Computer-Aided Immunofluorescence ... - Universität zu Lübeck
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| Christian Bonah: Fortschritt und Fortschrittsglaube<br />
1935 verfasst der polnische Arzt, Mikrobiologe und Wissenschaftsphilosoph<br />
Ludwik Fleck ein wenig beachtetes Buch<br />
mit dem Titel Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen<br />
Tatsache, in dem er, dem Anwalt Ihde ähnlich,<br />
ausführt, dass wissenschaftliche Tatsachen in Forschungskollektiven<br />
gemeinsam erarbeitet werden und ihre Kommunikation<br />
immer eine Überset<strong>zu</strong>ng von Experten <strong>zu</strong> Außenstehenden<br />
beinhaltet. Diese führt da<strong>zu</strong>, dass vorläufige<br />
wissenschaftliche Feststellungen, die in ihrer Bedeutung<br />
nur in ihrem komplizierten Zusammenhang als präzise und<br />
vorläufig richtig angesehen werden können, in der vereinfachenden<br />
Weiterleitung <strong>zu</strong>m Publikum immer auch ungenauer<br />
und apodiktischer werden. Diesen Überlegungen folgend,<br />
könnte man argumentieren, dass Ungewissheit in medizinischen<br />
Forschungen und Ergebnissen immanent ist. Wie kann<br />
aber dann in diesem Zusammenhang das, was in Rechtsprechung<br />
und medizinischer Praxis naturgemäß gegeben ist,<br />
nämlich Entscheidungen <strong>zu</strong> treffen, in sozialem Einverständnis<br />
und gesellschaftlicher Akzeptanz passieren? Diese Kernfrage<br />
stellte sich in <strong>Lübeck</strong> 1930, und sie besteht auch heute<br />
immer noch.<br />
Ausblick<br />
Nach dem <strong>Lübeck</strong>er Prozess ist die europäische und nordamerikanische<br />
Welt des BCG in zwei Blöcke geteilt. In Frankreich,<br />
französischsprachigen Ländern und Skandinavien<br />
wird der BCG als allgemeine Schutzimpfung weiter benutzt.<br />
Das <strong>Lübeck</strong>er Prozessverfahren hat als Grund des Unglücks<br />
eine Verwechselung im lokalen Labor festgestellt, und diese<br />
„rechtliche Tatsache“ zeigt, dass der „wirkliche“ BCG nichts<br />
mit dem Unglück in <strong>Lübeck</strong> <strong>zu</strong> tun hatte.<br />
Auf der anderen Seite wurde in Deutschland, aber auch<br />
in beschränkterem Maß in England und in den USA, jegliche<br />
weitere Verwendung des BCG untersagt und das Verfahren<br />
als unsicher und un<strong>zu</strong>verlässig beurteilt. Die Tuberkuloseraten<br />
gingen in Deutschland auch ohne BCG in Folge von institutionellen<br />
Behandlungen in Sanatorien Schritt für Schritt<br />
langsam <strong>zu</strong>rück, bis der Zweite Weltkrieg diese Entwicklung<br />
unterbrach.<br />
Was bleibt uns am Ende dieser Aufarbeitung? Weder bessere<br />
Forschung noch ethische Regulierung haben Arzneimittelskandale<br />
aus unserer Welt verschwinden lassen. Der<br />
hier verfolgte Ansatz hat den Anspruch, dass vielleicht ein<br />
besseres Verständnis dessen, was Medizin und Wissenschaft<br />
sind und können, Hoffnungen und Enttäuschungen nicht<br />
immer in einem Vertrauensverlust und in Opposition enden<br />
lassen.<br />
28. JAHRGANG | HEFT 2 | Oktober 2011 |<br />
Zweitens möchte ich <strong>zu</strong>m Schluss noch einmal auf die Opfer<br />
<strong>zu</strong>rück kommen. Es ist ein wesentliches Anliegen dieser Arbeit,<br />
Aufmerksamkeit für die Opfer mit dem Blick auf die wissenschaftliche<br />
Forschung <strong>zu</strong> verbinden. Wenn die Geschichte<br />
vielleicht einiges erklären kann, so sollte auf jeden Fall die Erinnerung<br />
an die geschädigten Personen nicht verjähren. Und<br />
die Fürsorge für sie auch nicht.<br />
Zeitzeugen gesucht<br />
In <strong>Lübeck</strong> gibt es zwar an verschiedenen Orten viele<br />
Quellen <strong>zu</strong>m Impfunglück, aber die Erlebnisse<br />
der Betroffenen und die Folgen dieser Katastrophe<br />
für die Familien sind bisher nicht erforscht worden.<br />
Eine Doktorarbeit am Institut für Medizingeschichte<br />
und Wissenschaftsforschung möchte jetzt diese Lücke<br />
schließen: Soweit dies heute noch möglich ist,<br />
sollen private Erinnerungen, persönliche Schicksale<br />
und Zeugnisse dokumentiert und gesichert werden.<br />
Deshalb sucht das Institut Zeitzeugen, die ihre<br />
Erinnerungen mitteilen möchten. Mit ihnen werden<br />
dann Interviews geführt – als vermutlich letzte<br />
Gelegenheit, dieses Kapitel erlebter Geschichte<br />
<strong>zu</strong> dokumentieren. So wäre es möglich, die bloßen<br />
Fakten um das eigene Erleben Betroffener <strong>zu</strong> ergänzen.<br />
Die Interviews sollen neben den Erinnerungen<br />
an die konkreten Ereignisse auch die Folgen für das<br />
spätere Leben beleuchten bzw. allgemein die Auswirkungen<br />
der Impfkatastrophe auf das Familienleben<br />
oder das spätere eigene Verhältnis <strong>zu</strong>m Gesundheitssystem.<br />
Darüber hinaus sind auch private bzw. öffentliche<br />
Dokumente wie Unterlagen ärztlicher Untersuchungen,<br />
Gutachten, Gerichtsakten, Zeitungsausschnitte<br />
oder Fotos, die im Zusammenhang mit<br />
dem <strong>Lübeck</strong>er Impfunglück stehen, für das Projekt<br />
von großem Interesse.<br />
Zum Kreis der Zeitzeugen zählen deshalb nicht<br />
nur die damals geimpften Personen selbst, sondern<br />
auch ihre Familienangehörigen und Verwandten<br />
(z.B. Geschwister, spätere Ehepartner, Kinder, Cousins<br />
und Cousinen) sowie enge Freunde.<br />
Kontakt: Hanna Jonas (Doktorandin)<br />
IMGWF <strong>Universität</strong> <strong>zu</strong> <strong>Lübeck</strong><br />
Königstraße 42, 23552 <strong>Lübeck</strong><br />
Sekretariat: 0451 7079 98 12<br />
hanna.jonas@medizin.uni-luebeck.de<br />
(focus) uni lübeck<br />
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