Leben in Nachbarschaft bis ins hohe AlterCommunity Care in einem urbanen Wohnquartier- Projektskizze -Kurzfassung des Projekts:Die Gesellschaften in allen westlichen Industrienationen werden älter.Die hier vorgelegte Projektskizze beschreibt eine humane Strategie, wie ein Gemeinwesendurch die Nutzung nachbarschaftlicher Netze und ein intelligentes Care - Management indie Lage versetzt wird, seine älteren Mitbürger - auch in existenziell schwierigen Lebenslagen- zu integrieren und die Übersiedlung in Pflegeeinrichtungen zu verhindern. NachbarschaftlicheNetze bedeuten die Einbeziehung unentgeltlicher und geringfügig bezahlternachbarschaftlicher Hilfeleistungen, Care - Management bedeutet in diesem Projekt di<strong>eV</strong>ernetzung vorhandener Ressourcen und die Entwicklung neuer selbst organisierter HilfeundPflegeeinheiten.Das Projekt ist so angelegt, dass alle Altersgruppen von diesem Prozess profitieren könnenund dass sich letztendlich ein neues Bewusstsein von Altern und Nachbarschaft entwickelnkann. Last but not least wird deutlich werden, wie Community Care Selbstorganisation undbürgerschaftliches Engagement innerhalb eines Gemeinwesens befördern kann.Zukunftsweisend ist dabei die enge Kooperation mit einer Wohnungsbaugesellschaft undeiner Vielzahl von Services.Geplanter Projektbeginn: Frühjahr 2005Projektende: Frühjahr 2008, erste Evaluation Mitte 2006Projektpartner: <strong>Verband</strong> für <strong>sozial</strong>-<strong>kulturelle</strong> <strong>Arbeit</strong> e.V. - Freunde alter Menschen e.V.Übersicht:I. ProblembeschreibungII. Ziele, Prinzipien und EssentialsIII. BausteineIV. Organisation und KooperationI. ProblembeschreibungI.1. Die Situation älterer Menschen inurbanen GemeinwesenImmer mehr Menschen wollen dort alt werden, wo sieschon lange wohnen.Obwohl wünschenswert und nachvollziehbar, birgt der Wunsch,im vertrauten Wohnquartier alt zu werden, eine Reihe von Risiken.Bereits heute erhält ein großer Teil der Älteren keine Unterstützungsleistungen(mehr) von Familie, Freunden oder nachbarschaftlichemUmfeld - ein Trend, der durch die Zunahme vonSingle-Haushalten in die Zukunft verlängert und verstärkt wird.Durch den Ausbau ambulanter Pflegedienste konnte zwar die Zeitzu Hause erheblich verlängert werden, bei komplexen Problemlagen(z.B. einer demenziellen Erkrankung des alten Menschen)bleibt jedoch oft als scheinbar einzige Möglichkeit die Übersiedlungin ein Pflegeheim.I.2. Die Infrastruktur ist nicht altenfreundlichDie Ursachen für diesen vermeintlichen Automatismus liegen aufvielen Ebenen:Wohnungen, die nicht (mehr) bedarfsgerecht sind, ein ausgedünntesDienstleistungsangebot und eine zunehmend anonymeNachbarschaftsstruktur verstärken Tendenzen zur Abhängigkeitvon professionellen Hilfesystemen bei gleichzeitigem Verlust vonMöglichkeiten der selbst bestimmten Lebensführung. Der betroffenealte Mensch und sein Umfeld sehen unter diesen Umständenhäufig keine andere Lösung als den Umzug in eine Institution.Gewünscht ist dieser Umzug in den meisten Fällen nicht.I.3. Die Nachbarschaft ist überfordertNachbarschaftliche und familiale Hilfeleistungen, die durchaushäufiger vorkommen als gemeinhin angenommen, können aufDauer nur tragfähig bleiben, wenn keine Abhängigkeiten entstehenund die Last der Verantwortung nicht allein auf den Schulterneiniger weniger ruht. Das gilt sowohl für die Familienmitglieder(meist Ehepartner oder