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„Wie kann man kunsttherapeutische<br />

Aspekte und Methoden<br />

in der Sozialen Arbeit anwenden“<br />

Bachelorabschlussarbeit<br />

für die<br />

Bachelorabschlussprüfung<br />

im Fachbereich Erziehungswissenschaft-Psychologie<br />

an der<br />

Universität Siegen<br />

vorgelegt von<br />

Sabine Wolff<br />

Glückaufstraße 48<br />

57076 Siegen<br />

Soziale Arbeit, 6. Fachsemester<br />

Matr. Nr.: 762199<br />

am<br />

17. Juli 2009<br />

Referent:<br />

Prof. Dr. <strong>Norbert</strong> <strong>Groddeck</strong><br />

Korreferentin:<br />

Prof. Dr. Cornelia Frey<br />

5


„Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen;<br />

darum scheint es eine Torheit,<br />

sie wieder durch Worte vermitteln zu wollen.“<br />

Johann Wolfgang von Goethe<br />

1<br />

1 Im Rahmen des Kurses „Ausdrucksmalen“ an der Jugendkunstschule Nordhausen entstanden 2005<br />

zahlreiche eigene Bilder.<br />

6


Inhaltsverzeichnis<br />

1.Einleitung.................................................................................................................. 5<br />

2. Kunsttherapie..........................................................................................................7<br />

2.1 Begriff der Kunsttherapie................................................................................... 7<br />

2.2 Historische Entwicklung der Kunsttherapie....................................................... 9<br />

2.2.1 Psychiatrische Wurzeln.............................................................................. 9<br />

2.2.2 Psychotherapeutische Wurzeln.................................................................. 11<br />

2.2.3 Heilpädagogische Wurzeln........................................................................ 12<br />

2.3 Kunsttherapeutisches Dreieck............................................................................. 13<br />

2.4 Aufgabenfeld des Kunsttherapeuten................................................................... 13<br />

2.5 Setting in der Kunsttherapie............................................................................ 15<br />

2.5.1 Einzeltherapie............................................................................................ 16<br />

2.5.2 Gruppentherapie......................................................................................... 16<br />

2.5.3 Zeit............................................................................................................. 17<br />

2.5.4 Raum.......................................................................................................... 18<br />

2.5.5 Material...................................................................................................... 19<br />

2.6 Möglichkeiten der Kunsttherapie........................................................................ 20<br />

2.6.1 Möglichkeit des Ausdrucks.......................................................................20<br />

2.6.2 Möglichkeit des Erinnerns........................................................................ 20<br />

2.6.3 Möglichkeit der Form- und Symbolbildung............................................. 21<br />

2.6.4 Möglichkeit symbolischen Handelns........................................................ 21<br />

2.6.5 Möglichkeit zusätzlicher Kommunikation................................................ 21<br />

2.6.6 Möglichkeit erweiterter Wahrnehmung und Erkenntnis........................... 22<br />

3. Soziale Arbeit.......................................................................................................... 22<br />

3.1 Begriff der Sozialen Arbeit................................................................................. 23<br />

3.2 Geschichte der Sozialen Arbeit........................................................................... 23<br />

3.3 Sozialstaatliche Rahmenbedingungen der Sozialen Arbeit................................ 26<br />

3.4 Kernaufgaben und Praxisfelder der Sozialen Arbeit.......................................... 28<br />

3.5 Methoden(-diskussion) der Sozialen Arbeit....................................................... 29<br />

7


4. Anwendung der Kunsttherapie in der Sozialen Arbeit....................................... 30<br />

4.1 Kunst als Therapieform in der Sozialen Arbeit.................................................. 30<br />

4.2 Kunst – ihr therapeutisches und pädagogisches Verständnis............................. 31<br />

4.3 Qualifikation therapeutischen Handelns............................................................. 32<br />

5. Kunsttherapie in der Sozialen Arbeit mit alten Menschen................................. 34<br />

5.1 Altenhilfe............................................................................................................ 34<br />

5.2 Kunsttherapie mit alten Menschen......................................................................36<br />

5.3 Praktische Methoden der Kunsttherapie in der Arbeit mit alten Menschen....... 37<br />

5.3.1 (Körper-) Umrissbildtechnik...................................................................... 39<br />

5.3.2 Eine innere Landschaft zeichnen............................................................... 41<br />

5.3.3 Intuitive Farbwahl...................................................................................... 43<br />

6. Kunsttherapie in der Sozialen Arbeit mit Jugendlichen..................................... 44<br />

6.1 Jugend(sozial)arbeit............................................................................................ 45<br />

6.2 Adoleszenz und Kreativität................................................................................. 46<br />

6.3 Kunsttherapie mit Jugendlichen.......................................................................... 47<br />

6.4 Praktische Methoden der Kunsttherapie in der Arbeit mit Jugendlichen........... 48<br />

6.4.1 Übung Meeresstrand.................................................................................. 49<br />

6.4.2 Die Skulptur „Von der Anmutung zur Form“............................................ 51<br />

7. Fazit.......................................................................................................................... 53<br />

8. Literaturverzeichnis............................................................................................... 56<br />

9. Abbildungsverzeichnis............................................................................................ 59<br />

10. Anhang................................................................................................................... 60<br />

11. Eidesstattliche Erklärung.....................................................................................61<br />

8


1. Einleitung<br />

Jemand nimmt Farbe, zieht Spuren über ein Blatt Papier, in einem Zustand<br />

absichtslosen Tuns, erkennt darin plötzlich eine Gestalt. Diese wirkt zurück, er ist<br />

inspiriert und lässt sich zu einer neuen Darstellungsform „verführen“ (vgl. Leutkart,<br />

Wieland & Wirtensohn-Baader 2004, S. 13f.).<br />

„Schon immer haben Menschen Bilder gemalt, Bilder als Träger ihrer Kultur, ihrer<br />

Ängste und Ekstasen“ (Egger 1991, S. 27). „Der Mensch...ist ein Wesen, für das „die<br />

gesprochenen, gemalten, in Stein gehauenen oder gesungenen Träume“ [noch immer]<br />

den notwendigen Lebensatem darstellen“ (von Spreti, Martius & Förstl 2005, V).<br />

Patienten geraten häufig an die Grenzen des sprachlichen Ausdrucks und finden durch<br />

nonverbale Ausdrucksmöglichkeiten in der Kunsttherapie einen neuen Weg zur Lösung<br />

seelischer Konflikte. Die Kunsttherapie eröffnet den Weg der selbständigen<br />

Verwirklichung unter dem Aspekt der Befreiung von Ästhetik und jeglichem<br />

Erfolgszwang. Beuys äußert, dass jeder Mensch ein Künstler sei. Er meint damit nicht,<br />

dass jeder Mensch ein Maler oder Bildhauer ist, sondern vielmehr, dass jeder Mensch<br />

schöpferische Möglichkeiten und kreative Fähigkeiten in sich trägt, die anerkannt und<br />

ausgebildet werden müssen (vgl. Thomas 1996, S. 13). Kreatives Malen ist ein Weg zur<br />

Heilung, ein Weg des Menschen zu sich selbst. Die Kreativität ist dabei das Wesen des<br />

Menschen und keine spezielle Begabung oder gar Betätigung (vgl. Gerum & Muth<br />

1996, S. 113).<br />

Was die Menschen wirklich bewegt und handeln lässt, das sind vor allem Gefühle,<br />

Empfindungen und Bilder. Das innere Bild und ebenso das sichtbare stehen der<br />

Ursprünglichkeit des Gefühls viel näher als das Wort. Worte können wahr oder falsch<br />

sein, das erlebte Gefühl hingegen ist immer wahr und somit mächtiger als das Wort<br />

(vgl. Neumann 1996, S. 163).<br />

„Sozialarbeiterische Praxis bedient sich primär des Instruments der „Sprache““ (Schorer<br />

2002, S. 11). Neben Informationen, die vor allem über Mimik und Gestik vermittelt<br />

werden, findet die Kommunikation über verbalisierte Sprache statt.<br />

9


Im Team, mit anderen Institutionen, Hilfesystemen und in der Arbeit mit Klienten wird<br />

verbal kommuniziert, werden Lösungen gesucht, Streit geschlichtet und Angebote<br />

gestellt. Insbesondere in der Sozialen Arbeit ist eine aktive, verbale Kommunikation für<br />

einen lebendigen Kontakt existentiell.<br />

In der Zusammenarbeit mit Randgruppen, Flüchtlingen, Migranten, geistig Behinderten,<br />

Kindern und Jugendlichen, Menschen mit psychischen Problemen, psychisch Kranken,<br />

aber auch alten Menschen, denen auf Grund mangelnder Sprach- und<br />

Ausdrucksfähigkeit keine Gelegenheit zum Selbstausdruck gegeben wird, erschließt<br />

sich die Notwendigkeit und der Bedarf an neuen Ausdrucksmitteln (vgl. Schorer 2002,<br />

S. 12).<br />

Um Möglichkeiten zur Bewältigung der soeben geschilderten Problematik in der<br />

Sozialen Arbeit aufzuzeigen, setze ich mich in meiner Arbeit mit der Themenstellung,<br />

wie kunsttherapeutische Aspekte und Methoden in der Sozialen Arbeit ihre Anwendung<br />

finden können, auseinander. Des Weiteren bewegte mich die Teilnahme am<br />

„Ausdrucksmalen“ an einer Jugendkunstschule unter Anleitung einer Kunsttherapeutin<br />

zu dieser Themenwahl. In der Adoleszenz entdeckte ich im künstlerisch-gestalterischen<br />

Arbeiten ein geeignetes Ausdrucksmittel zur Bearbeitung meiner inneren Konflikte. Auf<br />

dem Weg des Erwachsenwerdens gab mir die nonverbale bildnerische<br />

Auseinandersetzung mit meinem „Selbst“ die Möglichkeit, meine „Ich-Identität“ sowie<br />

meine „Ich-Autonomie“ herauszubilden und zu stärken.<br />

Als Einstieg in das Thema erfolgt zunächst eine allumfassende Darstellung der<br />

Kunsttherapie und der Sozialen Arbeit. Darunter sind historische Entwicklungslinien,<br />

Voraussetzungen sowie Aufgaben und Möglichkeiten der jeweiligen Disziplin<br />

angeführt.<br />

Im darauffolgenden Kapitel 4 gilt es zu klären, inwieweit die Kunsttherapie in den<br />

Bezugsrahmen der Sozialen Arbeit hineinführt und ebenso die Soziale Arbeit in den<br />

kunsttherapeutischen. Ziel ist es <strong>hier</strong>bei, die Schnittmenge beider Disziplinen sowie die<br />

Synergieeffekte im Kontext des therapeutischen und pädagogischen Verständnisses der<br />

Kunst, herauszuarbeiten.<br />

10


Da kunsttherapeutisches Arbeiten in sozialen Institutionen vor allem mit Kindern,<br />

Jugendlichen, behinderten und alten Menschen stattfindet, habe ich mich für die<br />

Darstellung der kunsttherapeutischen Arbeit mit alten Menschen und Jugendlichen in<br />

der Adoleszenz entschieden. Zum einen traf ich diese Wahl auf Grund bereits<br />

absolvierter Praktika in diesen Arbeitsfeldern und zum anderen würde eine Vorstellung<br />

aller genannten Zielgruppen im Rahmen kunsttherapeutischen Arbeitens in sozialen<br />

Einrichtungen den <strong>hier</strong> zur Verfügung stehenden Rahmen sprengen.<br />

Im Kapitel 5 und 6 nehme ich eine Themenakzentuierung durch eine präzise<br />

Darstellung der Kunsttherapie in der Sozialen Arbeit mit alten Menschen und<br />

Jugendlichen in der Adoleszenz vor. Nach einer einleitenden Vorstellung des<br />

Arbeitsfeldes der Altenhilfe und der Jugend(sozial)arbeit stelle ich die Besonderheiten<br />

in der kunsttherapeutischen Arbeit mit der jeweiligen Zielgruppe und letztendlich die<br />

Anwendung geeigneter praktischer Methoden in der Altenhilfe und der<br />

Jugend(sozial)arbeit heraus.<br />

Mit dem Kapitel 7 gelange ich zu einer abschließenden Bilanz und gebe eine<br />

zusammenfassende Erklärung sowie Antwort bezüglich der formulierten Ausgangsfrage<br />

meiner Arbeit.<br />

2. Kunsttherapie<br />

Um das Wesen und die Methoden der Kunsttherapie zu verstehen, muss man sich<br />

darüber im Klaren sein, wie innere Bilder auf unsere Psyche wirken und wie sie unser<br />

Verhalten beeinflussen. Auf Grund des Wissens um die therapeutische Wirkung von<br />

Bildern geht es den bildnerischen Therapien vor allem um den Gestaltungsprozess, der<br />

in seiner bildnerischen Dynamik den Zustand und die Befindlichkeit eines Menschen<br />

spiegelt und beeinflusst (vgl. Menzen 2004, S. 13).<br />

2.1 Begriff der Kunsttherapie<br />

Kunsttherapie „beutet“ die therapeutische Wirkung der Kunst aus. Sie stützt sich vor<br />

allem auf das Malen, Zeichnen sowie Tätigkeiten, über die jeder Mensch von Kindheit<br />

an verfügt, die letztendlich nicht zu erlernen sind (vgl. Rech 1989, S. 7).<br />

11


„Die Kunsttherapie integriert theoretische Erkenntnisse unterschiedlicher<br />

psychotherapeutischer Richtungen mit künstlerischen Ausdrucks- und<br />

kunsttherapeutischen Interventionsmöglichkeiten“ (Stewart 2009). Sie verbindet somit<br />

Kunst und Psychotherapie miteinander, und jede von ihnen wächst idealerweise durch<br />

ihre Vereinigung mit der anderen.<br />

Die Kunst beschreibt <strong>hier</strong>bei die Schöpfung ästhetisch stimulierender Darstellungen der<br />

Wirklichkeit. Die Psychotherapie hingegen hat die Behandlung psychisch anfälliger<br />

Individuen zum Gegenstand (vgl. Birtchnell 1984, S. 63). Die Kunsttherapie als<br />

Berufsfeld ist noch wenig institutionalisiert. In der Literatur wird sie als eine junge<br />

Disziplin verstanden und von unterschiedlichen Richtungen zum Beispiel medizinisch,<br />

psychoanalytisch oder psychiatrisch geprägt (vgl. <strong>Groddeck</strong> 1997, S. 270).<br />

Dort, wo die Verbalisierungsfähigkeit vom komplexen seelischen Geschehen an<br />

Grenzen stößt, bewährt sich die Kunsttherapie als diagnostisches, aber vor allem als<br />

therapeutisches “Medium”. Sie eröffnet die Möglichkeit, durch das gemalte Bild<br />

beziehungsweise das Objekt einen tiefen symbolischen Ausdruck für das noch<br />

unbewusste seelische Geschehen zu finden. Es gelingt folglich, innere Konflikte in eine<br />

sichtbare Form zu projizieren (vgl. Aissen-Crewett 2002, S. 13).<br />

„Kunsttherapie sprachfrei zu charakterisieren, ist Einbildung. Zwar beginnt ihre<br />

Funktion dort, wo Sprache nicht mehr ausreicht, aber indem Kunst Sprachloses zur<br />

Sprache bringt, ist sie erst recht Sprache“ (Rech 1989, S. 7). Die im therapeutischen<br />

Kontext entstehenden Bilder/Objekte lassen sich somit als “Brücke” zum inneren<br />

Erleben der Klienten 2 beschreiben. Mithilfe der Möglichkeit eines neuen<br />

Gestaltungsweges gelingt es der Kunsttherapie, die verbale Abwehr und<br />

Defensivmechanismen des Klienten zu umgehen. Es obliegt diesem, nun andere Seiten<br />

seines Seins zu entdecken und im künstlerischen Prozess psychische Konflikte zu verund<br />

bearbeiten. Der Klient erhält das Gefühl, aktiv an der Behandlung und seiner<br />

eigenen Wiederherstellung teil zu haben (vgl. Aissen-Crewett 2002, S. 13).<br />

2 Textbegleitend verwende ich stets maskuline Formen für Bezeichnungen wie zum Bespiel des Klienten,<br />

Patienten oder Therapeuten. Ich schließe darin jedoch immer beide Geschlechter mit ein.<br />

12


In diesem soeben beschriebenen Prozess werden Selbststeuerungskräfte des Klienten<br />

aktiviert, Differenzierungs- und Integrationsfähigkeiten gefördert und eine<br />

Umstrukturierung der Psyche möglich. Der Prozess des Malens und Plastizierens wird<br />

häufig als sinnliche, lustvolle und befriedigende Erfahrung mit einer angstmindernden<br />

Wirkung sowie einer einhergehenden Stabilisierung des Selbstwertgefühls des Klienten<br />

beschrieben. Der therapeutische Prozess erhält in Gestalt des kreativen Prozesses und<br />

Produktes einen „Vermittler“ beziehungsweise die Kommunikationsgrundlage zwischen<br />

Therapeuten und Klienten.<br />

Der Kunsttherapeut kann durch seine fundierten Kenntnisse der Psychodynamik und der<br />

künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten auf der Ebene der Gestaltung und der<br />

symbolisch metaphorischen Ebene intervenieren und kommunizieren.<br />

Das Bild/Objekt kann den Klienten aktivieren, im therapeutischen Prozess die<br />

Kommunikation auf verbaler Ebene für sich neu zu entdecken und somit wieder<br />

aufzunehmen (vgl. Stewart 2009). “Kunsttherapie bedeutet nicht zuletzt Sublimierung<br />

und konkrete Dokumentation einer gemachten Entwicklung” (Stewart 2009).<br />

2.2. Historische Entwicklung der Kunsttherapie<br />

Die Auswahl der Darstellung psychiatrisch, psychotherapeutisch und heilpädagogisch<br />

historischer Wurzeln der Kunsttherapie begründet sich im Hinblick auf deren<br />

