Cruiser im Winter 2022/2023
Doppelnummer Ausgabe Januar/Februar 2023
Doppelnummer Ausgabe Januar/Februar 2023
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4 Queer-Art<br />
Wenn Kunst Akzeptanz schafft<br />
10 Die USA<br />
(K)ein Land der unbegrenzten<br />
Möglichkeiten<br />
14 Heavy Metal<br />
«Harte» Männer als queere<br />
Vorbilder<br />
cruiser<br />
KUNST, KULTUR & LEBENSSTIL FÜR DIE LGBT*-COMMUNITY<br />
SEIT 1986 DAS ÄLTESTE QUEERE MAGAZIN DER SCHWEIZ – JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong> CHF 8.10
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Foto: Zoo Zürich, Jean-Luc Grossmann<br />
EDITORIAL<br />
Liebe Leser*innen<br />
Die Schweiz soll am traditionellen binären Geschlechtermodell festhalten. Das hat<br />
der Bundesrat <strong>im</strong> Dezember beschlossen. Vor einem neuen Geschlechtsmodell<br />
brauche es zuerst einen gesellschaftlichen Diskurs. Nun. Dieser findet eigentlich<br />
schon längst statt. Und hat längst schon stattgefunden. Da fragt man sich<br />
manchmal schon, was denn die vielen Prides, Kampagnen, Artikel, Insta-Posts usw.<br />
gebracht haben. Eine Änderung hätte weitreichende Konsequenzen, die bisher<br />
kaum diskutiert worden seien, schreibt der Bundesrat. So müsste beispielsweise<br />
die Bundesverfassung angepasst werden – etwa <strong>im</strong> Bereich der Militär- und<br />
Ersatzdienstpflicht, weil diese keine Regelung für Personen enthält, die nicht als<br />
HERR UND HERR PINGUIN:<br />
NATÜRLICH VERLIEBT.<br />
männlich oder weiblich <strong>im</strong> Personenregister eingetragen sind. Hat es denn nicht<br />
auch weitreichende Konsequenzen für all jene Personen, die sich eine Identität<br />
wünschen? Es ist mittlerweile längst bekannt, dass Gender nicht binär ist. Warum<br />
also dieses Festhalten an unsinnigen Normen? Wir <strong>im</strong> <strong>Cruiser</strong> versuchen seit<br />
Dekaden zu zeigen, dass es nicht nur 1 oder 0 gibt, dass es nicht nur schwarz oder<br />
weiss sein muss. In dieser Ausgabe mehr denn je; beispielsweise mit unserem<br />
Artikel über queere Kunst ab Seite 4. Ebenso gucken wir einmal mehr auf den<br />
Gut gelaunt ins neue Jahr, ob mit oder ohne Schnee.<br />
Das Lächeln von Ernesto lädt auf jeden Fall dazu ein.<br />
4 VERANSTALTUNG<br />
DISKUSSION ZU QUEERER KUNST<br />
Seiten 8 und 20 alternative Familienmodelle an<br />
und zeigen auf, dass sogar die Musiksparte<br />
8 GESELLSCHAFT<br />
HOMO-EHEN UND KINDER<br />
«Heavy Metal» direkt und indirekt für Queerness<br />
stehen kann.<br />
10 INTERNATIONAL<br />
FORTSCHRITT IN DEN USA<br />
Wir freuen uns auf euch und auf ein tolerantes,<br />
buntes und fröhliches <strong>2023</strong>!<br />
14 KULTUR HEAVY METAL<br />
Herzlich; Haymo Empl<br />
18 KOLUMNE MICHI RÜEGG<br />
Chefredaktor<br />
21 KULTUR REGENBOGENFAMILIE<br />
IM HECHTPLATZ<br />
IMPRESSUM<br />
22 GESELLSCHAFT<br />
HIV AM ARBEITSPLATZ<br />
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CRUISER MAGAZIN PRINT<br />
ISSN 1420-214x (1986 – 1998) | ISSN 1422-9269<br />
(1998 – 2000) | ISSN 2235-7203 (Ab 2000)<br />
Herausgeber & Verleger medienHay GmbH<br />
Infos an die Redaktion redaktion@cruisermagazin.ch<br />
Chefredaktor Haymo Empl<br />
Stv. Chefredaktorin Birgit Kawohl<br />
Bildredaktion Haymo Empl, Astrid Affolter.<br />
Alle Bilder mit Genehmigung der Urheber.<br />
