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das uns ‘hält’, steht am Anfang allen<br />
rituellen Tuns 7 . Wo wir „abzustürzen“<br />
drohen, werden wir im Ritual<br />
gehalten – auch und besonders im<br />
banalen, immer gleichen Alltag - was<br />
nicht heißt, dass wir nichts dabei zu<br />
tun hätten, im Gegenteil: „Im Ritual<br />
muss man besonders kommunikativ<br />
präsent sein.“ 8<br />
Rituelles Tun ist immer zeichenhaftsymbolisches<br />
Tun, was dem Menschen<br />
als „animal symbolicum“ 9 natürlich<br />
sehr entspricht. (Liturgische) Beispiele<br />
solcher (ja nicht zufällig zum Großteil<br />
alltäglichen) Zeichen sind: Öl,<br />
Wasser, Licht, Brot, Wein, Weihrauch/<br />
Duftstäbe, Glocken/ Gong… Der<br />
Mensch kann nicht leben „ohne das<br />
weltdeutende und sinnerschließende<br />
Symbol, ohne die Therapie des<br />
zweckfreien, heilenden Spieles, ohne<br />
die in fraglosem Brauch geübte<br />
Erschließung der Grundgaben des<br />
Lebens, wie Licht, Wasser, stärkendes<br />
Brot, erfreuenden Trank, ohne das<br />
bedachte, führende, starke Wort, ohne<br />
die absichtsfreie Gemeinsamkeit des<br />
einenden Feierns, ohne den Rhythmus<br />
gegliederter und somit dynamisch<br />
verweisender Zeit [...]“ 10 – eben ohne<br />
das Ritual.<br />
Alltagsrituale<br />
Mit diesem theoretischen Hintergrund<br />
lassen sich nun ohne große<br />
Vorbereitung und Aufwand auch<br />
persönliche, individuelle Alltagsrituale<br />
kreieren. Pierre Stutz 11 (oder auch<br />
Anselm Grün 12 ) beschäftigt sich<br />
seit Jahren mit diesem Thema und<br />
ordnet den Alltagsritualen bestimmte<br />
Funktionen zu.<br />
Eine der wesentlichsten ist das<br />
Hineinwachsen ins Urvertrauen.<br />
<strong>Rituale</strong> 13 sind „der Versuch, nichts in<br />
der Welt als fremd, menschenfeindlich,<br />
schicksalhaft, sinnlos anzunehmen,<br />
sondern alles was begegnet zu verwandeln,<br />
es einzubeziehen in die<br />
eigene menschliche Welt. Alles soll<br />
so gedeutet werden, dass es ‚für uns’<br />
wird... „ 14 . Stutz schlägt als spirituelle<br />
Alltagsübungen z.B. regelmäßige<br />
Atemübungen vor, Vertrauensübungen<br />
oder das regelmäßige Aufschreiben<br />
dessen, was gut an mir ist.<br />
Als weitere Funktion von <strong>Rituale</strong>n<br />
- in Kombination mit spirituellen<br />
Alltagsübungen - nennt er:<br />
* Innere Freiheit finden: zu mir stehen<br />
lernen; mit Rückgrat mich einbringen<br />
oder auch Übungen des Loslassens.<br />
* Einsamkeit wagen:<br />
Alltägliche Situationen nutzen, um bei<br />
mir selber bewusst Gast zu sein, z.B. an<br />
einen Abend pro Woche, oder einen<br />
Meditationskurs/ Oasentag besuchen<br />
* Klagen und Trauern fördern:<br />
mich mit meiner Wut anfreunden<br />
und Ausdrucksmöglichkeiten für sie<br />
finden; Trauer- und Versöhnungsrituale<br />
feiern<br />
* Genießen können:<br />
Zeit mit Gott genießen; Hobbys<br />
bewusst pflegen; Tischkultur fördern;<br />
achtsamen Umgang mit meinem<br />