Anwendung und Anknüpfungspunkte in sozialarbeiterischen Institutionen<br />

beziehungsweise in der Sozialen Arbeit als Ganzheit.<br />

2.2.1 Psychiatrische Wurzeln<br />

Vor 100 Jahren gab es noch kein kunsttherapeutisches Angebot für Patienten<br />

psychiatrischer Anstalten, jedoch beobachtete man schon damals wie Patienten spontan<br />

zu zeichnen begannen. Die Franzosen Ambroise Tardieu und Max Simon versuchten<br />

1870 die diagnostischen Bedeutungen der Kunst der Geisteskranken aufzuzeigen.<br />

Simon versuchte seiner Zeit eine Verbindung zwischen den Symptomen einer Krankheit<br />

und deren kreativen Ausdruck zu finden.<br />

13


Der deutsche Psychiater Fritz Mohr veröffentlichte 1906 das Werk „Über Zeichnungen<br />

von Geisteskranken und ihre diagnostische Verwendbarkeit“. Dabei bezog er sich<br />

primär auf das negativ Krankhafte in den Zeichnungen. Marcel Reja stellte 1907 diese<br />

negative Betrachtungsweise infrage, in dem er im Zeichnen und Malen vor allem die<br />

Notwendigkeit und Möglichkeit des Ausdrucks sah. Sein Werk „L` Art chez les Fous“<br />

bildet, wie Bader feststellte, den Grundstock einer modernen Psychopathologie des<br />

Ausdrucks.<br />

Dass besonders in den Zeichnungen von Geisteskranken verborgene Seiten, unbewusste<br />

Phantasien, Wünsche, Ängste sowie Kreativität zum Vorschein kommen, haben Walter<br />

Morgenthaler 1921 in seinem Werk „Ein Geisteskranker als Künstler“ und der<br />

Psychiater Hans Prinzhorn in seinem Buch „Bildnerei der Geisteskranken“<br />

dokumentiert.<br />

„Prinzhorn sah Bildwerke als Produkte des menschlichen Gestaltungsdranges, der dem<br />

autistischem Rückzug in die Krankheit entgegenwirkt“ (Schauberick 2002, S. 112). Er<br />

behandelte unter anderem die psychologischen Grundlagen der bildnerischen<br />

Gestaltung. Wie bereits erwähnt, war vorerst das Interesse an der Kunst der<br />

Geisteskranken ein diagnostisches, psychopathologisches. Man wollte über das<br />

Verständnis, die Interpretation des Bildes auf die inneren Erfahrungen des Patienten<br />

schließen. Die Bilder wurden häufig unabhängig von ihrem „Schöpfer“ nach objektiven<br />

Kriterien betrachtet. Morgenthalers und Prinzhorns Veröffentlichungen betonten zudem<br />

die ästhetische Seite eines Werkes (vgl. Dreifuss-Kattan 1986, S. 43ff.).<br />

Die ersten Malateliers entstanden 1935 in kinderpsychiatrischen Einrichtungen. In der<br />

zweiten Hälfte der 40er Jahre gründeten sich in Großbritannien, Frankreich, Brasilien<br />

und Kanada auch auf Erwachsenenstationen psychiatrischer Einrichtungen weitere<br />

Malateliers. Die Gestaltung, die sich in den Malateliers vollzog, wurde als authentischer<br />

Ausdruck des verborgenen Seelenlebens des Patienten angesehen. Im Zuge der<br />

Bearbeitung innerer Konflikte schrieben Experten der Gestaltung ebenso eine<br />

kathartische Funktion zu (vgl. Schauberick 2002, S. 112f.).<br />

14


2.2.2 Psychotherapeutische Wurzeln<br />

Künstler der Moderne bestätigen die Spaltung und Zerrissenheit des Menschen der<br />

Moderne, wie zum Bespiel Joseph Beuys in seiner Rauminstallation „Das Ende des 20.<br />

Jahrhunderts“. „Die ursprungsmythologische Tendenz, Kunst- und Naturausdruck des<br />

Menschen gleichzusetzen, wird von den Kritikern da zurückgewiesen, wo die<br />

Eigenständigkeit des Kulturellen, des spezifisch Künstlerischen verloren geht“ (Menzen<br />

2004, S. 20f.). Seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich eine Version<br />

tiefenpsychologisch und analytisch orientierter Gestaltungstherapie herausgebildet.<br />

Als „Therapie mit bildnerischen Mitteln auf tiefenpsychologischer Grundlage“ (Titel<br />

von Schrode 1989) hat sie sich vor allem in der klinisch - stationären<br />

Gruppenpsychotherapie angesiedelt. Diese Art von Gestaltungstherapie sieht sich durch<br />

den bildnerischen Ausdruck als Ergänzung verbal orientierter Psychotherapie.<br />

Sie bedient sich der spontanen Ausdrucksgestalt als Synthese von Innerem und<br />

Äußerem und intendiert die Vermittlung zwischen Bewusstem und Unbewusstem (vgl.<br />

Menzen 2004, S. 20f.). „Gestaltungs- und Kunsttherapie wird im Zusammenhang der<br />

Kategorisierung psychotherapeutischer Methoden als eine eigenständige Therapie<br />

angesehen“ (Schorer 2002, S. 52). Der psychotherapeutische Ansatz basiert auf einer<br />

eigenen ästhetisch - leiblichen Krankheitsvorstellung in der Psychiatrie (vgl. Schorer<br />

2002, S. 52). Zudem haben sich vier psychotherapeutische Ansätze herausgebildet, die<br />

„psychoanalytische Kunsttherapie“ nach Gisela Schmeer, das „Begleitete Malen“ nach<br />

Bettina Egger, das „Geführte Zeichnen“ Ortrud Deusers und die „Tonarbeit“ Heinz<br />

Deusers.<br />

Bettina Egger zählt Edith Kramer neben Margaret Naumburg zu den „bedeutendsten<br />

analytischen Kunsttherapeutinnen der USA“. Edith Kramer, Pionierin der<br />

Kunsttherapie, arbeitet bereits seit den 40er Jahren in den USA kunsttherapeutisch mit<br />

Kindern. Ihr Verständnis der Psychologie des Kindes stützt sich auf die Theorien Freuds<br />

und seiner Anhänger (vgl. Kramer 1978, S. 13).<br />

15


Ausgangspunkt ihrer Arbeit ist die Annahme, dass Kunst, das Kunstschaffen und somit<br />

die Entstehung der bildnerischen Produkte des Patienten in erster Linie als Heilmittel in<br />

der Psychotherapie Wirkung zeigt. Ihr Verständnis der Kunsttherapie bezieht sich „auf<br />

die Stützung des Ichs, die Förderung des Gefühls der persönlichen Identität und der<br />

Reifungsprozesse im Allgemeinen“ (Kramer 1997, S. 15ff.). Die Kunst als solche kann<br />

die Entwicklung einer psychischen Organisation fördern, welche auch unter Druck<br />

funktionieren kann. Die Kunsttherapie wird demnach zu einem wesentlichen Bestandteil<br />

des Therapeutischen und eine Form der Behandlung, welche die Psychotherapie<br />

ergänzt, aber nicht ersetzt (vgl. Kramer 1978, S. 13).<br />

2.2.3 Heilpädagogische Wurzeln<br />

Der heilpädagogische Ansatz ist in seinen Ursprüngen pädagogisch ausgerichtet und<br />

setzt sich insbesondere mit der kindlichen Erziehung und Entwicklung auseinander.<br />

Zudem ist er ein äußerst klientenspezifischer Ansatz (vgl. Schorer 2002, S. 48).<br />

Die Entwicklung der heilpädagogischen Kunsttherapie vollzieht sich in drei Etappen:<br />

Sie wurde 1860 von dem Heilpädagogen Deinhardt und dem Ehepaar Georgens<br />

hinsichtlich Sinnes- und Teilleistungsstörungen formuliert. In ihrem Sinne wurden<br />

Kunst-, Mal- und Zeichenpädagogik zum „notwendigen Heilmittel“ (vgl. Schorer 2002,<br />

S. 48). Ihre Orientierung galt 1920 dem aufkommenden ganzheits- und<br />

gestaltungspsychologischen Ansatz und ist um 1990 schließlich neurologisch<br />

ausgerichtet. Ende der 90er Jahre wird die heilpädagogische Kunsttherapie zu einem<br />

Fach, das im Rahmen der wissenschaftlich geregelten Heilpädagogik Anklang findet.<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts richtet sich die ansatzweise wahrnehmbare heilpädagogische<br />

Kunsttherapie an der Fröbelschen Kindergartenpädagogik aus. Zu Beginn des 20.<br />

Jahrhunderts forderte der Künstler und Lehrer Cizek dazu auf, Kindern im<br />

Schulunterricht zu inneren Erlebnissen durch freies Malen zu verhelfen. So wurde ab<br />

1920 das Freihandzeichen als Teilerfolg in den Schulen eingeführt. Menzen und<br />

Lichtenberg erweitern Aspekte einer ästhetischen Sozialisation durch neurologische<br />

Perspektiven, Kükelhaus und Türk um sinnesorganische Aspekte (vgl. Schorer 2002, S.<br />

48). Bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg ist die heilpädagogisch- bildnerische<br />

Förderarbeit der Gestaltwahrnehmung verpflichtet. Im Umgang mit behinderten<br />

Menschen setzt die heilpädagogische Kunsttherapie auf die Anwendung der<br />

ganzheitlichen Förderung.<br />

16


Gegenwärtige heilpädagogische Kunsttherapie beschäftigt sich mit neurologischen<br />

Aspekten spezifischer Störungsbilder wie Hyperaktivität, Störungen der Sinne, der<br />

Motorik und des Sozialverhaltens. Um 1998 entwickelt sich die heilpädagogische<br />

Kunsttherapie schließlich zu einer eigenständigen Methode, die gegenwärtig in der<br />

Praxis der Neurologischen Kliniken auf Grund äußerst positiv sinnes- stimulierender<br />

Erfahrungen im Rahmen des Realitäts-Orientierungs-Trainings mit Schlaganfall- und<br />

Alzheimerpatienten nicht mehr zu entbehren ist (vgl. Menzen 2004, S. 18f.).<br />

2.3 Kunsttherapeutisches Dreieck<br />

Bevor ich das Aufgabenfeld des Kunsttherapeuten erläutere, werde ich die<br />

Kunsttherapie in ihrer Besonderheit des „Dritten“ nachzeichnen, um ein allumfassendes<br />

Bild der gestalterischen Therapie zu skizzieren.<br />

Das in der Literatur immer wiederkehrende Dreieck des kunsttherapeutischen<br />

Geschehens beschreibt sich in der klassischen Besetzung Werk-Patient-Therapeut.<br />

Diesem liegt die Triade Werk-Machen-Betrachten zugrunde. Die Erweiterung des<br />

therapeutischen Beziehungsraumes um die Dimension des „Dritten“ lässt in der<br />

Kunsttherapie besondere Möglichkeiten erwachsen. Ressourcen-, Handlungs-, Erlebnisund<br />

Beziehungsorientierung erfahren im Bildnerischen als „Dritten“ eine besondere<br />

Rolle. Ein Blick auf das klassisch therapeutische Dreieck eröffnet die Möglichkeit, das<br />

multidimensionale Geschehen sowie sich darin ergebende Räume der Begegnung zu<br />

erfassen. Im Dreieck Werk-Patient-Therapeut existieren facettenreiche Möglichkeiten<br />

der Verbindung und Schwerpunktsetzung. Vorrangig dominieren jedoch zirkuläre<br />

Momente das Geschehen (vgl. von Spreti, Martius & Förstl 2005, S. 12f.).<br />

2.4 Aufgabenfeld des Kunsttherapeuten<br />

Eine der wichtigsten Aufgaben des Kunsttherapeuten besteht folglich darin, dem<br />

Patienten den künstlerischen Ausdruck zu erleichtern. Dem Therapeuten sollte es<br />

gelingen, dem Patienten einen unterstützenden Rahmen anzubieten. Die „Kunst“ des<br />

Kunsttherapeuten besteht dabei im „nichts tun“.<br />

17


Das heißt, dass sich dieser möglichst passiv verhält und die Rolle des Aktiven dem<br />

Klienten zu Teil werden lässt. Der Therapeut hat folglich die Rolle des „teilnehmenden<br />

Beobachters“ inne, damit er den Patienten im gestalterischen Prozess in seiner Ganzheit<br />

wahrnehmen kann und in seiner Dynamik verstehen lernt.<br />

Hat der Patient während des Kreierens das Bedürfnis sich mitzuteilen, wird dies ohne<br />

aktive Einmischung des Therapeuten in den Arbeitsprozess unter respektvollem<br />

Zuhören zugelassen. Der Kunsttherapeut fokussiert die schrittweise Entstehung des<br />

Werkes. Verlangt der Patient nach Hilfe technischer und unterstützender Art, ist es<br />

Aufgabe des Therapeuten, diese zu leisten.<br />

Auf die Gestaltung des Bildes kann eine Reflexion über das Gestaltete erfolgen. Unter<br />

Berücksichtigung des Alters und der Störung des Patienten kann diese kurz, ausgiebig<br />

oder unter Umständen auch gar nicht erfolgen. Diese Phase sollte mit einer Frage des<br />

Therapeuten eingeleitet werden wie zum Beispiel: „Können Sie mir etwas über das Bild<br />

erzählen“ Bei der gemeinsamen Bildbetrachtung und Reflexion ist es besonders<br />

wichtig, mit dem Patienten möglichst lange auf der symbolischen Ebene zu<br />

kommunizieren. Das heißt, es soll über Inhalte des Bildes, nicht über den Patienten<br />

selbst gesprochen werden. Damit werden frühzeitige Abwehrmechanismen des<br />

Patienten gegen eine emotionale Annäherung des Kunsttherapeuten unterbunden.<br />

Assoziationen des Patienten sowie zusätzliches Wissen über Symbolik von Märchen,<br />

Sagen und Mythologien sind dabei hilfreich.<br />

Zu Beginn der Therapie sollte dem Patienten ein Gefühl der Sicherheit auf Basis eines<br />

gemeinsamen Vertrauensverhältnisses gegeben werden. Die Kommunikation des<br />

Therapeuten sollte sich anfangs auf unterstützende Kommentare beschränken. Dem<br />

Patienten wird die Zeit gegeben, um herauszufinden, was von ihm verlangt wird und<br />

wie er das Malmaterial für sich am besten einsetzen kann.<br />

In der zweiten Phase hat der Kunsttherapeut oftmals den Eindruck, dass der<br />

Arbeitsprozess des Patienten und vor allem mit diesem stagniert. Insbesondere in dieser<br />

Phase gilt für den Therapeuten, die Ängste für den Patienten auszuhalten und mit den<br />

eigenen Frustrationen als Therapeut fertig zu werden.<br />

18


Eine Interpretation der Widerstände kann jedoch auch neue Energien freisetzen. Dem<br />

Therapeuten kann es gelingen, dem Patienten Interpretationen anzubieten, welche den<br />

Inhalt des Bildes mit dem Übertragungsverhalten verbindet und somit Einsicht und<br />

Veränderung provoziert. Der Patient wird aufgefordert, seine alte Welt und<br />

entsprechende Fantasien aufzugeben. Dieses Vorhaben weckt wiederum große Ängste<br />

und Unsicherheit in ihm. Sich jedoch auf diese Veränderung einzulassen, sich in eine<br />

noch nicht vorformulierte Welt zu begeben, bildet einen unabdingbaren Teil eines jeden<br />

therapeutischen Prozesses.<br />

In der Abschlussphase spürt der Patient wie wichtig der Therapeut in seiner<br />

Wirklichkeit und Übertragung ist. Er hat folglich das Gefühl, den Therapeuten zu<br />

„verlieren“. Er „verliert“ jedoch nicht die internalisierte Fähigkeit, sich künstlerisch<br />

auszudrücken, seine inneren Bilder zu übersetzen und verstehen zu lernen. Dies<br />

erleichtert die Trennung vom Therapeuten.<br />

Abschließend kann der Therapeut gemeinsam mit dem Patienten alle in der Therapie<br />

entstandenen Bilder betrachten und den Verlauf noch einmal beobachten sowie weitere<br />

Klärungen anbringen (vgl. Dreifuss-Kattan 1986, S. 24ff.).<br />

2.5 Setting der Kunsttherapie<br />

Die Kunsttherapie kann in Abhängigkeit vom jeweiligen Arbeitsfeld, der Anwendung<br />

des methodischen Ansatzes sowie der individuellen Indikationen in unterschiedlichen<br />

Settings stattfinden. Sie findet in Einzel- oder Gruppensituationen beziehungsweise in<br />

projektbezogener Arbeit statt. Vor allem im Bereich der ambulanten Vor- und<br />

Nachsorge ist die offene Gruppe im Sinne einer „kunsttherapeutischen Atelierarbeit“ als<br />

eine weitere Möglichkeit anzuführen. Um optimale Bedingungen im<br />

kunsttherapeutischen Setting herstellen zu können, bedarf es darüber hinaus einer<br />

gezielten Einteilung beziehungsweise Bereitstellung der Faktoren Zeit, Raum und<br />

Material.<br />

19


2.5.1 Einzeltherapie<br />

Die therapeutische Einzelsituation lässt die Beziehung zwischen Patienten und<br />

Therapeuten in den Vordergrund treten. Der Patient erhält im Einzelsetting die<br />

Möglichkeit, sich im geschützten Rahmen intensiv mit der individuellen Problematik<br />

auseinander zu setzen. Die Einzelsituation kann sich positiv auf das Ansprechen anderer<br />

Themenbereiche auswirken, mit denen sich der Patient in der Gruppensituation so nie<br />

auseinander setzen würde. Insbesondere bei Kindern mit Konzentrationsschwierigkeiten<br />

ist die Einzeltherapie zunächst die Methode der Wahl (vgl. Thomas 1996, S. 31).<br />

