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Rundbrief 2/2004 - Verband für sozial-kulturelle Arbeit eV ...

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Regime standen. So waren es erst dieBombenteppiche des II. Weltkrieges,die zur Zerstörung der Besitztümerdes Volksheims führten. Nach demKrieg fanden sich einige alte Freundeund Mitglieder des Volksheims zusammen, um seine Aktivitätenwieder neu zu starten. Aber der Schwerpunkt des Volksheimsblieb die Kulturarbeit. Das fand seinen sinnfälligen Ausdruck darin,dass die Organisation ihren Namen in „Kulturelle VereinigungVolksheim“ änderte. Diese Organisation war noch bis mindestensin die siebziger Jahre hinein Mitglied unseres <strong>Verband</strong>es (des<strong>Verband</strong>es Deutscher Nachbarschaftsheime, später umbenanntin <strong>Verband</strong> für <strong>sozial</strong>-<strong>kulturelle</strong> <strong>Arbeit</strong>). Sie existiert noch heute- in der Selbstdarstellung vor allem als Träger des „Theaters inder Marschnerstr.“, eines sehr aktiven und gut ausgestattetenAmateurtheaters. Neben dem Theater betreibt der Verein nochzwei Kindertagesstätten und eine Ferieneinrichtung außerhalbder Stadt.Vermittlung zwischen den „Volksklassen“Walter Classen, Führungsgestalt und ideologischer Kopf derOrganisation, hatte enge Verbindungen zum politischen Liberalismus.Er wurde Anfang des letzten Jahrhunderts Mitglied einer derliberalen politischen Parteien und trat nach dem II. Weltkrieg derneugegründeten Freien Demokratischen Partei bei. Seine Vorstellungenwaren, wie das oft bei Liberalen der Fall ist, voller Widersprüche.Auf der einen Seite ist er offen für die Idee der <strong>sozial</strong>enReform, auf der anderen Seite ist er darum bemüht, den unterenVolksklassen zu vermitteln, dass ihren Interessen dadurch am bestengedient sei, dass sie sich als Teil einer VOLKSGEMEINSCHAFTsähen: obere und untere Klassen bildeten zusammen das VOLK, siesollten in Frieden miteinander leben und jeweils von ihrer Positionaus für das gemeinsame Wohlergehen wirken. Die Idee einer solchenVolksgemeinschaft, in der die Klassengegensätze relativierterscheinen, bekam einen gewaltigen Schub zu Beginn des erstenWeltkrieges - man denke an Kaiser Wilhelms II berühmten Satz „Ichkenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“, mitder die Sozialdemokratie im wahrsten Sinne des Wortes hoffähiggemacht wurde und dessen Begleiterscheinung der Verzicht der<strong>Arbeit</strong>erbewegung auf ihre internationalistischen Bestrebungensowie ihre Bereitschaft war, mit den oberen Klassen gemeinsamfür die deutschen nationalen Interessen in den Krieg zu ziehen.Diese chauvinistische Wendung mutet wie eine Karikatur der Zielsetzungendes Toynbee-Hall-Gründers Samuel Barnett an, dem esauch darum gegangen war, die Gegensätze zwischen oberen undunteren Klassen zu überbrücken, aber der sich darunter vorstellte,die Klassengegensätze zu überwinden und nicht zu zementieren.Beispiel 2:Friedrich Siegmund-Schultze und dieSoziale <strong>Arbeit</strong>sgemeinschaft Berlin-Ost.Friedrich Siegmund-Schultze warwie Walter Classen Theologe. Er hatteim Jahre 1908 gerade sein Studiumbeendet, als er in ein Austauschprojektmit England einbezogen wurde.Eine Delegation von Kirchenleutenaus Deutschland war nach EnglandFriedrich Siegmund-Schultze eingeladen worden und eine Delegationaus England sollte ein Jahr späterzu einem Gegenbesuch nach Deutschland kommen. Siegmund-Schultze wurde von der deutschen Seite die Verantwortung fürOrganisierung und Programmgestaltung dieser Besuchsreisenübertragen. Gleichzeitig machte er erste Erfahrungen als Pfarrer ineinem Berliner <strong>Arbeit</strong>erbezirk.Sein Londonbesuch 1908 brachte Siegmund-Schultze in Kontaktmit Toynbee Hall. Er war tief beeindruckt von dem, was er beiseinem