Dialog - Franziskaner Mission
Dialog - Franziskaner Mission
Dialog - Franziskaner Mission
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Franziskaner</strong> <strong>Mission</strong> 3 | 2011 — <strong>Dialog</strong> mit anderen Religionen und Kulturen<br />
<strong>Dialog</strong> mit anderen Religionen und Kulturen — <strong>Franziskaner</strong> <strong>Mission</strong> 3 | 2011<br />
Ein Haus, viele Wohnungen<br />
Religiöse Vielfalt und schöpferische Mitverantwortung<br />
Eine persönliche Grundüberzeugung<br />
stelle ich an den Anfang:<br />
Die Vielzahl der Religionen und<br />
Kulturen ist kein Unfall in Gottes<br />
Schöpfung, kein Zufall und auch<br />
keine Folge menschlicher Verirrungen.<br />
Sie muss etwas mit<br />
Gottes Schöpfungsplan selber zu<br />
tun haben. Am Anfang der Bibel<br />
(Genesis 1) heißt es doch bereits,<br />
dass aus Chaos und Durcheinander<br />
ein Kosmos, also eine Ordnung<br />
in Schönheit wurde. Könnte es<br />
vielleicht so sein, dass durch die<br />
gesamte Geschichte der Evolution<br />
von Kosmos, Welt und Kulturen<br />
dieser Schöpfungsakt durch alle<br />
Menschen, die das eine Haus der<br />
Schöpfung bewohnen, fortgeführt<br />
werden soll<br />
Nach dem Vorbild Jesu leben: Fußwaschung in der Jerusalemer Benediktinerabtei dormitio<br />
Ein Anknüpfungspunkt für ein<br />
solches Verständnis von Entwicklung<br />
und für eine Spiritualität<br />
schöpferischer Mitverantwortung<br />
liegt für mich in der Gotteserfahrung,<br />
die Paulus im Philipperbrief<br />
thematisiert und die auch<br />
bei Franziskus zentral war: Gott<br />
selber hebt in seinem Kommen<br />
in menschlicher » Knechtsgestalt«<br />
alle scheinbar absoluten »Differenzen«<br />
auf: Weil er selber arm<br />
wurde (Phil 2), ist er damals wie<br />
heute nicht der völlig Ferne und<br />
Fremde. Unter dem einen Herrn<br />
können Menschen Grenzen<br />
überschreiten, Geschwister sein,<br />
Beziehungen knüpfen und dem<br />
»Anderen« ohne Angst begegnen.<br />
Der Raum der Kirche ist nicht in<br />
erster Linie ein Gebäude oder ein<br />
hierar chisches Machtgefüge, sondern<br />
ein Raum der Begegnung,<br />
der Gastfreiheit, des <strong>Dialog</strong>s und<br />
der Solidarität. Sie muss offen bleiben<br />
für den prophetischen Geist<br />
Jesu, ein einziges Haus, aber mit<br />
vielen Wohnungen, in denen in<br />
vielstimmiger Weise das Bekenntnis<br />
abgelegt wird, dass Gott in der<br />
Geschichte »viele Male und auf<br />
vielerlei Weise« (Hebr 1,1) zu den<br />
Menschen gesprochen hat.<br />
Leben in Fülle<br />
Entscheidend für die Zukunftsfähigkeit<br />
der Kirche Jesu Christi ist,<br />
dass sie die spirituelle Erfahrung<br />
der »Demut Gottes« (Franziskus)<br />
und seines Angebotes für Entwicklung<br />
und Leben für alle in<br />
die heutige Weltkirche und Weltgesellschaft<br />
zu übersetzen versteht:<br />
Durch die Selbstmitteilung<br />
Gottes in Jesus Christus und durch<br />
die Gegenwart seines Geistes ist<br />
doch kein elitärer und exklusiver<br />
Herrschaftsanspruch in die Welt<br />
gekommen, vielmehr ein Angebot<br />
von »Leben in Fülle« (1 Joh<br />
4,8 f), von Heil und Heilung und<br />
Befreiung für alle. Ich bin überzeugt,<br />
dass im heutigen globalen<br />
Weltkontext mit seinen zum Teil<br />
militanten Expansionstendenzen<br />
von Religionen und Konfessionen<br />
die Verheißung vom »Leben in<br />
Fülle für die Welt« unter den neutestamentlichen<br />
Definitionen von<br />
<strong>Mission</strong> die wichtigste ist. Sie ist<br />