2.5.2 Gruppentherapie<br />

Die Gruppentherapie bietet dem Patienten die Möglichkeit, sich innerhalb der Gruppe<br />

zurückzuziehen. In der Gruppe werden Themen bearbeitet, die sich aus der<br />

Eigendynamik dieser ergeben und ein gemeinsames Anliegen sind. Die Bedürfnisse des<br />

Einzelnen stehen hinter denen der Gruppe zurück und können nur im gemeinsamen<br />

Einverständnis aller Gruppenteilnehmer im Einzelfall vertieft werden. Die Patienten<br />

erfahren im Schutzraum „Gruppe“ das Gefühl, mit ihren Schwierigkeiten nicht allein zu<br />

sein und nehmen oftmals die Möglichkeit wahr, Lösungsmöglichkeiten von anderen<br />

Gruppenteilnehmern zu erlernen. Im Entstehungsprozess von Gemeinschaftsbildern<br />

wird das „Wir-Gefühl“ gestärkt. Im Rahmen der Gruppentherapie besteht die<br />

Möglichkeit der „Projektbezogenen Arbeit“ sowie der Arbeit im „Offenen Atelier“ (vgl.<br />

Thomas 1996, S. 31f.).<br />

Projektbezogene Arbeit<br />

Projektbezogene, therapeutische Arbeit, wie sie im klinischen Bereich Anwendung<br />

findet, ist zeitlich begrenzt und verfolgt ein bestimmtes Ziel. Die Teilnehmer können<br />

sowohl themenbezogen als auch frei arbeiten. Sie erhalten den nötigen Freiraum, in dem<br />

sie sich mithilfe des bildnerischen Materials nonverbal ausdrücken können. Die<br />

Therapeuten stehen in diesem Rahmen für Fragen und Anleitungen sowie für eine<br />

Reflexion des Entstehungsprozesses und der angefertigten Arbeiten bereit.<br />

20


Im nicht pädagogischen und weitgehend nonverbal therapeutischen Umgang, der für die<br />

meisten Patienten neu ist, entsteht Freude am Schaffen, ein Gefühl der eigenen Stärke<br />

und eine gemeinsame gestalterische Kraft. Durch projektbezogene, kunsttherapeutische<br />

Arbeit kann es gelingen, dass der Patient seine Freiräume erweitert und seine<br />

Bereitschaft zur Übernahme der Selbstverantwortung steigert (vgl. Thomas 1996, S.<br />

32f.).<br />

Offenes Atelier<br />

Besonders im ambulanten Bereich bewährt sich das „Offene Atelier“ als feste<br />

Institution. Einmal wöchentlich, für jeweils zweieinhalb Stunden können sich Personen<br />

aller Altersgruppen mit gestalterischen Mitteln auseinandersetzen. Jeder kann unter<br />

fachlicher Anleitung malen, was und wie er will. Es wird die Möglichkeit gegeben,<br />

Bilder, Inhalte und aktuelle Probleme mit dem vor Ort zu Verfügung stehenden<br />

Therapeuten zu besprechen. Allein das Wissen um die Möglichkeit therapeutischer<br />

Betreuung in diesem Rahmen hilft vielen Teilnehmern „loszulassen“. Das „Offene<br />

Atelier“ bietet die Gelegenheit, kunsttherapeutisches Arbeiten einmal kennen zu lernen,<br />

da „Schwellenängste“ in diesem Rahmen erfahrungsgemäß kaum vorhanden sind (vgl.<br />

Thomas 1996, S. 33f.).<br />

2.5.3 Zeit<br />

Wichtig in der Kunsttherapie ist es, einen genau definierten, organisatorischen Rahmen,<br />

welcher auf die behandelnde Patientengruppe und Situation abgestimmt wird, zu geben.<br />

Die Zeiteinteilung findet unter Berücksichtigung der Konzentrationsfähigkeit des<br />

jeweiligen Patienten, der Patientenanzahl und der besonderen Zielsetzung statt.<br />

Wird ein psychiatrischer Patient beispielsweise in einer kunsttherapeutischen<br />

Privatpraxis behandelt, sind eventuell zwei Sitzungen wöchentlich à 60 Minuten<br />

angemessen. Einem schwerkranken Krebspatienten hingegen würde eine 60minütige<br />

Sitzung überfordern. Im Rahmen seiner Möglichkeiten erscheint eine 30minütige<br />

Sitzung als sinnvoll. Organisiert man jedoch eine Gruppe in einer Klinik mit 12<br />

psychiatrischen Patienten, sind 90 Minuten pro Gruppensitzung angemessen, da die<br />

gemeinsame Themenfindung in der Gruppe und das Anschauen und Reflektieren der<br />

Produkte eines größeren zeitlichen Rahmens bedürfen.<br />

21


Kunsttherapie kann demzufolge täglich oder wöchentlich beziehungsweise zweimal<br />

wöchentlich, je nach Situation, stattfinden. Nachdem das Zeitfenster gemeinsam mit<br />

dem Patienten festgelegt wurde, sollte auf dessen strikte Einhaltung geachtet werden<br />

(vgl. Dreifuss-Kattan 1986, S. 14).<br />

2.5.4 Raum<br />

Es sollte ein relativ großer Raum mit viel Tageslicht und fließend Wasser zur<br />

Verfügung stehen. Außerdem sollte genügend Raum vorhanden sein, um die Bilder der<br />

Patienten und das Malmaterial angemessen lagern zu können. Die Arbeitsfläche sollte<br />

Platz bieten, um großformatiges Papier frei bewegen zu können. Jedoch sollte die<br />

Arbeitsfläche auch nicht zu groß sein, damit der Patient, der allein arbeitet, sich nicht<br />

verloren vorkommt. Der Arbeitsplatz sollte zum einen Privatsphäre ermöglichen, zum<br />

anderen Nähe gestatten. Zwei Tische erweisen sich als optimal, einer für die<br />

Einzeltherapie abseits, der andere hingegen für Gruppenaktivitäten. Materialvielfalt<br />

sollte dem Klienten zur Verfügung gestellt werden, aber so, dass diese den Arbeitsplatz<br />

nicht beeinträchtigt.<br />

Für den Kunsttherapeuten selbst ist es notwendig, sich eine Sitzgelegenheit zu<br />

arrangieren, die zulässt, den Patienten in Aktion zu beobachten ohne aufdringlich zu<br />

wirken.<br />

Nachdem die Gruppe am Tisch, an der Staffelei oder an der Wand stehend gearbeitet<br />

hat, kommen alle in einem Stuhlhalbkreis zusammen. Es wird möglich, gemeinsam die<br />

Zeichnungen, die an einer Leiste oder Stellwand angebracht wurden, zu betrachten. Die<br />

Bilder sollten nicht einzeln vom jeweiligen Patienten in die Höhe gehalten werden, weil<br />

diesem sonst verwehrt bleibt, gleichzeitig sein Werk zu zeigen und zu betrachten.<br />

Um Störungen von außen zu vermeiden, sollte der Raum über eine schließbare Tür<br />

verfügen. Von besonderer Wichtigkeit ist es, den Raum stimulierend einzurichten sowie<br />

diesen leicht sauber halten zu können. Es sollte stets viel Platz an den Wänden<br />

vorhanden sein, um die Möglichkeit zu geben, Patientenbilder oder Gruppenprojekte<br />

aufzuhängen. Pflanzen gestalten den Raum lebendiger und strahlen vor allem für<br />

hospitalisierte Patienten Wärme aus (vgl. Dreifuss-Kattan 1986, S. 14f.).<br />

22


2.5.5 Material<br />

Es ist nur ein solches Material in seiner Verwendung geeignet, das in der<br />

kunsttherapeutischen Sitzung zu einem befriedigenden Resultat führt. Das Material<br />

sollte für jedes Alter geeignet sein und nur wenig technische Erklärung erfordern. Um<br />

dem Patienten je nach emotionaler Lage und momentaner Situation möglichst freie<br />

Wahl zu lassen, sollte dieser sein Arbeitsmaterial selbst auswählen. Dafür muss<br />

reichhaltiges und verschiedenes Material bereitgestellt werden, beispielsweise<br />

verschiedene Oberflächenqualitäten der Papiere für Wasserfarben und kreideartige<br />

Stifte, farbige und weiße sowie dicke und dünne Papiere und Leinwand von<br />

verschiedener Oberflächenstruktur. Entsprechend den Farbenmaterialien gilt es,<br />

verschiedene Pinselarten und Pinselgrößen gebrauchsbereit zu halten.<br />

Mit den Materialien und den geschaffenen Produkten sollte ebenso gewissenhaft und<br />

respektvoll umgegangen werden wie mit dem Patienten.<br />

Kunsttherapeuten müssen über verschiedene Malmaterialien und deren Gebrauch genau<br />

informiert sein. Sie sollten sich bewusst darüber sein, dass es für jede Technik ein<br />

geeignetes Papier oder bestimmte Pinsel gibt, deren Gebrauch die Arbeit erleichtert,<br />

auch um dem Patienten Frustrationen im künstlerischen Prozess zu ersparen. Dasselbe<br />

gilt auch für die Modelliermaterialien. Es gibt beispielsweise Tonsorten verschiedener<br />

Konsistenz mit verschiedenen natürlichen und künstlichen Farben und es gibt dazu<br />

passende verschiedenartige Glasuren. Kunsttherapeuten sollten stets über die Kataloge<br />

der Farbhändler verfügen und diese studieren, um über die Qualität der angebotenen<br />

Materialien ausreichend informiert zu sein.<br />

Die erste Berührung mit der Kunsttherapie stellt auch immer eine erste Berührung mit<br />

dem Material dar, welches es nun gilt, zu erforschen und zu entdecken. Das Experiment<br />

mit verschiedenen Materialien und Techniken ist bereits ein essentieller Teil des<br />

künstlerisch kreativen Prozesses und ein erster Schritt für den Patienten, sich mit seinen<br />

inneren, unbewussten Bildern zu konfrontieren. Es besteht die Möglichkeit, dass der<br />

Kunsttherapeut dem Patienten taktvoll unaufgefordert technische Hilfe anbietet, wenn<br />

dieser eine Tonfigur mit streichholzdünnen Beinen modelliert, die den Brennvorgang<br />

nicht überstehen würde.<br />

23


Viele Jugendliche und Erwachsene fürchten sich vor Malmaterial, weil es ihnen als<br />

„kindisch“ erscheint. In diesem Augenblick ist es Aufgabe des Kunsttherapeuten, der<br />

Angst vor Regression Rechnung zu tragen, indem Material „für Erwachsene“ angeboten<br />

wird, wie Acrylfarben, Collagematerial oder Polaroidfotos (vgl. Dreifuss-Kattan 1986,<br />

S. 15f.).<br />

2.6 Möglichkeiten der Kunsttherapie<br />

Durch das Machen und Betrachten, durch den möglichen Blick auf das Werk und den<br />

Prozess der Erstellung entstehen in der bildnerisch arbeitenden Kunsttherapie besondere<br />

Möglichkeiten. In all diesen Möglichkeiten findet die aktivierende Kraft bildnerisch<br />

künstlerischer Prozesse Gehör. Die Belebung „brachliegender“, schöpferischer<br />

Selbstheilungskräfte ist <strong>hier</strong>bei maßgeblich. Die kunsttherapeutischen Möglichkeiten,<br />

resultierend aus den Potenzialen der Bildenden Kunst, zeigen eine große Bandbreite auf.<br />

Die Kunsttherapie zeichnet sich durch das Potenzial der Befreiung, Aktivierung,<br />

Kommunikation und Integration aus. Sie ruft <strong>hier</strong>bei in strukturiert ablaufenden<br />

Prozessen eine stärkende, stützende und identitätsbildende Wirkung hervor (vgl. von<br />

Spreti, Martius & Förstl 2005, S. 15ff.).<br />

2.6.1 Möglichkeit des Ausdrucks<br />

Innerhalb eines geschützten Rahmens und eines somit geschaffenen Freiraums, frei von<br />

Leistungsdruck und Konkurrenz, findet der Patient die Möglichkeit des unzensierten<br />

Ausdrucks vom zuvor Unaussprechbaren, verdrängten Affekten oder Fixierungen. Die<br />

Möglichkeit zu erhalten, sich mithilfe vielfältiger Materialen und in unterschiedlichster<br />

Bildsprache ausdrücken zu können, wird häufig als ein Prozess der Befreiung erlebt.<br />

Der Kunsttherapie gelingt es, den Zugang zu neu erfahrbaren, schöpferischen<br />

Ausdruckspotentialen, die im Alltag oft unentdeckt bleiben, zu öffnen (vgl. von Spreti,<br />

Martius & Förstl 2005, S. 15).<br />

2.6.2 Möglichkeit des Erinnerns<br />

Sinnlich-ästhetische Gestaltungsprozesse mit unterschiedlichen Materialien können<br />

einen direkten Zugang zu frühen Erinnerungen an Kindheitserlebnisse, insbesondere<br />

auch vorsprachliche Erfahrungen, herbeiführen.<br />

24


Es besteht die Chance, spielerisch- schöpferische Kräfte, die aus unserem Denken,<br />

Fühlen und Tun als Kind hervorgehen, erneut freizusetzen. Durch die im bildnerischen<br />

Prozess ablaufenden primär- und sekundärprozesshaften Erlebnisweisen eröffnen sich<br />

zahlreiche Möglichkeiten für die Diagnose und die Therapie (vgl. von Spreti, Martius &<br />

Förstl 2005, S. 15).<br />

2.6.3 Möglichkeit der Form- und Symbolbildung<br />

Der Ausdruck mit einem ästhetischen Mittel eröffnet dem Patienten neben dem<br />

„Abreagieren“ auch ein „Formen“. Die vorerst verborgenen, inneren Bilder erhalten<br />

Form und Farbe. Das Unsichtbare wird sichtbar, durch ein bestimmtes Material<br />

symbolisiert und zu einem betrachtbaren Gegenüber, das die Möglichkeit der<br />

Annährung, Distanzierung und Veränderung impliziert. Indem das psychische<br />

Geschehen in eine Form projiziert wird, verliert es für den Patienten (meist) an<br />

Bedrohung. „Durch die Möglichkeit des Sichtbaren und Dauerhaften entstehen Chancen<br />

zum mehrmaligen Anschauen und insbesondere Chancen des Bearbeitens, Veränderns<br />

und eines neuerlichen Wieder-zu-sich- Nehmens“(vgl. von Spreti, Martius & Förstl<br />

2005, S. 15f.).<br />

2.6.4 Möglichkeit symbolischen Handelns<br />

Durch künstlerische Prozesse entstehen verschiedene Wege des symbolischen<br />

Handelns, des „Probierens“. Das Betreten eines Ateliers, künstlerische Materialien,<br />

Farbe und Gerüche können möglicherweise zu einer inspirierend sinnlich- ästhetischen<br />

Erlebnisreise für den Besucher werden. Spielerische Möglichkeiten des „Sich-<br />

Ausprobierens“, aktives Experimentieren mit Vorstellungen und Empfindungen sowie<br />

das Entstehen neuer anderer Selbst- Bilder werden angeregt und erprobt (vgl. von<br />

Spreti, Martius & Förstl 2005, S. 16).<br />

2.6.5 Möglichkeit zusätzlicher Kommunikation<br />

Neben die Worte und die Sprache unseres Körpers tritt in der Kunsttherapie eine dritte<br />

Komponente, nämlich die Bildsprache. Sie erweitert die Kommunikation um das<br />

Bildhafte. In Krisen- und Grenzsituationen kann durch bildhafte Kommunikation<br />

zwischen Patient und Therapeut bzw. Klient und Sozialarbeiter ein intensives Verstehen<br />

bewirkt werden.<br />

25


Dort, wo die Verbalisierungsfähigkeit auf Grund entwicklungs- und krankheitsbedingter<br />

Faktoren dem Ausdruck und der Verständigung in Worten Grenzen setzt, ermöglicht<br />

das gestalterische „Medium“ den Zugang zu einer neuen, tiefen Ebene der<br />

Kommunikation und zu unbewusst gehaltenen Seiten des Patienten (vgl. von Spreti,<br />

Martius & Förstl 2005, S. 16).<br />

2.6.6 Möglichkeit erweiterter Wahrnehmung und Erkenntnis<br />

Bildnerisches Gestalten zielt auf eine Vertiefung der Wahrnehmung, der Sensibilität,<br />

aber auch auf eine Erweiterung des „gewohnten“ Blickes und Blickwinkels ab. Die<br />

entstandenen Objekte/Bilder und die Bildprozesse lassen sich unter verschiedenen<br />

Gesichtspunkten, formal-ästhetischen ebenso wie psychodynamisch-symbolischen,<br />

betrachten. Sie ermöglichen einen Perspektivenwechsel, der neue Sichtweisen in<br />

Krisensituationen, bei einer Krankheit sowie deren Bewältigung bietet. Die Lösung für<br />

eine Konfliktsituation wird meist im Bild selbst, in seiner Darstellung deutlich<br />

erkennbar. Die Erkenntnisgewinnung entsteht über die Bildform und den Bildinhalt als<br />

auch über den Entstehungsprozess des Werkes/Objektes. Der Fokus liegt dabei auf<br />

bewussten und unbewussten Anteilen und Verknüpfungen.<br />

„Kunst als besondere Variante des menschlichen Erkenntnisvermögens erhält im<br />

kunsttherapeutischen Kontext unter der Perspektive der Einsichtsvermittlung eine<br />

zentrale Bedeutung“ (von Spreti, Martius & Förstl 2005, S. 16f.).<br />

3. Soziale Arbeit<br />

Die Soziale Arbeit hat eigene umfassende Strukturen und Inhalte zu bergen, die in ihrer<br />

Vielfalt auf Grund des <strong>hier</strong> zur Verfügung stehenden Raumes nicht detailliert dargelegt<br />

werden können. Vielmehr gilt es, orientiert am Basiswissen der Sozialen Arbeit, mit<br />

diesem Kapitel einen komplexen Einstieg in das Thema der Sozialen Arbeit zu<br />

ermöglichen.<br />

26


3.1 Begriff der Sozialen Arbeit<br />

Soziale Arbeit ist ein komplexer und unübersichtlicher Gegenstand, der gesellschaftlich<br />

bedeutsame Aufgaben übernimmt und sich folglich als Profession versteht. Sie ist eine<br />

sozialstaatlich besonders abhängige Profession, deren Aufgabenschwerpunkte und<br />

