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Computer-Aided Immunofluorescence ... - Universität zu Lübeck

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| Christian Bonah: Fortschritt und Fortschrittsglaube<br />

Abb. 2: Impfstoff Bacillus Calmette-Guérin (BCG) in versandfertiger<br />

Verpackungsform 1935 (Quelle: persönliches Archiv Christian<br />

Bonah)<br />

einen Untersuchungsausschuss der Bürgerschaft ein. Nach<br />

einer erneuten Sit<strong>zu</strong>ng des Gesundheitsrates am 13. Mai 1930<br />

wird die Beendigung der Verteilung des „Ersatzmittels“ beschlossen<br />

und die Öffentlichkeit sowohl wie das Reichsgesundheitsamt<br />

und Calmette werden informiert.<br />

Ein erster Bericht des Gesundheitsrates der Stadt <strong>Lübeck</strong><br />

erscheint am folgenden Tag. Es kommt <strong>zu</strong>r Einschaltung des<br />

Oberstaatsanwalts Lienau, der eine Ermittlung gegen unbekannt<br />

wegen fahrlässiger Tötung einleitet. Zu diesem Zeitpunkt<br />

sind acht Kinder gestorben, 23 weitere sind erkrankt.<br />

Am 15. Mai 1930 versiegelt die Kriminal-Polizei das Deycksche<br />

Labor.<br />

Die Benachrichtigung der Öffentlichkeit führt <strong>zu</strong> einer<br />

Welle von lokalen, nationalen und internationalen Berichterstattungen,<br />

die sich schnell in Fragen und Vermutungen<br />

ergehen. Schlagzeilen erhitzen und beunruhigen die Gemüter.<br />

Der Frankfurter General Anzeiger titelt „Das Calmettesche<br />

Tuberkulose-Mittel. Acht Säuglingsopfer“, die Berliner Nachtausgabe<br />

berichtet von dem „Säuglingssterben in <strong>Lübeck</strong>“, die<br />

Stunde in Wien schreibt „Die gefährliche Tuberkel-Impfung“<br />

und in der Vossischen Zeitung vom 17. Mai 1930 erscheint die<br />

Metapher des „<strong>Lübeck</strong>er Totentanzes“.<br />

Erste Mutmaßungen <strong>zu</strong> Gründen der Katastrophe gehen<br />

in die verschiedensten Richtungen. Die Neue Freie Presse behauptet<br />

unter dem Titel „Die <strong>Lübeck</strong>er Hebammen haben mit<br />

Calmette behandelt“, dass es denkbar sei, „dass dabei Versehen<br />

vorgekommen sein können“, und urteilt vorschnell, dass<br />

„man über diese Unvorsichtigkeit starkes Verfremden aussprechen<br />

muss ….“. Eine völkische Zeitung meint unter der<br />

28. JAHRGANG | HEFT 2 | Oktober 2011 |<br />

Abb. 3: Herstellung des BCG-Impfstoffs, Versiegeln der Ampullen<br />

(Quelle: persönliches Archiv Christian Bonah)<br />

Unterschrift „Zwanzig Millionen Deutsche <strong>zu</strong> viel“, dass da<br />

französischer Fanatismus etwas angerichtet haben könnte,<br />

um den Deutschen <strong>zu</strong> schaden. Die Deutsche Zeitung in<br />

Hamburg mutmaßt am 19. Mai 1930: „Im Laufe des Sonntags<br />

starb in <strong>Lübeck</strong> abermals eines der tuberkulösen Kinder. Die<br />

Zahl der Todesopfer hat sich damit auf 13 erhöht. … Vielmehr<br />

… bleibt der Verdacht bestehen, dass es sich schon bei der<br />

aus Paris übersandten Originalkultur um echte Tuberkelbazillen<br />

gehandelt hat … Ein Nachweis, dass eine Verunreinigung<br />

im Betrieb des Krankenhauslaboratoriums stattgefunden hat,<br />

hat sich bisher nicht erbringen lassen.“<br />

Das Unglück und sein Prozess fallen in der Tat in eine Zeit<br />

besonderer politischer und wirtschaftlicher Turbulenz. So<br />

verwundert es nicht, dass ein <strong>Lübeck</strong>er Anwalt, <strong>zu</strong>gleich Mitglied<br />

der NSDAP, von den Ärzten als von „ Kindermördern“<br />

spricht, und die Volkswacht titelt „Gute Zeiten für Kindermörder“.<br />

Aus kommunistischen Kreisen wird in der Bürgerschaft<br />

die „Klassenmedizin“ angeprangert, und ein sozialdemokratisches<br />

Wahlplakat in Chemnitz fordert: „Der Tod von <strong>Lübeck</strong><br />

mahnt! Frauen und Mütter, welch ein Wahnsinn … wählt Sozialdemokraten“.<br />

Im <strong>Lübeck</strong>er Volksboten spricht der SPD Abgeordnete Dr.<br />

Julius Moses von „ungeheurer Fahrlässigkeit“ und klagt die<br />

<strong>Lübeck</strong>er Gesundheitsbehörde mit dem Vorwurf an, dass die<br />

Gefährlichkeit des Calmette-Verfahrens bekannt gewesen<br />

sei. Im Berliner Tageblatt vom 21. Mai behauptet Moses weiterhin:<br />

„Eine große Anzahl bedeutender Forscher und Ärzte<br />

in Frankreich habe das Calmette-Verfahren wegen seiner Gefährlichkeit<br />

abgelehnt. … Das Calmettesche Präparat ist also<br />

umstritten und die Anwendung in <strong>Lübeck</strong> war von vornherein<br />

ein Versuch gefährlicher Art. Das Vorgehen des <strong>Lübeck</strong>er<br />

Gesundheitsamts bedarf der schnellen Aufklärung.“<br />

Auch wenn Unruhe und Verunsicherung nach einer möglichst<br />

schnellen Klärung der Umstände verlangen, so müssen<br />

(focus) uni lübeck<br />

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