Die KiezaktivkassenNeue impulse für bürgerschaftliches EngagementDie Bürgergesellschaft wird ständig in Reden, Aufsätzenund Debatten beschworen. Was verbirgt sichhinter diesem Verständnis von Gemeinwesen? Wiesieht die Bürgergesellschaft im lokalen Raum aus?Was für Projekte können dazu beitragen diese zuaktivieren?Diese Fragen sind der Ausgangspunkt für die KiezAktivKassengewesen. In einem Hotel im Berliner BezirkKöpenick sind sie im Jahr 2002 intensiv von Praktikern ausganz Europa diskutiert worden. Die europäischen Gästepräsentierten im Rahmen dieser Veranstaltung Projekte,mit denen sie in ihren Heimatländern Bürgerinnen undBürger für gesellschaftliches Engagement gewinnen. Diebest-practice Beispiele reichten von Moderationsmethodenzur Engagementförderung bis zur Ausbildung vonJugendlichen als Organisationsberatern, die Vereine aufJugendtauglichkeit prüfen.Eines der Projekte, die Youthbank aus Großbritannien, fasziniertedurch Einfachheit und einen hohen Wirkungsgrad.In Großbritannien hat sich ein Netzwerk lokaler Youthbanksetabliert. Die „Banken“, die von Jugendlichen selbergetragen werden, vergeben Geldbeträge an Gleichaltrige,die damit Projekte verfolgen, die jungen Menschen vor Ortzu Gute kommen.Die zu vergebenen Gelder werben die Jugendlichen beiStiftungen oder der öffentlichen Hand ein.Dieses Projekt ging verschiedenen Teilnehmern der Tagungin Berlin nicht mehr aus dem Kopf. Es bildete die Grundlagefür die KiezAktivKassen der Jugend- und Familienstiftung.In Kooperation mit der Landesgruppe Berlin des <strong>Verband</strong>esfür <strong>sozial</strong>-<strong>kulturelle</strong> <strong>Arbeit</strong> und der Bertelsmann Stiftungentstand ein Konzept, das die Zielgruppe der „Bank“ aufalle Menschen in einem Kiez erweiterte, aber ansonsten di<strong>eV</strong>erantwortung für das Kassengeld an die Mitglieder derKiezAktivKassen übertrug - außer der Geldbeschaffung,denn das stellte die Jugend- und Familienstiftung bereit:mit 30.000 Euro wurden sechs KiezAktivKassen in sechsverschiedenen Berliner Bezirken gefüllt.Wie sie Ihre <strong>Arbeit</strong> organisiert haben und was für Projektesie förderten, wird im Folgenden geschildert. Die KiezAktivKassensind ein Beispiel dafür, wie mit einfachen Mittelnund dem Vertrauen in Bürgerinnen und Bürger im lokalenRaum Bürgergesellschaft entstehen kann.Es zeigt sich, dass die Menschen vor Ort sehr gut die ProblemeIhres Kiezes kennen und auch Ideen für deren Lösunghaben. Wir hoffen, dass diese Beschreibung Interessefür KiezAktivKassen in anderen Teilen Deutschlands weckt.Wir würden uns freuen, wenn das Berliner Beispiel Schulemacht und somit die Bürgergesellschaft um einen weiterenAktivierungsbaustein bereichert werden kann.Michael SeberichBertelsmann Stiftung - Projekt Erziehung zu Gemeinsinnund GemeinschaftsfähigkeitWas ist das besondere an der KiezAktivkasse?Das Programm KiezAktivKasse wurde als ein speziellesFörderprogramm der Jugend- und Familienstiftung desLandes Berlin gemeinsam mit der Bertelsmann-Stiftungund dem <strong>Verband</strong> für <strong>sozial</strong>-<strong>kulturelle</strong> <strong>Arbeit</strong> entwickelt.Kerngedanke dabei war, dass lokale gemeinwesenorientierteAktivitäten von Bürger/-innen für Bürger/-innenmit kleinen Förderbeträgen unterstützt werden. Zielwar es, anfänglich in sechs Kiezen verschiedener BerlinerBezirke das Zusammenleben der Generationen zufördern und die Familienfreundlichkeit zu verbessern.In der KiezAktivKasse sollten Bewohnerinnen und Bewohnereines bestimmten Wohngebietes nach einemöffentlichen Aufruf eine Förderjury bilden. Die Jury solltevor Ort nach eigenen Vergabekriterien einen Förderfondverwalten, an den alle Bewohnerinnen Förderanträge ineinem Umfang bis maximal 750.- Euro richten können.Die Jury verfügte dabei zunächst jeweils über eine vonder Jugend- und Familienstiftung des Landes Berlin bereitgestellteFördersumme von 5.000.