Ressourcen durch sozialpolitische Entscheidungen bestimmt werden (vgl. Heiner 2007,<br />

S. 17). Einer besonderen Herausforderung unterliegt die Soziale Arbeit in Bezug auf das<br />

zu leistende Tripelmandat. Sozialschaffende haben ein dreifaches Mandat: die Klientel,<br />

den Staat und den Kodex der Sozialen Arbeit. Das heißt, dass sich die Soziale Arbeit<br />

gegenüber den Bedürfnissen des Individuums, der Mikrosysteme ebenso wie<br />

Bedingungen des staatlichen Rechtssystems beziehungsweise der aktuellen Sozialpolitik<br />

verpflichtet (vgl. Arnegger 2008).<br />

Soziale Arbeit versteht sich als Praxissystem, also als Beratung, Unterstützung und<br />

Hilfe offerierendes Arbeitsfeld moderner Gesellschaften, als Theoriegebäude oder<br />

Wissenschaft, als Beruf oder aber als ein in sich stark gegliedertes, mehr oder weniger<br />

geschlossenes Subsystem ausdifferenzierter Gesellschaften (vgl. Thole 2005, S. 16).<br />

Der Sozialen Arbeit obliegt die Vermittlung zwischen Individuum und Gesellschaft im<br />

Spannungsfeld von Hilfe, Kontrolle und präventiver Intervention hinter der doppelten<br />

Aufgabenstellung der Veränderung der Lebensbedingungen und Beeinflussung der<br />

Lebensweise der Klienten mit dem Ziel, die sozialverantwortliche Selbstverwirklichung<br />

dieser und ihrer Autonomie in der Lebenspraxis sowie die soziale Gerechtigkeit zu<br />

fördern (vgl. Heiner 2007, S. 521). Sozialarbeiter achten neben dem Grundsatz der<br />

sozialen Gerechtigkeit auf die Erfüllung des Selbstbestimmungsrechtes der Klienten,<br />

indem sie individuelle Ziele des Klienten erkennen, respektieren und fördern (Zippel &<br />

Kraus 2003, S. 38).<br />

3.2 Geschichte der Sozialen Arbeit<br />

Die Entstehung der Sozialen Arbeit ist eng mit der Auseinandersetzung über das<br />

Verhältnis von Arbeit und Armut und der Verteilung der gesellschaftlich vorhandenen<br />

Ressourcen verknüpft.<br />

27


Almosen im Mittelalter<br />

Das Verhältnis von Arbeit und Armut war durch die Vorstellungen des Christentums<br />

geprägt. „Selig sind die Armen.“ (Lukas 6,20) Arm war, wer schutzlos, machtlos und<br />

dem Zugriff der Mächtigen ausgesetzt war. Dem christlichen Auftrag der Nächstenliebe<br />

verpflichtet, waren Kirchen, Landesherren, wohlhabende Privatleute und Klöster. Die<br />

Klöster verteilten im christlichen Auftrag Essen an Bettler, versorgten Kranke und<br />

beherbergten Reisende. Privatleute und die von ihnen gegründeten privaten Stiftungen,<br />

Gilden, Zünfte und Bruderschaften leisteten Hilfe nach dem Prinzip<br />

genossenschaftlicher Selbsthilfe. Die mittelalterliche Armenfürsorge war keine<br />

systematische Strategie zur Beseitigung sozialer Notlagen. Armut wurde auch nicht als<br />

soziales Problem angesehen.<br />

Sozialdisziplinierung – europäischer Kapitalismus<br />

Im 13. Jahrhundert folgt die Auflösung der mittelalterlichen Stände- und<br />

Gesellschaftsordnung. Durch die Kreuzzüge und die Eroberung des Ostens entsteht ein<br />

enormer Aufschwung des Fernhandels, ein gewaltiger Binnenmarkt entsteht und die<br />

Naturalwirtschaft wird durch die Geldwirtschaft abgelöst.<br />

Der Geldadel etabliert sich mit dem Ziel der Profitmaximierung. Der Gegensatz und das<br />

Verhältnis zwischen Arm und Reich verschärft sich. Armut ist kein unveränderbar,<br />

gottgewollter Zustand mehr, sondern individuell verschuldet. Die veränderte Bewertung<br />

von Arbeit und Bettel und die Gesetzmäßigkeiten des Marktes (Kapitalismus) erfordern<br />

neue Werte. Armut wir zur ökonomischen Kategorie und die Bedürftigkeit eines<br />

Menschen entlang der Arbeitsfähigkeit gemessen. Neben der primären Zuständigkeit<br />

der Kommunen, Armut und Bettel zu regulieren, fühlen sich weiterhin Kirchen, private<br />

Spender und Stiftungen verantwortlich. Grundsätzlich setzt jedoch eine Säkularisierung<br />

der Armenfürsorge ein. Die unsystematische Almosenverteilung ist kein geeignetes<br />

Mittel mehr, um die Masse der Bedürftigen zu erreichen. Das Instrument sozialer<br />

Hilfeleistungen ist nun die Sozialdisziplinierung, das heißt die Pflicht und der Zwang<br />

zur Arbeit, die der Anpassung an die Markterfordernisse dient. Die Armenfürsorge wird<br />

zum Instrument der Arbeitserziehung. Armut als soziales Problem tritt in das<br />

Bewusstsein und erfordert ein systematisches Vorgehen. Daraus entwickeln sich erste<br />

Ansätze einer planvollen Sozialpolitik (Bürokratisierung) (vgl. Sagebiel 2009).<br />

28


Private Initiativen – Industrialisierung<br />

Im Zuge der industriellen Revolution führen technische Erfindungen zu einem Auf- und<br />

Ausbau der Industrie und zu Veränderungen in allen Lebensbereichen. Das Land<br />

verändert sich von einer Agrar- zur Industriegesellschaft. Bauern verließen in Folge von<br />

Verschuldung und Absatzschwierigkeiten ihr Land, um in die Städte (Ruhrgebiet) zu<br />

ziehen, auf der Suche nach Arbeit. Durch die Landflucht entsteht in den Städten eine<br />

neue Klasse, die des Proletariats.<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts bestimmen massenhafte Armut und menschenunwürdige<br />

Lebens- und Arbeitsverhältnisse das Bild der industrialisierten Städte. Die Zuwanderer<br />

waren den konjunkturellen Schwankungen schutzlos ausgeliefert, die Zahl der Armen<br />

stieg und eine effektive Lösung der Armenpflege und die Errichtung und Organisation<br />

eines neuen tragfähigen Systems erforderte höchste Priorität.<br />

Die Stadt Elberfeld entwickelte 1853 ein System der Armenversorgung, eine rationell<br />

organisierte, offene Armenpflege. Die Grundsätze des Elberfelder Systems waren<br />

Ehrenamtlichkeit der kommunalen Armenpflege, die Industrialisierung der<br />

Wohlfahrtspflege, die Dezentralisierung der kommunalen Wohlfahrtspflege und die<br />

Vermeidung von Dauerleistungen.<br />

Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Elberfelder System aufgegeben. Die Größe der<br />

Industriestädte ließ eine Aufteilung dieser in Quartiere, wie einst im Elberfelder System<br />

vorgesehen, nicht zu. Zudem wird eine ehrenamtlich individualisierte Wohlfahrtspflege<br />

infolge der hohen Mobilität der Erwerbsbevölkerung unmöglich. Im Jahre 1905 wird<br />

das klassische Prinzip der Bürokratisierung auf die Armenfrage angewandt und<br />

ehrenamtliche Helfer durch hauptamtlich ausgebildete Armenpfleger ersetzt<br />

(kommunale Armenversorgung).<br />

Durch die 1878-1889 in Kraft tretenden Sozialversicherungsgesetze Bismarcks<br />

entwickelt sich, zeitgleich zur Herausbildung einer modernen Industriegesellschaft, eine<br />

spezifische Sozialpolitik im Deutschen Reich heraus, mit der der Staat eine<br />

Verantwortlichkeit für die Risiken der Arbeiterexistenz übernimmt (vgl. Sagebiel 2009).<br />

29


Die Sozialversicherungsgesetze schlossen jedoch die Arbeitslosen aus und trennten sie<br />

auf Dauer von gesellschaftlichen und politischen Interessenvertretungen, so dass diese<br />

zu Adressaten der Armenfürsorge wurden.<br />

Konsequenz für die Praxis gegenwärtiger Sozialer Arbeit<br />

Die Kooperation zwischen privater Hilfstätigkeit und staatlicher Sozialpolitik<br />

organisiert sich nach dem Prinzip der Subsidiarität. Private Wohlfahrtsverbände und<br />

zentrale Wohlfahrtsstellen sind gegenwärtig in den Freien Wohlfahrtsverbänden<br />

zusammengeschlossen und leisten Soziale Arbeit auf unterschiedlichsten Gebieten. Die<br />

Kommunen übernehmen die Bearbeitung sozialer Probleme nach dem<br />

Bürokratisierungssystem auf der Grundlage erworbener Versicherungsansprüche und<br />

Sozialhilfeleistungen (vgl. Sagebiel 2009).<br />

Infolge dessen gilt es im nächsten Abschnitt, die gegenwärtig sozialstaatlichen<br />

Rahmenbedingungen der Sozialen Arbeiten darzustellen, die ebenso als Konsequenz aus<br />

den bereits skizzierten geschichtlich politischen Ereignissen resultieren.<br />

3.3 Sozialstaatliche Rahmenbedingungen der Sozialen Arbeit<br />

„Die Soziale Arbeit ist Teil des sozialstaatlichen Dienstleistungssystems“ (Heiner 2007,<br />

S. 53). Aufgabe des Staates ist es, die Reproduktion der Individuen zu sichern,<br />

unterstützend und regulierend in Ausbildungs- und Sozialisationsprozesse einzugreifen,<br />

aber auch die gesundheitliche Rehabilitation psychisch Kranker und Suchtkranker zu<br />

steuern. Eine gezielte Regulierung und Steuerung auf Bundesebene wird über die<br />

Sozialgesetzgebung und das Sozialrecht, das in den Büchern des Sozialgesetzbuches<br />

zusammengefasst ist, gewährt.<br />

Sozialstaatliche Programme sollen vor allem die Bürger vor den „Auswüchsen“<br />

unregulierter Märkte schützen und Schwächeren ein menschenwürdiges Leben<br />

garantieren. Als Ziel staatlicher Sozialpolitik wird in §1 Abs.1 SGB I, die<br />

„Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit“, benannt.<br />

30


Als eine der vier Interventionsformen des Sozialstaates trägt die Soziale Arbeit zu<br />

Verbesserungen bezüglich der Teilnahmemöglichkeiten und Teilnahmebereitschaft ihrer<br />

Klienten am gesellschaftlichen und sozialen Zusammenleben und am<br />

Produktionsprozess bei.<br />

Die Soziale Arbeit erfüllt die Auflage, indem sie die Entstehung und Wiederherstellung<br />

der Arbeits- und Leistungsfähigkeit ihrer Klienten unterstützt, deren soziale Integration<br />

und persönliche Entwicklung fördert und somit zur sozialen Gerechtigkeit beiträgt.<br />

Soziale Arbeit initiiert und begleitet Erziehungs- und Sozialisationsprozesse, die<br />

Ausbildung und Qualifizierung. Bei Ausfall einer Leistungsfähigkeit kompensiert sie<br />

den Mangel durch besondere Hilfs- und Förderangebote.<br />

Die sozialstaatlich unterstützte Produktions- und Reproduktionssicherung erfüllt stets<br />

die Doppelfunktion der Hilfe und Kontrolle, an der auch die Soziale Arbeit beteiligt ist.<br />

Sie umfasst die drei zentralen Funktionen der Entstehung eines Arbeitsvermögens, z.B.<br />

durch Unterstützung der Familie bei der Erziehung und Versorgung der Kinder, die<br />

Absicherung gegen vorübergehende Störungen des Arbeitsvermögens und der<br />

Reproduktion der Arbeitskraft z.B. bei Krankheit und die Versorgung (Rehabilitation,<br />

Resozialisation) derjenigen, die dauerhaft zu einer selbständigen Reproduktion nicht<br />

mehr fähig sind, z.B. die Arbeit mit psychisch und chronisch kranken Menschen.<br />

In der Bundesrepublik Deutschland dienen soziale Versorgungssysteme der<br />

Absicherung typischer Risiken, wie Krankheit und Verlust des Arbeitsplatzes. Zum<br />

Versorgungssystem zählen die vier Zweige der Sozialversicherung: die gesetzliche<br />

Kranken-, Unfall-, Renten- und Pflegeversicherung nach SGB V, VII, XI sowie Teile<br />

der Arbeitslosenversicherung nach SBG VII. Die sozialen Hilfesysteme hingegen<br />

dienen der Absicherung des Existenzminimums und der Überwindung besonderer<br />

Notlagen. Die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe wurden diesbezüglich im SBG II<br />

zusammengefasst. Das Bundessozialhilfegesetz wurde teilweise integriert, sodass die<br />

beiden wichtigsten Systeme zur Absicherung des Existenzminimums im SGB II und<br />

SGB XII verankert sind (vgl. Heiner 2007, S. 53ff.).<br />

31


3.4 Kernaufgaben und Praxisfelder der Sozialen Arbeit<br />

In Anbetracht der sozialstaatlichen Rahmenbedingungen der Sozialen Arbeit fällt dieser<br />

im Kern die Aufgabe zu Subjekten und Lebenswelten, die mit ihren eigenen (geringen)<br />

Ressourcen, Lebenskrisen und Verunsicherungen nur unzureichend bewältigen können,<br />

zu unterstützen und biografische Verunsicherungen als Folge von Desintegration<br />

aufzufangen.<br />

Ziel ist es, diese Menschen im Sinn der Veränderung ihrer Lebensbedingungen und der<br />

Beeinflussung ihrer Lebensweise in institutionalisierte Lebenslaufregime neu zu<br />

integrieren und wieder handlungsfähig zu machen, auf die sozialräumliche Entwicklung<br />

von Lebensbedingungen im Rahmen von Gemeinwesenarbeit Einfluss zu nehmen,<br />

soziale Dienstleistungsangebote erreichbar zu machen und deren Wirklichkeit zu<br />

kontrollieren und durch die Mitwirkung an der Sozialplanung zu optimieren (vgl. Thole<br />

2005, S. 47).<br />

„Charakteristisch für Sozialarbeit ist die ganzheitliche Sicht des Menschen in seiner<br />

individuellen Eigenart und Entwicklung, seinem soziokulturellen Lebensraum und<br />

seiner ökonomischen Situation“ (Zippel & Kraus 2003, zit. nach DBSH 1997, S.1).<br />

Soziale Arbeit unterscheidet sich von anderen Hilfen für den Menschen, indem sie die<br />

Problematik von Einzelnen, Gruppen und Gemeinwesen in ihrer Ganzheit, in ihrem<br />

lebenstypischen und gesellschaftlichen Zusammenhang betrachtet (vgl. Zippel & Kraus<br />

2003, S. 37). Soziale Arbeit soll Ressourcen vor Ort erschließen und den Interessen<br />

Benachteiligter durch rechtliche, gegebenenfalls politische Vertretung und<br />

Öffentlichkeitsarbeit Geltung verschaffen.<br />

Die Arbeitsmethoden Sozialer Arbeit umfassen u.a. die soziale Einzelhilfe,<br />

Familienarbeit, Gruppenarbeit, Methoden des lebensweltlichen Ansatzes, des Case<br />

Managements, der sozialen Gemeinwesenarbeit, der Netzwerkarbeit und der<br />

Sozialplanung. Die Soziale Arbeit lässt sich des Weiteren in fünf zielbezogene<br />

Aufgabenkomplexe gliedern: Personalisation, Qualifikation, Reproduktion,<br />

Rehabilitation und Pflege sowie die Resozialisation. Diese lassen sich nicht trennscharf<br />

voneinander abgrenzen, da nur selten eines dieser Aufgabenfelder völlig dem<br />

Arbeitsfeld einer Organisation entspricht. Die Arbeitsfelder einer Organisation oder<br />

Fachkraft umfassen häufig mehrere Aufgabenfelder (vgl. Heiner 2007, S. 92).<br />

32


Gegenwärtig wird die Soziale Arbeit in vier sozialpädagogische Praxisfelder unterteilt.<br />

Erstens das Feld der Kinder- und Jugendhilfe, zweitens in das diffuse Praxisfeld der<br />

Erwachsenen bezogenen sozialen Hilfen, drittens den Bereich der Altenhilfe und<br />

viertens in die sozialpädagogischen Angebote im Gesundheitssystem. Die<br />

sozialpädagogischen Praxisfelder können darüber hinaus in familienunterstützende,<br />

ergänzende und ersetzende Hilfen gegliedert werden. Zudem werden pädagogische<br />

Arbeitsfelder bezüglich ihres Einmischungsgrades nach lebenswelt- „unterstützenden“,<br />

lebenswelt- „ergänzenden“ und lebenswelt- „ersetzenden“, sozialen Hilfen- und<br />

Bildungsanreizen unterschieden (vgl. Thole 2005, S. 24).<br />

3.5 Methoden(- diskussion) der Sozialen Arbeit<br />

Die einzelnen Methoden und ihre Subdimensionen detailliert vorzustellen sprengt die<br />

Möglichkeiten des <strong>hier</strong> zur Verfügung stehenden Raumes. Diesbezüglich beschränke<br />

ich mich auf eine kurze Darstellung der Methodendiskussion unter Berücksichtigung<br />

der Rahmenbedingungen.<br />

Soziale Arbeit setzt sich mit einer Vielzahl von Problemen, Arbeitsfeldern und<br />

