Menschen auch für Familie und Nachbarschaft eineÜberforderung und nicht selten auch eine latente Bedrohung.I.6.5. Die bedrohten AltenDieses grobe Raster der Einteilung der älteren Generation wirdderen Vielfältigkeit und ihren unterschiedlichsten Bedürfnissennur annähernd gerecht. Es soll an dieser Stelle auch lediglich dazudienen, die möglichen Zielgruppen gemeinwesenorientierterInterventionen zu identifizieren.Es liegt nahe, primär die beiden letztgenannten Gruppen (die„no-go‘s und die „no-knows“) in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeitzu rücken. Sie sind es, die am ehesten davon bedrohtsind, ihre vertraute Nachbarschaft verlassen zu müssen. Die einen,weil Wohnung und Umfeld nicht mehr funktionsgerecht sind, dieanderen, weil konventionelle Maßnahmen des ambulanten Versorgungssystemsnicht mehr ausreichen, um eine verantwortbareund angemessene Versorgung zu gewährleisten.Beide Gruppen wären mit einer intelligenten und vernetzten (ambulanten)Versorgungsstruktur in der Lage (bzw. zu motivieren), inihrem Quartier zu bleiben.Das nachfolgend beschriebene Konzept versucht, die Bausteinedieses Konzepts zu beschreiben und die Systemvoraussetzungenzu benennen, unter denen es erfolgreich intervenieren kann.II. Ziel, Prinzipien und Essentials desProjektsII.1. Ziel des ProjektsZiel des Projekts „Community Care“ ist es, die verschiedenen Determinanteneines befriedigenden und selbst bestimmten Alternsin einem quartierbezogenen Ansatz „unter einen Hut“ zu bringen.Abhängigkeiten sollen vermieden bzw. reduziert werden, Autonomiesoll gestärkt, Mobilität gefördert und die Unterbringung ineiner Institution verhindert werden.„Quartierbezogen“ heißt auch, alle anderen Altersgruppen andiesem Konzept zu beteiligen. Ohnehin profitieren alle Generationenvon den im Folgenden beschriebenen Prinzipien undMaßnahmen.II.2. Prinzipien des ProjektsII.2.1. IntegrationOberstes Prinzip des Projekts ist der integrative Ansatz, d.h. alle anfallendenBedarfslagen älterer Menschen am Wohnort zu befriedigen.Integrativ heißt auch, alle - auch nur am Rande - betroffenenanderen Mitbewohner an diesem Prozess zu beteiligen. Das sindin erster Linie Familien und Nachbarn, aber auch Ärzte, ambulante17


Pflegedienste, Therapeuten, Frisöre, Wäschereien, Bäckereien etc.müssen mit einbezogen werden, wenn integrative Versorgungfunktionieren soll.Es soll möglich werden:* Möglichst viele Bedürfnisse „vor Ort“ befriedigen zukönnen* Bei Hilfebedarf ein wohnortnahes Angebot zur Verfügungzur Verfügung zu habenDiese Ziele einer „altenfreundlichen“ Gestaltung des Wohnumfeldeskommen auch allen anderen Generationen zu Gute. Es gilt derGrundsatz:Plane (sorge) für die Jungen - und du schließt die Alten ausPlane (sorge) für die Alten - und du schließt die Jungen einII.2.2. KleinräumigkeitGemeinsam mit ansässigen Mietern, Angehörigen der Älterenund kooperierenden Dienstleistern und Institutionen sollenWohnungsbaugesellschaft und NachbarschaftseinrichtungenInfrastrukturbedingungen schaffen, die ein Verbleiben im Wohnquartierin (fast) jeder Lebenslage ermöglichen.Dazu gehören:* Überblick verschaffen über Bedürfnis- und Problemlagen(besonders) der älteren Mieter. Hierbei ist die kostenneutraleBeteiligung von Universitäten und Fachhochschulenzu prüfen* Unkomplizierte Erreichbarkeit eines „Hilfelotsen“ beiaktuellen Problemen* Etablierung/Intensivierung von Nachbarschaftshilfe undhierfür notwendiger Strukturen* Sensibilisierung der Nachbarschaft für ProblemlagenÄlterer* Werbung und Begleitung von Freiwilligen/Ehrenamtlichen* Generationsübergreifende Mieterbeteiligung* Verfügbarkeit von Dienstleistungen, die geringere Mobilitätund Unterstützungsbedarf von Mietern berücksichtigen.Dies sind vorrangig ältere Menschen, aber auchBehinderte, Akutkranke, Mütter mit Kleinkindern, Grundschulkinderetc.* Barrierefreie, kommunikationsfördernde Gestaltung desUmfeldes.* Einrichtung einer Beratungsstelle in der Nachbarschaftseinrichtung* Realisierung von barrierefreien Wohnungen durch kostenträgerfinanzierteMaßnahmen - auch jenseits vonDIN 18025.Ein „sorgendes“ Gemeinwesen kommt über kurz oder lang an diesenKomponenten nicht vorbei. Welche der genannten Maßnahmenvordringlich realisiert werden sollen, sollte sich zum einen anden Bedürfnissen (vor allem) der älteren Mieter orientieren.II.2.3. SelbstorganisationWie die voran gegangenen Kapitel schon anzeigten, sollen diemeisten Maßnahmen von Betroffenen, Familienmitgliedern undNachbarn (mit) getragen werden. Wir haben (aus Erfahrung!) großesVertrauen in das Selbsthilfe- und Selbstorganisationspotenzial.Es bedarf aber häufig einer ordnenden Instanz, die das Engagementin Erfolg versprechende Aktionen führt. Dies ist die vorrangigeAufgabe der Projektpartner. Begleitend braucht es eine guteÖffentlichkeitsarbeit und Nachbarschaft stiftende „Events“. Wiedies im Einzelnen geschehen soll, ist im nächsten Kapitel beschrieben,in dem die einzelnen Bausteine vorgestellt werden.III. Bausteine von Community CareIII.1. Zentrale Anlaufstelle („Hilfelotse“) undTreffpunkt für ÄltereDie zentrale Komponente der altenfreundlichen Gestaltung einesWohnquartiers ist eine zentrale Anlaufstelle, die sich grundsätzlicherst einmal für Alles zuständig fühlt, d.h. jeden Unterstützungsbedarferfasst, bei Bedarf weitervermittelt und jeden eingeleitetenProzess bis zur Lösung im Auge behält und begleitet. Es ist sinnvoll,dass diese Anlaufstelle an eine bestehende Nachbarschaftseinrichtung„angedockt“ wird, weil diese alle Bewohner/innen desStadtteils im Blick hat und deswegen in besonderem Maße dafürgeeignet ist, integrativ zu wirken.Die Nachbarschaftseinrichtung kann die Bedingungen erfüllen,dass die Anlaufstelle* wohnortnah angelegt ist, so dass sie von Ratsuchenden,Nachbarn und Angehörigen schnell erreicht werdenkann* Vertrautheit ausstrahlt und Sicherheit vermittelt* niedrigschwellig ist, d.h. auch von Menschen in Anspruchgenommen werden kann, die keine speziellenZugangsvoraussetzungen haben.Die Nachbarschaftseinrichtung ist als kiezbezogener Treffpunktbesonders für mobilitätseingeschränkte Menschen eine Möglichkeit,„unter Menschen zu kommen“. Die Einrichtung muss sich aufdie besonderen Bedürfnisse dieser älteren Menschen einstellenund in ihrer Öffentlichkeitsarbeit um diese Besuchergruppebesonders werben, um ihrer neuen Zusatzfunktion gerecht zuwerden. Die Gestaltung von „Events“, die der Einbeziehung dieserZielgruppe in nachbarschaftliche Bezüge dienen, ist ein wichtigerBestandteil der „Werbestrategie“. Solche Veranstaltungen, die nebenihrer Funktion als Kommunikationsgelegenheit auch als Frühwarnsystemfür sich anbahnende Problemlagen genutzt werdenkönnen, brauchen eine sorgfältige Planung und eine durchdachteTransportlogistik. Nachbarschaftseinrichtungen und die Freundealter Menschen e.V. können ihre langjährigen Erfahrungen aufdiesem Gebiet einbringen und bringen gute Voraussetzungen füreinen erfolgreichen Verlauf des Vorhabens mit.Zusammengefasst übernimmt die Anlaufstelle folgendeFunktionen:* Koordinierungsstelle für Unterstützungs- und Sorgebedarf* Grundsätzliche Zuständigkeit „für Alles“* Kommunikationsort für alle Menschen im Wohnumfeld* Stützpunkt für beteiligte (Pflege-)Dienstleister* Während der Dienstzeiten Zielort für Notrufe, eventuellSchlüsseldepot* Koordinierungsstelle für freiwillige (nachbarschaftliche)HilfeleistungenIII.2. Einbindung externer ServicesDie Fortführung eines autonomen Daseins in der eigenen Wohnungscheitert bei vielen älteren Menschen an der Nicht-Erreichbarkeitalltäglicher Dienstleistungen.Ob Einkauf, Wäschepflege oder notwendige Behördengänge: essind häufig die „Kleinigkeiten“, die in ihrer Summe den Entschlusszum Verlassen des vertrauten Wohnumfeldes herbeiführen.Eine bewährte Strategie, diesen Prozess zu verhindern oder zumindestzu verzögern, ist die Einbindung verschiedenster Services,die die benötigten Leistungen am Wohnort erbringen.Beispiele hierfür sind:18