- Euro, die sie jedochdurch zusätzliche Einwerbung lokaler Mittel erweiternkonnte. Eine Förderung durch die KiezAktivKasse solltedie Funktion einer „Initialzündung“ haben für weiterefinanzielle und persönliche Unterstützung durch Dritte.Die Bürgerinnen und Bürger sollten somit als „Kassenaktive“oder „Kiezaktive“ Verantwortung für ihr Wohngebiet übernehmenund auf der Grundlage ihrer örtlichen Sachkenntnisunbürokratisch über die Verwendung der Mittel entscheiden.Die Kiezaktivkassen - Beschreibung und ersteAuswertung eines PilotprojektesStandorte findenJede KiezAktivKasse benötigt ein Dach. Sie wird deshalb Gast beieinem Nachbarschafts- oder Stadtteilzentrum oder einer ähnlichengemeinnützigen Einrichtung und erhält dort die nötigeUnterstützung.Die Strukturen für einen reibungslosen und unbürokratischenAblauf vom Programmstart bis zur Abrechnung wurden von derJugend- und Familienstiftung in Zusammenarbeit mit entsprechendenEinrichtungen entwickelt.Bei einem Startworkshop wurden die Vorüberlegungen derJugend- und Familienstiftung mit den Erfahrungen und Anregungender Mitarbeiter/-innen von Nachbarschafts- und Stadtteileinrichtungenverbunden.Interessierte Einrichtungen konnten sich dann innerhalb einesMonats als Gastorganisationen bewerben. Daraus wurden 6 Trägerfür die Pilotphase der KiezAktivKasse ausgewählt.Leitbild war dabei, eine große Vielfalt zu erreichen. Große und kleineTräger sollten vertreten sein, innerstädtische ebenso wie solchemit Sitz außerhalb des Zentrums.Für die umfangreichen Aufgaben stand den Gastgeberorganisationenjeweils ein Etat von 300.- Euro zur Verfügung. Dies erscheintauf den ersten Blick vielleicht unangemessen. Allerdings müssendie Kosten in einem akzeptablen Verhältnis zum Umfang derFördermittel stehen und die Gastgeberorganisationen profitierenauch auf andere Weise von ihrem Engagement:12
• Die Einrichtungen gewinnen an Bekanntheit und erreicheneine bessere Auslastung ihrer Angebote• Sie können sich gegenüber öffentlichen Zuwendungsgebernals innovative Partner profilieren• Sie gewinnen Zugang zu potenziellen Sponsoren auchfür die eigene EinrichtungIn der Auftaktveranstaltung zur Einrichtung der Kiez-AktivKassenwurden folgende Vorschläge für die Öffentlichkeitsarbeit derGast- bzw. Trägerorganisationen gesammelt:• Öffentliche Einladung zur Start- Veranstaltung durchPlakataushang sowie Verteilung und Auslage von Programmflyernim Stadtteil• Gezielte Ansprache von Einzelpersonen• Gezielte Information von Multiplikatoren in örtlichenGremien wie Elternvertretungen, Mieterberatungen,Interessensverbänden von Gewerbetreibenden• Nutzung öffentlicher Veranstaltungen (Podiumsdiskussionen,Straßenfeste etc.)Die Kiezaktivkasse bekannt machenInteressierte Bürgerinnen und Bürger bekommen vor allem überpersönliche Ansprache den entscheidenden Anstoß zur Mitarbeitin der KiezAktivKasse. Dennoch macht eine breite Öffentlichkeitsarbeitzur Werbung für die Mitarbeit Sinn, denn dadurch wirdgleichzeitig über die Möglichkeit informiert, dass Förderanträgebei der Jury gestellt werden können.Außerdem zeigen Erfahrungen aus dem professionellen PR-Geschäft,dass eine Ansprache über mehrere Kanäle und Medieninsgesamt immer den besten Erfolg bringt.Die Jury zusammenstellenDie Zusammenstellung der Förderjury ist eine besonders sensiblePhase bei der Einrichtung der KiezAktivKasse. Einerseits solltendie Kassenaktiven möglichst den Querschnitt der Bevölkerung imEinzugsgebiet abbilden.Andererseits muss auch auf eine arbeitsfähige Größe geachtetwerden, bei der vielleicht nicht jede Interessensgruppe Berücksichtigungfindet. Insbesondere in multikulturell geprägten Stadtteilenist dies nicht immer eine leichte Aufgabe. Sie setzt voraus,dass die Verantwortlichen der Trägerorganisation mit den <strong>sozial</strong>enNetzwerken und Organisationen im Stadtteil vertraut sind. Inbenachteiligten Quartieren kann es vorkommen, dass Anwohnerzögern, Verantwortung für die Verteilung von aus ihrer Sicht „großenSummen“ zu übernehmen. Hier können Finanzerfahrene dazubeitragen, die Hemmschwellen zu senken.Die meisten Kiezaktivkassen haben mit einer Größe von 5-7 Jurymitgliederngute Erfahrungen gemacht. Weniger sollten es nichtsein, weil immer damit gerechnet werden muss, dass einzelneJurymitglieder nicht alle Entscheidungstermine wahrnehmenkönnen. Auch hat es sich als sinnvoll erwiesen, dass sowohl „lokalesUrgestein“ als auch mehr und weniger frisch Zugezogene inder Jury vertreten sind.Grundsätzlich hat es sich als