Lebenslagen auseinander. Den Facettenreichtum in der direkten/indirekten<br />

Klientenarbeit und direkten/indirekten Organisationsarbeit mit der einen „Super-<br />

Methode“ abzudecken, ist nicht möglich. Jedoch gibt es übergreifende Phasen von<br />

Hilfeprozessen, die im Zuge einer individuellen Bestandsaufnahme und gemeinsam mit<br />

dem Klienten Handlungspläne entwickelt, durchführt und deren Wirklichkeit prüft.<br />

Innerhalb dieser Schritte bedarf es unterschiedlicher Methoden, die angemessen je nach<br />

Person, Problem, Situation, Organisation und Arbeitsfeld individuelle Anwendung<br />

finden. Sozialarbeiter sollten folglich über eine Breite Methodenkenntnis verfügen, die<br />

auf bestimmte Arbeitsfelder hin zu spezifizieren und zu vertiefen ist. Soziale Arbeit ist<br />

gekennzeichnet durch ihre Alltagsnähe, die Nähe zur Lebenswelt der Adressaten und<br />

ihren Alltagsproblemen.<br />

Wenn Soziale Arbeit ihrem klassischen Anspruch „Hilfe zur Selbsthilfe“ Rechnung<br />

tragen will, so muss sich ihr methodisches Handeln am Kriterium „Alltagsnähe“ messen<br />

lassen. Der Vielfalt des Alltags kann man nicht gerecht werden, indem man Methoden<br />

als starres Instrument betrachtet.<br />

33


(Handlungs-) Methoden der Sozialen Arbeit thematisieren Aspekte im Rahmen<br />

sozialarbeiterischer Konzepte, die auf eine planvolle, nachvollziehbare, überprüfbare<br />

und somit kontrollierbare Gestaltung von Hilfsprozessen abzielen. Sozialpädagogische<br />

Methoden sind Sozialarbeitern in der Bewältigung praktischer Handlungssituationen<br />

unterstützend dienlich (vgl. Anhang1.).<br />

4. Anwendung der Kunsttherapie in der Sozialen Arbeit<br />

Kunst und Therapie vereinen in sich zwei Entwicklungslinien: das Heilwerden der Seele<br />

über den künstlerischen Ausdruck und die Fähigkeit der Kunst, therapeutisch zu sein<br />

(vgl. Schorer 2002, S. 13). „Der Bezug Mensch, sein persönlicher Ausdruck, auf ein<br />

Heilwerden gerichtet, führt in den Bezugsrahmen Sozialarbeit oder sozialer Raum<br />

soweit hinein, in dem es um Veränderungsprozesse via Heilwerden oder Heilsein geht“<br />

(Schorer 2002, S. 13).<br />

4.1 Kunst als Therapieform in der Sozialen Arbeit<br />

Kunst als Therapieform ist überall da einsetzbar, wo Menschen Hilfe in der<br />

Bewältigung ihrer spezifischen Probleme brauchen, somit auch in der Sozialen Arbeit.<br />

Bezüglich des Auftrages der Sozialen Arbeit ist die Kunsttherapie eine von unzähligen<br />

Interventionsmöglichkeiten, um Subjekte wieder handlungsfähig zu machen und erneut<br />

in institutionalisierte Lebenslaufregime zu integrieren.<br />

Jeder Mensch hat schöpferische Fähigkeiten, auch wenn diese meist im tiefsten Inneren<br />

verborgen liegen. Der Prozess des schöpferischen Handelns, des eigenen Schaffens ist<br />

bereits therapeutisch, weil dieser in jedem Fall Wirkung auf die Psyche des Menschen<br />

hat, unabhängig davon, ob über das Produkt oder den Prozess gesprochen wird oder ob<br />

er Bestandteil einer Therapie ist oder nicht (vgl. Bloch 1982, S. 9). Durch die Nutzung<br />

künstlerischer Möglichkeiten kann die schöpferische Situation ein Durchbrechen<br />

festgefahrener, unangepasster Verhaltensweisen und die Entwicklung neuer Strategien<br />

der Realitätsbewältigung beim Klienten bewirken (vgl. Bloch 1982, S. 74).<br />

34


Dort wo sozialarbeiterische Kommunikationsmöglichkeiten enden, werden Disziplinen<br />

wie die Psychologie oder Psychotherapie angewandt, um in die Tiefe zu gelangen (vgl.<br />

Schorer 2002, S.13). Kreativität kann <strong>hier</strong>bei die Möglichkeit bieten, Probleme und<br />

Lebensfragen mit künstlerischen und spielerischen Mitteln auszudrücken, die auf<br />

anderem Wege nicht geäußert und gelöst werden können (vgl. Bloch 1982, S. 19).<br />

Exemplarisch für die Arbeit mit kreativen Medien ist auf dem Gebiet der Sozialen<br />

Arbeit die Kulturarbeit. Tanz, Spiel, Malen und Gestalten zählen zu diesem Bereich.<br />

4.2 Kunst – ihr therapeutisches und pädagogisches Verständnis<br />

Die Möglichkeit, die Kunst für den pädagogischen wie auch therapeutischen Bereich<br />

bietet, ist in der Bundesrepublik Deutschland bisher wenig bekannt und realisiert. Nach<br />

Schottenloher wird es Zeit, Ideen und Erfahrungen aus der Kunst- und<br />

Gestaltungstherapie auch außerhalb des therapeutischen und klinischen Bereichs<br />

verfügbar zu machen. Schottenloher äußert: „Freies, spontanes Malen und die<br />

Entwicklung von Phantasie- und Vorstellungskraft haben für die Pädagogik eine<br />

wesentlich größere Bedeutung, als die Praxis ihnen bis heute im allgemeinen einräumt“<br />

(Schottenloher 1983, S. 8).<br />

Nicht nur psychisch Kranke oder jene, dessen Seele nicht heil ist, sondern überhaupt<br />

jeder Mensch bedarf der nichtsprachlichen Ausdrucks- und Erlebnisform (vgl. Neumann<br />

1996, S. 164).<br />

Pädagogische und therapeutische Schwerpunkte stehen sich nicht als Pole gegenüber,<br />

sondern sind als eine Einheit zu verstehen, die in der schöpferischen Gestaltung<br />

interdependent Wirkung zeigt (vgl. Bloch 1982, S. 10). „Kunstpädagogik und<br />

Kunsttherapie verkörpern die Schwerpunktheorien und Praxisfelder, deren Kenntnisse<br />

und Erfahrungen sich ergänzen“ (Bloch 1982, S. 10).<br />

Das therapeutisch-pädagogische Verständnis beinhaltet die Stützung des Ichs, die<br />

Förderung des Gefühls der eigenen Identität, die Förderung allgemeiner<br />

Reifungsprozesse und das Anbieten eines Dus in einer vertrauensvollen Atmosphäre.<br />

35


Diese inhaltliche Beschränkung bedeutet ebenso eine Erweiterung der therapeutischen<br />

Grenzen im Positiven, denn Pädagogik geht über Therapie hinaus und trifft das Kind<br />

beziehungsweise den Jugendlichen in seinem alltäglichen Leben an (vgl. Bloch 1982, S.<br />

9). Im Gegenzug geht therapeutische Unterstützung über eine pädagogische Förderung<br />

hinaus. Für therapeutisches Handeln, wie ich es in dieser Arbeit beschreibe, bedarf es<br />

besonderer Qualifikationen.<br />

4.3 Qualifikation therapeutischen Handelns<br />

Nach Schottenloher sind jene Übungen in der pädagogischen Praxis der Kunsttherapie,<br />

die nur mit bildnerischen Mitteln arbeiten, problemlos von jedem zu benutzen. Dabei<br />

bleibt es jedem selbst überlassen, das Geschehen und Entstandene als Erfahrung wie es<br />

ist im Raum stehen zu lassen oder dieses als Anlass zu nehmen, um weiter „in die Tiefe<br />

zu gehen“ (vgl. Schottenloher 1983, S. 8).<br />

Insbesondere im sozialen Handlungsfeld ist eine Qualifikationsvielfalt zu verzeichnen.<br />

Diese reicht von Künstlern, Pädagogen und Therapeuten bis hin zu Sozialarbeitern mit<br />

und ohne Qualifikation (vgl. Schorer 2002, S. 248). Aissen-Crewett ist der Auffassung:<br />

„Wer Kunst in der Therapie einsetzt, muss zusätzlich zu der unerlässlichen<br />

Beherrschung des therapeutischen Instrumentariums über gewisse künstlerische<br />

Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen“ (Aissen- Crewett 2002, S. 14).<br />

Ebenso bezieht Schottenloher Stellung zu den Voraussetzungen kunsttherapeutischen<br />

Arbeitens: „Wer zum Ziel hat, therapeutisch mit dem Medium der Gestaltung zu<br />

arbeiten, kann nicht daran vorbei, sich gründlich in einer therapeutischen Methode<br />

ausbilden zu lassen“ (Schottenloher 1983, S. 9).<br />

<strong>Groddeck</strong> formuliert ergänzend, dass Sozialpädagogen „in der Regel eher Laien im<br />

Umgang mit kreativen Medien sind“ (<strong>Groddeck</strong> o. J., S. 197). Nur ein ausgebildeter<br />

Kunsttherapeut, der mit dem künstlerischen Medium vertraut ist und sein Handwerk<br />

beherrscht, kann professionell mit seinen Klienten arbeiten und diese im künstlerisch<br />

gestalterischen Prozess ernst nehmen.<br />

36


Nach Giesecke erlebt ein Klient in einer Therapie die „Aufdeckung seines<br />

Unbewussten“ (Giesecke 1993, S. 23). Die Kunsttherapie trägt zur Bewältigung innerer<br />

unbewusster Konflikte bei, die in Verbindung tiefenpsychologischer Verfahren genannt<br />

werden. „Die Rolle des Therapeuten, der Kunst in der Therapie einsetzt, erfordert<br />

gewisse Verhaltensweisen, die eine gewisse symbolische Bedeutung in sich tragen und<br />

tendenziell die Übertragung beeinflussen“ (Aissen- Crewett 2002, S. 14).<br />

An diesem Punkt stoßen Sozialarbeiter an ihre Grenzen. Der Handlungs- und<br />

Interventionsspielraum ist eingeschränkt, wo der Austausch unbewusster Prozesse<br />

beginnt. Sozialarbeiter bedienen sich des pädagogischen Handelns, welches auf das<br />

Handeln oberhalb des Unbewussten abzielt (vgl. Giesecke 1993, S. 23).<br />

Der Erwerb einer kunsttherapeutischen Qualifikation und die Vermittlung<br />

therapeutischer Kompetenzen sind keineswegs im Rahmen eines Studiums der Sozialen<br />

Arbeit vorgesehen. Sozialarbeitern ist es jedoch jederzeit möglich, eine Weiter- oder<br />

Zusatzausbildung zu absolvieren.<br />

Schlussfolgernd ergibt sich, dass Kunst auch ohne Therapie ihre Wirkung frei entfalten<br />

kann. Malen und Gestalten können sich ohne kunsttherapeutische Förderung positiv auf<br />

Seele und Geist auswirken. Liegt das Hauptaugenmerk jedoch auf der Bearbeitung<br />

tiefenpsychologischer Prozesse, ist eine therapeutische Qualifikation unabdingbar.<br />

Wichtig ist, dass sich Sozialarbeiter im Freizeitbereich wie auch im institutionellen<br />

Kontext stets der Wirkkraft künstlerischen Tuns und Handelns bewusst sind. Ein zu<br />

starkes Eingreifen in den Malprozess und das Bildgeschehen sowie Interpretationen und<br />

Deutungsversuche sind zu vermeiden. Eine Sensibilisierung von Sozialarbeitern erlangt<br />

<strong>hier</strong>bei höchsten Anspruch. Die Wahrnehmung und das Bewusstsein über<br />

problematische Faktoren sollte geschult und gefördert werden (vgl. Schottenloher 1983,<br />

S. 134). Eine bewusste Konfrontation mit den möglichen Problemen im Umgang mit<br />

dem Bildmaterial zeugen in meinen Augen von Professionalität in sozialarbeiterischen<br />

Arbeitsbereichen.<br />

37


5. Kunsttherapie in der Sozialen Arbeit mit alten Menschen<br />

Die soziale Altenarbeit nimmt sich vor allem zur Aufgabe, die Selbständigkeit und die<br />

Selbstbestimmung älterer und alter Menschen aufrecht zu erhalten und somit auch deren<br />

Ich-Funktionen zu stärken. An diesem Punkt treffen sich die Ziele der Sozialen Arbeit<br />

und der Kunsttherapie im Kern. Ebenso verfolgt die Kunsttherapie im künstlerischen<br />

Gestaltungsprozess die Förderung und Entwicklung der Selbstbestimmung, des<br />

Selbstwertgefühls und des Selbstvertrauens der älteren und alten Menschen.<br />

5.1 Altenhilfe<br />

„Sozialarbeiter in der Altenhilfe sind Experten für die alltäglichen Beziehungen<br />

zwischen Einzelnen oder Gruppen von älteren Menschen und der Gemeinschaft oder<br />

der Gesellschaft, in der sie leben“ (Zippel & Kraus 2003, S. 39).<br />

Im Rahmen der Altenhilfe können Sozialarbeiter in allen Arbeitsfeldern der Altenhilfe<br />

beruflichen Einsatz finden. Sie können im Arbeitsfeld der aufsuchenden (alte Menschen<br />

in alternativen, selbständigen Wohnformen), ambulanten (Beratungsstellen<br />

entsprechend der Kommstruktur alter Menschen), teilstationären (Tagespflege) und<br />

stationären Hilfen (Geriatrische Kliniken) tätig sein (vgl. Thiele 2001, S. 67). 3<br />

Des Weiteren sollten Sozialarbeiter um die vielfältigen Gefährdungen der<br />

Selbständigkeit und der sozialen Integration sowie um Bedürfnisse, Fähigkeiten und<br />

Kompetenzen alter und älterer Menschen wissen und darüber hinaus Interessen und<br />

Probleme der Gemeinschaft gegenüber alten Menschen berücksichtigen. Demnach<br />

obliegt der Sozialen Arbeit die Aufgabe, für die Erhaltung der Selbständigkeit und<br />

Selbstbestimmung sowie für die Integration älterer und alter Menschen in die<br />

Gesellschaft Sorge zu tragen. Die Soziale Arbeit soll die Ursachen für Bedürfnisse,<br />

Probleme und Interessen der Älteren aufdecken sowie Maßnahmen zur Bearbeitung<br />

dieser einleiten oder selbst durchführen, in Zusammenarbeit mit den alten und älteren<br />

Menschen.<br />

3 An dieser Stelle verweise ich ergänzend auf Thole 2005, S. 332-341.<br />

38


Die Soziale Arbeit zeichnet sich zudem durch ihren Überblick bezüglich privater und<br />

öffentlicher Netzwerke aus und kann folglich präventiv mögliche Gefährdungen oder<br />

Beeinträchtigungen dieser Vernetzungen ausschalten (vgl. Zippel & Kraus 2003, S. 39).<br />

Damit die Soziale Arbeit den Anforderungen in der Altenhilfe gerecht werden kann,<br />

bedarf es der Orientierung an folgenden Aspekten nach ZEMAN:<br />

Autonomie<br />

Der Sozialarbeiter orientiert sich an dem Anspruch auf Selbstbestimmung. Als<br />

problematisch erweist sich jedoch die Diskrepanz zwischen dem subjektiven<br />

Wohlbefinden und den objektiven Lebensbedingungen. Sozialarbeiter erleben eine<br />

Diskrepanz zwischen der Autonomieorientierung und der Verantwortung gegenüber der<br />

Gemeinschaft. Sie versuchen die Balance zwischen Intervention und Zurückhaltung zu<br />

finden (vgl. Zippel & Kraus 2003, S. 39).<br />

Lebenswelt<br />

Der Sozialarbeiter sucht stets den Zugang zur Lebenswelt und Lebensrealität des<br />

Einzelnen, um die Aktivitäten individuell und als Selbstverständlichkeit auf die<br />

Normalität der Lebenssituation jedes Einzelnen abzustimmen (vgl. Zippel & Kraus<br />

2003, S. 40).<br />

Biografie<br />

Demografische und gesellschaftliche Entwicklungen bedingen beispielsweise die<br />

Verknappung der Ressourcen und nehmen demnach Einfluss auf individuelle<br />

Lebensschicksale und den Umgang mit möglichen Risiken. Es kommt zu einer<br />

Pluralisierung und Heterogenisierung der Altenphase. Für Sozialarbeiter gilt es, diese<br />

Pluralität in der Altenhilfe zu respektieren. „[Individuelle] Lebenslagen, [der] Lebensstil<br />

und [die] Daseinsorientierungen verstehen sich als „Resultat des gelebten Lebens“<br />

[eines jeden Individuums]“ (Zippel & Kraus 2003, S. 40).<br />

Kompetenz<br />

Vorrangiges Ziel der sozialarbeiterischen Altenarbeit ist es, die Handlungskompetenz<br />

der älteren und alten Menschen aufrecht zu erhalten und zu fördern. Ältere Menschen<br />

sollen auch in dieser Lebensphase selbstbestimmt handeln.<br />

39


So gilt es, die Überzeugung der eigenen Wirksamkeit zu stärken und effektive Formen<br />

der Auseinandersetzung mit altersbezogenen Anforderungen und Belastungen zu<br />

erarbeiten. Schlussfolgernd ergibt sich, dass die Soziale Arbeit ressourcenorientiert<br />

handelt und ebenso eine Stützfunktion im Prozess der Alltagsbewältigung alter/älterer<br />

Menschen einnimmt (vgl. Zippel & Kraus 2003, S. 40).<br />

5.2 Kunsttherapie mit alten Menschen<br />

Kreativität sollte nicht als Privileg der Jugend betrachtet werden, sondern einen vom<br />