* Einkaufsdienste, Wäscheservice etc.* Wochenmärkte* Vermittlung von Reinigungskräften (evtl. als bezahlteNachbarschaftshilfe)* Behördensprechstunden vor Ort* Begleit- und Rollstuhlschiebedienste* Handwerkerdienste* Umzugshilfen ( z. B. bei Wohnungstausch)* Ambulante Pflegedienste (bei Bedarf )Es hat sich gezeigt, dass bei einer entsprechenden Schwerpunktsetzungim Wohnfeld die Anwerbung/Ansiedlung solcher Dienstemöglich ist, weil sie „sich rechnen“, zumindest ist eine gezielt<strong>eV</strong>ermittlung zu den Angeboten externer (auch außerhalb desBereiches <strong>sozial</strong>er Dienste) für alle Beteiligten von Vorteil.III.3. Etablierung/Intensivierung von NachbarschaftshilfeGrundsätzlich gilt: Nachbarschaft ist besser als ihr Ruf!Die Erfahrungen mit nachbarschaftlichen Unterstützungsleistungenzeigen, dass die Bereitschaft zur Hilfeleistung zunimmt, wenndie Last der Verantwortung überschaubar bleibt und im Hintergrundeine Instanz zur Verfügung steht, die mit Rat und Tat dieNachbarschaftshilfe koordiniert und unterstützt.Nachbarschaftshilfe kann und will nicht Dienstleistungen ersetzen,ist aber häufig eine wichtige Ergänzung um Vertrautheit undSicherheitsgefühl bei alten Mietern zu erhalten.Neben der vollständig freiwilligen und unentgeltlichen Nachbarschaftshilfekann es auch kleine nachbarschaftliche Hilfeleistungengeben, „die sich auszahlen“; sei es, dass einzelne Hilfen(z.B. Wohnungsreinigung) mit Geld honoriert werden oder dasseine Leistung eine Gegenleistung (z.B. Baby - Sitting) nach sichzieht. Hier ergänzen sich der Wunsch der älteren Mitbürger nachsinnvoller Tätigkeit („gebraucht werden“) und dem Wunsch jungerFamilien nach einem zuverlässigen Menschen zum Hüten vonKind, Wohnung oder Haustier.III.4. WohnraumanpassungEine funktionsgerechte Wohnung kann entscheidend zur Autonomieund damit zum Verbleib in derselben beitragen.Die Anlaufstelle braucht Kompetenz auf diesem Feld, um über dierichtigen Maßnahmen beraten zu können und als Schnittstelle zumöglichen Kostenträgern zu fungieren. Es geht darum, im Interessealler Beteiligten, den Zeitraum zwischen Planung, Finanzierungsklärungund Realisierung möglichst kurz zu gestalten. Jededieser Maßnahmen bedarf einer engen Begleitung des betroffenenälteren Menschen, da die Angst vor Schmutz, Lärm undÜbervorteilung durch ausführende Handwerker oft sehr groß sind.Neben möglichen Baumaßnahmen kommen in vielen Fällen verschiedenstetechnische Hilfsmittel in Betracht, die das Leben fürgehandicapte alte Menschen enorm erleichtern können. Vor allemHausnotrufsysteme und sonstige technische Features, die dieSicherheit verbessern, sollen den alten Mietern bekannt gemachtwerden.Für die beteiligte Wohnungsbaugesellschaft haben diese Maßnahmenden Vorteil, dass sie immer den Wohnwert und die Funktionalität(oft auch die Ästhetik) erhöhen und die Gesellschaftselbst keinen Cent kosten. Solche Maßnahmen steigern zudemdie Sensibilität für barrierefreies und damit menschenfreundlichesWohnen.III.5. Selbstorganisierte „Care-Units“In manchen Lebenslagen vermögen selbst alle vorgenanntenMaßnahmen nicht den Verbleib eines alten Menschen in dereigenen Wohnung. Vor allem bei demenziellen Erkrankungen (beidenen die Wahrscheinlichkeit bei Hochaltrigen bei ca. 30% liegt!)kommt auch ein gut organisiertes ambulantes Hilfesystem anseine Grenzen.Um dennoch einen Umzug in eine Pflegeeinrichtung und dasverlassen der vertrauten Nachbarschaft zu vermeiden, werden wirbei Bedarf kleine „Care-Units“ (Wohngemeinschaften) organisieren,in denen sich eine kleine Gruppe alter Menschen in einervertrauten Wohnumgebung von ambulanten Diensten rund umdie Uhr versorgen lassen kann. Als „Pionier“ dieser Wohnform hatder Verein Freunde alter Menschen im Verbund mit dem NachbarschaftsheimSchöneberg in Berlin hierfür profunde Erfahrungen.Wir legen sehr viel Wert auf diesen Baustein, weil erst mit ihm derWunsch, in der vertrauten Nachbarschaft alt werden (und auchsterben) zu können, Wirklichkeit wird.IV. Organisation und KooperationIV.1. Welche Kompetenzen sind gefragtDie Realisierung dieses anspruchsvollen Maßnahmenbündelsbedarf einer kontinuierlichen Präsenz und Begleitung. Wir präsentierennachfolgend unsere Kompetenzen in diesem Feld.Die Nachbarschaftseinrichtungen im <strong>Verband</strong> für <strong>sozial</strong>-<strong>kulturelle</strong><strong>Arbeit</strong> bringen die vielfältigen Erfahrungen ein, die sie erworbenhaben* durch die Organisation ehrenamtlicher Besuchsdienste* als Träger von Sozialstationen mit ambulanten Pflegediensten* als Anbieter von Familienpflege* als Träger von Tageseinrichtungen für Senioren* als Fortbildner von Ehrenamtlichen* als Anbieter hauswirtschaftlicher Dienste* als Kooperationspartner von Wohnungsgesellschaften* als Infrastruktureinrichtung für Tauschringe* als Träger von Selbsthilfekontaktstellen* als Anlaufstelle für Migrant/inn/enDer Verein Freunde alter Menschen bringt ein:* Ein eingespieltes Team von professionellen und freiwilligenMitarbeitern* Langjährige Erfahrungen im Umgang mit sorgebedürftigenÄlteren* Langjährige Netzwerkbeziehungen zu allen relevantenPartnern des Altenhilfesystems* Neutralität; keine Bindung an bestimmte Services* Professionelle Öffentlichkeitsarbeit; gute Beziehungenzu Presse, Funk und Fernsehen* Langjährige Erfahrungen in der Organisation gemeindenaherPflegeeinheitenV. AbschlussbemerkungIn diesem Konzept ist ein exemplarisches und zukunftsweisendesModell des quartiersnahen Managements von Problemen älterersorgebedürftiger Mieter angelegt.Der demographische Wandel und seine Auswirkungen auf dieMieterstruktur drängen die Gesellschaft und ihre Institutionenzu Reaktionen und Maßnahmen, die nicht ursprünglich in denStrukturen vorgesehen waren. Nach unserer Überzeugung sind integrativeKonzepte akzeptierter als externe Formen des „BetreutenWohnens“. Zudem sind wir der Überzeugung, dass eine entwickelteBürgergesellschaft es sich auf Dauer nicht leisten kann (wederfinanziell noch moralisch), ihre alten Mitglieder in speziellenEinrichtungen versorgen/entsorgen zu lassen.19


Eine Reise nach WIEN im Mai <strong>2004</strong>In partnerschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Wiener Hilfswerk und dem Nachbarschafts-und Selbsthilfezentrumin der ufafabrik Berlin wurde ein Wienaufenthalt für den Konzertchor Friedenau ( Chor des NachbarschaftsheimesSchöneberg) organisiert und durchgeführt..Sechzig der neunzig Mitglieder des erfolgreich unter professionellerLeitung von Rolf Ahrens jeden Mittwoch übenden mehrstimmigenChores übernahmen zeitlichen Aufwand ( Himmelfahrtwochenendevom Mittwoch dem 19.05. bis Sonntag den23.05.<strong>2004</strong> ) und finanzielle Mühen um sich per Flugzeug ( 1 Std ),(Nachtzug 12 Stunden), oder mit dem Pkw auf den Weg von Berlinnach Wien zu machen.Höhepunkt ein gemeinsame AuftrittHöhepunkt der Reise ist der gemeinsame Auftritt des BerlinerChores mit dem Ghana Minstrel Choir und dem Wiener Hilfswerkchor.„International Voices of Neighbourhood, eine musikalischeReise durch 3 Länder“Entstehung und Kreislauf des Wassers. Es ist auch als Regenmachendes Lied bekannt. Das bekamen wir alle zu spüren. Amnächsten Tag regnete es in Strömen in Wien.Der Ghana Minstrel Choir (17 Frauen, 7 Männer) sang, begleitetvon Saxophon, Rassel, Trommeln Amazing grace, Freude schönerGötterfunken und diverse Gospels, mit Inhalten zum Durchhaltender Apartheid in Südafrika und Dankeshymnen an Gott.Der Chorleiter erzählte zur Einstimmung, das Besondere an diesemChor sei, dass er Lieder singe, die früher von Sklaven entwickeltwurden, die musikalisch ihren Dank an Gott auszudrückenwollten, ohne singen zu können. Wichtig war dabei die Kommunikationmit anderen Talenten - rythmischen Trommeln, Rasseln,dem Hin und Herwiegen ihrer Körper.Zum Abschluss sangen die drei Chöre gemeinsam Amazing graceund Freude schöner Götterfunken in zwei Sprachen.Der Schluß des Konzertes war der Auftakt zu einer wundervollenBegegnung zwischen Menschen zwischen 16 und 82 Jahren ausdrei Nationen.Die Direktorin des Wiener Hilfswerkes hatte den ganzen Samstagmit einigen Mitarbeiterinnen und ihrer ehrenamtlich mittuendenTochter ein reichhaltiges Buffet vorbereitet. Das ließen sich alleschmecken und an jedem Tisch gab es Esser aus drei Ländern.Polka bis in die frühen MorgenstundenAnschließend tanzte der Student aus Ghana mit der Lehrerin ausBerlin Wiener Walzer und die Wiener Pensionärin mit dem BerlinerTechniker Polka bis in die frühen Morgenstunden.Natürlich tanzten auch fast alle anderen Anwesenden nach denKlängen der schönen blauen Donau.Unter diesem Titel gestalteten die drei Chöre aus drei Ländernim SkyDome des Wiener Hilfswerkes ein wundervollesKonzerterlebnis. Den Ehrenschutz (in Berlin heißt das Schirmherrschaft)hatte der Bezirksvorsteher Herr Mag Thomas Blimlingerübernommen. Zur Begrüßung teilte uns die Direktorin des WienerHilfswerkes, Frau Ursula Weber-Hejdmanek. mit, „er sei leider mitGipsfuß abwesend“.Dann startete der Nachbarschaftschor des Wiener Hilfswerkesunter der Leitung von Irene und Hannes Seidl mit fröhlichenund schrägen Liedern in Wiener Mundart.Eine Kostprobe:Tröpferlbad......Am vergaug‘nan Freitog woarn mia zwa im TröpfelbodDass Sie net dabeiwoarn, des is schod schod schod schodschod...Vom Zwanzigköpfigen Chor, mit Sängern zwischen 19 und 84Jahren waren leider fünf statt auf der Bühne im Spital.Als zweiter Chor sang der Konzertchor