Körper pflegen; intime körperliche<br />
Nähe genießen<br />
* Solidarität einüben:<br />
Ohnmacht bewusst aushalten aber<br />
mich mit Ungerechtigkeiten nicht<br />
abfinden<br />
* Gelassenheit wagen: die Kraft der<br />
Brachzeit entdecken; im Hier und Jetzt<br />
verweilen; jeden Abend versuchen<br />
alles Erlebte ruhen zu lassen<br />
* Dankbarkeit ausdrücken:<br />
lobendes, dankbares Echo geben; mich<br />
selber gelegentlich daran erinnern,<br />
dass ich gut bin, so wie ich bin<br />
* Beharrliche Geduld wach halten:<br />
z.B. Solidaritätslichter entzünden;<br />
Menschen treu bleiben; Geduld mit<br />
sich selber haben<br />
* Zärtlichkeit und Sinnlichkeit<br />
erfahren: erotische Gefühle fließen<br />
lassen; mein Mann/Frau sein<br />
bejahen; eine Kultur der Zärtlichkeit<br />
entwickeln<br />
* Hoffnungsvolle Kreativität verspüren:<br />
das Leben aus meiner Mitte gestalten;<br />
Verbundenheiten über den Tod<br />
hinaus wach halten; kreativ werden<br />
* Der Verwandlung trauen: Verwandlung<br />
in der Schöpfung meditieren;<br />
zu meinem Schatten stehen;<br />
Wo immer diese Übungen in einer<br />
gewissen Regelmäßigkeit stattfinden<br />
15 , können sie zum Ritual<br />
werden, das dann womöglich im<br />
(außer-) alltäglichen Notfall dafür<br />
sorgt, dass es gut weitergeht. Die<br />
in der Wiederholung gemachten<br />
Erfahrungen (und ohne diese kein<br />
Ritual!) können dann auch jederzeit<br />
wieder ge-holt werden.<br />
Im außer-alltäglichen Notfall (der ja<br />
irgendwie doch wieder zum Alltag<br />
gehört) kann es schon ein Ritual<br />
sein, miteinander zu schweigen, sich<br />
gegenseitig bei der Hand / in den<br />
Arm zu nehmen, miteinander ein<br />
Stück des Weges zu gehen, im Kreis<br />
zu stehen und miteinander ein Gebet<br />
g Mitteilungen 2 - 2009<br />
THEMA<br />
zu sprechen, eine Kerze zu entzünden,<br />
(bestimmte) Musik zu hören, gemeinsam<br />
ein Bild anzuschauen, einen<br />
Stein fallen zu lassen, ein Schriftstück<br />
zu verbrennen…<br />
All das hilft mir dabei, dass das<br />
gelegentlich zu stocken drohende<br />
Leben (trotz allem!) im Fluss bleibt<br />
und ich mir (hoffentlich wieder) auf<br />
mancherlei einen Reim machen kann.<br />
g<br />
Weiterführende Literaturhinweise:<br />
Bieger, Eckhard/ Hipp Theo: Mut zum Ritual. Die Kunst<br />
des Feierns. Kevelaer 2008.<br />
Brück, Axel: Die Kraft der <strong>Rituale</strong>. Uhlstädt-<br />
Kirchhasel 2008.<br />
Egner, Helga (Hg.): Leidenschaft und <strong>Rituale</strong> – was<br />
Leben gelingen läßt. Mit Beiträgen von Michael<br />
Baereswyl ... Zürich 1997.<br />
Herriger, Cath.: Die Kraft der <strong>Rituale</strong>: Macht und Magie<br />
unbewußter Botschaften im Alltag. München 2 1993.<br />
Linsen, Achim: Den Schulalltag unterbrechen. Relig.<br />
Akzente und Gottesdienste. Düsseld. 2008.<br />
Ressel, Hildegard: <strong>Rituale</strong> für den Alltag. Warum wir sie<br />
brauchen - wie sie das Leben erleichtern. Freiburg 1998.<br />
Schmidt-Glintzer, Helwig (Hg.): Liturgie, Ritual,<br />