Alter unabhängigen, festen Platz im Lebenslauf erhalten. Eine wesentliche Bedeutung<br />

erhält die Kreativität für die Bewältigung der Alterungsprozesse. Bereits in der<br />

Analytischen Psychologie nach Jung wurde die schöpferische Aktivität als Gegenkraft<br />

zu Erstarrungstendenzen betrachtet. Demzufolge sollten ältere Menschen trotz<br />

zahlreicher Vorurteile und Anfangsschwierigkeiten zum bildnerischen Ausdruck, im<br />

kunsttherapeutischen und künstlerisch gestalterischen Sinn, ermutigt werden, auch um<br />

ein lebenslanges Lernen im ästhetischen Bereich zu sichern (vgl. Martius, von Spreti &<br />

Henningsen 2008, S. 161). In der kunsttherapeutischen Arbeit mit alten Menschen sind<br />

nach Aissen-Crewett (1987) vier Gedanken zentral: die Aufgabe der Fixierung auf ein<br />

Endprodukt des kreativen Prozesses und damit die Betonung des Schaffensprozesses<br />

selbst (1). Die gestalterischen Aktivitäten dienen der Begegnung des alten Menschen<br />

mit sich selbst und anderen (2). Dabei entstehen neue Äußerungsmöglichkeiten und<br />

Handlungsalternativen (3), die unter anderem das Neugierverhalten, die Offenheit, die<br />

Fähigkeit zur Improvisation und der Flexibilität fördern (4) (vgl. Marr 1995, S. 16).<br />

Offene Altenarbeit<br />

In der offenen Altenarbeit mischen sich kunstpädagogische und kunsttherapeutische<br />

Ansätze in der Praxis. Künstlerische, kreative Angebote für ältere Menschen im Bereich<br />

der Volkshochschulen und Alterstagesstätten haben offenbar eine befreiende und<br />

kathartische Wirkung, wie Aussagen von Kursteilnehmern bestätigen.<br />

„Malen ist Selbstbefreiung. Man kommt aus den Zwängen raus, die Grenzen erweitern<br />

sich etwas, man geht offener auf andere zu“ (Marr 1995, S. 17).<br />

40


Institutionalisierte Altenarbeit<br />

In der institutionalisierten Altenarbeit hingegen kann Kunsttherapie beispielsweise im<br />

Altenheim eine Begleitung der letzten Lebensphase darstellen, sie kann den Betreuten<br />

helfen, ihr Leben zu reflektieren und zu bilanzieren. Kunsttherapie ist deshalb nicht<br />

selten eine Art Sterbevorbereitung, kann aber auch eine rehabilitative Funktion<br />

übernehmen (vgl. Marr 1995, S. 18).<br />

Geriatrie<br />

Auch in der Geriatrie kann die Kunsttherapie ihre nützliche Anwendung finden. Mit<br />

ihrer Hilfe gelingt es, Menschen zu aktivieren, ihre intellektuellen Funktionen zu üben<br />

und im gleichen Atemzug etwas zu gestalten, was die Achtung der Umwelt sichert. Alte<br />

Menschen profitieren von den ästhetischen Eigenschaften ihrer Bilder und gewinnen<br />

meist eine zusätzliche Sinngebung für ihr Leben (vgl. Schuster 2003, S. 92f.).<br />

Die Ziele der kunsttherapeutischen Arbeit in geriatrischen Kliniken liegen für Wenges<br />

in der Schaffung eines intensiven Gegenwartserlebens beim Gestaltungsprozess selbst,<br />

in der Grenzüberschreitung, im Einlassen auf Neues, dem Aufbau von<br />

Selbstbestätigung, der Stärkung gesunder Anteile des Patienten, der Förderung seelischgeistiger<br />

Beweglichkeiten und Konzentrationsfähigkeit sowie im Erkennen von<br />

möglichen psychischen und lebensgeschichtlichen Ursachen der momentanen Krankheit<br />

(vgl. Marr 1995, S. 18f.).<br />

5.3 Praktische Methoden der Kunsttherapie in der Arbeit mit alten Menschen<br />

Bereits im vorangegangenen Gliederungspunkt 5.2 wurde auf die Ziele und die<br />

Wirkungen kunsttherapeutischer Arbeit und Methoden in den einzelnen Arbeitsfeldern<br />

der Altenarbeit eingegangen. Dementsprechend wende ich mich nun der Darstellung<br />

praktischer Methoden der Kunsttherapie in der Arbeit mit älteren/alten Menschen zu.<br />

Um ein Bild malen zu können, muss ich Entscheidungen treffen, welche Farbe ich zu<br />

Beginn auswähle und welche dieser folgen werden. Ich muss mich entscheiden, in<br />

welches proportionale Verhältnis ich die Farben zueinander setze, und ich muss<br />

akzeptieren, Erreichtes durch immer wieder neue Gestaltungsmöglichkeiten zu<br />

verwerfen.<br />

41


Eine Bildkomposition ist demnach vergleichbar mit einer Pendelbewegung. In einem<br />

fließenden Prozess, in einer ständigen Wechselbewegung zwischen Hinspüren und<br />

Abstandnehmen, zwischen Einlassen und Distanzieren in einem Prozess des Abwägens<br />

wird letztendlich verlangt, eine Lösung zu finden, unter Berücksichtigung der<br />

unterschiedlichen Bestrebungen. Dieser Integrationsprozess stärkt die Ich-Funktionen.<br />

Im künstlerischen Gestaltungsprozess brauche ich Mut, um einen ersten Strich auf ein<br />

weißes, leeres Blatt Papier zu setzen. Arbeite ich länger an einen Bild/Objekt, muss ich<br />

lernen, den Erfolg aufzuschieben und Spannungen zu ertragen, beispielsweise in dem<br />

Moment, in dem mir die Farbe ungewollt verwischt. Um dem gestalterischen Prozess<br />

weiter nachgehen zu können, bedarf es der Entwicklung einer Frustrationstoleranz und<br />

gleichzeitiger Kompromissbereitschaft mir selbst gegenüber. In diesem Augenblick<br />

werden Ausdauer, Konzentration und Durchhaltevermögen abverlangt und gestärkt (vgl.<br />

Leutkart, Wieland & Wirtensohn-Baader 2004, S. 15f.).<br />

Die in der Kunsttherapie bei alten Menschen angewandten Techniken unterscheiden<br />

sich nicht von den allgemein gebräuchlichen in der Kunsttherapie. Im Zusammenhang<br />

mit alten Menschen werden häufig Farbübungen, Bilder von Familienmitgliedern,<br />

Familienbaumzeichnen, katathymes Bilderleben, Kritzelmalereien, Gruppenskulpturen,<br />

Lebensrückschau und gemeinsame Wandbilder als Methoden genannt (vgl. Marr 1995,<br />

S. 17).<br />

Die praktischen Aktivitäten und Methoden in der kunsttherapeutischen Arbeit reichen<br />

bis in das Unermessliche. Durch die Materialvielfalt und den Ideenreichtum der<br />

Therapeuten wie auch der schöpferischen Kraft der Patienten/Klienten, gelingt es,<br />

ständig neue Zugänge zu kreativen Aktivitäten in der Praxis zu erschließen.<br />

In dem mir zur Verfügung stehenden Rahmen scheint es unmöglich, eine allumfassende<br />

Darstellung der kunsttherapeutischen Methoden in der Praxis vorzunehmen. Unter<br />

Berücksichtigung der bereits beschriebenen Ziele und Aufgaben der Kunsttherapie in<br />

der Sozialen Arbeit mit alten Menschen habe ich eine gezielte Auswahl praktischer<br />

Übungsverläufe und Methoden getroffen.<br />

42


Zweidimensionale Verfahren<br />

„Beim zweidimensionalen Gestalten wird in der Fläche gearbeitet“ (Leutkart, Wieland<br />

& Wirtensohn-Baader 2004, S. 27). Das Bild ist das Gegenüber, auf dem sich wie auf<br />

einer Projektfläche Phantasie, Gefühle, Gedanken und Wünsche frei abbilden können.<br />

Zwischen dem Bild und der gestaltenden Person entsteht eine Wechselbeziehung, die<br />

von spontanen inneren Regungen beeinflusst wird und sich unmittelbar auf das Bild<br />

überträgt.<br />

Das Malen kann zwei Kriterien erfüllen, zum einen in sich hineinzuspüren und<br />

bildnerisch zu „übersetzen“ und zum anderen mit der Außenwelt in Beziehung zu<br />

treten, indem das Bild stellvertretend für die Person gesehen wird oder der<br />

Schaffensprozess selbst. Der Weg der Malerei führt in die Farben- und Formenwelt<br />

sowie in die aktive Auseinandersetzung mit technisch-handwerklichen Fragen und zu<br />

den Malenden selbst (vgl. Leutkart, Wieland & Wirtensohn-Baader 2004, S. 27f.).<br />

5.3.1 (Körper-) Umrissbildtechnik<br />

Das (Körper-) Umrissbild zählt zu den Einstiegsübungen im kunsttherapeutischen<br />

Arbeiten. Auf spielerische Art und Weise, durch spontane Formen und<br />

Farbvermischungen auf dem Papier, soll es gelingen, dem Einzelnen jegliche<br />

Hemmungen vor dem weißen Papier zu nehmen. Die Angst davor etwas Falsches zu tun<br />

oder keine Kreativität entfalten zu können, wird dabei überwunden. Wenn bereits der<br />

erste Strich getan ist, finden Phantasien eine erste Anknüpfung, und der Malprozess<br />

schreitet voran (vgl. Leutkart, Wieland & Wirtensohn-Baader 2004, S. 40).<br />

Die Umrissbildtechnik regt dazu an, sich mit sich selbst auseinander zu setzen, die<br />

eigene Befindlichkeit wahrzunehmen, diese zum Ausdruck zu bringen und spielerisch<br />

mit der eigenen (Körper-) Form umzugehen. Der Einstieg in das freie Malen wird<br />

ausgehend von der eigenen Person erleichtert. Es gibt <strong>hier</strong>bei drei Möglichkeiten, das<br />

Thema Umrissbild zu bearbeiten: im Ganzkörperumriss, im Hand- oder Händeumriss<br />

oder mithilfe des Kopfumrisses/Schattenumrisses. Der Kopfumriss/Schattenumriss<br />

eignet sich in der Arbeit mit Erwachsenen. Es wird eine Auswahl an Farben, wie z. B.<br />

Jaxonkreiden oder eventuell Holstiften/Bleistiften für die Konturen benötigt,<br />

entsprechende Pinsel, Paletten, „gutes“ (nicht zu dünn) Malpapier im A2 Format sowie<br />

eine Lichtquelle.<br />

43


Die Schattenrisse, Kopf mit Hals im Profil, werden gemeinsam in einer Gruppe,<br />

optimalerweise 4-8 Erwachsenen, gemeinsam erstellt. Jede Person sucht sich ihren<br />

Malplatz und richtet diesen entsprechend ein.<br />

Die Malphase wird durch Anregungen des Kunsttherapeuten unterstützt. Dieser bewegt<br />

die Teilnehmer dazu, sich für Farben und Formen in Abhängigkeit der Gefühlslage zu<br />

entscheiden und zu erfragen, zu welcher Bewegungsform es den Schaffenden drängt.<br />

Der Therapeut regt an, mit den Formen zu spielen, diese zu verändern und zu variieren.<br />

Die Aufmerksamkeit soll auch auf den Außenraum gerichtet werden. In welcher<br />

Beziehung mag dieser zum Innenraum des Kopfes stehen Wie wichtig sind Grenzen<br />

Tritt das Innere ins Äußere, werden Grenzen überschritten Bleibt der Kopfumriss<br />

erkennbar oder entsteht ein neues Bild (Abb.1)<br />

Abb. 1: „Kopfumriss“<br />

Die Malphase kann ein Zeitfenster von 1-1,5 Stunden einnehmen. Der Teilnehmer tritt<br />

immer wieder zurück, um das Bild zu betrachten und in seiner Entwicklung<br />

wahrnehmen und wirken lassen zu können.<br />

Nachdem der Malprozess abgeschlossen ist, sollte der Malplatz aufgeräumt werden und<br />

das Bild hinsichtlich seiner Entwicklung, welchen Prozess es durchlebt hat, vorgestellt<br />

werden.<br />

44


Die Übung „Umrissbilder“ dient der Selbstwahrnehmung. Im Zentrum steht die<br />

Wahrnehmung der eigenen Person, des eigenen Körpers/Körperteils und der bisher<br />

verborgenen Emotionen, Wünsche und Befindlichkeiten. Das dargestellte „Innen“ und<br />

„Außen“ des Bildes kann in Beziehung zur eigenen Person betrachtet werden und sich<br />

einem Wandel im Laufe des Malens unterziehen (vgl. Leutkart, Wieland & Wirtensohn-<br />

Baader 2004, S. 56ff.).<br />

5.3.2 Eine innere Landschaft zeichnen<br />

Beim „Zeichnen innerer Landschaften“, wie bei der darauffolgend dargestellten Technik<br />

„Intuitive Farbwahl“, handelt es sich um die Methode des „Arbeitens in der Stille“. Mit<br />

diesen Übungen wird ein meditativer Charakter erzeugt, der den Teilnehmer dazu<br />

auffordert, konzentriert „in sich hinein zu hören.“ Meist wird mit geschlossenen Augen<br />

gearbeitet, so dass die akustische und haptische Wahrnehmung intensiviert werden.<br />

Innere Bilder erscheinen und werden in die Bildsprache übersetzt. Die Teilnehmer<br />

befinden sich in einem Zustand der Versunkenheit.<br />

Wichtig ist es dabei, dass der Übergang aus der nach innen gerichteten Haltung zur nach<br />

außen gerichteten Aufmerksamkeit mit einer sanften Begleitung durch den Anleiter<br />

geschieht. Zudem sollte dem Teilnehmer die Zeit gegeben werden, die er braucht, um<br />

aus seiner „Versenkung“ in die Realität zurückzukehren. Die Übungen sollten in einem<br />

ruhigen, geschützten Rahmen durchgeführt werden.<br />

„Die inneren Landschaften zeichnen“ ist eine weitere Übung, die sich in der offenen<br />

Atelierarbeit in einer Gruppe von 4 bis 8 Personen im Zeitfenster von eineinhalb<br />

Stunden in vertrauter Atmosphäre anbietet. Die Erkundung innerer<br />

„Seelenlandschaften“ findet <strong>hier</strong>bei ihren Ausdruck im blindgezeichneten Bild. Die<br />

Teilnehmer arbeiten stehend an der Malwand, einzeln oder in der Gruppe. Für jeden<br />

Teilnehmer ist eine mittelgraue Pastellkreide, zwei große Blätter, von denen eines von<br />

dünnerer Qualität sein kann, und für die Ausgestaltung der „inneren Landschaften“<br />

weiter farbige Pastellkreiden, Wasser- und Gouachefarben bereitzustellen.<br />

45


Zu Beginn findet eine Entspannung im Stehen mit der Blatterkundung statt. Der<br />

Teilnehmer nimmt zwei Pastellkreiden und zeichnet im eigenen Interesse und Tempo<br />

auf Blatt eins. Blatt zwei wird ebenso wie Blatt eins ohne Kreiden mit der Zeichenhand<br />

nach Begrenzungen ertastet. Der Teilnehmer kann sich dementsprechend mit dem ihm<br />

zur Verfügung stehenden Raums, der symbolisch für seinen eigenen Innenraum steht,<br />

vertraut machen. Die Zeichenhand greift die Kreide und bewegt diese parallel zur<br />

verbalen Begleitung des Malanleiters.<br />

Dieser bewegt die Teilnehmer dazu, sich eine Landschaft vor Augen zu führen, die man<br />

in weiter Ferne mit nur schwachen Umrissen erkennen kann. Je intensiver man<br />

hinschaut, desto deutlicher zeichnen sich Konturen ab, die die Landschaft genauer<br />

erkennen lassen. Die Teilnehmer sollen versuchen, gleichzeitig mit dem inneren Auge<br />

der Pastellkreide zu folgen, die sich über das Blatt bewegt und ebenmäßige schroffe,<br />

wellige oder andersartige Konturen der Landschaft sichtbar werden lässt. Dem<br />

Teilnehmer soll es gelingen, in einem weiteren Schritt das Innere der Landschaft, ihre<br />

Beschaffenheit, aufzudecken. Diese kann traumhaft und unwirklich aussehen.<br />

Dabei ist es nicht von Wichtigkeit eine schöne Landschaft zu erkennen, sondern seine<br />

innere, die von jedem selbst erschaffen ist. Der Malanleiter gibt den Teilnehmern nun<br />

ein paar Minuten Zeit der Stille, damit diese ihrem inneren Auge intensiv für sich selbst<br />

folgen können.<br />

Vielleicht gibt es einen Platz in der Landschaft, der dem Malenden besonders gut<br />

gefällt. Dieser sollte sich erlauben, <strong>hier</strong> zu verweilen und den Stift zur Ruhe kommen<br />

lassen. Von <strong>hier</strong> aus verabschiedet sich ein jeder von seiner inneren Landschaft und<br />

findet die Kraft, dem Bild mit offenen Augen zu begegnen. Jeder nimmt nun eine<br />

entspannte Haltung ein, öffnet die Augen und nimmt sich Zeit, das auf seinem Blatt<br />

Entstandene auf sich wirken zu lassen. Wenn der Einzelne möchte, kann er dieses Bild<br />

vertiefen, indem er unter Beibehaltung der Stimmung des inneren Bildes mit Farben<br />

daran weiterarbeitet. Hat man jedoch nach der Betrachtung mit dem blind geschaffenen<br />

Bild abgeschlossen, kann ein neues, das die Stimmung beinhaltet, die sich im inneren<br />

