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CRUISER09

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Seite 4<br />

musik<br />

CRUISER 0909<br />

Viva la Diva<br />

Der Schwule und<br />

die Diva – eine<br />

Liebesgeschichte<br />

Es wird der Herbst der charismatischen<br />

Popqueens. Aber gibt es<br />

sie noch, die wahre Diva, die Göttliche?<br />

Nach welchen Regeln funktioniert<br />

das Konzept? Ein Plädoyer für<br />

die Diva auf der Bühne, auf der Leinwand,<br />

in den Träumen, in jedem von<br />

uns. Sie ist wandelbar geworden und<br />

unsterblich geblieben.<br />

hen von Callas bis Carey? Und warum<br />

sind die schwulen Verehrer der<br />

Diva treu geblieben?<br />

Geschichte einer Fallhöhe<br />

Das Attribut divus / diva, lateinisch<br />

für göttlich, war in der Antike<br />

himmlischen Wesen vorenthalten,<br />

etwas später wurde es auch Kaisern<br />

zugeschrieben, irdischen Stellvertretern.<br />

Seit dem 19. Jahrhundert fand<br />

der Begriff Verwendung für Bühnendarstellerinnen,<br />

die Operndiva<br />

ist die Mutter aller neuzeitlichen<br />

Divenfiguren. Lange Zeit blieb die<br />

Rückeroberung des Musik-Terrains<br />

in Angriff genommen haben.<br />

Fallhöhe ist nach wie vor entscheidend,<br />

doch heute fällt die Diva nicht<br />

mehr vom Himmel oder von der Bühne,<br />

sondern höchstens aus der Rolle,<br />

die sie ganz und gar einnimmt. «Privates<br />

und öffentliches Leben fallen<br />

zusammen, die Diva ist verletzlich<br />

und erfolgreich, Macht und Opferrolle<br />

werden vereint», so erklärt die<br />

Kulturwissenschaftlerin Elisabeth<br />

Bronfen die Diva. Man blickt zur<br />

ihr hoch, sie blickt in Abgründe. Sie<br />

ist immer einsam und hat doch im-<br />

vetische Anti-Diva, sie besingt das<br />

Marzili und setzt hinter die Diva<br />

ein bescheidenes Fragezeichen. Als<br />

die Weltwoche kürzlich unter dem<br />

Titel «Schweizer Frauen – Von Gotthelfs<br />

Vreneli bis zur Ski-Prinzessin<br />

Lara Gut» ein Loblied anstimmte,<br />

entstand lediglich eine Hommage<br />

an die verwurzelte Biederkeit. Die<br />

echte Diva hat keine Wurzeln, sie<br />

hat Flügel. Ihr die Bodenhaftung,<br />

die Erdung. Sie kann fallen, man<br />

verfällt ihr. Wie hiess doch gleich<br />

Careys neues Album? «Memoires of<br />

an Imperfect Angel».<br />

Was ist das Faszinierende an einer<br />

Diva? Warum gerade sie? Mal einen<br />

Fan fragen, um dem Geheimnis auf<br />

die Spur zu kommen. Also: «Warum<br />

Mariah Carey?» «Sie ist Mariah», antwortet<br />

er mit gleichmässiger Betonung<br />

auf IST und Ma-ri-ah, im Unterton<br />

fast beleidigtes Erstaunen. Mehr<br />

Erklärung kommt nicht.<br />

Mitte September veröffentlicht<br />

Carey ihr neues Album. Überaus erfolgreich<br />

hat sie sich der Ästhetik<br />

des amerikanischen Hip Hop unterworfen,<br />

gibt zwischen Selbstbestimmung<br />

und Prostitution den Ton an.<br />

Auf den gleichen Termin fällt das<br />

Comeback eines weiteren Oktavenwunders:<br />

Whitney Houston. Die<br />

jahrelange Drogensucht hat zwar<br />

ihre Spuren hinterlassen, auf den<br />

Bildern lassen sich diese mit Photoshop<br />

verwischen, auf den Stimmbändern<br />

nicht, doch auch sie weiss<br />

noch genau, wie’s geht. Das Duell ist<br />

lanciert, ganz oben ist die Luft dünn.<br />

Houstons Konkurrenz mache Carey<br />

sehr nervös, will die New York Times<br />

wissen. Fans geben sich derweil in<br />

Internet-Foren fast so zickig wie die<br />

Stars selbst. «Akzeptiert endlich alle,<br />

dass sie die beste ist» oder «Die soll<br />

ihr das Wasser reichen können? Lächerlich!»<br />

Ein Wörtchen mitsingen will auch<br />

Barbra Streisand. Mit Diana Krall hat<br />

die lebende Legende Jazz-Standards<br />

eingespielt, verzichtet zugunsten<br />

des Zeitlosen wie gewohnt auf das<br />

Modische. Samtstimme und Samthandschuhe,<br />

alles nah am Kitsch<br />

und doch bezaubernd echt. Streisand<br />

zelebriert in unmittelbarer<br />

Nähe zur Perfektion den Makel.<br />

Die Nase ist krumm, ja, na und, die<br />

Macken kann sie sich leisten. Überhaupt<br />

ist die Allüre unverzichtbares<br />

Accessoire jeder Diva und aller, die<br />

es gerne wären. Streisand geht nur<br />

über Teppich, Carey steigt keine Stufen.<br />

Die Diva hat ihren Preis, sie kostet<br />

Nerven.<br />

Doch sind die Popqueens von heute<br />

noch wahre Diven? Was ist gesche-<br />

Opernbühne ihr bevorzugtes Zuhause,<br />

man denke an Elisabeth Schwarzkopf<br />

oder Maria Callas. Ihr goldenes<br />

Zeitalter erlebte die Diva, als sie die<br />

Leinwand eroberte: Joan Crawford,<br />

Marilyn Monroe, Rita Hayworth Greta<br />

Garbo (die Göttliche!), die Liste ist<br />

lang. Spätere Vertreterinnen sind<br />

Bette Midler oder Streisand, die die<br />

mer ein Publikum. Sie braucht Konstanz<br />

und Instabilität, braucht den<br />

Glamour und das Tragische.<br />

Und sie braucht Distanz. Ursula<br />

Andress und Michelle Hunziker sind<br />

nicht in Ostermundigen zu Diven geworden.<br />

Mundart-Sängerin Sandee<br />

hat soeben auch eine CD herausgebracht,<br />

«Diva?». Sandee ist die hel-<br />

Eine Diva hat das Talent zur Balance,<br />

zur Gratwanderung. Ständig<br />

läuft sie Gefahr, das Gleichgewicht<br />

zu verlieren, einen der vielen Aspekte<br />

des schillernden Gesamten zu<br />

stark zu betonen. Zu nett wie Kylie,<br />

zu unreif wie Britney, zu mütterlich<br />

wie Liz Taylor, zu skandalfrei wie Céline<br />

Dion, zu humorvoll wie Bette

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