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Rituale - Erzdiözese Salzburg

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sie ganzheitlich erlebbar werden lassen,<br />

dass in den hochindividualisierten<br />

Umwelten noch „Gleichgesinnte“<br />

existieren. Und sie geben – trotz aller<br />

Unverbindlichkeit und Diffusität<br />

– ein festes Repertoire an Regeln<br />

und Routinen vor, das von den<br />

Mitgliedern mehr oder weniger frag-<br />

los zu befolgen ist, und schaffen so<br />

Orientierungsmaßstäbe des Han-<br />

delns. Jugendszenen stehen allen<br />

Jugendlichen offen, die sich für das<br />

jeweilige Szenethema interessieren,<br />

das Herkunftsmilieu hat als<br />

verbindendes ebenso wie als<br />

trennendes Moment kaum mehr<br />

Bedeutung. Der Zugangscode ist<br />

ehrliches und engagiertes Interesse.<br />

Dr. Johann Wilhelm Klaushofer<br />

Leiter des Institutes für Fernstudien<br />

und Mediendidaktik/KPH-ES<br />

Dass <strong>Rituale</strong> eine „heilende“<br />

Wirkung haben, spürt man,<br />

wenn ein bedeutendes Ereignis gut<br />

verlaufen ist und mit einer Dankwallfahrt<br />

oder einer sozialen Tat<br />

segensreich abgeschlossen wird. Mit<br />

einer Definition eines solchen Geschehens<br />

aus psy chologischer,<br />

pädagogischer oder therapeutischer<br />

Sicht steht man allerdings sehr<br />

bald an. Dennoch sind aus humanwissenschaftlicher<br />

Sicht Wirkungen<br />

von Riten nachweisbar und die<br />

Wechselwirkung zwischen Riten und<br />

Existenz, Identität und Verankerung<br />

in Gemeinschaften offenkundig.<br />

Die Psychologie kennt den Ritus als<br />

einen in derselben Weise wiederkehrenden<br />

Ablauf eines eingelernten<br />

Tuns, der (auch) eine innere Einstellung<br />

wachrufen kann. Daraus folgt,<br />

dass das Einlernen von Handlungsabläufen<br />

ein (äußeres und inneres)<br />

Verhalten und (neue) Einstellungen<br />

zur Folge haben kann. Angstzustände,<br />

Schlaf störungen usw. lassen sich<br />

durch entsprechende <strong>Rituale</strong> „behandeln“.<br />

Ein sicheres Auft reten,<br />

Vorstellgespräche, verschiedene pädagogische<br />

Interventionen, können<br />

Religion wird körperlich spürbar<br />

Jugendszenen sind global angelegt<br />

und knüpfen mit neuen Technologien<br />

weltweite Kommunikationsnetze. Dies<br />

führt zu einer hohen Homogenität<br />

jugendlicher Lebensstile. Was<br />

die Verwendung der wichtigsten<br />

Szene-Codes betrifft, sind sich z.B.<br />

Skateboarder in Innsbruck und<br />

<strong>Salzburg</strong>, Zürich, New York, Hamburg<br />

und Sidney sehr ähnlich. Nicht<br />

selten erleben Jugendliche in ihren<br />

Jugendszenen und den entsprechenden<br />

Events auch Außeralltägliches,<br />

machen sogar außeralltägliche<br />

Erfahrungen. Transzendenz oder<br />

Religion wird in den Szenen mit<br />

allen Sinnen fassbar und körperlich<br />

g Mitteilungen 2 - 2009<br />

THEMA<br />

spürbar – der Alltag wird mit<br />

enthusiastisch-ekstatischen Grenzerfahrungen<br />

aufgesprengt. g<br />

Literatur:<br />

Bearbeitete Fassung von: Ilse Kögler: Zwischen<br />

Events und Transzendenz. <strong>Rituale</strong> als expressive<br />

Stile jugendlicher Szenen, in: Bischöfl. Gurker<br />

Ordinariat (Hrsg.): <strong>Rituale</strong> des Lebens. Jahrbuch<br />

der Diözese Gurk 2006, Klagenfurt, 49–51.<br />

Beate Großegger – Bernhard Heinzlmaier:<br />

Jugendkultur-Guide, Wien 2002<br />

Ronald Hitzler u.a. (Hrsg.): Posttraditionale<br />

