12.07.2015 Aufrufe

Rundbrief 2/2004 - Verband für sozial-kulturelle Arbeit eV ...

Rundbrief 2/2004 - Verband für sozial-kulturelle Arbeit eV ...

Rundbrief 2/2004 - Verband für sozial-kulturelle Arbeit eV ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

In Toynbee Hall war man über die Kritik von Werner Picht nichterfreut - und wie ich bei der Konferenz in diesem Sommer feststellenkonnte, hat sich der Unmut über seine Äußerungen bisheute nicht gelegt. In der regelmäßigen Zeitschrift von ToynbeeHall, den Toynbee Records, hat es im März 1914 eine Kritik seinesBuches gegeben, die wohl ein Verriss war. Leider fehlt der entsprechendeBand im Archiv von Toynbee-Hall, sodass ich über Detailsdieser Kritik der Kritik leider nichts herausbekommen konnte.Aber in einer späteren Ausgabe der Toynbee Records aus demgleichen Jahr wird unter Bezug auf diese Kritik ein Brief ausDeutschland an den Herausgeber veröffentlicht. Dieser Briefstammt von Friedrich Siegmund-Schultze und liest sich wie einlebendiger Gegenbeweis gegen die Warnung von Werner Picht,dem Beispiel von Toynbee-Hall zu folgen: Siegmund-Schultze berichtetin dem Brief darüber, dass mit der Gründung der Sozialen<strong>Arbeit</strong>sgemeinschaft Berlin-Ost in Deutschland ein Settlemententstanden sei, dass sich strikt am Beispiel von Toynbee-Hallorientiere und damit großen Erfolg habe.TraditionslinienWas hat das alles mit uns heute zu tun? Wo sind die Verbindungslinienvon dem, was vor 100 Jahren geschehen ist und nach 1933weitgehend zum Erliegen kam, zu den heutigen Nachbarschaftshäusernund dem <strong>Verband</strong> für <strong>sozial</strong>-<strong>kulturelle</strong> <strong>Arbeit</strong>?Da gibt es zum einen die ideengeschichtliche Verbindung, die inder Mitgliedschaft im Internationalen <strong>Verband</strong> (IFS) auch einen organisatorischenAusdruck gefunden hat. Da gibt es zum anderenaber auch eine direkte Kontinunität, die über Personen vermitteltist, die vor 1933 und nach 1945 in der Nachbarschaftsheimbewegungeine Rolle gespielt haben.Von den Mitgliedern und Freunden des Hamburger Volksheimswar schon die Rede. Jetzt noch zwei Beispiele aus dem Zusammenhangder Sozialen <strong>Arbeit</strong>sgemeinschaft.Da ist vor allem Herta Krauss zu nennen, die als junge Frau in derBerliner Sozialen <strong>Arbeit</strong>sgemeinschaft unter Siegmund-Schultzemitgearbeitet hat, bevor sie vom damaligen Kölner OberbürgermeisterKonrad Adenauer im Jahre 1922 als Sozialdezernentinnach Köln geholt worden ist. Herta Kraus hatte einen jüdischenfamiliären Hintergrund und war während des I. Weltkrieges zumQuäkertum konvertiert. Den Nazis galt sie weiterhin als Jüdin, waszur Folge hatte, dass sie 1933 Deutschland verlassen musste. Sieging in die USA, wo sie bald eine wichtige Rolle an der Quäkeruniversitätbekam, wo sie angehende Sozialarbeiter/innen unterrichtete.Herta Kraus verfasste während des zweiten Weltkrieges jenesMemorandum an die amerikanische Regierung, in der der Aufbauvon Nachbarschaftsheimen im künftigen Nachkriegsdeutschlandvorgeschlagen wurde. Und sie war es auch, die u.a. gegenüberdem in Berlin residierenden General Clay hartnäckig daraufbestand, dass die entsprechenden Beschlüsse der amerikanischenRegierung auch wirklich umgesetzt wurden, als es soweit war.Dafür kam sie mit einer Quäker-Delegation nach Deutschland. Imübrigen blieb sie nach dem Krieg in Amerika. Ohne die Aktivitätenvon Herta Kraus gäbe es wahrscheinlich unseren <strong>Verband</strong> heutenicht!Elisabeth von HarnackEine zweite Person möchte ich nocherwähnen: Dr. Elisabeth von Harnack. In derWeimarer Zeit war sie wie ihre SchwesterAgnes ehrenamtliche Mitarbeiterin derSAG gewesen. 1932 taucht sie auf der Teilnehmerlisteder Internationalen Nachbarschaftsheim-Konferenzin Berlin auf. Vonallen Teilnehmerinnen und Teilnehmerndieser Konferenz ist sie die einzige, dieauch an der Konferenz von 1956 teilnimmt,die 1956 im NachbarschaftsheimUrbanstr. stattfindet. Elisabeth von Harnack ist nämlich zu diesemZeitpunkt Vorstandsmitglied dieses Nachbarschaftsheims, nachdemsie zuvor mit den zu Begründerinnen des Nachbarschaftsheimsin Neukölln und des Nachbarschaftsheims Schöneberggehört hatte. Von ihr, die sich nach Zeitzeugenberichten, in derRegel ziemlich still im Hintergrund aufgehalten hat, ist überliefert,dass ihre ständige Redewendung war, die Nachbarschaftsheimemüssten sich ein Beispiel an den Engländern nehmen. Der familiäreHintergrund von Elisabeth von Harnack ist interessant. Sie istdie Tochter von Alfred von Harnack, einem bekannten Theologenund Wissenschaftler, der als geistlicher Lehrer von Walter Classenund als väterlicher Freund und Gönner von Friedrich Siegmund-Schultze gilt. (Die beiden haben zusammen Boccia gespielt). ArvidHarnack von der Widerstandsgruppe Harnack/Schulze-Boysenalias „Rote Kapelle“ ist ihr Vetter. Ihr Bruder Erich gehörte als vonden Nazis aus dem Staatsdienst entfernter Jurist dem <strong>sozial</strong>demokratischenWiderstand an und wurde nach dem 20. Juli 1944verhaftet und hingerichtet. Erich von Harnack war familiär mitder Familie Bonhöffer verbunden und so liefen über ihn wichtigeKontakte zwischen dem protestantischen und dem <strong>sozial</strong>demokratischenWiderstand gegen den National<strong>sozial</strong>ismus. Die Familievon Harnack war mit Albert Schweitzer befreundet und Elisabethvon Harnack setzte sich später im Nachbarschaftsheim Urbanstr.erfolgreich dafür ein, dass dort jährliche Kleidersammlungen fürdessen Urwaldhospital in Lambarene durchgeführt wurden.Und so schließt sich mehrfach der Kreis: Mit Albert Schweitzerpersönlich befreundet war nämlich auch die Mutter von WernerPicht. Und dieser schrieb das vielbeachtete und auch ins Englischeübersetzte Buch „Leben und Denken von Albert Schweitzer“. UndAlbert Schweitzer, wir erinnern uns, bekam den Friedensnobelpreisgenau 21 Jahre später verliehen als Jane Addams, nämlichim Jahre 1952.Herbert Scherer30

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!