Art Direktion Astrid Affolter<br />
Agenturen SDA, DPA, Keystone<br />
Autor*innen Vinicio Albani, Mark Baer, Haymo Empl,<br />
Valeria Heintges, Birgit Kawohl, Moel Maphy, Barbara<br />
Munker, Hannes Rudolph, Michi Rüegg, Alain Sorel<br />
Korrektorat | Lektorat Birgit Kawohl<br />
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Christina Kipshoven | Telefon +41 (0)31 534 18 30<br />
WEMF beglaubigte Auflage 11 539 Exemplare (2016)<br />
Druck Druckerei Konstanz GmbH<br />
Wasserloses Druckverfahren<br />
REDAKTION UND VERLAGSADRESSE<br />
<strong>Cruiser</strong> | Clausiusstrasse 42, 8006 Zürich<br />
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Angaben auf www.cruisermagazin.ch<br />
Der nächste <strong>Cruiser</strong> erscheint am 27. Februar <strong>2023</strong><br />
Unsere Kolumnist*innen widerspiegeln nicht die Meinung<br />
der Redaktion. Sie sind in der Themenwahl, politischer /<br />
religiöser Gesinnung sowie der Wortwahl <strong>im</strong> Rahmen der<br />
Gesetzgebung frei. Wir vom <strong>Cruiser</strong> setzen auf eine grösst -<br />
mögliche Diversität in Bezug auf Gender und Sexualität sowie<br />
die Auseinandersetzung mit diesen Themen. Wir vermeiden<br />
darum sprachliche Eingriffe in die Formulierungen unserer<br />
Autor*innen. Die von den Schreibenden gewählten Bezeichnungen<br />
können daher zum Teil von herkömmlichen Schreibweisen<br />
abweichen. Geschlechtspronomen werden entspre -<br />
chend <strong>im</strong>plizit eingesetzt, der Oberbegriff Trans* beinhaltet<br />
die entsprechenden Bezeichnungen gemäss Medienguide<br />
«Transgender Network Schweiz».<br />
24 SPRACHE<br />
LEXIKON QUEERER BEGRIFFE<br />
26 KULTUR SCHAUSPIELHAUS ZÜRICH<br />
28 SERIE HOMOSEXUALITÄT<br />
IN GESCHICHTE UND LITERATUR<br />
30 KULTUR BUCHTIPP<br />
32 SERIE IKONEN VON DAMALS<br />
34 RATGEBER DR. GAY
4 VERANSTALTUNG<br />
VERANSTALTUNG 5<br />
DISKUSSION ZU QUEERER KUNST<br />
DISKUSSION ZU QUEERER KUNST<br />
Queere Kunst stellt Hetero- und Cis-<br />
Normativität in Frage<br />
Im Januar wird <strong>im</strong> Zürcher Kaufleuten über Queer Art diskutiert. Hat Homound<br />
Trans-Kunst in Museen, die eigentlich Orte des Kompromisses sind, Platz?<br />
VON MARK BAER<br />
Queere Kunst gibt es in ganz verschiedenen<br />
Formen und Variationen. Für<br />
die Kunstvermittlerin Elena Grignoli,<br />
die am Kunsthaus Zürich arbeitet, findet<br />
Queer Art nicht in erster Linie <strong>im</strong> Museum<br />
statt. Diese Kunstform gibt es in ihrer authentischsten<br />
Form in queeren Spaces: An<br />
Orten also mit Drag Shows, Mini Balls oder<br />
Voguing, aber auch an Treffpunkten, an denen<br />
es Lesungen oder Konzerte gibt und wo<br />
sich das Publikum und die Kunstschaffenden<br />
als queer definieren.<br />
Als Beispiel nennt Grignoli die «Porny<br />
Days». Dabei handle es sich nicht um ein<br />
typisches Filmfestival, sondern eben um<br />
queere Kunst. Dies vor allem, weil die «Porny<br />
Days»-Veranstalter*innen seit dem Anfang<br />
versuchen würden, mit den Normen<br />
das Mainstream-Pornos zu brechen.<br />
Für die 30-jährige Kunsthistorikerin<br />
gehört dazu, dass in der queeren Kunst<br />
LGBT*-Werte erkennbar sind und dass zum<br />
Beispiel mit traditionellen oder bürgerli-<br />
chen Konventionen gebrochen wird. Ein<br />
typisches Merkmal queerer Kunst sei auch,<br />