Friedenau (Chor desNachbarschaftsheimes Friedenau) unter der Leitung von RolfAhrens 12 Lieder aus 7 Ländern. Darunter ungewöhnlich und mitgroßer Leidenschaft vorgetragen, das Stück eines kanadischenKomponisten indianischer Herkunft“Miniwanka“ . Ein Stück überEinheitliche Meinung aller Teilnehmer: Das müssen wir wiederholen.Und so wird es hoffentlich 2005 in der ufafabrik in Berlin einKonzert der Nachbarschaftschöre aus Berlin und Wien geben.Am nächsten Tag machte Frau Dr. Weber - Hejtmanek die Gästeaus Deutschland mit den Einrichtungen des WHW vertraut.Die Landesgeschäftsstelle, die sich auf ca. 4000 qm Räumlichkeitenin der Schottenfeldgasse 29 in Wien - Neubau verteilt, beherbergtdie Geschäftsführung, die Abteilungsleitungen der <strong>sozial</strong>enDienste (Heimhilfe, Pflegehelfer, Krankenschwestern, Essen aufRädern, Tagesmütter, Haus - und Heimservice, Eventkoordination,etc. ), die Verwaltungseinheiten ( Lohnbüro, Controlling, Öffentlichkeitsarbeit,EDV, Facility Management, Sekretariat, Fundraising) sowie das ‚‘ Nachbarschaftshaus 7 ‚‘ mit Cafeteria, Garten undVeranstaltungssaal und nicht zuletzt das Großlager für gespendeteGüter für <strong>sozial</strong> Bedürftige.An Außenstellen besitzt das WHW ein Geriatrisches Tageszentrummit Schwerpunkt Schlaganfallpatienten, ein Tagesstrukturzentrum( EQUAL - Projekt für Langzeitarbeitslose ), sechs Seniorenwohngemeinschaftenmit Betreuung, die `` Spielothek ´´ ( Frühförderungseinrichtungfür Kinder mit besonderen Bedürfnissen ) und 9Nachbarschaftszentren in verschiedenen Wiener Bezirken.Begleitet von Zeichen und SymbolenDie Direktorin war gerade dabei, die unter kundíger Anleitungvon Zivildienern, haupt - und ehrenamtlichen Mitarbeitern zügigentstehende Innenhofterrasse zu begutachten und den mit derUnterschriftenmappe wartenden Assistenten immer wieder20


warten zu lassen, weil parallel gleich auch anderes zu organisierenwar.Die Gäste aus Berlin werden durch das Bürohaus geführt undbekommen staunend immer größere Augen . Die gepflegtenEtagen machen einen von eigenverantwortlich tätigen Menschenbelebten Eindruck( Dorfplatz , Post ). Die strukturierte <strong>Arbeit</strong> wird begleitet von Zeichenund Symbolen. So erhalten Mitarbeiter eine Eichhörnchen-Urkunde für besonders sparsames Wirtschaften. Viele Einrichtungsgegenständewurden als nicht mehr benötigtes Mobiliar ausanderen Unternehmen zusammengetragen. Dann wurden dieseTeile so geschickt und überleitend in das Mosaik des Betriebs integriert,als wären sie für diesen Zweck angefertigt worden. Wiederschimmert ein Symbol des Hilfswerkes durch.Das abgedruckte vierseitige Leitbild des Wiener Hilfswerkes wirdnoch viel eindrucksvoller von den Flurwänden widergespiegelt:Da ist eine farbige Wandmalerei mit den assoziationsreichen Wortenquer über dem Feuerlösch-Schlauchanschluß :Grün : Vielfalt, Vertrauen, Dunkelgrün : Zukunft, Prävention, Blau :Perspektive, Vision, Braun : Offenheit, Rot: Würde und Freude, Orange: Qualität, Freunde und die andere Begrenzung Gelb : Hand inHand, Leben, Miteinander : einzelne Optionen für eben verschiedeneMenschen ohne ihnen platt ein „ Hand in Hand miteinanderLeben „ überzustülpen.Es folgen jeweils abgewandelte Zeichnungen des variierten BuchstabenH im Namen Wiener Hilfswerk:Wachsen lassen : eine lächelnde Person wird an den Händengehalten von einem wachsenden Baum.Unterstützung : einer schiebt den Rollstuhl des Anderen.FotosDann sind da Fotos mit stimmungsvoll aufnehmenden Bildunterschriften:Zwei Hände erfassen einander, darunter :Ich mache meine Sache und Du machstDeine Sache. Ich bin nicht in dieser Weltum Deine Erwartungen zu erfüllen und Du bist nicht hier, um Dichnach mir zu richten. Du bist Du selbst und ich bin ich. Sollten wireinander begegnen, so ist es schön.Eine alte Hand ergreift eine junge Hand :Verbunden sein das heißt : an die anderendenken, das heißt, geben, teilen, helfen.In einer Flurecke hängt ein eindrucksvollgehäkeltes großes Netz, in welchemsich die Worte verfangen haben : Wirknüpfen ein Wissensnetz. Und wir BerlinerGäste nehmen wahr ein spontanes,freundliches <strong>sozial</strong>es Netz, welches sichuns anbietet, obwohl wir noch nie hierwaren. Die zuverlässige Organisation des Wiener Hilfswerkes erscheintauch in der Bildunterschrift von Clemens Fürst Metternich:StadtführungZwischen den Chorprobender Gäste aus Berlin werdensie von dem Leiter desNachbarschftszentrumsDonaustadt, Marko Iljic,auf einer Stadtführungzu Fuss kenntnisreich begleitet.Sein vorbereiteterRoutenplan enthält aucheinen Geschichtsüberblickim Vergleich Wien - Berlin. So läßt sich Wien bereits15 v. Chr. herleiten aus derBegründung des römischen Lagers Vindobona, Berlin wurde erstmalserwähnt 1237 (Cölln) und der Abzug der Alliierten geschah1955 in Wien und 1994 in Berlin.Museumsquartier :Die aus dem Jahre 1760 stammende Hofstallburg wurde 2001ergänzt durch zwei riesige Museumskuben und einen dahinterliegenden Riegelbau. Der kalksteinweiße Würfel zeigt auf 5400qm das umfangreiche österreichische Kunstschaffen des 19. und20. Jahrhunderts aus dem Besitz des Sammlers Rudolf Leopold:Egon Schiele, Klimt, Ära der Wiener Werkstätten, Bilder der Zwischen-undNachkriegszeit, auch afrikanische Kunst, Designerobjekteund Sonderausstellungen.Der mächtige graumelierte Basaltkubus auf der anderen Seite beherbergtauf neun Ebenen in Räumen der Höhlen - und Hallengrößedie moderne Kunst wie z. B. Installationen, Gemälde, mystischeSchiffsteile.Die Reithalle wird von zwei Theatern bespielt, die Kunsthalle dientals Werkstatt, Labor, Verhandlungsort. Es gibt ein Architekturzentrum,ein ZOOM Kindermuseum, das Tanzquartier mit Impulstanzveranstaltungen,das Tabakmuseum.Am Volkstheater vorbei mit Blick auf die riesigen Kunst- undNaturhistorischen Museen wandern wir zum Parlament. Deutlichsichtbar wird intensiv außen um das monumentale Gebäude derRingstraßenantike renoviert. Zwischenruf : Leider wird nur außenan der Institution gearbeitet und wir mögen uns doch unsereGedanken darüber machen, warum denn die eindrucksvolle Statueder Göttin der Weisheit Pallas Athene vor den Gebäude demParlament den Rücken zukehrt.Mit dem Abriss der Befestigungsanlagen bis 1857 entstehen sehrviele Gebäude mit der Anlage der Ringstraße in dem oben angedeutetenStil.. 1866 die Staatsoper, 1888 das neue Burgtheater,1883 das Parlament.Wir stehen nun auf dem Vorplatz des Rathauses, welches bis 1883entstand. Das monumentale Gebäude erstreckt sich auf 20 000qm mit einer fünftürmigen Hauptfassade und dem Mittelturm mit98 m Höhe plus 5,50 m Rathausmann, um die Votivkirche ( 97 m)dann doch zu überragen. Am 1. Mai <strong>2004</strong> waren auf dieser riesigenWo alles wankt und wechselt, ist vor allem nötig, dass irgendetwasbeharre, wo das Suchende sich anschließen, das Verirrte seineZuflucht finden könne.Ursula Weber - Hejtmanek beschreibt den Anspruch an alleMitarbeiter mit `` Haltung bewahren ´´. Sie möchte, dass alle eineAutobahn befahren, auch mal einzelne einen Rastplatz aufsuchenoder abseits die gleiche Richtung verfolgen aber bitte nicht eineandere Richtung einschlagen.21


Veranstaltungsanlage 100.000 Menschen aufmarschiert. In derVorweihnachtszeit entsteht hier ein riesiger Markt. Vis a vis daskonservative Burgtheater, welches großzügige staatliche Subventionengenießt. Nach dem Theatergenuß schreitet man über dielinke prunkvollen Feststiege hinab direkt zum Cafe Landtmannüber einem das Deckengemälde Gustav Klimts „ Vor dem Theaterin Taormina „An den Redoutensälen vorbei unter einer riesigen Kuppel hindurchist am Ende des nächsten Durchganges der Eingang zurSpanischen Reitschule. Der Lipizzaner Stall befindet sich in einemRenaissensgebäude. Bei einem Großbrand im Redoutensaal imJahr 1922 wurden die Pferde von Passanten in Sicherheit gebracht.Dem Ring entlang folgt die Unversität - die früheste Gründung1365 im heutigen deutschen Sprachraum -, deren Komplex andieser Stelle 1883 fertiggestellt wurde.Durch den Volksgarten spazieren wir Richtung Hofburg vorbei amBundeskanzleramt genannt Ballhausplatz. Im LeopoldinischenTrakt der Hofburg residiert heute der Bundespräsident. Bei derVereidigung einer Bundesregierung mußten die neuen Ministerschon einmal die Kellerverbindung zwischen Bundeskanzleramtund Präsidialamt wählen, weil Demonstranten den offiziellenZugang blockiert hatten.Wir wenden uns über den Heldenplatz der neuen Hofburg zu. Vonhier aus hat Hitler seine Rede nach dem Einmarsch gehalten. Nachneueren Recherchen hat niemand außer ihm an dieser Veranstaltungteilgenommen.Dort sind die Waffensammlung, die Sammlung alter Musikinstrumente,dasEphesosmuseum untergebracht. Im linken Bereich fanden dieOPEC