Gemeinschaften. Theoret. und ethnographische<br />

Erkundungen, Wiesbaden 2008<br />

Matthias Sellmann: „Schön wär´s“. Plädoyer<br />

für eine ästhetisch gewendete Glaubenskommunikation<br />

mit Jugendlichen, in:<br />

Lebendige Seelsorge 55 (2004),229–234.<br />

Riten - heilende Gewohnheiten<br />

Humanwissenschaftliche Ansätze<br />

kör perlich und seelisch eingeübt<br />

und „geankert“ werden. <strong>Rituale</strong> bie-<br />

ten der Identität Sicherheit, Selbstwertgefühl<br />

und (Weiter-)Entwicklung<br />

und stärken das Vertrauen. Kollektive<br />

<strong>Rituale</strong> geben ein Wir-Gefühl und<br />

fördern Beziehung(en). <strong>Rituale</strong> sind<br />

Ruhepole im Leben und bieten die<br />

Möglichkeit, Aggression abzubauen<br />

oder kon struktiv einzusetzen.<br />

Wie sehr (ritualisierte) Wiederholungen<br />

im pädagogischen Bereich<br />

Wirkung haben, muss - vor in der<br />

Lernpsychologie kundigen Menschen<br />

- nicht extra ausgebreitet wer den.<br />

Soziologisch gesehen haben Riten<br />

nicht nur identitäts- und sinnstiftende<br />

Funktion, sondern sind Elemente<br />

der Gruppenbildung und der Rollenzuweisung.<br />

Mit der Dauer einer<br />

Gruppe entwickeln sich geprägte<br />

Vollzüge und Muster des Verhaltens.<br />

Keine Gesellschaft kommt ohne<br />

Kampf-, Streit-, Mediations-, Versöhnungs-<br />

und Verge bungsriten aus.<br />

Gesellschaften und Einzelpersonen<br />

bedürfen der Riten, um in Übergangszeiten<br />

Stabilität zu bieten. In<br />

Gesellschaften ohne Übergangsriten<br />

nehmen unter anderem Alkohol- und<br />

Drogenkonsum und Exzesse zu.<br />

Viele geprägte Handlungsabläufe<br />

helfen im therapeutischen Prozess,<br />

sowohl um zu stabilisieren als auch<br />

um zu mobilisieren. Für den Fall,<br />

dass ein/e Klient/in den Grund der<br />

Therapie nicht ansprechen kann oder<br />

will, hilft im systemischen Ansatz<br />

die „non verbale Zielarbeit“. Dabei<br />

sucht die/der Klient/in verschiedene<br />

vorgegebene Positio nen im Raum<br />

auf und kommt dadurch zu neuen<br />

Erkenntnissen. - Ein Paradebeispiel<br />

eines ritualisierten (in der Struktur<br />

vorgegebenen) Prozesses.<br />

Grundsätzlich besteht Übereinstimmung,<br />

dass <strong>Rituale</strong> Ordnung,<br />

Sicherheit und Sinn orientierung<br />

bringen (können), und dass das<br />

Fehlen von <strong>Rituale</strong>n pathogene<br />

Folgen haben kann. Nicht nur ältere<br />

Menschen brauchen Sicherheit und<br />

Sinn. Menschen mit viel Zeitreserven<br />

und Freiraum benötigen Struktur<br />

und Regelmäßigkeiten, um nicht<br />

ins Sinnlose zu fallen. Menschen an<br />

Wendepunkten haben durch <strong>Rituale</strong><br />

Anhalts punkte. So gehören zu jeder<br />

Krisenprävention klare Strukturen.<br />

<strong>Rituale</strong> drücken Nichtsagbares und<br />

Unaussprechliches (Transzendentes)<br />

aus und sind deshalb (auch)<br />

sinnstiftend. Allerdings gilt es sich von<br />

sinnentleerten <strong>Rituale</strong>n, von schalen<br />

„Gewohnheiten“ abzugrenzen.<br />

In den großen Wandlungsepochen<br />

eines Menschenlebens sind Riten<br />

machtvolle Instrumente des Übergangs.<br />

Je nach Hintergrund deutet<br />

man die Wandlung als Krise oder<br />

als Wachstumsmöglichkeiten. Riten<br />

aus religiösem Hintergrund, aber<br />

auch aus dem Schatz einer gewachsenen<br />

Kultur, können die<br />

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