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| 28. JAHRGANG | HEFT 2 | Oktober 2011 Abb. 3: Aus dem dritten Akt von „Hoffmanns Erzählungen“ Abb. 4: Gustav Mahler, Symphonie Nr.9 1. Satz Takt 1-3 te gezeigt werden, dass das Vorliegen einer Typ-A Persönlichkeit mit einem erhöhten Risiko für den Myokardinfarkt und dem plötzlichen Herztod assoziiert ist. Don Giovanni zeigt ein typisches kompetitives Typ-A-Verhalten: rastlos hastet er von einem amourösen Abenteuer zum nächsten, Frauen sind für ihn nur Eroberungen, die seinen Katalog füllen. Am besten wird dieses in der sogenannten "Katalog-Arie" des Leporello im ersten Akt geschildert ("Madamina, il catalogo è questo"). Hier zählt der Diener die mehr als tausend Eroberungen seines Herrn auf ("...In Italien, sechshundert und vierzig; In Deutschland, zweihundert und einunddreißig; Hundert in Frankreich; in der Türkei einundneunzig; Aber in Spanien bereits tausend und drei..."). Auch musikalisch wird diese Rastlosigkeit des Don Giovanni wiedergespiegelt: So gibt es für die Rolle des Don Giovanni keine große Reflexions- Arie wie für die anderen Hauptfiguren der Oper. Don Giovanni singt rasche, dramatische Partien in kurzen Sätzen und ohne große emotionale Tiefe. Im letzten Akt der Oper ereilt ihn dann die Konsequenz dieses Verhaltens: er stirbt am plötzlichen Herztod. Dieses geschieht im dramatischen Höhepunkt der Oper, während des Mahls mit dem steinernen Gast. Der steinerne Gast oder Komtur stellt gewissermaßen das als Geist materialisierte schlechte Gewissen oder Über-Ich des Don Giovanni dar. Als ihm der Komtur die Hand reicht, erfasst Don Giovanni eine tiefe Kälte, und kurz darauf singt er: "Wer zerreißt mir die Seele? Wer wühlt in meinen Eingeweiden? Welche Qual, ach, welches Rasen!" Das Tempo und die Lautstärke der Musik steigern sich bis zum Herzstillstand. Die Musik steht plötzlich, und mit einem Schrei haucht Don Giovanni sein Leben aus. | 32 (focus) uni lübeck Jaques Offenbach Das Kolleg | Ein weiteres sehr interessantes Beispiel für die musikalische Vertonung eines Herzleidens finden wir in der Oper "Hoffmanns Erzählungen" von Jaques Offenbach. Die Oper basiert lose auf Kurzgeschichten von E.T.A. Hoffmann, der auch der (fiktive) Haupt-Protagonist der Oper ist. Hoffmann ist unglücklich verliebt in die junge Antonia, welche eine begabte Sängerin ist. Antonia ist die Tochter einer Opernsängerin, die jedoch während des Singens auf der Bühne plötzlich verstarb. Antonias Gesundheit ist ebenfalls zerbrechlich, weshalb der Arzt der Familie, Dr. Miracle, Antonia das Singen verboten hat. Crespel, der Vater Antonias, will die Affäre zwischen Hoffmann und Antonia unterbinden, da Hoffmann Antonia in ihrem Streben nach der Musik unterstützt. Der Arzt Dr. Miracle ist in Hoffmanns Erzählungen eine etwas zwielichtige Gestalt. Er hat bereits die verstorbene Mutter von Antonia behandelt, und Crespel und Antonia haben ihn insgeheim im Verdacht, diese mit seinen "Mittelchen" umgebracht zu haben. Im dritten Akt der Oper kommt Dr. Miracle zu einem mehr oder weniger ungebetenen Hausbesuch zu Antonia (Quartett Antonia, Crespel, Dr. Miracle und Hoffmann). Miracle verlangt Antonia zu sehen und sie zu untersuchen. Nach der Feststellung des Alters ("Zwanzig Jahre, der Frühling des Lebens") tastet Dr. Miracle Antonias Puls. Er befindet: "Der Puls ist unregelmäßig und schnell, ein ernstes Symptom !" In der Orchesterbegleitung wird der unregelmäßige und schnelle Puls von immer schneller werdenden, synkopierten Sechzehntel-Noten in den Streichern wiedergegeben (Abb. 3). Das Tempo der Musik steigert sich und zum Entsetzen aller anderen fordert Dr. Miracle Antonia auf zu singen. Antonia beginnt eine Koloratur auf dem hohen A, was zu einem raschen