Töchter/Schwiegertöchter) als auch für dieNachbarschaft.In Kombination mit einem verlässlichen professionellen Hintergrundsystemist und bleibt familiale und nachbarschaftliche Hilfe(nicht nur) für alte Menschen eine tragende Säule im Gemeinwesen.I.4. Neue Akteure sind gefragtBis in die Gegenwart gelten Problemlagen alter Menschen alseine Sache, um die sich die Familie oder die Wohlfahrt kümmert.Wir haben schon festgestellt, dass beide damit längst überfordertsind. Die Wohnungswirtschaft - die den größten Teil der alten16
Menschen beherbergt - wird zunehmend mit der Situation ihreralten Mieter konfrontiert und ist gefordert, Aufgaben zu übernehmen,die nicht im Bereich ihrer Kernkompetenzen liegen.Aus der Verantwortung gegenüber den Mietern heraus aber auchzunehmend aufgrund wirtschaftlicher Zwänge (aktueller oderdrohender Leerstand) müssen auch Wohnungswirtschaftsunternehmennach Lösungen suchen, alt gewordenen Mietern dasWeiterleben in ihrem Quartier zu ermöglichen. Sie werden damitzu neuen Akteuren/Partnern in einem Handlungsfeld, das bislangWohlfahrtsorganisationen vorbehalten war.I.5. Ein bedarfsgerechtes und barrierefreiesUmfeld tut NotUnsere städtebaulichen Strukturen sind nicht für alte Menschenkonzipiert.Einkaufsmöglichkeiten sind häufig nur mit dem Auto zu erreichen,Zugangswege sind nicht barrierefrei oder schlecht beleuchtet, Bewegungsflächenund Ausstattung der Wohnungen (vor allem derBäder) sind nicht funktionsgerecht. Abhilfe ist mit relativ geringenMitteln zu schaffen und es lassen sich Effekte erzielen, die durchausauch für jüngere Mieter attraktiv sein können. Ein lebendigesund „sorgendes“ Gemeinwesen ist und bleibt ein Standortvorteilfür jedes Wohnquartier. Ein barrierefreier Zugang zum Haus gefälltnicht nur dem gehbehinderten alten Menschen, sondern auch derMutter mit Kinderwagen.I.6. Die alten NachbarnI.6.1. Die „Go-go‘s“Die älteren Menschen selbst sind eine äußerst heterogeneGruppe. Je länger die dritte Lebensphase dauert, desto stärkerdifferenzieren sich Unterschiede aus.Die agilen (die sog. Jungen Alten oder „go-go‘s“) suchen Chancen,den dritten Lebensabschnitt sinnvoll zu gestalten - und diesdurchaus im Dialog mit jüngeren Generationen. Sie sind keineAdressaten von Angeboten, die einen „Sozialtouch“ haben, aberdurchaus zugänglich für Service- und „Wellness“-Angebote. Wiebei den nachfolgend genannten auch, ist dieser Status nichtzwangsläufig an ein bestimmtes Lebensalter gebunden, findetsich naturgemäß aber häufiger bei jüngeren Alten.I.6.2. Die „Slow-go‘s“Alte Menschen mit eingeschränktem Aktionsradius aufgrund körperlicherGebrechen (die „slow-go‘s“) laufen Gefahr zunehmendisoliert zu werden und haben häufig alltagspraktische Probleme.Vor allem die adäquate Versorgung mit Dienstleistungen (Einkauf,Reinigung von Wohnung und Kleidung, Arzt- und Frisörbesuchetc.) und Freizeitangeboten gestaltet sich häufig schwierig. Beidieser Gruppe muss vor allem die Versorgung mit niedrigschwelligenService- und Unterstützungsleistungen organisiert werden.In dem Lebensabschnitt, in dem solche Gebrechen drohen, sindbesonders Frauen zudem häufig vom Verlust des Lebenspartners- und damit der wichtigsten Kontaktperson - betroffen. Damitdrohen Isolation, Vereinsamung und entsprechende psychischeFolgeerscheinungen (Depressionen). Bei diesen Menschen erlangtdie (Re-) Aktivierung von familialen und nachbarschaftlichen Kontaktenhohe Priorität. Auch hier gilt, dass dieser