und OECD Sitzungen statt.Ein weiterer Blick über die Schulter der Geschichte im imposantenHalbrund der neuen Hofburg :Die Monarchie hat 90 % der geführten Krieg verloren und deshalbden Spruch geschöpft :Glückliches Österreich - heirate !Wir wenden uns nun der alten Hofburg zu, tauchen ein in diezahllosen Durchgänge, schlendern an der Burgkapelle MariaeHimmelfahrt vorbei, wo die Haydn-,Mozart-oder Schubert-Messender Sängerknaben zelebriert werden, zum Schweizer Hof, dessenName herrührt von den Söldnern der Schweizer Wachsoldatengarde.Die Schatzkammer, die weltweit bedeutendste Sammlungihrer Art mit dem einzigenFast unversehrt erhaltenen Kronschatz des Mittelalters, lassen wirlinks liegen. Der Teil der geistlichen Schatzkammer assoziiert denAusspruch des kürzlich verstorbenen Kardinal König, dass er derKardinal der Katholiken sei aber nicht der Österreicher.Die Hofburg war die Winterresidenz und das Schloß Schönbrunnder Sommersitz der Könige.Während der Bombardierungen des II. Weltkrieges wurde ein Drittelder Innenstadt zerstört. Wien wurde 1945 von der roten Armeebefreit, die Russen nahmen viele Industrieanlagen mit nach Hause.Im Jahr 1955 wurde der Österreichische Staatsvertrag zwischenÖsterreich und den vier Besatzungsmächten im Schloß Belvedereunterzeichnet. Inhalt : Souveränität und immerwährende Neutralität.Wir passieren den schönsten Platz Wiens : auf dem Josefsplatzstehen die Paläste der wohlhabendstenFamilien der Stadt mit einer Quadriga über der Nationalbibliothek( www.onb.ac.at ) , die den Platz beherrscht. Der AugustinerStraße folgen wir bis zur Abertina. Das Gebäude mit Seidentapeten,Blattgold und Intarsienböden, mit barocken Kabinetten undklassizistischen Prunkräumen, Hollein Dachsegel und Rolltreppenbeheimatet unter anderem eine der drei weltweit bedeutendstenSammlungen an Handzeichnungen und Druckgrafiken.Auf einer der Eingangstreppen nimmt der gesamte Berliner ChorPlatz für eine Pause und ein Gesamtbild. An der Rückfront derStaatsoper, am Hotel Sacher vorbei machen wir uns nun auf denWeg zum Stephansplatz, dem Ziel unseres Spazierganges. Ab 1792wurde der dortige Platz neu geschaffen nachdem der Friedhofdort aufgelassen und alle Häuser rundherum abgerissen wurden.Eine Folge der Pestepidemie. Der Stephansdom ist mit seinemdritten gotischen Bau - begonnen 1304, einem Südturm mit 136,5m aus dem Jahr 1433 und fertiggestellt 1455 - erhalten gebliebenunter erheblichen Renovierungsmühen bis 1966 nach einemBrand im letzten Kriegsjahr 1945.Der Stadtführer Marko Iljic wird mit großem Applaus verabschiedet.Der Heurigenabend wird dem Chor spendiert durch die StadtWien. Angeregt durch eine weitere Chorprobe am Nachmittag,den faszinierenden Stadtspaziergang, diverse Sitzungen in denunnachahmlichen Kaffeehäusern fahren die Gäste mit der Bahnhinaus in ein Lokal, welches sicher nicht vielen Touristen bekanntist. Der Wein , das Essen, die bisweilen schräge bis bittersüßeSchrammelmusik regen zunächst die Teilnehmer des WienerHilfswerk Chores und dann den Friedenauer Konzertchor zuspontanen, geschulten Gesangsdarbietungen an. Die sind so gut,das Gäste von Nachbarveranstaltungen sich blicken lassen nachdem Verklingen der letzten Töne und mit feuchten Augen vondem gehörten Liedgut schwärmen. Da sind viele Funken übergesprungen.Renate Wilkening, Harald Hübner22


Internationale IFS-Konferenz Toronto <strong>2004</strong>Unter dem Thema „Building Inclusive Communities“ fand vom 18. bis 23. Juni <strong>2004</strong>in Toronto die 20. internationale IFS-Konferenz statt.Eins zu eins übersetzt heißt Building Inclusive Communities:„einschließende“ Gemeinden, Kommunen, Wohnorte aufbauenund errichten. Gemeint ist: Kommunen so zu gestalten, dass alleMenschen, die in ihnen leben, einbezogen sind in das <strong>kulturelle</strong>,<strong>sozial</strong>e und politische Geschehen und es mit gestalten. Menschenunterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe und -von hoher Bedeutung-unterschiedlicher Religion (siehe Diskussion über Muslime:„Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber die meisten Terroristensind Muslime“, Zitat eines führenden Moslems)Ob es möglich ist „Inclusive Communities“ zu schaffen, hängt vonvielfältigen Faktoren ab. In erster Linie von den Menschen selbst:• Wie weit sind sie bereit, sich zu engagieren, für ihreeigenen Bedürfnisse und Interessen und für die Bedürfnisseund Interessen ihrer Nachbarn?• Welche Infrastruktur befördert verantwortliches Miteinander?• Was müssen Stadtplaner berücksichtigen, bevor neueWohnviertel entstehen?• Was muss umgestaltet werden in alten Wohnvierteln?• Unter welchen Bedingungen engagieren sich Menschenund für was?• Wie gehen Menschen mit Konflikten innen und außenum?• Und.....welche Rolle spielen die Nachbarschaftshäuser,Settlements und Community Centers in diesem Prozess?Und zwar: überall auf der Welt?Diese Aspekteeines schierunerschöpflichenThemasdiskutierten 360Teilnehmerinnenaus insgesamt36 Nationen und4 Kontinentenin insgesamt 39workshops und8 Plenumsdiskussionenmitspannenden undanregenden Vorträgen.Zur Illustration hier die Titel und Kurzbeschreibungen einigerexemplarischer workshops:• „Beyond words: shaping your images of inclusion“ hierwurden mit handwerklichen nonverbalen MethodenVorstellungen der Teilnehmerinnen zu „Inclusiveness“erarbeitet.• oder:“ Changing the circumstances, not the people“: dieBedingungen ändern, nicht die Menschen, das sprichtfür sich!• oder: „International lessons in community Building andDemocracy.“In diesem Workshop wurden Beispiele internationalerZusammenarbeit von Nachbarschaftszentren inAmerika und Europa mit <strong>sozial</strong>en Akteuren in China,Rumänien und Lettland vorgestellt. Dabei ging es umein breites Themenspektrum: von der Nutzung „<strong>sozial</strong>enKapitals“, über die Einbeziehung von Frauen in politischeEntscheidungsprozesse bis zum Aufbau des neuenerweiterten Europa - auf der Basis bürgerlicher Rechteund zivilgesellschaftlicher Strukturen.Die Workshops wurden zumgroßen Teil geleitet von Aktivender Nachbarschafts- und Gemeinwesenzentrenaus den jeweiligenLändern bzw. Städten. Das machtedas Zuhören und Mitmachenanschaulich und praktisch.Der Deutsche Beitrag zu den Workshopslautete: „Artists as agents of change“ undDer Bürgermeisterverdeutlichte am Beispiel der ufafabrik Berlin, wie und mit welchenMöglichkeiten Künstler und Handwerker einen Beitrag zurVeränderung der Lebensbedingungen in einem Stadtteil leistenkönnen. Mit dem Mut zu ungewöhnlichen Schritten (Besetzungeines Geländes) und der Begeisterung fürs Theaterspielen undBrotbacken haben 1979 ca. 100 Menschen für sich selbst und auchfür andere eine liebens- und lebenswerte Stadtoase geschaffen,die heute noch dazu beiträgt, einen Stadtteil attraktiv zu machenfür junge und alte Menschen, Familien und Singles jeder Herkunft.Teil der Konferenzprogramms war ein Empfang beim Bürgermeistervon Toronto, David Miller. Neben einem Büfett mit Köstlichkeitenaus aller Herren und Frauen Länder war die politische „visionand mission“ des Bürgermeisters die Proklamation eines „NeighbourhoodsFirst Day“, einem Tag, an dem künftig Jahr für Jahr am22. Juni die Bedeutung der Nachbarschaft (und damit auch der<strong>Arbeit</strong> der Nachbarschaftszentren) gefeiert werden soll.Unser internationaler Dachverband IFS hat beschlossen, nachdiesem Beispiel in allen Ländern die Bürgermeister oder andereRepräsentanten dazu zu bewegen, einen solchen Tag der Nachbarschaftenauszurufen. .Die Delegierten des <strong>Verband</strong>es, die in Torontoversammelt waren, nahmen den Auftrag mit in ihre Heimat,in diesem Sinne auf ihre jeweiligen Regierenden einzuwirken.Ein weiterer Bestandteil der Konferenz war ein internationalesJugendtreffen, an dem sich ca. 30 Jugendliche beteiligten, davonauch eine zweiköpfige Delegation aus der Hauptstadt von goodold Germany. Die Jugendlichen erfuhren durch den Besuch diverserNachbarschafts- und Jugendeinrichtungen, wie Jugendliche inToronto leben, welche Ideen und auch welche Probleme es gibt.Was haben wir mitgenommen? Die Bestärkung, auf einem Wegweiter zu gehen, der heißt: Menschen sind eigenverantwortlich,sie benötigen keine besser wissenden Profis, die sie an die Handnehmen und es für sie richten, sondern vor allem Mittel und Möglichkeiten,um ihr Leben selbst so gestalten zu können, wie sie esfür richtig halten.Und für einander da zu sein und miteinander zu leben, zu arbeitenund zu genießen.Die Autorin selbst hat viel gelernt von den Beispielen der Kollegenund Kolleginnen aus anderen Ländern - und das war auch eineÜbung in Demut und Respekt vor dem herausragenden Engagementder Akteure der Nachbarschaftsarbeit in Ländern, in denenkein Cent von staatlicher Seite für ihre <strong>Arbeit</strong> rollt (in Südamerika,China und einer Reihe von osteuropäischen Ländern).Renate WilkeningGeschäftsführerin des Nachbarschafts- und Selbsthilfezentrums(NUSZ) in der ufafabrik Berlin - und seit der Mitgliederversammlungin Toronto Mitglied des „board of directors“ (= Vorstand)von IFS23