dass sie für eine queere Community gemacht<br />
werde, sich also in erster Linie an andere<br />
queere Menschen richte – ohne dabei<br />
nicht-queere Menschen auszuschliessen.<br />
Queer Art findet man – wie ausgeführt –<br />
am häufigsten in LGBT*-Spaces, in Off-<br />
Spaces aber auch in der «angewandten<br />
Kunst», also überall, wo Menschen aus der<br />
Community in gestaltenden oder entwerfenden<br />
Berufen tätig sind. Queere Kunst bediene<br />
sich häufig einer Sprache, die – wie<br />
Grignoli sagt – durch andere queere Personen<br />
besonders gut verstanden werde. «Oft<br />
werden Schmerz, Verletzlichkeit oder Unsicherheit<br />
offen thematisiert.» Zudem finde<br />
jeweils eine sehr differenzierte Auseinandersetzung<br />
mit der eigenen Identität und<br />
den eigenen Werten statt.<br />
In einem Museum, besonders in einem<br />
mit eigener Sammlung, werde Kunst ausgestellt,<br />
die einen best<strong>im</strong>mten Wert habe, über<br />
den sich die Mehrheit der Besuchenden und<br />
der Entscheidungs träger* innen einig seien.<br />
«Man muss also in einem Museum <strong>im</strong>mer<br />
eine grosse Bandbreite von Menschen erreichen<br />
und versuchen, keine Gruppe zu vergraulen.»<br />
Museen seien somit Orte des Kompromisses<br />
und des Verhandelns.<br />
Natürlich könne queere Kunst in Museen<br />
einen Platz finden, erklärt Elena Grignoli<br />
weiter. Aber Museen müssten dann aufpassen,<br />
dass künstlerisches Schaffen dort<br />
nicht didaktisch wirke. «Es ist wichtig, dass<br />
die queere Kunst an solchen Orten einfach<br />
Platz hat, ohne das Queere repräsentieren<br />
zu müssen.»<br />
Grignoli, die in Olten aufgewachsen<br />
ist, lernte ihre queere Lieblingskünstler*-<br />
innen nicht <strong>im</strong> Museum kennen. In der Phase<br />
ihrer Identitätsbildung waren etwa der<br />
spanische Filmregisseur Pedro Almodóvar<br />
oder die US-Moderatorin und Komikerin<br />
Ellen DeGeneres wichtig für sie. «Beide haben<br />
als LGBT*-Personen eine grosse Bühne<br />
Am Verzaubert-Anlass Ende Januar <strong>im</strong> Kaufleuten werden die Kunstvermittlerin<br />
Elena Grignoli (Bild links) und der deutsche Comiczeichner<br />
Nino Bulling (Bild rechts) über das Thema Queer Art diskutieren.<br />
Das Bild in der Mitte zeigt den*die Schriftsteller*in K<strong>im</strong> de L’Horizon,<br />
welche*r vergangenes Jahr den deutschen Buchpreis gewonnen hat.<br />
K<strong>im</strong> wird zwar nicht am Event in Zürich teilnehmen, die nicht binäre<br />
Person hat mit ihrem Debütroman «Blutbuch» aber schon einiges für<br />
die queere (Schweizer) Kunst geleistet.<br />
Bild Elena Grignoli © Cinthya Soto / Bild K<strong>im</strong> de L’Horizon © Anne Morgenstern / Bild Nino Bulling © zVg<br />
mit <strong>im</strong>menser Reichweite geschaffen, wo sie<br />
ihren Stil vermitteln bzw. ihre Persönlichkeiten<br />
promoten konnten und dies <strong>im</strong>mer<br />
noch tun.» Und DeGeneres wie auch Almodóvar<br />
kamen natürlich vor allem be<strong>im</strong><br />
LGBT*, aber eben auch be<strong>im</strong> nicht-queeren<br />
Publikum sehr gut an und gelten deshalb<br />
bei vielen Menschen als cool. «Zu diesem<br />
Erfolg kamen sie durch Mut und Durchsetzungsfähigkeit,<br />
aber auch durch extrem<br />
harte Arbeit».<br />
«Es ist wichtig, dass die queere<br />
Kunst an solchen Orten einfach<br />
