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Rituale - Erzdiözese Salzburg

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Prof. Dr. Helga Kohler-Spiegel<br />

Psychotherapeutin, (Lehr-)supervisorin<br />

Pädagogische Hochschule Vorarlberg<br />

Persönliche <strong>Rituale</strong>, <strong>Rituale</strong> von<br />

Kindern z.B. beim Ins-Bett-<br />

Gehen, <strong>Rituale</strong> von Jugendlichen beim<br />

Begrüßen - je nach Clique, zu der sie<br />

gehören, ob man sich gegenseitig die<br />

Hände klatscht oder ob man sich mit<br />

Küsschen - Küsschen begrüßt und<br />

verabschiedet.... Ritualisierungen<br />

prägen den Kontakt untereinander, sie<br />

strukturieren die Zeit, sie helfen uns<br />

zwischen „Alltag“ und „besonderen<br />

Momenten“ zu unterscheiden. Mit der<br />

Rhythmisierung von Zeit<br />

(Jahreszeiten, Jahreskreis,<br />

Kirchenjahr) gestalten<br />

wir auch die Orte, zu<br />

Weihnachten sehen Räume<br />

anders als auch im Fasching<br />

und zu Halloween. Das<br />

Erwachsenwerden ist längst<br />

ritualisiert, vor allem der Führerschein<br />

spielt eine große Rolle. Auch im<br />

religiösen Ritual liegt Bedeutung: Im<br />

Ritual, im Heiligtum werden nicht<br />

Moral und Predigt gesucht, sondern<br />

religiöse Erfahrung, die wohl tut,<br />

„Heilung an der Wurzel der Seele“. 1<br />

Weil nicht alles ein Ritual ist:<br />

Zum Begriff<br />

<strong>Rituale</strong> und Riten sind feste, kollektiv<br />

geteilte und entlastende Formen,<br />

also ausgerichtet an dem Bedürfnis<br />

des Einzelnen, integriert zu sein in<br />

gemeinsam geteilte Handlungsmuster.<br />

<strong>Rituale</strong> sind mit Werner Jetter<br />

„religiöses Ausdrucksverhalten“ 2 . Sie<br />

sind Traditionsvermittler, sie binden<br />

an Vergangenes und setzen es fort,<br />

<strong>Rituale</strong> sind Bürgen für Ordnung und<br />

Sinn, sie leben von der Wiederholung.<br />

„Einerseits helfen sie den Menschen,<br />

in diese Ordnungen hineinzuwachsen<br />

und sich in ihnen sicher zu fühlen,<br />

sie deuten Erfahrungen, vermitteln<br />

Sinn, trösten und stabilisieren die<br />

Einzelnen und die Gemeinschaft.<br />

Sie stabilisieren damit zugleich die<br />

Machtverhältnisse. Andererseits hel-<br />

fen sie, diese Ordnungen zu transzendieren,<br />

heilvollere Zustände vorwegzunehmen,<br />

gegen Missstände zu<br />

protestieren, Hoffnungen lebendig zu<br />

halten.“ 3<br />

Sie erlauben und steuern Emotionen,<br />

sie geben ihnen Raum und halten<br />

sie zugleich im Rahmen, wir können<br />

in diese Emotionen einkehren und<br />

eintauchen. <strong>Rituale</strong> vermitteln Iden-<br />

tität, Zugehörigkeit, das Erlernen des<br />

rituellen Repertoires einer Gemeinschaft<br />

macht uns zu Menschen und<br />

zu Mitgliedern dieser Gemeinschaft,<br />

auch im religiösen Bereich. Sie sind für<br />

die Identitätsbildung unverzichtbar.<br />

Darin liegt auch die Gefahr der<br />

Nach einem Arbeitstag hat sich längst eingespielt, wie ich<br />

den Übergang in die freie Zeit gestalte, zuerst ein wenig<br />

aufräumen, mehr um mich innerlich „aufzuräumen“ als um<br />

äußerlich viel in Ordnung zu bringen, dann ein bisschen<br />

Ruhe, eine Tasse Kaffee oder einen Espresso... Ein erstes<br />

Abschalten, am Übergang in die „Freizeit“.<br />

Manipulation und der totalen „Wir-<br />