Toronto - IFS -KonferenzCity of TORONTONeighbourhoods First DayA Celebration of NeighbourhoodCentresJune 22, <strong>2004</strong>Whereas:Toronto is a city of diverse and vibrant neighbourhoods. It is the collectiveenergy and enthusiasm of people in communities, working togetherthat make our city an inclusive, equitable and safe and caring place tolive, work and play; andWhereas:Neighbourhood Centres mobilize skilled staff and volunteers to shapelocally-directed services and community education initiatives for allresidents, with particular attention to the needs of vulnerable andmarginalized community members; andWhereas:Neighbourhood Centres are important partners that work collaborativelywith the City of Toronto to advance its social development, equityand access, health promotion and anti-discrimination objectives; andWhereas:the social support and connections fostered through NeighbourhoodCentres are building blocks of our civil society. They providefoundations for mutual support, social cohesion and civic engagementin our democratic processes.Now therefore:I, Mayor David Miller, on behalf of Toronto City Council, do herebyproclaim June 22, <strong>2004</strong> as „Neighbourhoods First Day. A Celebrationof Neighbourhood Centres“ to recoynize the invaluable contributionsNeighbourhood Centres make to the life of our City.Mayor David Miller24


Die Auswirkungen von Besuchen deutscher <strong>sozial</strong>er Aktivistenim Londoner Settlement „Toynbee Hall“auf Entstehung und Konzeption der deutschen NachbarschaftsheimbewegungTeil 2 unserer Archiv-/Geschichts-Serie(Dieser Beitrag ist die deutsche Fassung eines Referates, das auf „Ersten internationalen Konferenz zur Geschichte derSettlement-Bewegung“, im Juli <strong>2004</strong> in London (im Settlement Toynbee-Hall) gehalten wurde.)Die Anfänge der Settlement-BewegungDie explosionsartige weltweite Ausbreitung der Settlement-Bewegungin den ersten dreißig Jahren ihres Bestehens (1884-1914)ist ein faszinierendes Phänomen. Handelt es sich doch um einenradikal neuen und existenziell herausfordernden Ansatz, sich mitder sog. „<strong>sozial</strong>en Frage“ zu beschäftigen.Der Grundgedanke war, dass Menschen der höheren Klassenin den Wohnquartieren der Armen, der unteren Schichten, derneu Eingewanderten, der <strong>Arbeit</strong>er - heute würde man sagen in„Wohngebieten mit besonderem Erneuerungsbedarf“ oder kurz„QM“-Gebieten - siedelten („settelten“), also ihren Wohnsitz nahmen,um mit ihnen zusammen (als Nachbarn) zu leben und ihnenetwas von dem abzugeben, dessen Besitz ihr Privileg war: Wissen,Bildung, Lebensart.Trotz - oder gerade wegen - dieser Radikalität verbreitete sich derSettlement-Gedanke mit rasender Geschwindigkeit. Das ersteTeilnehmeinnen und Teilnehmer auf derinternatioalen Geschichtskonferenz vorder Toynbee Hall <strong>2004</strong>So war es auch inDeutschland: Die Adaptionder Settlement-Ideein diesen ersten dreißigJahren der weltweitenBewegung sah zwei Startversuchevon Bedeutung.Daneben gab es nocheinige weniger bekannteund kurzlebigereGründungen - z.B. inBerlin-Charlottenburg dasvon Studenten ins Lebengerufene „Siedlungsheim“(in dem u.a. WalterBenjamin und Gershom Sholem verkehrten) und das jüdisch<strong>eV</strong>olksheim im Berliner Scheunenviertel (in dem die Verlobte vonFranz Kafka als ehrenamtliche Mitarbeiterin tätig war).Deutsche GründungenZurück zu den gewichtigeren Gründungen, die die nach dem2. Weltkrieg erneut ins Leben gerufenen „Nachbarschaftsheime“gewissermaßen als ihre Vorfahren betrachten dürfen.Diese beiden größeren Startversuche wurden von verschiedenenAkteuren, in verschiedenen Städten, vor unterschiedlichem sozioökonomischenHintergrund, mit unterschiedlichen Konzepten,aber mit einer Gemeinsamkeit unternommen: beide Gründerwaren Besucher von Toynbee Hall gewesen und orientierten sichan dem, was sie dort gesehen und erfahren hatten.Samuel Barnett und seine Mitstreiter vor der Toynbee Hall 1884Settlement, Toynbee Hall, wurde 1884 gegründet, wenige Wochenspäter folgte Oxford House, ebenfalls in London. Nur ein paarJahre später gab es Hunderte von Settlements in mindestens 12Ländern - und fast alle hatten ihre Gründungsimpulse direkt oderindirekt von Toynbee Hall erhalten.Insbesondere die herausragenden Persönlichkeiten, die dabeieine Rolle spielten und die alle charismatische Führungsgestaltenwaren, sind direkte Besucher von Toynbee Hall gewesen und habenihre Einrichtungen unter dem Eindruck des Besuchs in diesemSettlement gestartet.Das gilt für Stanton Cott, der 1886 das erste Settlement in NewYork gegründet hat, das zuerst den Namen Nachbarschaftsgilde(„Neighbourhood Guild“) trug und später in University Settlementumbenannt wurde - unter diesem Namen bestehtdie Einrichtung übrigens bis heute . Das giltfür das Hull House in Chicago mit seiner GründerinJane Addams, langjährige Vorsitzende desspäter gegründeten Internationalen <strong>Verband</strong>esder Settlements (IFS) und Trägerin des Friedensnobelpreisesvon 1931.Jane AddamsBeispiel 1:Walter Classen und das HamburgerVolksheimDer erste Pionier mit diesem Muster war Walter Classen aus Hamburg,ein junger Theologe, der von dem reichen Fabrikbesitzerund Politiker Heinrich Traun gesponsert wurde. Dieser ermöglichtees ihm, nach Abschluss seines Studiums 1899 in der Welt herumzufahren,um sich Anregungen für die Entscheidung zu holen,was er als nächstes in seinem Leben tun könnte. Auf dieser Reisekam er auch nach London, wo er für ein halbes Jahr in ToynbeeHall wohnte. Anschließend kam er nach Deutschland zurück undschrieb ein Buch mit dem Titel „Soziales Rittertum in England“, indem er seine Toynbee-Hall-Erfahrungen verarbeitete und diesesBeispiel in den höchsten Tönen lobte. Ihn hatten insbesondereder „Geist wahren Christentums“ und die vornehme und ehrbareHaltung derjenigen Angehörigen der Oberklasse beeindruckt, die- wie es Samuel Barnett, der Gründer von Toynbee Hall ausdrückte- „ihr Bestes mit den Armen zu teilen“ bereit waren.In Hamburg versuchte Classen Mitstreiter für seine Idee zu finden,nach englischem Beispiel das erste Settlement auf deutschem25


26Boden zu gründen. Aber Hamburg war nicht London, die Klassenwidersprüchewaren sichtbar, aber nicht so extrem wie z.B. inWhitechapel. Die <strong>sozial</strong>e Segregation hatte noch nicht so extremeFormen angenommen wie in London, wo zwischen dem unerhörtreichen Westen und dem extrem verarmten Osten unsichtbareGrenzen lagen, die in beiden Richtungen kaum überquert wurden.In Hamburg gab es deswegen nicht diese unbändige Bereitschaftjunger Intellektueller, einen solchen gewaltigen Schritt zu gehenwie die englischen Kollegen und sich tatsächlich in die Stadtviertelder Armen zu bewegen, um dort mit ihnen zu leben. Es gelangWalter Classen nicht, Anhänger für seine Idee zu rekrutieren. SeineReaktion darauf war recht pragmatisch: Er änderte einfach dasKonzept. Anstelle eines wirklichen Settlements (im Sinne vonAnsiedlung) sollte es jetzt nur noch eine Art Gemeinwesenzentrumin einem <strong>Arbeit</strong>erviertel sein, dem er den Namen „Volksheim“gab. Dies Zentrum sollte ein Ort der Erholung und Bildung sein- mit einem besonderen Schwerpunkt in der Kinderarbeit (Kindertagesbetreuung,Klubs, Ferienreisen etc.). Verglichen mit demToynbee-Hall-Beispiel hat Classen nur Teilaspekte des Vorbildesverwirklicht. Er war weniger idealistisch, mehr pragmatisch undkompromissbereit.Diese Grundhaltung hat sich auch auf andere Aspekte der Volksheimarbeitausgewirkt, z.B. bei der Örtlichkeit. Samuel Barnett undseine Anhänger hatten sich bewusst und absichtlich für ihr Settlementdie schlimmst mögliche Gegend in London ausgesucht.Der berühmt-berüchtigte Serienkiller Jack the Ripper hat nichtzufällig - etwa zur gleichen Zeit - all seine Morde in einem Umkreisvon wenigen hundert Metern rund um Toynbee Hall begangen.Bildungsbemühungen im <strong>Arbeit</strong>erviertelDas Engagement der Settler in dieser äußerst finsteren Gegendwar durch den Erwerb eines Grundstückes und den Neubau einesHauses von vornherein auf lange Dauer angelegt. Walter Classenhingegen legte großen Wert darauf, in einem <strong>Arbeit</strong>erviertel zustarten, in dem noch nicht Hopfen und Malz verloren wären, sondernin dem man auf eher besser situierte