inklusiv, nicht exklusiv, das heißt,<br />
sie grenzt nicht aus und bedroht<br />
nicht die Identität des Anderen.<br />
Sie lädt zur gemeinsamen Suche<br />
nach Wahrheit, Gerechtigkeit<br />
und Freiheit ein. Sie hat zum Ziel<br />
die universale Versöhnung und<br />
Vollendung alles Geschaffenen.<br />
Im <strong>Dialog</strong>, verstanden als hohe<br />
Sensibilität füreinander und als<br />
Weg gemeinsamer Weltgestaltung,<br />
werden neue Beziehungen<br />
unter den Menschen möglich,<br />
die auf der Grundlage der gleichen<br />
Würde vor Gott beruhen<br />
(vgl. Gal 3,28) und in denen,<br />
wenn auch vielleicht verschlüsselt<br />
und nicht immer eindeutig zu<br />
entziffern, eine neue Schöpfung<br />
beginnt (vgl. Röm 8).<br />
<strong>Mission</strong> heißt dienen, nicht herrschen: Pater Benedikt aus der Benediktinerabtei dormitio bei der Fußwaschung<br />
Das Fremde als Bereicherung<br />
Die Begegnung zwischen den<br />
Religionen und Kulturen hat eine<br />
bestimmte Form der Relativierung<br />
des eigenen Wertesystems<br />
zur Voraussetzung. Keineswegs<br />
der Grundüberzeugungen als<br />
solcher, aus denen ich zu leben<br />
versuche. Wohl aber muss ich<br />
mir der Begrenztheit bewusst<br />
bleiben, mit der ich sie verstehe,<br />
vor anderen bezeuge und anderen<br />
vermittle. Gott ist immer<br />
unendlich größer als unser Herz<br />
und unser Verstand. Deshalb<br />
bedarf es in der Begegnung mit<br />
dem »Anderen« einer ständigen<br />
Öffnung und Bereitschaft im<br />
Sinne eines Verzichtes auf unveränderliche<br />
eigene Vorverständnisse<br />
und einseitig vertretene<br />
Interessen und »letzte« Wahrheitsansprüche.<br />
Es bedarf angesichts<br />
der Differenzen, die unsere<br />
religiösen und kulturellen Welten<br />
kennzeichnen, vielmehr einer<br />
ständigen empathischen, das<br />
heißt einfühlsamen Annäherung,<br />
eines bestimmten Maßes<br />
an Sympathie und sensibler<br />
Aufmerksamkeit. Das ist und<br />
bleibt immer auch ein Wagnis.<br />
Es bleiben die Gefahren der<br />
Missverständnisse, der Manipulation,<br />
auch jener mancherorts<br />
anzutreffenden naiv trunkenen<br />
Begeisterung für Fremdes, das<br />
man sich, indem man es glorifiziert,<br />
umso unkritischer und<br />
im Grunde umso respektloser<br />
aneignen möchte. Denn eines<br />
bleibt festzuhalten: Sowohl im<br />
interkulturellen als erst recht im<br />
interreligiösen <strong>Dialog</strong> bleibt die<br />
»Differenz« eine Realität. Aber<br />
je mehr ich das »Eigene« kenne<br />
und liebe, desto besser kann ich<br />
das »Andere« ohne Angst nicht<br />
nur zulassen, sondern schätzen<br />
und aus ihm lernen. Dann ist<br />
Begegnung mit dem Fremden<br />
nicht Gefahr, sondern Bereicherung.<br />
Auch Pluralität und Pluralismus<br />
sind dann Ausdruck<br />
kreatürlicher, von Gott gewollter<br />
Vielheit und symphonischer<br />
Schönheit. Differenzen werden<br />
nicht länger als feindlich und<br />
abgrenzend, sondern als Einladung<br />
zur Begegnung erfahren.<br />
Die Spiritualität und Praxis eines<br />
solchen <strong>Dialog</strong>s würde unsere<br />
Kirche an Haupt und Gliedern<br />
erneuern und dem Frieden<br />
dienen.<br />
Hermann Schalück ofm<br />
Pater Hermann lebt als Autor im <strong>Franziskaner</strong>kloster<br />
München. Von 1991 bis 1997<br />
stand er dem <strong>Franziskaner</strong>orden als Generalminister<br />
vor. Von 1998 bis 2008 war er<br />
Präsident des Internationalen Katholischen<br />
<strong>Mission</strong>swerkes e. V. missio in Aachen.<br />
6<br />
7