Platz hat, ohne das Queere<br />
repräsentieren zu müssen.»<br />
Elena Grignoli<br />
Mit Kunst Akzeptanz schaffen<br />
Hart arbeiten auch die Macher*innen des<br />
queeren Zürcher bzw. Frauenfelder Filmfestivals<br />
Pink Apple. Der jährliche LGBT*-<br />
Event gibt es bereits seit 25 Jahren. Queere<br />
Menschen und Filme waren 1997, besonders<br />
in der Ostschweiz, nicht sichtbar. Um<br />
die Akzeptanz und Emanzipation homosexueller<br />
Menschen voranzutreiben, gründete<br />
eine Gruppe schwuler Männer in Frauenfeld<br />
das Pink Apple. «Als queere Kunst, in<br />
unserem Fall Filme, verstehen wir alles,<br />
was Hetero- und Cis-Normativität in Frage<br />
stellt und so einen Safe Space für queere<br />
Personen und Kunstformen kreiert», fasst<br />
Sina Früh den Begriff Queer Art zusammen.<br />
Früh bildet zusammen mit Andreas<br />
Bühlmann die Künstlerische Leitung des<br />
Filmfestivals. Laut der 32-Jährigen trägt<br />
das Publikum auch stark dazu bei, ob und<br />
wie ein Kunstwerk als queer gelesen wird.<br />
«Es entsteht quasi ein Spiel zwischen<br />
Künstler*in und Empfänger*in.»<br />
Auf die Frage, was ein gutes Beispiel<br />
zeitgenössischer queerer Kunst sei, muss<br />
Andreas Bühlmann nicht lange überlegen.<br />
Sofort beginnt er von K<strong>im</strong> de L’Horizon zu<br />
schwärmen: «K<strong>im</strong> hat mit dem ‹Blutbuch›<br />
ein sprachgewaltiges Werk kreiert, das bisherige<br />
Grenzen der Sprache sprengt.» Solche<br />
Künstler*innen seien ausschlaggebend<br />
für einen neuen Diskurs zu Gender und Sexualität<br />
in der breiteren Gesellschaft. Und<br />
weiter nennt der 36-Jährige den argentinischen<br />
Erfolgsregisseur Marco Berger. Dieser<br />
gilt seit 15 Jahren als eine*r der wichtigsten<br />
Vertreter*innen des Gay Gaze. Dabei<br />
geht es um den objektivierenden, sexualisierenden<br />
Blick auf den Männerkörper.<br />
«Der Male Gaze wird neu gedacht und von<br />
der Objektivierung der Frau gelöst», erklärt<br />
der Künstlerische Co-Leiter des Pink Apple<br />
Filmfestivals.<br />
Kunst zu kreieren, kann laut Sina Früh<br />
ein Ventil sein, gerade für Menschen, die<br />
Diskr<strong>im</strong>inierungen ausgesetzt sind. «Und<br />
die Werke wiederum, die dadurch entstehen,<br />
können in der Gesellschaft breite Wellen<br />
schlagen – und wesentlich zum Wandel<br />
beitragen.»<br />
«Ich hoffe, dass das Buch einige<br />
der Fragen widerspiegelt, die<br />
wir uns stellen und dass es<br />
Trost gibt und Spass macht»<br />
Nino Bulling<br />
Kunst als Trostspender<br />
Zu einem Wandel beitragen möchte auch<br />
der Berliner trans Künstler Nino Bulling. Er<br />
hat mehrere dokumentarische Comicbücher<br />
gemacht und kürzlich seine erste fiktive<br />
Geschichte veröffentlicht. Das Buch «abfackeln»<br />
richtet sich in erster Linie an<br />
Leser*innen, die wie er nicht binär sind<br />
oder die gerade das eigene Geschlecht anzweifeln.<br />
«Ich hoffe, dass das Buch einige<br />
der Fragen widerspiegelt, die wir uns stellen<br />
und dass es Trost gibt und Spass macht»,<br />
sagt der 36-Jährige gegenüber dem <strong>Cruiser</strong>.<br />
Der Comiczeichner als Konsument<br />
queerer Kunst steht auf die Gedichte von Eileen<br />
Myles. Die 72-jährige Person wurde<br />
durch ihre Gedichte und exper<strong>im</strong>entelle<br />
Prosa zu einer lesbischen Ikone und hat vor<br />