Teile der <strong>Arbeit</strong>erschaftstoßen würde, die man mit seinen Bildungsbemühungen bessererreichen zu können glaubte. Er schuf keinen Neubau, er kauftekein Haus, ja er mietete noch nicht einmal ein Haus sondern begnügtesich mit der Nutzungserlaubnis für einige Räume in einemGeschäftsgebäude, das nicht voll vermietet war und das seinemSponsor und Wohltäter gehörte, der bereit war, es kostenfrei zurVerfügung zu stellen, daran allerdings auch Bedingungen knüpfte,auf die man sich beim englischen Vorbild nicht eingelassen hätte.Die Finanzierungsgrundlage von Toynbee Hall bestand aus relativkleinen Beiträgen einer großen Anzahl von Spendern. Das gabToynbee Hall eine relativ große Unabhängigkeit. Das HamburgerVolksheim musste demgegenüber in erheblichem Maße auf dieWünsche seiner wenigen einflussreichen Sponsoren Rücksichtnehmen. Diese versuchten z.B. auf die Programmgestaltung Einflusszu nehmen. Sie wollten verhindern, dass im Volksheim politischeDebatten veranstaltet würden - ein wesentlicher Bestandteilder Toynbee-Hall-Kultur. Die Hamburger-Volksheim-Gönner, Fabrikbesitzerund Kaufleute, fürchteten, solche politischen Debattenkönnten zur Verbreitung aufrührerischen <strong>sozial</strong>demokratischenGedankengutes führen und das wollten sie auf keinen Fall unterstützen.An diesem Punkt blieb Classens übrigens standfest undwehrte Versuche der Sponsoren zur direkten Programmbeeinflussungab, aber er war sich ihrer Erwartungshaltung im Allgemeinensehr bewusst und bemühte sich, alles zu vermeiden, was ihreUnterstützung gefährden konnte.Walter Classen hatte das Volksheim seit 1901 ehrenamtlich geleitet.Inzwischen hatte er seine Ausbildung abgeschlossen und einPfarramt übernommen. Jetzt, im Jahre 1906, schien es ihm an derZeit, seine Kraft voll und ganz dem Volksheim zur Verfügung zustellen und sein kirchliches Amt aufzugeben. Er war der Überzeugung,dass es ihm als nicht durch die Amtskirche gebundenen„Laien“ eher möglich sein würde, an die <strong>Arbeit</strong>er heranzukommen,die sich gegenüber allem, was mit der offiziellen Kirche zusammenhing,sehr ablehnend verhielten. Der Ansatz des Volksheimswar zwar auf die religiösen Überzeugungen seiner Aktivistengegründet, aber er war weder religiös noch missionarisch. Aufdiese Weise konnte das Volksheim sehr viel wirkungsvoller aufdas Denken und die Überzeugungen der einfachen Menscheneinwirken.Von 1906 bis 1913 war Classen bezahlter hauptamtlicher Mitarbeiterdes Volksheims. Das brachte neue Probleme mit sich, weildie finanzielle Situation des Volksheims durchgehend angespanntwar und sich ab 1909 nach dem Tod seines Hauptsponsors weiterverschärfte. Von dem Gehalt allein, das das Volksheim zahlenkonnte, war es nicht möglich, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.1913 gab Classen auf und nahm eine Stelle im öffentlichenDienst an, um später an die Schule zu wechseln und Lehrer zuwerden. Er übernahm auch Lehraufträge an der Universität, woer in der Ausbildung angehender Religionslehrer tätig war. 1927wurde er aufgrund dieser Aktivitäten zum Ehrendoktor ernannt,1931 wurde ihm darüber hinaus der Professortitel verliehen.Indirekt kam er durch seine Lehrtätigkeit wieder in den Wirkungsbereichder Amtskirche zurück, deren Reihen er zugunsten seines<strong>sozial</strong>en Engagements einmal verlassen hatte. Der einflussreichekonservative Flügel der Kirche war damit nicht einverstanden. InsbesondereClassens Idee, <strong>sozial</strong>es Handeln ohne religiöse Vorbedingungensei der beste Weg, dem Beispiel Jesu zu folgen, war fürsie theologisch und politisch nicht akzeptabel. Die Stunde dieserKonservativen kam nach der sog. Machtergreifung der National<strong>sozial</strong>isten.Sie konnten ihren Einfluss geltend machen und mitzu der Entscheidung beitragen, Classen alle Lehrgenehmigungenzu entziehen. Diese Entscheidung wurde als vorzeitige Pensionierungverbrämt, um sie weniger anstößig erscheinen zu lassen.Weitere Volksheime orientiert am Hamburger VorbildAuch wenn das Volksheim nicht von so starken und radikalenÜberzeugungen geprägt war wie Toynbee Hall, konnte es docheine vegleichsweise große Wirkung entfalten. Zuerst in Hamburg,wo sein Einfluss sich auf andere Stadtteile ausweite, in denenIFS-Konferenz in Paris 1925. Im Vordergrund sitzend: Jane Addamsmehrere Zweigstellen des Volksheims entstanden. Aber auch inanderen Städten Deutschlands wurden Volksheime gegründet,die sich auf das Hamburger Vorbild beriefen (in Karlsruhe, Leipzig,Worms und Stuttgart). 1925 wurde das Volksheim Mitglied der„Deutschen Vereinigung der Nachbarschaftssiedlungen“, unseresVorläuferverbandes. Als dessen Delegierter nahm Walter Classenan der Konferenz des Internationalen Dachverbandes (IFS) teil, die1932 in Berlin stattfand.Die Organisation Volksheim überlebte die Nazi-Zeit, indem sie sichnoch weiter von den Ideen entfernte, die einmal zu ihrer Gründunggeführt hatten. Fragen der Sozialreform wurden gänzlichvon der Tagesordnung gestrichen. Die Organisation konzentriertesich ganz auf <strong>kulturelle</strong> Aktivitäten, die nicht im Konflikt mit dem


Regime standen. So waren es erst dieBombenteppiche des II. Weltkrieges,die zur Zerstörung der Besitztümerdes Volksheims führten. Nach demKrieg fanden sich einige alte Freundeund Mitglieder des Volksheims zusammen, um seine Aktivitätenwieder neu zu starten. Aber der Schwerpunkt des Volksheimsblieb die Kulturarbeit. Das fand seinen sinnfälligen Ausdruck darin,dass die Organisation ihren Namen in „Kulturelle VereinigungVolksheim“ änderte. Diese Organisation war noch bis mindestensin die siebziger Jahre hinein Mitglied unseres <strong>Verband</strong>es (des<strong>Verband</strong>es Deutscher Nachbarschaftsheime, später umbenanntin <strong>Verband</strong> für <strong>sozial</strong>-<strong>kulturelle</strong> <strong>Arbeit</strong>). Sie existiert noch heute- in der Selbstdarstellung vor allem als Träger des „Theaters inder Marschnerstr.“, eines sehr aktiven und gut ausgestattetenAmateurtheaters. Neben dem Theater betreibt der Verein nochzwei Kindertagesstätten und eine Ferieneinrichtung außerhalbder Stadt.Vermittlung zwischen den „Volksklassen“Walter Classen, Führungsgestalt und ideologischer Kopf derOrganisation, hatte enge Verbindungen zum politischen Liberalismus.Er wurde Anfang des letzten Jahrhunderts Mitglied einer derliberalen politischen Parteien und trat nach dem II. Weltkrieg derneugegründeten Freien Demokratischen Partei bei. Seine Vorstellungenwaren, wie das oft bei Liberalen der Fall ist, voller Widersprüche.Auf der einen Seite ist er offen für die Idee der <strong>sozial</strong>enReform, auf der anderen Seite ist er darum bemüht, den unterenVolksklassen zu vermitteln, dass ihren Interessen dadurch am bestengedient sei, dass sie sich als Teil einer VOLKSGEMEINSCHAFTsähen: obere und untere Klassen bildeten zusammen das VOLK, siesollten in Frieden miteinander leben und jeweils von ihrer Positionaus für das gemeinsame Wohlergehen wirken. Die Idee einer solchenVolksgemeinschaft, in der die Klassengegensätze relativierterscheinen, bekam einen gewaltigen Schub zu Beginn des erstenWeltkrieges - man denke an Kaiser Wilhelms II berühmten Satz „Ichkenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“, mitder die Sozialdemokratie im wahrsten Sinne des Wortes hoffähiggemacht wurde und dessen Begleiterscheinung der Verzicht der<strong>Arbeit</strong>erbewegung auf ihre internationalistischen Bestrebungensowie ihre Bereitschaft war, mit den oberen Klassen gemeinsamfür die deutschen nationalen Interessen in den Krieg zu ziehen.Diese chauvinistische Wendung mutet wie eine Karikatur der Zielsetzungendes Toynbee-Hall-Gründers Samuel Barnett an, dem esauch darum gegangen war, die Gegensätze zwischen oberen undunteren Klassen zu überbrücken, aber der sich darunter vorstellte,die Klassengegensätze zu überwinden und nicht zu zementieren.Beispiel 2:Friedrich Siegmund-Schultze und dieSoziale <strong>Arbeit</strong>sgemeinschaft Berlin-Ost.Friedrich Siegmund-Schultze warwie Walter Classen Theologe. Er hatteim Jahre 1908 gerade sein Studiumbeendet, als er in ein Austauschprojektmit England einbezogen wurde.Eine Delegation von Kirchenleutenaus Deutschland war nach EnglandFriedrich Siegmund-Schultze eingeladen worden und eine Delegationaus England sollte ein Jahr späterzu einem Gegenbesuch nach Deutschland kommen. Siegmund-Schultze wurde von der deutschen Seite die Verantwortung fürOrganisierung und Programmgestaltung dieser Besuchsreisenübertragen. Gleichzeitig machte er erste Erfahrungen als Pfarrer ineinem Berliner <strong>Arbeit</strong>erbezirk.Sein Londonbesuch 1908 brachte Siegmund-Schultze