kurzen Besuch sah und von dem, was er über die <strong>Arbeit</strong>von Toynbee Hall gelesen hatte, vor allem, weil er eine MengeÄhnlichkeiten zwischen der Situation der Armen in Ost-Londonund in Berlin sah, wie er sie durch seine <strong>Arbeit</strong> in Berlin-Mittekennengelernt hatte. Insbesondere spürte er die gleiche Abwehrdieser Menschen gegen jede Art von Predigen. Er war überzeugtdavon, dass die „Settler“ die richtige Konsequenz aus dieser Erfahrunggeschlossen hatten und freundete sich in den nächsten dreiJahren mehr und mehr mit der Idee an, ein deutsches Settlementnach dem Vorbild von Toynbee Hall ins Leben zu rufen.Siegmund-Schultze galt als ausgesprochen begabter junger Theologe.Darüber hinaus hatte er sehr gute Beziehungen zu einflussreichenLeuten im Kaiserreich. Der Weg zu einer glänzenden Karrierein der offiziellen Kirche stand ihm weit offen. Nach zwei JahrenPfarramtstätigkeit in Berlin-Mitte wurde er Pfarrer in Potsdam- in der Kirchengemeinde des Kaisers. Dieses Amt bekleidete ervon 1910 bis 1911. Diese Position, in der er sich ausschließlich umdas Seelenheil der Angehörigen der oberen Klassen zu kümmernhatte, stand für ihn in scharfem Kontrast zu den Erfahrungen, dieer in den vorausgegangenen Jahren gemacht hatte. Er fand es unbefriedigend,sein Leben und seine Schaffenskraft ausschließlichdiesen Menschen und den Ansprüchen, die sie an ihn hatten, zuwidmen. Deswegen begann er neben seiner Tätigkeit in Potsdamdamit, an den Voraussetzungen zu arbeiten, ein ‚wirkliches Settlement‘in der dunkelsten und schwierigsten Gegend im OstenBerlins zu gründen. Er propagierte diese Idee und fand - anders alsWalter Classen - genügend Menschen, die bereit waren, mit ihmzu gehen und genügend Förderer, um die Idee zu verwirklichen.1911 entschied sich Siegmund-Schultze, sein Amt in Potsdamaufzugeben und mit seinen Anhängern in den Berliner Osten zuziehen, nicht ohne vorher noch einmal über den Ozean zu fahrenund Jane Addams im Hull House in Chicago zu besuchen und vonden praktischen Erfahrungen dieses berühmten Settlements zulernen, das ja auch von Jane Addams Besuch in Toynbee Hall imJahre 1887 inspiriert worden war.Ehrenamt statt HauptamtSiegmund-Schultze lehnte es ab, einebezahlte Position in seinem Settlementzu übernehmen. Es war ihm wichtig,diese <strong>Arbeit</strong> ehrenamtlich zu leisten. Daswurde ihm durch eine sehr großzügigeSpende des damals reichsten Mannesder Welt, des amerikanischen IndustriellenCarnegie, ermöglicht. Dieser war so interessiert an der <strong>Arbeit</strong>des sogenannten „Vereinigten Kirchenkomitees für Friedensbeziehungenzwischen Großbritannien und Deutschland“, das alsErgebnis der gegenseitigen Besuche 1908 und 1909 gegründetworden war, dass er dessen Zeitung freigiebig unterstützte, derenHerausgeber Siegmund-Schultze wurde. So wurde dieser für seineHerausgeber- und Redaktionstätigkeit bezahlt und konnte der„Sozialen <strong>Arbeit</strong>sgemeinschaft“ (SAG) als Ehrenamtlicher dienen.So nannte sich die 1913 förmlich gegründete Trägerorganisationdes Settlements.Die konkrete <strong>Arbeit</strong> hatte viele Ähnlichkeiten mit der des Volksheimsin Hamburg und mit der von Toynbee Hall in London:Bildungsveranstaltungen und -kurse, Klubs vor allem für Kinderund Jugendliche, Foren für Debatten (politische Debatten nichtausgeschlossen, sondern im Gegenteil besonders gewünscht, incl.der Einladung an Vertreter der Sozialdemokratie), <strong>kulturelle</strong> undFreizeit-Aktivitäten. Die Aktivitäten der Sozialen <strong>Arbeit</strong>sgemeinschaftwaren nicht auf ein Zentrum beschränkt, sondern fandenin einer Reihe von Mietobjekten statt, die anfangs alle in derselben Straße lagen, später auch in anderen Straßen des gleichenWohnbereiches.27

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