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Rituale - Erzdiözese Salzburg

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8 THEMA<br />

Univ.Prof. Dr. Ilse Kögler<br />

Prorektorin an der Katholisch-<br />

Theologischen Privatuniversität Linz<br />

Spielerisch, virtuos, ganz anders, und<br />

das alles irgendwie total: wie eine<br />

Collage, so bunt und oft willkürlich<br />

zusammengemixt, baut sich das Leben<br />

von vielen Jugendlichen auf. Die<br />

Jugend gibt es ja bekanntlich schon<br />

lange nicht mehr – so es sie jemals<br />

gegeben hat. Wir begegnen heute<br />

vielmehr einer kaum überschaubaren<br />

Vielfalt von Stilen und Kulturszenen,<br />

unterschiedlichen Verhaltensweisen<br />

und Orientierungen, miteinander<br />

teils vergleichbaren, teils nicht kompatiblen<br />

jugendkulturellen Einstellungen<br />

und Haltungen.<br />

Junge Menschen leben heute in<br />

einer Gesellschaft, die sie zu einem<br />

permanenten Neuentwurf ihrer<br />

Lebenskoordinaten auffordert. Ihr<br />

wichtigster Anker ist die Vergewisserung<br />

über sich selbst. Nur<br />

so taugt es zur Selbstfindung. In<br />

unterschiedlicher Intensität können<br />

sie sich in einer oder mehreren<br />

Jugendszenen bewegen, meist ist<br />

nicht ein Entweder-oder, sondern ein<br />

Sowohl-als-auch angesagt, sofern die<br />

Szenen miteinander in irgendeiner<br />

Weise kompatibel sind.<br />

Abseits von Statuten und<br />

Geschäftsordnungen<br />

Jugendszenen sind zum einen<br />

attraktive Freizeitwelten, die von<br />

trendigen „Sounds“ (Pop- und<br />

Rockmusik), trendigen Sports<br />

(Fun- und Trendsportarten wie z.B.<br />

Snowboarden, Beach-Volleyball) und<br />

neuen Medien (Computer, Internet)<br />

beeinflusst sind. In diesen informellen<br />

Gruppierungen, außerhalb traditioneller<br />

Vereine und Verbände<br />

angesiedelt, gelten keine Statuten,<br />

keine Geschäftsordnungen, keine<br />

Funktionsträger. Jenseits des Einflussbereiches<br />

von Erwachsenen<br />

können Jugendliche in Form von<br />

lockeren sozialen Netzwerken „ihr<br />

eigenes Ding“ durchziehen. Niemand<br />

Expressive Identität durch die Szene<br />

<strong>Rituale</strong> in der Jugendkultur<br />

wird in eine Szene hineingeboren<br />

oder hineinsozialisiert, sondern man<br />

sucht sie sich aufgrund spezifischer<br />

Interessen selber aus.<br />

Jugendszenen stehen zum anderen<br />

für ein unverwechselbares Lebensgefühl,<br />

ausgedrückt im so genannten<br />

Szene-Mind. Dieser spiegelt die in der<br />

Szene dominante Lebensphilosophie<br />

und den Wertehorizont und ist<br />

der Ausgangspunkt für die jugendkulturellen<br />

Stile, die wir Erwachsenen<br />

als expressiv und irgendwie auch<br />

als chaotisch wahrnehmen.<br />

Als große (Probe)Bühnen dienen<br />

Jugendszenen der Selbstperformance<br />

wie der Gruppenidentität. Sprachliche,<br />

musikalische, bildliche und<br />

mimetische Szene-Codes (auch<br />

jugendkulturelle <strong>Rituale</strong> oder expressive<br />

Gruppenstile genannt)<br />

machen Lebensstile und Szenezugehörigkeit<br />

transparent. Jugendliche<br />

zeigen also anhand von ästhetisierten<br />

Elementen (Musik, Kleidung, Sprache),<br />

wer sie sein wollen und als wer<br />

sie respektiert werden wollen.<br />

Ästhetik und Auftritt als Mittel<br />