ein paar Jahren angefangen, geschlechtsneutrale<br />
Pronomen zu benutzen. «Ich finde<br />
es schön, wenn auch ältere Menschen Sprache<br />
als formbar erleben.»<br />
Nino Bulling, der nicht ausschliesslich<br />
Kunst über queere Themen macht, wird am<br />
31. Januar Teilnehmer des «Verzaubert»-<br />
Talks <strong>im</strong> Klub Kaufleuten in Zürich sein.<br />
Der Live-Talk «Verzaubert» bietet drei- ➔<br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong><br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong>
6 VERANSTALTUNG<br />
VERANSTALTUNG 7<br />
DISKUSSION ZU QUEERER KUNST<br />
DISKUSSION ZU QUEERER KUNST<br />
Ali Rose-May Monod (hier links <strong>im</strong> Bild) arbeitet mit vielen unterschiedlichen Elementen. Die künstlerisch tätige Person ist in der Romandie aufgewachsen und lebt<br />
seit 2016 in Bern. Ali wird am Verzaubert-Talk auf der Bühne unter anderem mit Joshua Amissah diskutieren, der als Kurator, Editor, Bildredaktor und Kunstvermittler<br />
tätig ist. Die Diskussionsrunde am 31. Januar führen wird Anna Rosenwasser (Bild rechts). Die Moderatorin arbeitet auch als LGBT*-Aktivistin und Polit-Influencerin.<br />
«Die queeren Communities<br />
sind unglaublich divers und ihr<br />
künstlerisches Schaffen ist<br />
derart vielseitig, dass es mir<br />
sehr schwerfällt, dieses weitläufige<br />
Spektrum in einen<br />
bunten Topf zu werfen.»<br />
Joshua Amissah<br />
Die Gründe für ein Queer Coding in<br />
grossen Kunstinstitutionen haben sich in<br />
den letzten Jahren verändert, sagt die<br />
Kunstvermittlerin Elena Grignoli. «Wenn<br />
man <strong>im</strong> professionellen Bereich das Queere<br />
etwas versteckt hält oder nicht zum Thema<br />
macht, dann wahrscheinlich vor allem, weil<br />
man nicht mit einem LGBT*-Label oder als<br />
queeres Label auftreten will.»<br />
Ins gleiche Horn stösst Joshua Amissah,<br />
der ebenfalls als Kunstvermittler und<br />
Kurator arbeitet. Bei Ausstellungen <strong>im</strong> Museumskontext<br />
könne queere Kunst in unseren<br />
Breitengraden heute grundsätzlich<br />
(ohne Codes) gezeigt werden. Queer Codings<br />
seien zudem längst demokratisiert<br />
und würden bisweilen auch ausserhalb der<br />
Community gefeiert. «Dieses Zelebrieren ist<br />
zwar schön, aber es besteht auch die Gefahr<br />
einer Exotisierung.» Deshalb sei es ein<br />
zweischneidiges Schwert.<br />
Amissah wird am «Verzaubert»-Talk<br />
unter der Leitung von Anna Rosenwasser<br />
mit Nino Bulling, Elena Grignoli und Ali<br />
Rose-May Monod ebenfalls das Thema<br />
Queer Art mit all seinen Facetten live auf<br />
der Bühne diskutieren. Für sein Buchprojekt<br />
«Black Masculinities», das bald auf den<br />
Markt kommen wird, war es dem Editor und<br />
Bildredaktor ein Anliegen, auch LGBT*-<br />
Fotograf*innen miteinzubeziehen. Trotzdem<br />
mag er die Begrifflichkeit «queere<br />
Kunst» nicht sonderlich. Dies, weil es sich<br />
um eine universelle Kategorisierung handle,<br />
die schwammiger nicht sein könne. «Nur<br />
schon die queeren Communities sind unglaublich<br />
divers und ihr künstlerisches<br />
Schaffen ist derart vielseitig, dass es mir<br />
sehr schwerfällt, dieses weitläufige Spektrum<br />
in einen bunten Topf zu werfen.» Die<br />
Diskussionsrunde <strong>im</strong> Kaufleuten dürfte somit<br />
also spannend werden.<br />