in Kontaktmit Toynbee Hall. Er war tief beeindruckt von dem, was er beiseinem kurzen Besuch sah und von dem, was er über die <strong>Arbeit</strong>von Toynbee Hall gelesen hatte, vor allem, weil er eine MengeÄhnlichkeiten zwischen der Situation der Armen in Ost-Londonund in Berlin sah, wie er sie durch seine <strong>Arbeit</strong> in Berlin-Mittekennengelernt hatte. Insbesondere spürte er die gleiche Abwehrdieser Menschen gegen jede Art von Predigen. Er war überzeugtdavon, dass die „Settler“ die richtige Konsequenz aus dieser Erfahrunggeschlossen hatten und freundete sich in den nächsten dreiJahren mehr und mehr mit der Idee an, ein deutsches Settlementnach dem Vorbild von Toynbee Hall ins Leben zu rufen.Siegmund-Schultze galt als ausgesprochen begabter junger Theologe.Darüber hinaus hatte er sehr gute Beziehungen zu einflussreichenLeuten im Kaiserreich. Der Weg zu einer glänzenden Karrierein der offiziellen Kirche stand ihm weit offen. Nach zwei JahrenPfarramtstätigkeit in Berlin-Mitte wurde er Pfarrer in Potsdam- in der Kirchengemeinde des Kaisers. Dieses Amt bekleidete ervon 1910 bis 1911. Diese Position, in der er sich ausschließlich umdas Seelenheil der Angehörigen der oberen Klassen zu kümmernhatte, stand für ihn in scharfem Kontrast zu den Erfahrungen, dieer in den vorausgegangenen Jahren gemacht hatte. Er fand es unbefriedigend,sein Leben und seine Schaffenskraft ausschließlichdiesen Menschen und den Ansprüchen, die sie an ihn hatten, zuwidmen. Deswegen begann er neben seiner Tätigkeit in Potsdamdamit, an den Voraussetzungen zu arbeiten, ein ‚wirkliches Settlement‘in der dunkelsten und schwierigsten Gegend im OstenBerlins zu gründen. Er propagierte diese Idee und fand - anders alsWalter Classen - genügend Menschen, die bereit waren, mit ihmzu gehen und genügend Förderer, um die Idee zu verwirklichen.1911 entschied sich Siegmund-Schultze, sein Amt in Potsdamaufzugeben und mit seinen Anhängern in den Berliner Osten zuziehen, nicht ohne vorher noch einmal über den Ozean zu fahrenund Jane Addams im Hull House in Chicago zu besuchen und vonden praktischen Erfahrungen dieses berühmten Settlements zulernen, das ja auch von Jane Addams Besuch in Toynbee Hall imJahre 1887 inspiriert worden war.Ehrenamt statt HauptamtSiegmund-Schultze lehnte es ab, einebezahlte Position in seinem Settlementzu übernehmen. Es war ihm wichtig,diese <strong>Arbeit</strong> ehrenamtlich zu leisten. Daswurde ihm durch eine sehr großzügigeSpende des damals reichsten Mannesder Welt, des amerikanischen IndustriellenCarnegie, ermöglicht. Dieser war so interessiert an der <strong>Arbeit</strong>des sogenannten „Vereinigten Kirchenkomitees für Friedensbeziehungenzwischen Großbritannien und Deutschland“, das alsErgebnis der gegenseitigen Besuche 1908 und 1909 gegründetworden war, dass er dessen Zeitung freigiebig unterstützte, derenHerausgeber Siegmund-Schultze wurde. So wurde dieser für seineHerausgeber- und Redaktionstätigkeit bezahlt und konnte der„Sozialen <strong>Arbeit</strong>sgemeinschaft“ (SAG) als Ehrenamtlicher dienen.So nannte sich die 1913 förmlich gegründete Trägerorganisationdes Settlements.Die konkrete <strong>Arbeit</strong> hatte viele Ähnlichkeiten mit der des Volksheimsin Hamburg und mit der von Toynbee Hall in London:Bildungsveranstaltungen und -kurse, Klubs vor allem für Kinderund Jugendliche, Foren für Debatten (politische Debatten nichtausgeschlossen, sondern im Gegenteil besonders gewünscht, incl.der Einladung an Vertreter der Sozialdemokratie), <strong>kulturelle</strong> undFreizeit-Aktivitäten. Die Aktivitäten der Sozialen <strong>Arbeit</strong>sgemeinschaftwaren nicht auf ein Zentrum beschränkt, sondern fandenin einer Reihe von Mietobjekten statt, die anfangs alle in derselben Straße lagen, später auch in anderen Straßen des gleichenWohnbereiches.27


Siegmund-Schultze und bis zu zwanzig seiner Anhänger, vor allemjunge Akademiker in der Abschlussphase ihres Universitätsstudiumsoder in der ersten Zeit nach ihrem Examen, folgten SamuelBarnett in seiner Grundidee, nämlich tatsächlich ihren Wohnsitzim Elendsquartier zu nehmen und mit den notleidenden Menschenals ihre Nachbarn zu leben und den Gegensatz zwischenoberen und unteren Klassen durch unbedingtes persönlichesEngagement zu überbrücken. Diese Haltung ihrer Aktiven war fürdie Wirkung der Sozialen <strong>Arbeit</strong>sgemeinschaft sehr viel wichtigerals die Einzelheiten ihres Programms. Das Programm wurde nichtals Selbstzweck gesehen, sondern als eine Methode, durch die derpersönliche Kontakt der <strong>Arbeit</strong>sgemeinschaftsmitglieder mit denNachbarn ermöglicht werden sollte.Das war auch der Grund, weshalb die SAG eine sogenannte Kaffeeklappeaufmachte, einen niedrigschwellige offene Einrichtungmit keinem speziellen Programm, deren Angebot sich vor alleman die am schlechtesten bezahlten <strong>Arbeit</strong>er richtete, die sich keineeigene Wohnung leisten konnten, sondern als „Schlafburschen“nur die Miete für die stundenweise Benutzung eines Bettes aufbringenkonnten, das sie sich schichtweise mit anderen Nutzernteilen mussten. Diese Menschen hatten sonst keinen Ort, andem sie ihre begrenzte freie Zeit verbringen konnten, außer denunzähligen Kneipen mit ihrer ungesunden Kultur von AlkoholundTabakkonsum. In der Kaffeeklappe gab es die Möglichkeit,seine Zeit bei nicht-alkoholischen Getränken und einem kleinenImbissangebot zu verbringen, ohne jede Verpflichtung. Darin unterschiedsich diese Einrichtung auch von ähnlichen Angebotender Heilsarmee, wo zumindest ein gewisses Maß an christlichenLippenbekenntnissen gefordert wurde.Exkurs: Die Kinder- und Jugendarbeit der SAG und dieRolle von Wenzel HolekBesonderen Wert legte die SAG auf Kinder-und Jugendaktivitäten in Form vonGruppenarbeit. Klubs wurden ins Lebengerufen, die aus 10 bis 15 Kindern oderJugendlichen bestanden, die jeweils voneinem Erwachsenen angeleitet wurden,meistens einem der jungen Akademiker,die in der Wohnung der SAG lebten.Die Jugendarbeit hatte eine besondereBedeutung für die SAG, weil die „Siedler“, diese neuen Nachbarn,mit einigem Argwohn und einer Menge Skepsis von den Menschenbeobachtet wurden, denen zuliebe sie in den <strong>Arbeit</strong>erbezirkgezogen waren. Es war sehr viel leichter, an die Kinder undJugendlichen heranzukommen und so entstand die Idee, dieBeziehung zu ihnen auszubauen, um auf diesem Wege die Elternzu erreichen.Folgen des 1. Weltkrieges 1914Jedoch der 1. Weltkrieg, der 1914 ausbrach, hatte eine Nebenwirkung,die sich massiv auf die weitere Entwicklung der Jugendarbeitin der SAG auswirken sollte: Junge Akademiker standenfortan nicht mehr zur Verfügung, sie wurden eingezogen und inden Krieg geschickt. Um dennoch mit der strategisch wichtigenJugendarbeit fortzufahren, entschied sich Siegmund-Schultzeabweichend vom ursprünglichen Konzept, einen bezahltenhauptamtlichen Jugendarbeiter einzustellen, der eine außergewöhnlichePersönlichkeit war und der später eine führende Rollein der SAG spielen sollte als lebendiges Beispiel dafür, dass dieKluft zwischen den Klassen überbrückt werden könnte. Der Namedieses Jugendarbeiters war Wenzel Holek, 1916, als er zur SAGkam, schon 52 Jahre alt. Holek stammte nicht nur aus einer <strong>Arbeit</strong>erfamilie- sein Vater war ein Tagelöhner aus Böhmen, damals Teildes Österreich-Ungarischen Reiches, er war auch selbst für dengrößten Teil seines Lebens als ungelernter „Wanderarbeiter“ durchdie Welt gezogen und hatte das Schicksal der untersten Schichtender <strong>Arbeit</strong>erschaft am eigenen Leibe erlebt.Holek war in intellektuellen Kreisen, sofern sie sich für das Denkenund die Psychologie der <strong>Arbeit</strong>erklasse interessierten, sehrbekannt, weil es ihm ermöglicht worden war, im Jahre 1909 seineAutobiographie zu schreiben und zu veröffentlichen (Lebensgangeines deutsch-tschechischen Handarbeiters). Durch Vortragstätigkeitim Anschluss an diese Veröffentlichung war Holek mit demLeipziger „Volksheim“ in Kontakt gekommen, in dem man ihn mitdem Aufbau einer Jugendarbeit betraut hatte. Vor dieser Zeit warHolek ein Aktivist in der <strong>Arbeit</strong>erbewegung gewesen und der <strong>sozial</strong>demokratischenPartei beigetreten, deren Mitglied er bis an seinLebensende blieb, auch wenn er sich von der Idee des Klassenkampfesabwandte und sich die Settlement-Vorstellung zu eigenmachte, das gegenseitige Verständnis und die Zusammenarbeitvon Mitgliedern der oberen und unteren Klassen anzustreben.Das war möglich auf der Basis seiner christlichen Grundüberzeugungen.Unter Nutzung von Holeks doppeltem Hintergrund wurde es derSAG sehr erleichtert, Kontakt zu den <strong>Arbeit</strong>ern im armen OstenBerlins aufzunehmen. Er sprach ihre Sprache, er kannte ihreHaltungen. Er stellte schon in seiner eigenen Person die Brückezwischen den Klassen dar, die die Settlements in der ganzen Weltsich zu bauen bemühten, eine enorme Aufgabe, die für die meistenSettlements nur sehr schwer zu bewältigen war.Soziale <strong>Arbeit</strong>sgemeinschaften (SAG)Die SAG war sehr einflussreich in Berlin, sie wuchs schnell undwurde in immer mehr Aspekte der Wohlfahrtsarbeit einbezogen.Ihre Ideen verbreiteten sich über ganz Deutschland, und inwenigen Jahren gab es ähnliche Soziale <strong>Arbeit</strong>sgemeinschaften invielen anderen Städten in Deutschland (Barmen, Bielefeld, Breslau,Frankfurt/Main, Görlitz, Halle, Jena, Leipzig, Marburg, Nieski, Stettin,Vlotho und Wernigerode).Friedrich Siegmund-Schultze blieb der Leiter der Organisation bis1933, aber das war nicht die einzige Aufgabe, der er sich widmeteund die ihren Ursprung in dem deutsch-britischen Kirchenaustauschder Jahre 1908 und 1909 hatte. Zwei weitere Tätigkeitsfelderleiteten sich aus diesen Anfängen ab: die Friedensarbeit(Siegmund-Schultze wurde der Sekretär des Versöhnungsbundes)und die ökumenische Verständigung zwischen Christen unterschiedlicherBekenntnisse.1932 war die SAG Gastgeber der 4. Internationalen Konferenz desInternationalen <strong>Verband</strong>es der Settlements (IFS) im Ulmenhof inBerlin-Wilhelmshagen. Die Tagung stand unter dem Motto: „DerEinfluss der gegenwärtigen Krise auf die <strong>Arbeit</strong> der Settlements“.Friedrich Siegmund-Schultze hatte den Vorsitz dieser Konferenz,deren Teilnehmer sich der näher rückenden Bedrohung für alleFormen friedlicher <strong>sozial</strong>er Reform und friedlichen Zusammenlebensder Völker bewusst waren angesichts der aufkommendenfaschistischen Gefahr in Europa und besonders in Deutschland.Nach der Machtübernahme durch die National<strong>sozial</strong>isten1933, kurz nach der Machtübernahme durch die National<strong>sozial</strong>isten,wurde Siegmund-Schultze verhaftet und ins Exil gezwungen- wie viele andere führende Aktive der Sozialen <strong>Arbeit</strong>sgemeinschaften.Die Außenstellen dieser Organisation in den anderen deutschenStädten brachen schnell zusammen und stellten ihre Tätigkeitein. In Berlin konnte die Soziale <strong>Arbeit</strong>sgemeinschaft etwas längerüberleben, indem sie ihren Tätigkeitsbereich auf eine reine Wohltätigkeitsarbeit,vor allem mit behinderten Menschen, einschränkte.Darüber hinaus schloss sie sich der Inneren Mission an, die alschristliche Wohlfahrtsorganisation auch unter dem neuen Regimelegal blieb, das ansonsten keinerlei Aktivitäten außerhalb seinereigenen direkten Kontrolle zuließ. Im Jahre 1940 wurde die SAGschließlich doch verboten, ihr Besitz wurde konfisziert. Nur das28


In Toynbee Hall war man über die Kritik von Werner Picht nichterfreut - und wie ich bei der Konferenz in diesem Sommer feststellenkonnte, hat sich der Unmut über seine Äußerungen bisheute nicht gelegt. In der regelmäßigen Zeitschrift von ToynbeeHall, den Toynbee Records, hat es im März 1914 eine Kritik seinesBuches gegeben, die wohl ein Verriss war. Leider fehlt der entsprechendeBand im Archiv von Toynbee-Hall, sodass ich über Detailsdieser Kritik der Kritik leider nichts herausbekommen konnte.Aber in einer späteren Ausgabe der Toynbee Records aus demgleichen Jahr wird unter Bezug auf diese Kritik ein Brief ausDeutschland an den Herausgeber veröffentlicht. Dieser Briefstammt von Friedrich Siegmund-Schultze und liest sich wie einlebendiger Gegenbeweis gegen die Warnung von Werner Picht,dem Beispiel von Toynbee-Hall zu folgen: Siegmund-Schultze berichtetin dem Brief darüber, dass mit der Gründung der Sozialen<strong>Arbeit</strong>sgemeinschaft Berlin-Ost in Deutschland ein Settlemententstanden sei, dass sich strikt am Beispiel von Toynbee-Hallorientiere und damit großen Erfolg habe.TraditionslinienWas hat das alles mit uns heute zu tun? Wo sind die Verbindungslinienvon dem, was vor 100 Jahren geschehen ist und nach 1933weitgehend zum Erliegen kam, zu den heutigen Nachbarschaftshäusernund dem <strong>Verband</strong> für <strong>sozial</strong>-<strong>kulturelle</strong> <strong>Arbeit</strong>?Da gibt es zum einen die ideengeschichtliche Verbindung, die inder Mitgliedschaft im Internationalen <strong>Verband</strong> (IFS) auch einen organisatorischenAusdruck gefunden hat. Da gibt es zum anderenaber auch eine direkte Kontinunität, die über Personen vermitteltist, die vor 1933 und nach 1945 in der Nachbarschaftsheimbewegungeine Rolle gespielt haben.Von den Mitgliedern und Freunden des Hamburger Volksheimswar schon die Rede. Jetzt noch zwei Beispiele aus dem Zusammenhangder Sozialen <strong>Arbeit</strong>sgemeinschaft.Da ist vor allem Herta Krauss zu nennen, die als junge Frau in derBerliner Sozialen <strong>Arbeit</strong>sgemeinschaft unter Siegmund-Schultzemitgearbeitet hat, bevor sie vom damaligen Kölner OberbürgermeisterKonrad Adenauer im Jahre 1922 als Sozialdezernentinnach Köln geholt worden ist. Herta Kraus hatte einen jüdischenfamiliären Hintergrund und war während des I. Weltkrieges zumQuäkertum konvertiert. Den Nazis galt sie weiterhin als Jüdin, waszur Folge hatte, dass sie 1933 Deutschland verlassen musste. Sieging in die USA, wo sie bald eine wichtige Rolle an der Quäkeruniversitätbekam, wo sie angehende Sozialarbeiter/innen unterrichtete.Herta Kraus verfasste während des zweiten Weltkrieges jenesMemorandum an die amerikanische Regierung, in der der Aufbauvon Nachbarschaftsheimen im künftigen Nachkriegsdeutschlandvorgeschlagen wurde. Und sie war es auch, die u.a. gegenüberdem in Berlin residierenden General Clay hartnäckig daraufbestand, dass die entsprechenden Beschlüsse der amerikanischenRegierung auch wirklich umgesetzt wurden, als es soweit war.Dafür kam sie mit einer Quäker-Delegation nach Deutschland. Imübrigen blieb sie nach dem Krieg in Amerika. Ohne die Aktivitätenvon Herta Kraus gäbe es wahrscheinlich unseren <strong>Verband</strong> heutenicht!Elisabeth von HarnackEine zweite Person möchte ich nocherwähnen: Dr. Elisabeth von Harnack. In derWeimarer Zeit war sie wie ihre SchwesterAgnes ehrenamtliche Mitarbeiterin derSAG gewesen. 1932 taucht sie auf der Teilnehmerlisteder Internationalen Nachbarschaftsheim-Konferenzin Berlin auf. Vonallen Teilnehmerinnen und Teilnehmerndieser Konferenz ist sie die einzige, dieauch an der Konferenz von 1956 teilnimmt,die 1956 im NachbarschaftsheimUrbanstr. stattfindet. Elisabeth von Harnack ist nämlich zu diesemZeitpunkt Vorstandsmitglied dieses Nachbarschaftsheims, nachdemsie zuvor mit den zu Begründerinnen des Nachbarschaftsheimsin Neukölln und des Nachbarschaftsheims Schöneberggehört hatte. Von ihr, die sich nach Zeitzeugenberichten, in derRegel ziemlich still im Hintergrund aufgehalten hat, ist überliefert,dass ihre ständige Redewendung war, die Nachbarschaftsheimemüssten sich ein Beispiel an den Engländern nehmen. Der familiäreHintergrund von Elisabeth von Harnack ist interessant. Sie istdie Tochter von Alfred von Harnack, einem bekannten Theologenund Wissenschaftler, der als geistlicher Lehrer von Walter Classenund als väterlicher Freund und Gönner von Friedrich Siegmund-Schultze gilt. (Die beiden haben zusammen Boccia gespielt). ArvidHarnack von der Widerstandsgruppe Harnack/Schulze-Boysenalias „Rote Kapelle“ ist ihr Vetter. Ihr Bruder Erich gehörte als vonden Nazis aus dem Staatsdienst entfernter Jurist dem <strong>sozial</strong>demokratischenWiderstand an und wurde nach dem 20. Juli 1944verhaftet und hingerichtet. Erich von Harnack war familiär mitder Familie Bonhöffer verbunden und so liefen über ihn wichtigeKontakte zwischen dem protestantischen und dem <strong>sozial</strong>demokratischenWiderstand gegen den National<strong>sozial</strong>ismus. Die Familievon Harnack war mit Albert Schweitzer befreundet und Elisabethvon Harnack setzte sich später im Nachbarschaftsheim Urbanstr.erfolgreich dafür ein, dass dort jährliche Kleidersammlungen fürdessen Urwaldhospital in Lambarene durchgeführt wurden.Und so schließt sich mehrfach der Kreis: Mit Albert Schweitzerpersönlich befreundet war nämlich auch die Mutter von WernerPicht. Und dieser schrieb das vielbeachtete und auch ins Englischeübersetzte Buch „Leben und Denken von Albert Schweitzer“. UndAlbert Schweitzer, wir erinnern uns, bekam den Friedensnobelpreisgenau 21 Jahre später verliehen als Jane Addams, nämlichim Jahre 1952.Herbert Scherer30


GlücksSpiraleDer <strong>Rundbrief</strong> erscheint mitfinanzieller Unterstützungder Glücksspirale

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