problematisch erwiesen, wennJurymitglieder selber auch Förderanträge stellen. Um Interessenskonflikteoder gar eine dauerhaft belastete <strong>Arbeit</strong>satmosphäre zuvermeiden haben einzelne KiezAktivKassen sich von vornhereineinstimmig für eine Geschäftsordnung entschieden, die Stimmenthaltungvorsieht, wenn persönliche Interessen mit Vorhabenverknüpft sind, für die ein Förderantrag gestellt wurde.Am meisten Erfolg bei der Drittmittelakquise hatten solche Akteure,die nicht nur von einem konkreten Projekt überzeugt warenund dies auch mit Selbstbewusstsein nach außen vertreten konnten,sondern für die Projekte auch Rückendeckung von örtlichenEntscheidungsträgern aus Politik und Verwaltung bekamen.Entscheidend war aber vor allem, dass die geförderten Vorhaben,für den Stadtteil eine besondere Bedeutung hatten und vonvielen Akteuren mitgetragen wurden Werbung zur Verstärkungeiner „anonymen“ KiezAktivkasse hatte meist weniger Erfolg alsdie Werbung zur Ko-Finanzierung eines konkreten Vorhabens,wie beispielsweise die Finanzierung von Bodenschwellen zurVerkehrsberuhigung einer Wohnstraße.Drittmittel akquirierenAuch die begrenzten Mittel einer KiezAktivKasse können nachsorgfältiger Prüfung und Vergabe große Wirkungen im Stadtteilentfalten. Insbesondere dann, wenn es gelingt, das vorhandeneKapital der KiezAktivKasse durch Einwerbung von Drittmittelnaufzustocken. Erfahrungsgemäß ist die Bereitschaft zu ergänzenderFörderung besonders groß, weil durch die bereits vorhandeneKapitalbasis ein gewisser Erfolg bereits garantiert ist, an demSpendenwillige auch mit kleinen zusätzlichen Beträgen in vollemUmfang beteiligt sind.Im Übrigen gelten für Drittmittelakquise die gleichen Prinzipienwie für jede erfolgreiche Werbung um Unterstützung und Spenden:Es gilt vom Kleinen ins Große zu gehen, vom Bekannten zumUnbekannten. Von der Werbung im Freundes- und Bekanntenkreisüber die Ansprache lokaler Gewerbetreibender bis hin zur Unterstützungdurch Presse und Medien.Förderkriterien entwickelnSoll eine KiezAktivKasse als „Förderinstanz“ dauerhaft etabliertwerden, ist eine Festlegung von Förderkriterien unabdingbar. Jestärker sich die Anträge häufen, desto deutlicher wird das allenBeteiligten: Wird jeweils erst im Nachhinein oder im Einzelfallentschieden, so kann es zum Eindruck von Intransparenz oder garWillkür kommen.Deshalb macht es Sinn, frühzeitig wenigstens einen Kriterienkatalogoder eine Prioritätenliste zu erstellen, die zumindest eine grobeOrientierung für Entscheidungen bieten, ohne eine inhaltlicheDiskussion im Einzelfall ersetzen zu können.Kriterien könne beispielsweise sein:• Das Vorhaben soll generationsübergreifenden Charakterhaben• Das Vorhaben soll einen hohen Beteilungseffekt haben• Die Ergebnisse des Vorhabens sollen allgemein öffentlichzugänglich sein• Es soll erkennbar sein, dass Eigenarbeit bzw. Eigenmittelin das Vorhaben einfließenAus grundsätzlichen Erwägungen wird empfohlen, auf dieFörderung von Vorhaben zu verzichten, bei denen der Eindrucküberwiegt, dass es sich um eine Ersatzfinanzierung nach Mittelkürzungenfür eine öffentliche oder öffentlich geförderte Einrichtunghandelt.Vor Beginn der Antragsprüfung stellten die meisten Förderrjuryseine Geschäftsordnung auf, die nur wenige Punkte umfasst. Sowurden beispielsweise Beschlüsse zu Antragsrecht und Grundsätzebeim Abstimmungsverhalten der Jury-Mitglieder festgelegtoder Termine für die Abstimmung über Anträge verabredet. DifferenzierteFörderkriterien wurden zunächst von den wenigsten Jurysaufgestellt. In der ersten Förderperiode war die KiezAktivKassenur wenig bekannt und es gab deshalb oft gerade genug Anträge,über die überhaupt entschieden werden konnte. Entsprechenddrehten sich die Diskussionen in der Jury dann meist eher um dieFrage der Förderhöhe, als um die grundsätzliche Förderwürdigkeitder beantragten Vorhaben.Wie weit geht mein Kiez?Im Zusammenhang mit Förderkriterien stellt sich auch die Frage,in welchem räumlichen Wirkungsbereich sich die KiezAktivKassebewegen soll.Die Diskussion um die Wahrnehmung von Grenzen des Stadtteilshat jedoch nicht nur die Funktion, ein weiteres Förderkriteriumaufzustellen, sondern auch: unterschiedliche Sichtweisen auf13