körperliche Statusnicht automatisch an ein bestimmtes Labensalter gebunden ist,aber häufig bei den „mittleren Alten“, also den 70 - 80jährigeneintritt.I.6.3. Die „No-go‘s“Eine dritte Gruppe schließlich, die von Pflegebedürftigkeit betroffenenoder bedrohten alten Menscheni, sind in besonderer Weiseexistenziell gefährdet. Ihnen drohen Rückzug von Freunden undNachbarschaft (und damit Kontaktverlust und Isolation), Verlustvon Autonomie, Abhängigkeit und psychische Folgeerscheinungenwie Depressionen etc. Hiervon sind besonders die Hochbetagtenoder solche alten Menschen betroffen, die einen Schlaganfall(Apoplex) hatten.I.6.4. Die „No-know‘s“Eine zahlenmäßig immer größer werdende Gruppe in allen westlichenIndustrienationen sind die von demenziellen Erkrankungenbetroffenen alten Menschen. Dieses Risiko betrifft vornehmlichHochaltrige, ist aber nicht auf diesen Personenkreis beschränkt.Bei dieser Gruppe ist die Gefahr des Verlusts der eigenen Wohnungund der Institutionalisierung am höchsten. Das traditionelleambulante Hilfesystem mit seinen sporadischen Einsätzen istnicht in der Lage, diese Menschen adäquat zu versorgen. MitIhrem hohen Potential an Selbst- und Fremdgefährdung sinddiese alten Menschen auch für Familie und Nachbarschaft eineÜberforderung und nicht selten auch eine latente Bedrohung.I.6.5. Die bedrohten AltenDieses grobe Raster der Einteilung der älteren Generation wirdderen Vielfältigkeit und ihren unterschiedlichsten Bedürfnissennur annähernd gerecht. Es soll an dieser Stelle auch lediglich dazudienen, die möglichen Zielgruppen gemeinwesenorientierterInterventionen zu identifizieren.Es liegt nahe, primär die beiden letztgenannten Gruppen (die„no-go‘s und die „no-knows“) in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeitzu rücken. Sie sind es, die am ehesten davon bedrohtsind, ihre vertraute Nachbarschaft verlassen zu müssen. Die einen,weil Wohnung und Umfeld nicht mehr funktionsgerecht sind, dieanderen, weil konventionelle Maßnahmen des ambulanten Versorgungssystemsnicht mehr ausreichen, um eine verantwortbareund angemessene Versorgung zu gewährleisten.Beide Gruppen wären mit einer intelligenten und vernetzten (ambulanten)Versorgungsstruktur in der Lage (bzw. zu motivieren), inihrem Quartier zu bleiben.Das nachfolgend beschriebene Konzept versucht, die Bausteinedieses Konzepts zu beschreiben und die Systemvoraussetzungenzu benennen, unter denen es erfolgreich intervenieren kann.II. Ziel, Prinzipien und Essentials desProjektsII.1. Ziel des ProjektsZiel des Projekts „Community Care“ ist es, die verschiedenen Determinanteneines befriedigenden und selbst bestimmten Alternsin einem quartierbezogenen Ansatz „unter einen Hut“ zu bringen.Abhängigkeiten sollen vermieden bzw. reduziert werden, Autonomiesoll gestärkt, Mobilität gefördert und die Unterbringung ineiner Institution verhindert werden.„Quartierbezogen“ heißt auch, alle anderen Altersgruppen andiesem Konzept zu beteiligen. Ohnehin profitieren alle Generationenvon den im Folgenden beschriebenen Prinzipien undMaßnahmen.II.2. Prinzipien des ProjektsII.2.1. IntegrationOberstes Prinzip des Projekts ist der integrative Ansatz, d.h. alle anfallendenBedarfslagen älterer Menschen am Wohnort zu befriedigen.Integrativ heißt auch, alle - auch nur am Rande - betroffenenanderen Mitbewohner an diesem Prozess zu beteiligen. Das sindin erster Linie Familien und Nachbarn, aber auch Ärzte, ambulante17