Frömmigkeit und die Dynamik symbolischer Ordnungen.<br />
Wiesbaden 2006.<br />
Turner, Victor Witter: The ritual process Das<br />
Ritual: Struktur und Anti-Struktur. Aus d. Engl. u. mit<br />
e. Nachw. von Sylvia M. Schomburg-Scherf. -Neuaufl.-<br />
Frankfurt/M. 2005.<br />
Wall, Kathleen; Ferguson, Gary: <strong>Rituale</strong> für das Leben.<br />
Aus dem Amerikanischen von Goetz Ferdinand Kreibl.<br />
München 1996.<br />
15. Goldegger Dialog: Tagungsband. Mythen, Rhythmen,<br />
<strong>Rituale</strong>. Hg. Kulturv. Schloss Goldegg. Eigenverl. 1997.<br />
(Endnotes)<br />
1 zeitonline vom 22.03.2007 berichtet z.B. von<br />
„<strong>Rituale</strong>(n) der Ungläubigen“ wobei es (den Begriff<br />
„Ritual“ sehr weit interpretierend) um „Maskottchen<br />
im Auto … Geburtstag … Glückshemd … Horoskope<br />
… Karneval … Mülltrennung … Sonntagsbraten …<br />
Sternschnuppen …“ geht.<br />
2 Vgl. z.B. www.schule-für-rituale.ch oder<br />
http://www.ritualnetz.ch.<br />
3 Vgl. Asserate, Asfa-Wossen: Manieren. Mün. 2005.<br />
4 Der Begriff „Ritual“ steckt übrigens auch im Wort<br />
„Spi-ritual-ität“ - ein Hinweis darauf, dass es sich<br />
beim Leben von <strong>Rituale</strong>n nicht um punktuelles Tun,<br />
sondern um eine umfassende Haltung (habitus), eben<br />
eine Spiritualität, handelt.<br />
5 Jetter, Werner: Symbol und Ritual. AnthropologiAnthropologische<br />
Elemente im Gottesdienst. Göttingen ²1986, 271.<br />
6 Vgl. Meyer-Blanck, Michael: Die Kraft der Form.<br />
<strong>Rituale</strong> im RU und im Schulleben. http://freenet-homepage.de/meyer-blanck/vortraege.htm<br />
(Vortrag 10).<br />
7 Vgl. Volp, Reiner: Die Kunst, Gott zu feiern (Bd. 1).<br />
Gütersloh 1992, 77: „Nicht der Gottesdienst, den wir<br />
‘halten’, sondern der, der uns ‘hält’, steht am Anfang<br />
liturgischen Tuns.“<br />
8 Meyer-Blanck (s. Anm. 6).<br />
9 Vgl. Baumgartner, Isidor: Handbuch der PastoralPastoralpsychologie. Regensburg 1990, 601-655.<br />
10 Häußling, Angelus A.: Liturgie und Leben? In: LS<br />
39 (1988) 169-174, hier 173.<br />
11 Vgl. Alltagsrituale: Wege zur inneren Quelle.<br />
Mit einem Vorwort von Anselm Grün. München<br />
1998; 50 <strong>Rituale</strong> für die Seele. Hrsg. von Andreas<br />
Baumeister. Freiburg 2001; Kraftvolle <strong>Rituale</strong>. Zum<br />
Einstieg und Ausklang in Gruppen. Mit Fotografien<br />
von Max Oberdorfer. Luzern 2001.<br />
12 Vgl. Geborgenheit finden, <strong>Rituale</strong> feiern. Wege<br />
zu mehr Lebensfreude. Stuttg. 02; Damit dein Leben<br />
Freiheit atmet. Reinigende <strong>Rituale</strong> für Körper und<br />
Seele. München 2007.<br />
13 Stutz spricht i. d. Zusammenhang von „Religion“.<br />
14 Sölle, Dorothee: Die Hinreise: zu religiösen ErfahErfahrung: Texte und Überlegungen. Stuttgart 1975, 172.<br />
15 „Zweimal dasselbe tun heißt, sich wiederholen.<br />
Dreimal dasselbe tun heißt, ein Ritual vollziehen.“<br />
(Meyer-Blanck, s. Anm. 6).<br />
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