32 Portrait „Irgendwann dachte ich, Mensch, du bist doch blöd, da hast du sechs Jahre in einem Paddelboot gesessen, warum baust du dann nicht einfach selbst Boote.“ Christin Börner, Bootsbauerin
Wasserwelten Christin Börner – Mit 13 erfolgreiche Kanutin, mit 19 erfolgreiche Bootsbauerin Mit 6 Jahren hat sie das erste Mal in einem Boot gesessen, gemerkt, wie das Wasser auf Einschläge reagiert, wie man Richtungen ändert und Fahrt aufnimmt und wie anstrengend es bisweilen sein kann, gegen den Strom voranzukommen. Als sie mit 13 Jahren deutsche Vizemeisterin im 4er-Kajak wurde, wurde die renommierte Friedrich Ludwig Jahn Sportschule in Potsdam auf sie aufmerksam und lud sie zu Aufnahmetests ein. Eine wirkliche Hürde war das nicht, sie wurde aufgenommen, in den Kreis der Begabten, derjenigen, die die Medaillen und den Ruhm mit nach Hause bringen. Weit größer war die Hürde, als 13-Jährige den Heimatort verlassen zu müssen, die Familie und das gewohnte Umfeld, die Wege, Wälder und Wiesen, die sie doch von klein auf kannte. Aber der Ehrgeiz hatte sie schon längst gepackt, sie wollte das machen, Erfahrungen sammeln und Grenzen testen, wollte wissen, wie weit ihr Körper gehen kann und wie er sich anfühlt, der Hochleistungssport, mit all seinen Facetten. Also Potsdam, ein Internat mit 500 Schülern, die alle ähnlich talentiert und leistungsorientiert waren, Konkurrenten, aber auch Freunde fürs Leben, wie sich später rausstellte. „Das war schon eine harte Zeit, die Trainer und Lehrer haben einen ganz schön rangenommen, aber irgendwie war es auch wie eine Familie. Und nicht mehr unter den Fittichen der Eltern zu stehen, hatte auch etwas mit Freiheit zu tun.“ Gleichwohl diese Freiheit in einem straffen Zeitplan reglementiert wurde. Von 8 bis 10 Uhr Training, von 10 Uhr 30 bis 15 Uhr 30 Schule und von 16 bis mindestens 18 Uhr wieder Training. Dazwischen die Mahlzeiten und danach die Hausaufgaben. Am Ende des Tages war dann nicht mehr viel mit Party, der Körper brauchte Ruhe, kaum verwunderlich, bei 100 Kilo, die mit jedem Schlag ins Wasser bewegt werden. Freundschaften aber wurden geschlossen und gepflegt, man hat die gleichen Interessen, die gleichen Ziele, den gleichen Alltag. „Eine Freundin“, sagt Christin mit ihrem gewinnenden Lächeln „war all die Jahre immer besser als ich, bis ich 15 wurde und eine super Wintersaison hatte, danach lag sie hinter mir. Auf dem Wasser haben wir uns gehasst, aber auf dem Land geliebt.“ Die Kehrtwende Die Zukunft war also fest verplant, das Leben geregelt, doch dann, ganz plötzlich, kam alles anders. Mit Rückenschmerzen fing es an, der Trainer ging mit ihr zum Arzt und der stellte dann ganz nüchtern fest, dass sich die Bandscheibe verschoben hatte. Vom einen auf den anderen Tag war es aus, aus mit dem Traum von einer Sportlerkarriere, aus mit internationalen Wettbewerben und auch aus mit dem Sportinternat in Potsdam. Die 12. Klasse durfte Christin noch abschließen, danach musste sie ihr Leben in neue Bahnen lenken. „Es war ein Schlag ins Gesicht, aber man findet sich damit ab und nach vier Wochen habe ich mich dann wieder aufgerappelt und neue Pläne geschmiedet.“ Etwas Handwerkliches wollte sie schon immer machen, Tischler vielleicht oder Steinmetz, kurzzeitig dachte sie auch über ein Psychologie-Studium nach, verwarf die Idee jedoch ganz flugs wieder, denn: „Irgendwann dachte ich, Mensch, du bist doch blöd, da hast du sechs Jahre in einem Paddelboot gesessen, warum baust du dann nicht einfach selbst Boote.“ Über 50 Bewerbungen hat sie geschrieben, deutschlandweit, vom Bodensee bis rauf nach Flensburg, doch einige Betriebe meldeten sich gar nicht erst, andere sagten ab. Drei Betriebe aber bissen an und das Rennen machte ein kleiner Familienbetrieb in Wetzlar, zwischen Frankfurt und Gießen gelegen, nicht unbedingt eine Hochburg des Schiffbaus, geschweige denn des Wassersports. Aber Christin hat sich gleich wohl gefühlt, bei dem Chef und den vier Mitarbeitern, die alle ebenfalls Sportler sind, man verstand sich sofort, und mit weiblichen Auszubildenden hatte man auch schon gute Erfahrungen gemacht. „Die verstehen auch, dass Frauen mal zickig sein können oder eine Woche lang nur schwer ansprechbar sind.“ Steuerbord voraus Im zweiten Lehrjahr ist sie jetzt, „und es macht mir wirklich großen Spaß“, sagt sie, mit diesem leichten Berliner Slang, der in Sätzen immer mal wieder ein „dit“ oder „nischt“ einschmuggelt, der ihre offe- 33