Der «Verzaubert»-Live-Talk zum Thema «Queere<br />
Kunst» findet am Dienstag, 31. Januar <strong>2023</strong>,<br />
um 20 Uhr <strong>im</strong> Kaufleuten statt. Tickets gibt es<br />
auf kaufleuten.ch.<br />
«Wenn es um Sexualitäten,<br />
Beziehungen und Begehren<br />
geht, machen sich Menschen<br />
<strong>im</strong>mer auch verletzlich.»<br />
Ali Rose-May Monod<br />
bis viermal pro Jahr eine «andere» Sicht auf<br />
Kultur, Ereignisse und Biographien. Dieses<br />
Mal wird die Journalistin und Feministin<br />
Anna Rosenwasser wird sich mit ihm und<br />
weiteren Gästen auf der Bühne über das<br />
Thema Queere Kunst unterhalten.<br />
Mit auf der «Verzaubert»-Bühne wird<br />
Ende Januar auch Ali Rose-May Monod<br />
sein. In deren Arbeit als Artist und Curator<br />
sei Ali’s eigene queere Dyke-Identität zentral.<br />
Das kuratorische Schaffen, unter anderem<br />
für den Space Cabane B* in Bern, sieht<br />
die Westschweizer-Person nicht getrennt<br />
von ihrer künstlerischen Arbeit. «Ich verstehe<br />
die Kuration als Akt der Einladung in kollektive<br />
Räume», erklärt der 32-jährige heute<br />
in Bern lebende Mensch. «Eine Einladung<br />
zum ‹coming together›, bei dem man sich<br />
austauscht und wo queere Erfahrungen kollektiviert<br />
werden.»<br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong><br />
Ihre Arbeit als Künstler-Person, wo sie<br />
hauptsächlich mit Text, Video, Textilien<br />
und installativen Elementen arbeitet, richte<br />
sich vor allem an ihre Peers. Es sei aber<br />
auch schön, wenn sich ebenfalls nichtqueere<br />
Menschen angesprochen fühlten.<br />
«Das könnte eine weitere Entwicklung für<br />
uns bedeuten», sagt die leidenschaftliche<br />
Künstler*in. «Es ist wichtig hier in die Verbindung<br />
zu gehen und nicht in die Trennung.»<br />
Ali erwähnt das Essay «On Connection»<br />
von Kae Tempest. Tempest ist eine<br />
britische Person, die in der Lyrik und Literatur<br />
tätig ist. «Kae schreibt für Dykes like<br />
them, schlussendlich richtet sich Kae’s<br />
Schaffen aber an alle, was mich sehr berührt.»<br />
Queer Coding, um keinen Verdacht<br />
zu erregen<br />
Queere Elemente und Botschaften sind ein<br />
Spiegel, wie die Gesellschaft mit queeren<br />
Menschen umgeht. Weil homosexuelle<br />
Handlungen bei uns lange unter Strafe<br />
standen und in vielen Ländern noch <strong>im</strong>mer<br />
strafbar sind, bedienten und bedienen sich<br />
Künstler*innen einer verschlüsselten Bildsprache.<br />
Das Queer Coding ist dazu da, dass<br />
die LGBT*-Minderheit in der breiten Öffentlichkeit<br />
keinen Verdacht erregt. Meistens<br />
können nur queere Menschen die verborgenen<br />
Botschaften der Künstler*innen lesen.<br />
Ali Rose-May Monod hat schon mit<br />
Queer Codings gearbeitet. «Es kommt jeweils<br />
auf den Kontext an», verrät die Person.<br />
Je nach Umfeld gebe es schon Situationen,<br />
in denen sie eher vorsichtig gearbeitet habe<br />
und wo vieles eher zwischen den Zeilen zu<br />
lesen war. «Das habe ich gemacht, um das<br />
Umfeld zu schützen, in dem ich tätig war.»<br />
Weil homosexuelle Handlungen<br />
bei uns lange unter Strafe<br />
standen und in vielen Ländern<br />
noch <strong>im</strong>mer strafbar sind,<br />
bedienten und bedienen sich<br />
Künstler*innen einer verschlüsselten<br />
Bildsprache.<br />
Monod ist auch Mitgründer*in des<br />