der Kommunikation<br />

Sie kommunizieren nicht – wie<br />

vielleicht noch die 68er Generation –<br />

über kognitive Begriffe, sondern über<br />

Ästhetik, den eigenen Auftritt.<br />

Am Beispiel des HipHop, der gegen-<br />

wärtig wohl global am meisten<br />

verbreiteten Jugendszene, schlaglichtartig<br />

illustriert: Der typische Bilder-<br />

Code des HipHop sind Wand-<br />

malereien mit Spraydose, Graffiti,<br />

die im Normalfall illegal an Häuserwände,<br />

Züge etc. in den urbanen<br />

Zentren platziert (im Szene-Jargon<br />

gebombt) werden. Im Zentrum<br />

des musikalischen Codes steht<br />

der skandierte Sprechgesang, das<br />

„Rappen“, das in den Ursprüngen<br />

der Kultur die Vermittlung von<br />

Nachrichten aus der unmittelbaren<br />

Wohnumgebung der HipHop-Community<br />

hatte. Auf der mimetischen<br />

Ebene stößt man auf den „Breakdance“,<br />

eine akrobatisch anmutende<br />

Aufführung von teils halsbrecherischen<br />

Tanzfiguren zum monotonen<br />

Rap. Kommunikationsfunktion hat<br />

g Mitteilungen 2 - 2009<br />

auch der Körper: durch einen lässiggelangweilten<br />

schleppenden Gang,<br />

durch Handgesten oder durch entsprechende<br />

Grußrituale wird die Zu-<br />

gehörigkeit zur Szene demonstriert.<br />

Typisch für den HipHopper ist weite<br />

Kleidung in Übergrößen, z.B. Baggypants,<br />

also Hosen, die tief im Schritt<br />

hängen. Der Schreibstil auf Flyern und<br />

Plakaten aus der Szene ist stark an den<br />

fließenden und runden Formen der<br />

Graffiti-Kunst ausgerichtet.<br />

Aus den Formen religiöser <strong>Rituale</strong><br />

hat sich einst das Theater entwickelt.<br />

Der Einbruch des Theatralischen in<br />

den Alltag die Techniken der Insze-<br />

nierung werden zu ihrem kultischen<br />

Ursprung zurückgeführt. Jugendliche<br />

entwickeln zu sich selbst ein theatralisches<br />

Verhältnis, eine „Ästhetik<br />

der Existenz“ (Bolz-Bosshart). Es<br />

geht um eine Art szenebewusster<br />

Selbsterfindung – immer im<br />

Spannungsfeld von individualistisch<br />

Sein-Wollen und Gruppen-Identität.<br />

Abgrenzung durch ritualisierte<br />

Handlungen<br />

Jugendkulturelle <strong>Rituale</strong> haben<br />

im wesentlichen drei Funktionen:<br />

Sie ermöglichen es, Szene-Insider<br />

von Szene-Outsidern zu unterscheiden,<br />

sie helfen bei der individuellen<br />

Selbstinszenierung, und sie schaffen<br />

die Szene-Identität durch eine<br />

gemeinsame Ästhetik, gemeinsame<br />

Freizeitinteressen, ähnliche Wert-<br />

haltungen und die daraus resultierenden<br />

gemeinsamen kulturellen<br />

Praxen. Die Beteiligten kennen die<br />

rituellen Akte und führen sie aus. Die<br />

eigene Szene wird in ritualisierten<br />

Handlungen gegenüber verordneten<br />

Lebenswelten (Elternhaus/Schule/<br />

Betrieb) abgegrenzt.<br />

Jugendszenen haben trotz des<br />

Vorwurfs ihres oft „konstruierten“<br />

Charakters eine sozialintegrative<br />

und identitätsstiftende Funktion und<br />

ermöglichen die Erfahrung von „Gemeinschaft“,<br />

ja Heimat sogar, wenn<br />

auch nur für eine begrenzte Zeit. Sie<br />

heben für den Moment das für viele<br />

Jugendliche im Alltag dominierende<br />

Gefühl auf, für sich allein und für<br />

alles verantwortlich zu sein, indem

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