| Patrick Diemert: Herzkrankheiten in der klassischen Musik Kollaps und plötzlichen Herztod führt (Glissando/ Abwärtsgleiten der Musik). An was für einem Herzfehler könnte Antonia gelitten haben? Die Oper schildert uns eine junge Frau von etwas blassem und asthenischem Habitus und mit einer positiven Familienanamnese für plötzlichen Herztod. Unter einer Belastung (Singen) kommt es zu Herzrhythmusstörungen und schließlich zum Kollaps. Dauber (Referenz: Dauber LG. Death in opera: a case study, “Tales of Hoffmann”—Antonia. Am J Cardiol 1992;70:838- 40.) argumentiert in seinem Aufsatz, dass Antonia mit einer hohen Wahrscheinlichkeit am Mitralklappen-Prolaps-Syndrom gelitten hat. Hierfür sprechen die offensichtliche Vererbung des Leidens, der asthenische Habitus, die bereits im jungen Alter vorhandene Arrhythmie, welche wahrscheinlich Vorhoffflimmern ist, und der plötzliche Zusammenbruch unter Belastung. In der Tat wurden Fälle von plötzlichem Herztod unter Belastung bei Mitralklappenprolaps in der Literatur geschildert (Referenz: Chesler E, King RA, Edwards JE. The myxomatous mitral valve and sudden death. Circulation 1983;67:632-9). Das Mitralklappen-Prolaps-Syndrom tritt besonders häufig bei jungen Frauen auf, als mögliche Differentialdiagnosen kämen jedoch auch eine Hypertroph-obstruktive Kardiomyopathie (HOCM) oder auch eine Mitralinsuffizienz oder Mitralstenose durch rheumatisches Fieber in Frage. Gustav Mahler Eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit einem Herzleiden finden wir im Werk von Gustav Mahler. Mahler (1860 bis 1911) war in seinem Leben neben seinen großen beruflichen Erfolgen sehr häufig mit Krankheit und Tod in seinem nächsten Umfeld konfrontiert. Geboren wurde Gustav Mahler 1960 in ärmliche Verhältnisse in Iglau (Böhmen). Von den zwölf Kindern der Familie Mahler verstarben sechs bereits im Kindesalter. Im Jahr 1889, Gustav Mahler ist bereits ein erfolgreicher Dirigent in Budapest, versterben innerhalb eines Jahres sein Vater, seine Mutter und die ältere Schwester Leopoldine. Aus dem Tagebuch dieses Jahres wissen wir, dass Gustav Mahler an einer chronischen, eitrigen Halsentzündung litt, die sich offenbar über Wochen hinzog. 28. JAHRGANG | HEFT 2 | Oktober 2011 | 1907 ist Mahler Direktor der Wiener Hofoper, eines der wichtigsten musikalischen Ämter überhaupt. Als assimilierter Jude in herausgehobener Position wird Mahler immer wieder zum Opfer von antisemitischen Hetzkampagnen. Ein weiterer Schicksalsschlag in diesem Jahr ist der plötzliche Tod von Mahlers fünfjähriger Tochter Maria Anna. Wohl auch in Folge dieser Schicksalsschläge erleidet Mahler im Jahr 1907 einen gesundheitlichen Zusammenbruch. Ein hinzugezogener Wiener Internist erhebt einen auffälligen Auskultationsbefund, diagnostiziert einen „Herzfehler“ sowie eine Arrhythmie und verordnet strenge körperliche Schonung. Um was für einen Herzfehler könnte es sich bei Gustav Mahler gehandelt haben? Erinnert man sich an die hartnäckige eitrige Halsentzündung aus dem Jahre 1889, und führt man sich vor Augen dass der Wiener Internist fast 20 Jahre später ein Herzgeräusch und eine Arrhythmie feststellte, so wird aus dieser Konstellation eine Mitralstenose als Folge eines rheumatischen Fiebers, ausgelöst wahrscheinlich durch eine Streptokokken-Infektion, wahrscheinlich. In die Jahre 1909 bis 1910 fällt auch die Entstehung von Mahlers neunter Symphonie. Der Komponist und Dirigent Leonard Bernstein stellte 1974 in seinen Norton-Vorlesungen an der Harvard-Universität fest, dass die Eröffnungstakte der neunten Symphonie eine Imitation von Mahlers Herzfehler darstellen könnten. Schaut man sich die ersten Takte der Partitur von Mahlers neunter Symphonie genauer an (Abb. 4), so stößt man in der Tat auf eine überraschende Analogie: Das Auskultationsgeräusch der Mitralstenose spiegelt sich in der Partitur wieder. In den Violoncelli hören wir auf dem ersten Schlag eine punktierte Viertelnote (erster Herzton), gefolgt von einer Sechzehntelnote (zweiter Herzton). Unmittelbar auf den zweiten Herzton folgt im Horn eine Achtel mit einer gebundenen Sechzehntel-Note, welche das diastolische Geräusch der Mitralstenose darstellen könnte. Dieses klagende "Mitralstenose-Motiv" wiederholt sich zweimal, bevor die Harfe einsetzt. In abgewandelter Form findet sich dieses Motiv innerhalb des ersten Satzes der neunten Symphonie mehrfach und tritt dabei immer klagender in Erscheinung. Die neunte Symphonie ist die letzte Symphonie, welche Mahler vollendet hat. Man könnte in der Tat argumentieren, dass der Komponist sein Vitium selber hören konnte und es in der neunten Symphonie, die sich mit Sterben und Abschiednehmen befasst, musikalisch aufgearbeitet hat. (focus) uni lübeck 33 |
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