Identität“. <strong>Rituale</strong> grenzen eine<br />

Gemeinschaft von anderen ab, sie<br />

machen Werthaltungen, Ziele und<br />

Geschichtsbewusstsein einer Gemeinschaft<br />

sichtbar und deuten diese.<br />

<strong>Rituale</strong> sind „symbolische Ordnungen“,<br />

vor allem auch die Riten und<br />

Feiern an den Lebenswenden („rites de<br />

passage“) gehören dazu. Hier wird der<br />

Übergang am deutlichsten: Kirchliche<br />

Feiern zu den Lebenswenden wer-<br />

den z.B. von Menschen mit unterschiedlicher<br />

Bindung an Kirche in<br />

Anspruch genommen. Die <strong>Rituale</strong> im<br />

Lebenszyklus, die Rites de passage,<br />

Übergangsriten helfen, an diesen<br />

Übergängen eine Neuorientierung<br />

zu schaffen, mit dem Ziel, Hoffnung<br />

zu stärken und Angst zu mindern.<br />

Und zugleich erleben wir – nicht nur<br />

im Umgang mit Jugendlichen, dass<br />

die Traditionen und Institutionen<br />

nicht mehr die Kraft haben, die<br />

Ritualisierungen zu prägen, damit<br />

diese Orientierung für die einzelne<br />

Person und für die Gemeinschaft<br />

geben.<br />

g Mitteilungen 2 - 2009<br />

THEMA<br />

Übergänge<br />

<strong>Rituale</strong> begleiten den Menschen<br />

<strong>Rituale</strong> an Übergängen<br />

im Kindes- und Jugendalter<br />

Einer der größten Lernschritte in<br />

der Entwicklung eines Menschen ist<br />

das Erlernen der Symbolisierung,<br />

nämlich äußere Erfahrungen<br />

und innere Repräsentationen<br />

miteinander zu verknüpfen, äußere<br />

Objekte zu verinnerlichen, sodass<br />

sie innere Repräsentanzen bilden.<br />

Damit verbunden ist die Fähigkeit,<br />

diese Repräsentanzen innerlich zu<br />

bewahren, auch wenn sie äußerlich<br />

nicht (mehr) da sind, sie in Worte<br />

und Bilder zu fassen und damit<br />

„versprachlichen“ zu können, also<br />

symbolisieren. 4 So lernt ein Kind<br />

im frühen Alter der Individuation,<br />

dass die Bezugsperson<br />

da ist und zugleich nicht<br />

da sein muss, dass ein<br />

„Übergangsobjekt“ hilft,<br />

mit Gefühlen umzugehen,<br />

dass diese das Kind nicht<br />

überschwemmen, sondern<br />

fassbar werden - im<br />

Teddybär, Schmusekissen.... Dann, in<br />

einem weiteren Lernprozess, werden<br />

Gefühle auf diese Weise gestalt-<br />

und erinnerbar. Im ritualisierten<br />

Raum kann der Mensch Gefühle<br />

wiedererkennen und zu ihnen<br />

zurückkehren (z.B. beim Nachtgebet),<br />

dabei wirkt vieles hilfreich, manches<br />

aber auch bedrohlich. Ein Musikstück<br />

kann so für mich Bedeutung erhalten,<br />

weil es mich an den ersten Kuss<br />

erinnert, an die erste Liebe, ebenso<br />

wie der Klang beim Rosenkranzbeten<br />

oder andere <strong>Rituale</strong>, die mir helfen,<br />

selbst Sprache zu finden für die<br />

eigenen Emotionen und Ängste. 5<br />

Mario Erdheim fragt, wieso<br />

<strong>Rituale</strong> gerade in der Pubertät so<br />

zentral sind. Mit Bezug auf die<br />

psychoanalytische Theorie entwickelt<br />

er den Spannungsbogen zwischen<br />

Es und Über-Ich, zwischen Chaos<br />

und Ordnung. In manchen Kulturen<br />

hütet das Religiöse das Chaos, in<br />

anderen die Ordnung – dazwischen<br />

ist, als Übergang, jeweils das Ritual<br />

angesiedelt. Es braucht immer beides,<br />

Ordnung und Chaos, <strong>Rituale</strong> können<br />

3

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