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Rituale - Erzdiözese Salzburg

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6 THEMA<br />

Ass.Prof. Dr. Frank Walz<br />

Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie<br />

Universität <strong>Salzburg</strong><br />

Rituelle Sehnsucht<br />

„Alles ist Teil eine Rituals zwischen<br />

dem Mann auf der Bühne und seiner<br />

altersgemischten Anhängerschaft: die<br />

neuen Songs im ersten Teil des Abends,<br />

die ersten Blumen nach einer halben<br />

Stunde, der Sturm auf die Bühne und<br />

zum Schluss die Hits, die längst Teil<br />

des kollektiven Schunkelgedächtnisses<br />

sind…“ – so schreiben die SN 65<br />

(27.02.2009) 9 über ein Udo Jürgens<br />

Konzert in <strong>Salzburg</strong>. In der gleichen<br />

Ausgabe einige Seiten weiter<br />

ist die Rede von einer „Top-<br />

Ritual-Saunakammer“ in der<br />

„täglich verschiedene Ritual-<br />

Aufgüsse mit entspannenden,<br />

meditativen oder anregenden<br />

Themen“ (20) stattfinden...<br />

<strong>Rituale</strong> begegnen auf Schritt<br />

und Tritt und wenn religiöse<br />

<strong>Rituale</strong> sicherlich die Wurzel aller<br />

Ritualität darstellen, so gehören sie<br />

dennoch mittlerweile zur allgemeinmenschlichen<br />

Grundausstattung 1 .<br />

Es ist die Rede von <strong>Rituale</strong>n in<br />

der Politik, am Arbeitsplatz, von<br />

Begrüßungs- und Freizeitritualen,<br />

<strong>Rituale</strong>n bei Tisch, vor dem<br />

Schlafengehen, nach dem Aufstehen,<br />

religiösen und säkularen, kirchlichen<br />

und nichtkirchlichen, alltäglichen<br />

und sonntäglichen <strong>Rituale</strong>n. Kein<br />

Wunder also, dass es mittlerweile<br />

auch (Fach-)Schulen für <strong>Rituale</strong> 2 gibt,<br />

Ausbildungen für Ritualbegleiter,<br />

-moderatoren, -gestalter, -designer,<br />

dass es eigene Literaturabteilungen<br />

für Umgangsrituale/-formen gibt<br />

und dass das Thema Manieren 3 (denn<br />

auch diese haben mit <strong>Rituale</strong>n zu tun)<br />

Bestsellerstatus gewinnt. All dies, weil<br />

wir wohl instinktiv spüren, dass uns<br />

<strong>Rituale</strong> Halt und Orientierung, Form,<br />

Ordnung und Sicherheit geben –<br />

mitten im hektischen Alltag.<br />

... damit das Leben im Fluss bleibt!<br />

Helfende <strong>Rituale</strong> im Alltag<br />

„Echte“ <strong>Rituale</strong><br />

Das „Ri-“ im Begriff „Ri-tual“<br />

bedeutet etymologisch zum einen<br />

„fließen“, zum anderen „zählen,<br />

rechnen, sich reimen“. Darin kann<br />

bereits das Wesen und damit die<br />

Funktion des Rituals erahnt werden:<br />

es ist notwendig, damit das Leben<br />

fließt, damit es sich reimt. Gerade<br />

dann, wenn das Leben ins Stocken<br />

gerät, wenn es eben nicht mehr fließt,<br />

wird sehnsüchtig nach echten und<br />

damit „wirksamen“ <strong>Rituale</strong>n gesucht.<br />

Diese werden allerdings nur von<br />

jenen wirklich „als wirksam“ ge- und<br />

empfunden, für die <strong>Rituale</strong> auch im<br />

normal-alltäglichen Leben eine Rolle<br />

spielen, die in gewisser Weise „rituell-<br />

<strong>Rituale</strong> sorgen dafür, dass das Leben „im Fluss“<br />

bleibt – und nachdem das Leben meistens<br />

ziemlich alltäglich ist, soll(t)en auch alltägliche<br />