Auge erschlossen hat, gemalt werden.<br />

46


Bei dieser Übung gewinnt der Teilnehmer an Selbstvertrauen, indem er sich seinen<br />

inneren Bildern überlässt. Er kann zu der Erfahrung gelangen, dass nie nichts da ist,<br />

sondern ein jeder mit Bildern erfüllt ist, die sein Inneres lebendig werden lassen. Es ist<br />

möglich, dass die Kontrolle, das Sehen mit den Augen, abgegeben wird an die Intuition,<br />

ohne das „Chaos und Wahnsinn“ ihren Lauf nehmen. Gefühle und Stimmungen können<br />

im Nachgespräch genau verbalisiert werden. Für viele bedeutet dieser neue Weg der<br />

Ausdrucksmöglichkeit eine neue Erfahrung, die sich entlastend auf den Teilnehmer<br />

auswirkt (vgl. Leutkart, Wieland & Wirtensohn-Baader 2004, S.154ff.).<br />

5.3.3 Intuitive Farbwahl<br />

Wie bereits erwähnt, zählt auch diese Übung zu dem „Arbeiten in der Stille“. In einem<br />

zeitlichen Rahmen von eineinhalb Stunden in der Gruppe oder 45 bis 60 Minuten in der<br />

Einzelsituation soll es den Erwachsenen gelingen, durch die intuitive Farbwahl einen<br />

Einstieg in den Bildprozess zu erhalten. Zur Verfügung gestellt werden verschiedene<br />

Farbmaterialien wie Kreiden, Stifte bis hin zu Gouachefarben, Fingerfarben und<br />

verschieden großes Malpapier.<br />

Abb. 2: ohne Titel<br />

Die Teilnehmer werden gezielt dazu aufgefordert, eine Farbgattung und nach Intuition<br />

eine Papierart und –größe auszuwählen. Es schließt sich die klare Vorgabe an, eine<br />

Lieblinsfarbe festzulegen und mit dieser zu malen. Farbe und Form sollen ohne Plan,<br />

ohne Ziel und den Anspruch auf ein „fertiges Produkt“ auf das Papier aufgetragen<br />

werden (Abb.2).<br />

47


Die Übung eignet sich für Teilnehmer, die einen Einstieg in das Gestalten suchen oder<br />

auch Teilnehmer, die ein Gefühl der inneren Leere beschreiben. Meist gelingt es, durch<br />

eine gezielte Themenvorgabe einen Einstieg in den gestalterischen Ausdruck zu<br />

ermöglichen. Die „intuitive Farbwahl“ dient der Förderung der kreativen<br />

Ausdrucksfähigkeit, dem Umgang mit der inneren Leere, dem Erwerb von Fähigkeiten<br />

der Selbstkompetenz, aber auch der Einleitung eines therapeutischen Prozesses (vgl.<br />

Leutkart, Wieland & Wirtensohn-Baader 2004, S. 172f.).<br />

6. Kunsttherapie in der Sozialen Arbeit mit Jugendlichen<br />

Mit den folgenden Ausführungen verlasse ich die „Welt“ der alten und älteren<br />

Menschen und widme mich der „Welt“ der Jugendlichen in der Adoleszenz.<br />

Auf dem Weg des Erwachsenwerdens haben Adoleszenten beträchtliche<br />

Aufgabenstellungen zu bewältigen. Auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt bedarf<br />

es den Jugendlichen gegenüber an einer emphatisch akzeptierenden Haltung „von<br />

außen“. An diesem Punkt findet die Jugend(sozial)arbeit ihre Anwendung. Sie fängt die<br />

Jugendlichen fernab des Elterhauses und schulischer Aktivitäten auf. Die<br />

Jugend(sozial)arbeit bietet Jugendlichen individuelle Möglichkeiten, ihre „Ich-Identität“<br />

und „Ich-Autonomie“ unter Ausschluss von Leistungsdruck und Konsumzwängen zu<br />

entwickeln und zu stärken. Im Rahmen der Sozialarbeit und ihrer erlebnis-, spiel- und<br />

freizeitpädagogischen Angebote kann es gelingen, die Selbstwertkompetenzen der<br />

Jugendlichen zu stabilisieren.<br />

Einer Lebensphase, die meist mit einem regelrechten „Gefühlschaos“ für die jungen<br />

Menschen verbunden ist und eine geordnete Wiedergabe innerer Befindlichkeiten,<br />

Konflikte und Probleme nur schwer zulässt, verlangt nach einem Angebot nonverbaler<br />

Kommunikationsmöglichkeit. In der Hochphase schöpferischer Fähigkeiten stellen sich<br />

künstlerisch gestalterische Ausdrucksformen als ein geeignetes Mittel zur Bewältigung<br />

und Überwindung facettenreicher Problematiken dar.<br />

48


6.1 Jugend(sozial)arbeit<br />

Die Jugendarbeit sowie die Jugendsozialarbeit sind Leistungen der Jugendhilfe. Nach<br />

Thole umfasst die Kinder- und Jugendarbeit alle „außerschulischen und nicht<br />

ausschließlich berufsbildenden, vornehmlich pädagogisch gerahmten und organisierten,<br />

öffentlichen, nicht kommerziellen bildungs-, erlebnis- und erfahrungsbezogenen<br />

Sozialisationsfelder von freien und öffentlichen Trägern, Initiativen und<br />

Arbeitsgemeinschaften“ (Pauli 2006, S. 39). Im unmittelbaren Umgang mit den<br />

Jugendlichen finden professionelle Handlungsformen, wie Projekte, Aktionen, Gruppen,<br />

Lehrgänge und offene Angebote ihre Anwendung. Jugendarbeit, vor allem in den<br />

Jugendzentren und den Jugendverbänden, lässt sich als ein Modus gemeinsamen Lebens<br />

und als ein Stück Subkultur, in der nicht planmäßig gelernt werden soll, beschreiben<br />

(vgl. Giesecke 1980, S.162).<br />

Die gesetzlichen Grundlagen der Jugendarbeit sind im Kinder- und Jugendhilfegesetz<br />

(KJHG) geregelt. Im §1 KJHG wird formuliert, dass jeder junge Mensch ein Recht auf<br />

Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen<br />

gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit hat. Die Aufgaben der Jugendsozialarbeit beziehen<br />

sich nach §13 KJHG auf den Ausgleich von Benachteiligungen oder die Überwindung<br />

individueller Beeinträchtigungen mit dem Ziel der schulischen und beruflichen<br />

Ausbildung, Eingliederung in die Arbeitswelt sowie der sozialen Integration (vgl. Pauli<br />

2006, S. 42f.).<br />

Die Jugendarbeit bietet alternative Erfahrungen zu den vorherrschenden<br />

gesellschaftlichen Lebensbedingungen im Hinblick auf die Förderung der Entwicklung<br />

Jugendlicher an (vgl. Pauli 2006, S.39). Diese Entwicklung ist gekennzeichnet durch<br />

Prozesse der Individuation und Integration (vgl. Pauli 2006, S. 44).<br />

Ziel der Jugendarbeit ist es, einen Rahmen zu schaffen, in dem Konsumzwänge,<br />

Leistungsansprüche (z. B. Richtlinien, Lehrpläne) und primär berufsqualifizierende<br />

Ansprüche eine geringere Bedeutung zuteil wird. Jugendliche sollen freiwillig an<br />

Angeboten der Jugendarbeit teilnehmen und die Möglichkeit der Partizipation erhalten.<br />

Darüber hinaus sollen die Selbstwertkompetenzen der jungen Menschen durch die<br />

Angebote der Jugendarbeit gestärkt werden. Es gilt Krisen und Unsicherheiten zu<br />

überwinden, um vorhandene Fähigkeiten zu stabilisieren (vgl. Pauli 2006, S. 49).<br />

49


Um das Bild der Jugendarbeit zu komplettieren, möchte ich im folgenden<br />

Gliederungspunkt 6.2 eine Darstellung der Zielgruppe unter<br />

entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten vornehmen und Besonderheiten in der<br />

Arbeit mit Jugendlichen in dieser Lebensspanne herausarbeiten.<br />

6.2 Adoleszenz und Kreativität<br />

„Die Adoleszenz ist ein komplexer, von körperlich- seelischen Prozessen und kulturell<br />

überformten, phasenspezifischen Entwicklungsaufgaben geprägter Prozess der<br />

Loslösung des Heranwachsenden von seinem Elternhaus“ (Martius, von Spreti &<br />

Henningsen 2008, S. 64).<br />

Mit Schwankungen bezieht sich die Jugendphase auf die Zeit zwischen dem 12. und 25.<br />

Lebensjahr und ist zudem eingeteilt in Phasen der Präadoleszenz, Frühadoleszenz,<br />

Adoleszenz, Spätadoleszenz und Postadoleszenz (vgl. Martius, von Spreti &<br />

Henningsen 2008, S. 64).<br />

Die Aufgabenstellungen an den Adoleszenten sind beträchtlich. Jugendliche müssen<br />

eine äußere und innere Trennung vom Elternhaus erreichen, ein persönliches Wert- und<br />

Moralsystem entwickeln, zu einer psychosexuellen Identität finden, tragende gleichund<br />

gegengeschlechtliche Beziehungen aufbauen und vertiefen, eine Orientierung in<br />

Bezug auf die Arbeitswelt leisten und in der Adoleszenz eine „Versöhnung“ mit dem<br />

Elternhaus erreichen.<br />

Mit den soeben beschriebenen Entwicklungsaufgaben sind typische emotionale<br />

Reaktionsweisen und Grundbedürfnisse der Jugendzeit verbunden. Die Erfüllung der<br />

Bedürfnisse nach körperlicher und sexueller Betätigung, Sicherheit, Unabhängigkeit,<br />

Zugehörigkeit, Zuneigung, Leistung, Selbstverwirklichung und der Wunsch gebraucht<br />

zu werden, stehen im Vordergrund. Die Adoleszenten sind meist als impulsiv,<br />

emotional instabil sowie risiko- und experimentierfreudig in Bezug auf Grenz- und<br />

Tiefenerfahrungen zu erleben (vgl. Klosinski 1998, S. 18).<br />

50


Diese ausführliche Darstellung der Adoleszentenentwicklung soll verdeutlichen, dass<br />

die Persönlichkeitsmerkmale Jugendlicher in dieser Zeit Ähnlichkeit mit all jenen<br />

kreativer Persönlichkeiten aufweisen. Niederland und Englewood (1978) haben unter<br />

anderem verwirrende Erlebnisse des Künstlers, hauptsächlich im sensorischkoeäthetisch-visuell-auditiven<br />

Erfahrungsbereich, die Einsamkeit des Künstlers und ein<br />

verändertes Körper- und Wahrnehmungsgefühl als gemeinsame Faktoren bei<br />

künstlerisch Begabten herausgestellt.<br />

In der „eigentlichen Adoleszenz“ haben Phantasieleben und schöpferische Tätigkeit<br />

ihren Höhepunkt erreicht. Die Entstehung von Tagebüchern, Gedichten und Bildern<br />

lässt darauf schließen, dass Jugendliche ihre eigenen Phantasien und Einfälle<br />

„festzuhalten“ und umzusetzen versuchen.<br />

Die in den Köpfen der Jugendlichen vorhandene „Nebenrealität“ kann vermehrt<br />

bearbeitet und ausgestaltet werden auf Grund erstarkender Ich-Funktionen und dem<br />

Aufbau eines individuellen „Ich-Ideals“. Einsamkeitsgefühle, „Probehandlungen in der<br />

Phantasie“ und „heimliches Verliebtsein“ scheinen Voraussetzungen für kreatives Tun<br />

zu sein (vgl. Klosinski 1998, S. 19).<br />

6.3 Kunsttherapie mit Jugendlichen<br />

Kunst- und Kreativ-Therapie mit Jugendlichen zielt mithilfe künstlerischer und<br />

gestalterischer Mittel auf die Behandlung von psychischen und psychosomatischen<br />

Symptomen und Erkrankungen sowie Störungen des Gefühlsausdruckes ab. Die<br />

gestalterischen Medien bieten Jugendlichen die Möglichkeit der nonverbalen<br />

Kommunikation und des nonverbalen Ausdrucks.<br />

Im Rahmen der Kunst-Psychotherapie dient das gestaltete Produkt der<br />

Assoziationsbildung in Bezug auf die Innen- und Außenwelt. Kunst als Therapie („Art<br />

as Therapy“) hingegen impliziert den schöpferisch-kreativen Prozess selbst als eine<br />

Möglichkeit der Beilegung von Gefühlskonflikten. Darüber hinaus werden das<br />

Selbstbewusstsein und die individuellen schöpferischen Kräfte gestärkt. Der sprachliche<br />

Aspekt ist dabei sekundär.<br />

51


Künstlerisch-gestalterische Tätigkeiten wirken bei Jugendlichen psychotherapeutisch.<br />

Affektivität und Emotionalität werden im höchsten Maße angesprochen. Über die<br />

Kriterien Farbwahl, Raumlage sowie formale und inhaltliche Merkmale des<br />

künstlerischen Ausdrucks gelingt ein diagnostischer Zugang zu psychischen<br />

Beeinträchtigungen.<br />

Die kunst-kreativtherapeutische Arbeit stellt ein direktes Hilfsmittel der Psychotherapie<br />

dar. Sie dient unter anderem der Vergegenständlichung unbewusster Prozesse und<br />

Zustände, zur Freisetzung kreativer Kräfte des Selbst, zur Kommunikation mit sich<br />

selbst und anderen und bietet nur eine Möglichkeit zur Entspannung und Steigerung der<br />

eigenen Lebensfreude. Der Charakter kunsttherapeutischer Arbeit mit Jugendlichen<br />

zeigt sich in ihrer vorbeugenden Wirkung und zum anderen in ihrer heilenden<br />

Hilfestellung (vgl. Martius, von Spreti & Henningsen 2008, S. 67).<br />

Jugendliche, die im kunsttherapeutischen Setting gestalterisch tätig werden, folgen ihrer<br />

innerpsychischen Dynamik im bildnerischen Ausdruck. Wesentlich ist, dass<br />

Jugendliche zu ihrem Gestaltungsprozess und ihrem bildnerischen Thema finden und<br />

sich dabei auf den Gestaltungsverlauf einlassen. Hinsichtlich der Motivik werden meist<br />

Entwicklungsverläufe sichtbar, die auf das Selbstbild oder eine Identitätsbildung<br />

hinweisen. Trotz verschiedenartiger thematischer Bildschwerpunkte erkennt man in der<br />

künstlerisch-gestalterischen Arbeit von Jugendlichen häufig das Thema „Orientierung<br />

in der Welt“ und eine gewandelte Selbstfindung. Dabei spielt die Auseinandersetzung<br />

mit dem Mutter- und Vaterbild beziehungsweise weiblichen und männlichen<br />

Bezugspersonen in Bezug auf gelungene oder gescheiterte Beziehungen eine<br />

entscheidende Rolle.<br />

6.4 Praktische Methoden der Kunsttherapie in der Arbeit mit Jugendlichen<br />

Kunsttherapie bietet Jugendlichen die Möglichkeit, durch Zeichnen, Malen und Werken<br />

Fähigkeiten in einem nicht von Misserfolgen und Negativerlebnissen belastenden Raum<br />

zu entwickeln (vgl. von Spreti, Martius & Förstl 2005, S. 248).<br />

52


Aus einer Vielzahl von Übungsverläufen in der kunsttherapeutischen Praxis mit<br />

Jugendlichen geht eine Auswahl im folgenden Abschnitt hervor. Zum einen stelle ich<br />

die Arbeit mit Sand, zum anderen die Gestaltung einer Skulptur als ein Beispiel<br />

dreidimensionaler Verfahren dar. Auf Grund des begrenzten, zur Verfügung stehenden<br />

Raumes vernachlässige ich die Erläuterung praktischer Verfahren im Bereich der<br />

Malerei und des Zeichnens. Dies impliziert jedoch nicht, dass die malerischen und<br />

zeichnerischen Übungen in der kunsttherapeutischen Arbeit mit Jugendlichen weniger<br />

Einsatz und minder erfolgreiche Wirkung zeigen.<br />

6.4.1 Übung Meeresstrand<br />

Charakteristika des Sandes<br />

Hierbei wird vom zweidimensionalen Gestalten mit Sand ausgegangen. Das Gestalten<br />

mit Sand stellt eine niedrige Hemmschwelle dar, oftmals werden positive<br />

Kindheitserinnerungen damit verbunden. Der Sand wird mit Urlaub, Entspannung und<br />

Strand und somit mit positiven Empfindungen besetzt. Man kann dem Sand<br />

antriebssteigernde Materialqualitäten zusprechen. Sand regt zur spielerischen<br />

Tätigkeiten an und aktiviert biografische Assoziationen.<br />

Als Produkt der Verwitterung steht Sand als Zeichen für die Zeit, die Vergänglichkeit.<br />

Das freie Streuen und Auftragen von Sand fördert, sich auf Neues einzulassen und<br />

schöpferisch zu sein. Ein „Begreifen“ des Materials findet durch Tasten, Fühlen und<br />

Greifen des Sandes statt.<br />

Beim Gestalten mit Sand entsteht eine hohe Konzentration, da das Material haptische<br />

Wahrnehmungen ermöglicht. Durch seine körnige Beschaffenheit und den direkten<br />

unmittelbaren Hautkontakt entstehen sensorische Reize und Sinneseindrücke (vgl.<br />

Leutkart, Wieland & Wirtensohn-Baader 2004, S. 237f.).<br />

„Meeresstrand“<br />

In der Einzel- und Gruppenarbeit entstehen in einem Zeitfenster von bis zu zwei<br />

Stunden freie Sandgestaltungen in Anknüpfung an Meeresassoziationen. Im Rahmen<br />

dieser Übung wird eine tiefe Entspannung durchgeführt. Die Räumlichkeiten sollten<br />

diesbezüglich Möglichkeit entweder zum Liegen auf dem Boden mit Decken und<br />

Kissen oder im Stuhlkreis sitzend bieten.<br />

53


Als Materialien sollten gefärbte Sande, verschieden große, dicke und farbige Papiere,<br />

Kleister, Pinsel, meditative Musik, Decken, Kissen und eventuell ein Raum mit<br />