<strong>Rituale</strong> unser Leben begleiten. Dann werden sie<br />

zu dem, was sie von ihrem innersten Wesen her<br />

sind: konkrete Lebenshilfe!<br />

musikalisch“ sind (und das hat auch<br />

mit Bildung und Übung zu tun!). 4<br />

Nicht jede (gute oder schlechte An-)<br />

Gewohnheit ist schon ein Ritual<br />

(und eigentlich müsste man auch<br />

noch zwischen Ritus und Ritual<br />

unterscheiden). Was <strong>Rituale</strong> auf<br />

jeden Fall kennzeichnet: sie sind<br />

sinnlich gestaltet und werden<br />

körperlich vollzogen, sie leben von<br />

symbolischen Handlungen, sie sind<br />

einfach und lassen sich wiederholen,<br />

sie haben einen klaren Anfang und<br />

ein deutliches Ende. <strong>Rituale</strong> brauchen<br />

einen gekennzeichneten Ort und eine<br />

festgelegte Zeit, sie weisen über sich<br />

selbst hinaus auf eine transzendente,<br />

göttliche Dimension. Dies gilt<br />

für Sonntags- und Alltagsrituale<br />

gleichermaßen.<br />

Wenn sie derart gestaltet sind, werden<br />

sie zu einer authentischen Möglichkeit,<br />

Lebenserfahrungen sinnenhaft<br />

auszudrücken, (im Glauben) zu<br />

deuten und zu verarbeiten. Dann<br />

können sie Übergänge gestalten<br />

g Mitteilungen 2 - 2009<br />

und Wechsel markieren, jeweilige<br />

Lebenssituation ordnen helfen und<br />

in die eigene Biographie integrieren.<br />

<strong>Rituale</strong> erlauben und steuern<br />

Emotionen, sie geben ihnen Raum<br />

und halten sie zugleich im Rahmen.<br />

Sie helfen mit Ängsten umzugehen,<br />

ordnen diffuse Gefühle und können<br />

somit emotional entlasten. „Das<br />

Ritual ist ein doppelgesichtiges<br />

Wesen: es ermöglicht den Fortgang<br />

des Lebens an Stellen, an denen es zu<br />

stocken droht. Und es hält das Leben<br />

gleichzeitig an, schafft Aufenthalt in<br />

der bewusstlosen Eile, in der es sich<br />

fortwährend selber entzieht“ 5 .<br />

<strong>Rituale</strong> verbinden Menschen<br />

miteinander, sie stiften Gemeinschaft<br />

und Solidarität, sie<br />

ordnen damit auch das<br />

Zusammenleben, haben<br />

also eine sozial-integrative<br />

Funktion. <strong>Rituale</strong> bringen<br />

schließlich die persönliche<br />

Lebenserfahrung unmittelbar<br />

in Verbindung mit der<br />

göttlichen Dimension unseres Lebens;<br />

sie eröffnen einen spirituellen Raum<br />

(für die Begegnung von Gott und<br />

Mensch). Damit geben sie Halt und<br />

stärken die Identität.<br />

Kraft der Form 6<br />

Mit all dem ist (noch) wenig über<br />

den Inhalt des Rituals ausgesagt<br />

und in der Tat liegt die Stärke des<br />

Rituals in der Form (die freilich dem<br />

Inhalt entsprechen muss wie auch<br />

umgekehrt), in der Gestalt.<br />

Die Form des Rituals besteht in der<br />

Haltung des Schauens, des Staunens,<br />

des Offenseins, der Erwartung und<br />

immer ist das Ritual eine Stärkung des<br />

Miteinander. Auch wenn es alleine<br />

vollzogen wird, weist es doch als<br />

„echtes“ Ritual über den individuellen<br />

Raum hinaus. Es schafft einen<br />

Resonanzraum, der den Rahmen<br />

bildet, Vertrautes in Szene zu setzen,<br />

an das Heil(ig)e rück zu binden.<br />

In Anlehnung an das gottesdienstliche<br />

Ritual gilt ganz allgemein: Nicht das<br />

Ritual, das wir ‘halten’, sondern jenes,

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