Teppichboden bereitgestellt und organisiert werden.<br />

Zu Beginn wird den Teilnehmern das Vorgehen erläutert. Es besteht die Möglichkeit,<br />

Fragen zu stellen. Eventuell kann eine verbale Anfangsrunde angeregt werden, die die<br />

Sozialform der Gruppe verstärken kann, indem die momentane Befindlichkeit geäußert<br />

wird. Vorab sollten die Teilnehmer ihren Arbeitsplatz einrichten, um nach der<br />

Entspannungsphase fließend in den Gestaltungsprozess übergehen zu können.<br />

Im ersten Teil der Übung findet eine angeleitete Entspannungsphase statt. Die<br />

Teilnehmer wählen sich einen Platz im Raum und richten diesen bequem ein. Der<br />

Anleiter weist vor Beginn der kurzen Körperentspannung daraufhin, dass jeder<br />

Teilnehmer die Möglichkeit hat, die Übung jederzeit für sich zu unterbrechen. Die<br />

Körperentspannung unter bewusstem Ein- und Ausatmen dient dazu, in sich<br />

hineinzuspüren und zur Ruhe zu kommen.<br />

Die Phase der Körperentspannung geht über in eine Visualisierungsphase, in der sich<br />

jeder Teilnehmer auf eine Phantasiereise begeben soll, an einen schönen Ort, an einen<br />

Meeresstrand, an dem er 10-15 Minuten gedanklich verweilen soll. Anschließend<br />

begleitet der Anleiter die Teilnehmer behutsam verbal zurück in die Realität und gibt<br />

ihnen ein wenig Zeit, um dem soeben Erlebten nachspüren zu können.<br />

Es folgt nun die Gestaltungsphase. Die Teilnehmer gehen an ihren vorbereiteten<br />

Gestaltungsplatz und beginnen die freie Arbeit mit dem Sandmaterial. Der Anleiter<br />

kann dazu anregen, mehrere Gestaltungen nacheinander anzufertigen, in Abhängigkeit<br />

davon, wie schnell oder langsam jeder Einzelne gestaltet.<br />

Es obliegt dem Anleiter, mit den Teilnehmern während des Gestaltensprozesses Kontakt<br />

aufzunehmen und entstehende Inhalte, Themen, Emotionen oder Fragen aufzugreifen<br />

und zu verbalisieren. Am Ende der Übung empfiehlt sich eine Abschlussrunde, um eine<br />

kurze Rückmeldung zu erhalten, wie es dem Einzelnen „an und mit seinem<br />

Meeresstrand“ ergeht und erging.<br />

54


Im Zuge dieser Übung werden die Ich-Wahrnehmung eines jeden Teilnehmers angeregt<br />

und es werden Ressourcen eröffnet, da in einem Zustand der völligen Entspannung<br />

positiv besetzte, innere Bilder und Wahrnehmungen imaginiert werden sollen. Darüber<br />

hinaus werden regressive Anteile, die Symbolisierungs- und Erlebnisfähigkeit gefördert<br />

(vgl. Leutkart, Wieland & Wirtensohn-Baader 2004, S. 240ff.).<br />

6.4.2 Die Skulptur „Von der Anmutung zur Form“<br />

Die Skulptur<br />

Dreidimensionales Gestalten entsteht real im Raum und bildet ein Stück Wirklichkeit.<br />

Skulpturen grenzen einen Körper ab und nehmen Raum ein, wie der Mensch selbst. Der<br />

Gestaltende schafft damit ein Gegenüber, mit dem er sich identifizieren und in<br />

Beziehung treten kann (vgl. Leutkart, Wieland & Wirtensohn-Baader 2004, S. 250f.).<br />

Durch das Abtragen und Abbauen von Material gelangt der Gestaltende in der<br />

bildnerischen Arbeit zu einer Skulptur. Das Material (z. B. Holz, Stein) hat bereits Form<br />

und Struktur und bietet Widerstand. Deshalb müssen, um das Eigene herauszuarbeiten,<br />

aggressive Energien konstruktiv eingesetzt werden. Die bildhauerische Arbeit gibt einen<br />

strukturierten Rahmen, in dem klare Vorgaben bezüglich Material, Werkzeug und<br />

Bearbeitungstechnik einzuhalten sind.<br />

Diese Bedingungen führen den Gestaltenden häufig zu einer Fokussierung bestimmter<br />

Themen. Beispielsweise neigen Menschen mit Verlustängsten dazu, das Abtragen des<br />

Materials mit dem Aspekt des Hergebens, Loslassens oder Verlierens zu assoziieren<br />

und erleben dabei Gefühle der Trauer, Enttäuschung und der Wut, die in den<br />

Gestaltungsprozess mit einfließen und somit bearbeitet werden. Eine eigene Gestalt<br />

kann nur entstehen, wenn das Abtragen mit den dazugehörigen Gefühlen zugelassen<br />

wird (vgl. Leutkart, Wieland & Wirtensohn-Baader 2004, S. 301).<br />

„Neben der Verbesserung der Eigenwahrnehmung und Gefühlsdifferenzierung werden<br />

bestimmte Ich-Funktionen durch die besonderen Bedingungen des skulptierenden<br />

Gestaltens gefördert.“ (Leutkart S. 302) Das Arbeiten über einen längeren Zeitraum an<br />

einem Werkstück verlangt dem Gestaltenden Ausdauer und Durchhaltevermögen ab.<br />

55


Des Weiteren kann durch das bildhauerische Arbeiten eine Realitätsprüfung erfolgen.<br />

Der Gestaltende ist immer wieder Frustrationen ausgesetzt, wenn das Material nicht<br />

gleich nachgibt oder Teile unvorhergesehen abbrechen. Der Umgang mit Frustrationen<br />

verbessert oftmals die Frustrationstoleranz (vgl. Leutkart, Wieland & Wirtensohn-<br />

Baader 2004, S. 302).<br />

„Von der Anmutung zur Form“<br />

Diese Übung kann im Einzel- oder Gruppensetting, in geschlossenen oder offenen<br />

Gruppen Anwendung finden. Bereit gestellt werden sollten Bruchstein in<br />

unterschiedlichen Größen und Formen, z. B. Speckstein faust- bis kopfgroß, Kalkstein,<br />

Marmor oder Sandstein ca. 30 x 30 x 40 cm, Holz 20-150 cm hoch, im Durchmesser<br />

von 20-40 cm, geeignetes Werkzeug (Schnitz- und Hohlbeitel, Holzklöpfel,<br />

Kerbschnittmesser, Raspeln, Feilen, Sägen) an einem ebenso geeigneten Werkplatz<br />

(Werkstatt mit Werkbänken), Schutzbrillen, Arbeitshandschuhe, Schürzen und<br />

Arbeitskleidung. Die Bearbeitungszeit bei einem faust- bis kopfgroßen Speckstein liegt<br />

bei ca. 4-15 Stunden. Bei Holz und der Bearbeitung eines Kalk(-sand)steins, Marmor<br />

oder Savonniére beträgt die Bearbeitungszeit ca. 20-30 Stunden, je nach Material und<br />

Größe auch länger.<br />

Der Werkraum ist bereits vorbereitet, die Steine und Holzstücke liegen aus. Alle<br />

Teilnehmer werden dazu aufgefordert, sich Material auszusuchen, dieses genau zu<br />

betrachten, zu befühlen, in die Hand zu nehmen, zu bewegen, zu riechen und dabei<br />

darauf zu achten, welches Stück sie anspricht oder ihnen einfach gefällt.<br />

Abb. 3: „Von der Anmutung zur Form“<br />

56


Die Werkplätze werden vorbereitet. Das Werkzeug wird vorgestellt und in seinem<br />

Umgang gezeigt. Das Material wird nochmals betrachtet, befühlt und anschließend<br />

entschieden, ob es eine Standfläche geben soll und wo.<br />

Es erfolgen erste Erfahrungen mit dem Material. Über mehrere Sitzungen entsteht im<br />

Dialog zwischen Gestalter und Material ein individuelles Werkstück, welches seine<br />

Form auch durch äußere Einflüsse erhält (Abb.3). Der Kunsttherapeut begleitet den<br />

Gestaltungsprozess, er bietet therapeutische und handwerklich-künstlerische<br />

Unterstützung an.<br />

Nach einer vierstündigen Gestaltungszeit finden regelmäßige Reflexionen über<br />

gemachte Erfahrungen, Gefühle und Konflikte im Arbeitsprozess in der Gruppe statt.<br />

Das Entstandene wird gemeinsam betrachtet und Formaspekte werden besprochen. Die<br />

Gruppe kann bei Frustrationen und Rückschlägen des Einzelnen eine stützende Rolle<br />

einnehmen. Im abschließenden Teil besteht die Möglichkeit, der Skulptur einen Titel zu<br />

geben.<br />

7. Fazit<br />

Soziale Arbeit bedient sich primär der verbalisierten Sprache. Doch wie häufig finden<br />

Klienten für ihr Anliegen keinerlei adäquate Formulierungen auf Grund mangelnder<br />

Sprach- und Ausdrucksfähigkeit (vgl. Schorer 2002, S. 12). Wie die <strong>hier</strong> vorliegende<br />

Arbeit aufzeigt, eröffnet kunsttherapeutisches Arbeiten eine alternative<br />

Kommunikationsmöglichkeit, die neben dem nonverbalen authentischen Ausdruck das<br />

Entdecken einer neuen Sprache zwischen dem Klienten und dem Sozialarbeiter<br />

impliziert.<br />

Die Anwendung von „Kunst“ im sozialen Handlungsfeld lässt sich als eine „erweiterte“<br />

Kunsttherapie, die Klienten in Institutionen Sozialer Arbeit anspricht, beschreiben (vgl.<br />

Schorer 2002, S. 251). Der Kunsttherapie gelingt es, einen neuen Raum, der<br />

therapeutisch wirksam ist und somit in der Sozialen Arbeit eine beachtliche Perspektive<br />

darstellt, zu erschließen.<br />

57


Insbesondere durch die Skizzierung praktischer Übungsverläufe und verschiedener<br />

Erfahrungsebenen in der kunsttherapeutischen Praxis wird die motivierende,<br />

selbstwertstärkende und kommunikative Wirkung, die „Brücken“ zu einer gezielten<br />

Realitätsbewältigung multipler Problematiken „baut“, deutlich (vgl. Schorer 2002, S.<br />

248).<br />

Die Kunsttherapie ebnet den Weg zur Selbstfindung sowie zur Aufnahme neuer<br />

Beziehungen. Im Sinne des Auftrages der Sozialen Arbeit gelingt es, mithilfe<br />

kunsttherapeutischer Aspekte und Methoden in der sozialarbeiterischen Praxis, Klienten<br />

in institutionalisierte Lebenslaufregime neu zu integrieren und ihnen ihre<br />

Handlungsfähigkeit zurück zu geben.<br />

Kunsttherapeutische Aspekte und Methoden können im pädagogischen und<br />

therapeutischen Bereich ihre Anwendung finden. Ein Sozialarbeiter sollte sich dabei im<br />

Rahmen künstlerischen Tuns und Handelns im Freizeitbereich, wie auch im<br />

institutionalisierten Kontext, der stets massiven Wirkkraft dieser Methoden bewusst<br />

sein. Darüber hinaus ist für eine Behandlung tiefenpsychologischer Prozesse eines<br />

Klienten eine therapeutische Zusatzausbildung des Sozialarbeiters als (Kunst-)<br />

Therapeut unabdingbar.<br />

In der Kunsttherapie und dem künstlerisch gestalterischen Arbeiten sehe ich eine<br />

bedeutende Interventionsmöglichkeit für die sozialarbeiterische Praxis, jedoch auch eine<br />

gegenwärtig unzureichend erschlossene Ressource.<br />

Nach ausführlichen Literaturrecherchen und der Bearbeitung des vorliegenden Materials<br />

der Sozialen Arbeit stellte sich heraus, dass Darstellungen der Kunsttherapie<br />

beziehungsweise des künstlerisch gestalterischen Arbeitens im Rahmen dieser noch<br />

unzureichend dokumentiert sind. Die Bezugnahme auf die Soziale Arbeit in der<br />

kunsttherapeutischen Fachliteratur erwies sich als ebenso vernachlässigter Gegenstand.<br />

Die Vermutung liegt nah, dass diese thematische „Lücke“ in der Literatur Bestand zeigt,<br />

weil die Kunsttherapie eine junge Disziplin ist, die bis heute als Berufsfeld noch wenig<br />

institutionalisiert ist, eine mangelnde Evaluation sowie Systematisierung aufweist und<br />

eine Kategorisierung nur auf unterschiedlichen Ebenen zulässt.<br />

58


Des Weiteren ist das Wissen über die therapeutische Wirkung von Kunst bei<br />

bestimmten Krankheiten noch immer nur beschränkt vorhanden (vgl. von Spreti,<br />

Martius & Förstl 2005, S. 7ff.).<br />

Zukünftig bedarf es in der Kunsttherapie an einheitlichen Strukturen und somit einer<br />

„Lückenschließung“ primär in Bezug auf die Qualifizierung und Kennzeichnung des<br />

Berufsbildes des Kunsttherapeuten, damit kunsttherapeutische Aspekte und Methoden<br />

außerhalb etablierter Bereiche und somit in sozialen Kontexten gezielt Einsatz finden<br />

können.<br />

Die Vermittlung kunsttherapeutischer Aspekte und Methoden sollte in den<br />

Studienverlauf der Sozialen Arbeit integriert werden. In einer zunehmend sprachlich<br />

verkümmernden Gesellschaft steigt der Bedarf an alternativen<br />

Kommunikationsmöglichkeiten rasant. Unter Berücksichtung der Tatsache, dass eine<br />

lebendige Kommunikation in der Sozialen Arbeit existentiell ist, können nonverbale<br />

Ausdrucksmittel als Ressource im Hinblick auf stark ausgeprägte Machtgefälle<br />

zwischen Sozialarbeitern und Klienten geltend gemacht werden, um den bereits<br />

aufgezeigten mangelnden Sprach- und Ausdrucksmöglichkeiten der Klienten entgegen<br />

zu wirken und diese zu kompensieren (vgl. Schorer 2002, S. 12).<br />

59


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Schottenloher, Gertraud: Kunst- und Gestaltungstherapie in der pädagogischen Praxis.<br />

München 1983<br />

Schuster, Martin: Kunsttherapie. Die heilende Kraft des Gestaltens. Köln, 5. Aufl. 2003<br />

Stewart, Thurid (2009): „Zur Kunsttherapie“ URL: http://www.kunsttherapieinstitut.de/zkunst.html<br />

[Stand: 25.Mai 2009].<br />

Thiele, Giesela: Soziale Arbeit mit alten Menschen. Handlungsorientiertes Grundwissen<br />

für Studium und Praxis. Köln 2001<br />

Thole, Werner (Hrsg.): Grundriss Soziale Arbeit. Ein einführendes Handbuch.<br />

Wiesbaden, 2. Aufl. 2005<br />

Thomas, Christoph: „Ich kann aber nicht malen“ - Geschichte, Verfahren,<br />

Möglichkeiten und Grenzen der Kunsttherapie, in: Die Heilkraft des Malens. Eine<br />

Einführung in die Kunsttherapie, hrsg. von Werner Kraus. München 1996, 13-36.<br />

von Spreti, Flora/ Martius, Philipp/ Förstl, Hans (Hrsg.): Kunsttherapie bei psychischen<br />

Störungen. München-Jena 2005<br />

Zippel, Christian/ Kraus, Sibylle (Hrsg.): Soziale Arbeit mit alten Menschen.<br />

Sozialarbeit in der Altenhilfe, Geriatrie und Gerontopsychiatrie. Ein Leitfaden für<br />

Sozialarbeiter und andere Berufsgruppen. Berlin 2003<br />

62


9. Abbildungsverzeichnis<br />

Abb.1:<br />

Entstanden in einer Malgruppe für Mütter von krebskranken Kindern, Kopfumriss:<br />

Leutkart, Christine/ Wieland, Elke/ Wirtensohn-Baader, Irmgard (2004): Kunsttherapie<br />

aus der Praxis für die Praxis. Materialien, Methoden, Übungsverläufe. 2. Auflage.<br />

Dortmund: verlag modernes lernen, S. 59<br />

Abb.2:<br />

Intuitive Farbwahl: Leutkart, Christine/ Wieland, Elke/ Wirtensohn-Baader, Irmgard<br />

(2004): Kunsttherapie aus der Praxis für die Praxis. Materialien, Methoden,<br />

Übungsverläufe. 2. Auflage. Dortmund: verlag modernes lernen, S. 173<br />

Abb.3:<br />

Speckstein: Im Gestaltungsprozess konnte die Trauer um Verluste in Form einer<br />

kauernden Frau zum Ausdruck gebracht werden, Von der Anmutung zur Form:<br />

Leutkart, Christine/ Wieland, Elke/ Wirtensohn-Baader, Irmgard (2004): Kunsttherapie<br />

aus der Praxis für die Praxis. Materialien, Methoden, Übungsverläufe. 2. Auflage.<br />

Dortmund: verlag modernes lernen, S. 313<br />

63


10. Anhang<br />

Anhang 1<br />

4<br />

4 Thole, Werner (Hrsg.): Grundriss Soziale Arbeit. Ein einführendes Handbuch. Wiesbaden, 2. Aufl.<br />

2005, S. 504<br />

64


11. Eidesstattliche Erklärung<br />

Hiermit versichere ich, die vorliegende Bachelorabschlussarbeit ohne Hilfe Dritter und<br />

nur mit den angegebenen Quellen und Hilfsmitteln angefertigt zu haben. Alle<br />

Textauszüge, die aus den Quellen entnommen wurden, sind als solche kenntlich<br />

gemacht worden. Des Weiteren versichere ich, dass diese Arbeit in gleicher oder<br />

ähnlicher Form noch keiner Prüfungsbehörde vorgelegen hat.<br />

Siegen, den 17. Juli 2009<br />

_________________________<br />

Unterschrift<br />

65

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