queer feministischen Pornographie-Festival<br />
«Schamlos» in Bern. «Wenn es um Sexualitäten,<br />
Beziehungen und Begehren<br />
geht, machen sich Menschen <strong>im</strong>mer auch<br />
verletzlich», erklärt die Queerfeminist*in.<br />
Bild Ali Rose-May Monod © Karin*Etienne Scheidegger / Bild Joshua Amissah © Elio Donauer / Bild Anna Rosenwasser © brandertainment<br />
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Gemeinsam mit Jacqueline Fehr, Priska Seiler CRUISER Graf und JANUAR Anne-Claude / FEBRUAR Hensch <strong>2023</strong>
8 GESELLSCHAFT<br />
9<br />
HOMO-EHEN UND KINDER<br />
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Homo- oder Hetero-Eltern: für das Identitätsgefühl von<br />
Kindern egal<br />
Viele internationale Studien belegen inzwischen: Weder Kindeswohlgefährdung<br />
noch andere Nachteile für Kinder in Regenbogenfamilien!<br />
Kleinkind adoptierten Kinder <strong>im</strong> Vorschulalter<br />
gerne spielten und wie genderkonform<br />
ihr Verhalten fünf Jahre später war.<br />
Bei der Vorschulalter-Analyse wurde<br />
den Kindern zur Auswahl traditionell jungen-<br />
und mädchentypisches sowie neutrales<br />
Spielzeug angeboten. Zudem wurden die<br />
Eltern in einem standardisierten Verfahren<br />
zu den Spielvorlieben der Kinder befragt –<br />
etwa, ob sie raue oder ruhige Spiele bevorzugten.<br />
Im zweiten Studienabschnitt wurden<br />
die dann etwa achtjährigen Kinder mit<br />
einem Standardtest zu ihren Spielvorlieben<br />
befragt. Viele hatten zu diesem Zeitpunkt<br />
bereits gleichfalls adoptierte Geschwister.<br />
Ganz so harmonisch wie auf diesem Stockfoto einer Bildagentur ist die «Causa LGBT*» zwar noch nicht,<br />
wir sind aber auf gutem Weg dahin.<br />
VON MOEL MAPHY<br />
Mama und Papa, Mama und Mami<br />
oder Papa und Papi – auf das Identitätsgefühl<br />
von Kindern hat die<br />
Familienform einer US-Studie zufolge keinen<br />
Einfluss. Die sexuelle Identität des<br />
Nachwuchses wird demnach nicht davon<br />
beeinflusst, ob er von herkömmlichen oder<br />
gleichgeschlechtlichen Paaren betreut wird.<br />
Die Analyse von Spielvorlieben weise<br />
darauf hin, dass es für die empfundene Geschlechtszugehörigkeit<br />
egal ist, ob ein Kind<br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong><br />
bei klassischen Eltern oder einem Männeroder<br />
Frauenpaar aufwächst, berichten Forscher<br />
<strong>im</strong> Fachjournal «Sex Roles».<br />
Die Wissenschaftler um Rachel Farr<br />
von der University of Kentucky hatten in zwei<br />
Stufen das Spielverhalten und die Entwicklung<br />
adoptierter Kinder aus insgesamt 106<br />
amerikanischen Familien mit les bi schen,<br />
schwulen oder heterosexuellen El ternpaaren<br />
untersucht. Verglichen wurde unter anderem,<br />
was und mit welchem Spielzeug die als<br />
Familienform hat keinen Einfluss<br />
Die Auswertung zeigte, dass es in allen Familienformen<br />
ähnlich viele Kinder gab, die<br />
sich entweder genderkonform oder aber<br />
non-konform verhielten – und dieses Verhalten<br />
recht konstant über die Jahre hinweg<br />
beibehielten. «Die sexuelle Orientierung<br />
der Eltern und der Familientyp hatte darauf<br />
keinen signifikanten Einfluss», sagte Farr.<br />
Es zeigte sich lediglich überall eine leichte<br />
alterstypische Hinwendung zu mehr genderkonformem<br />
Verhalten <strong>im</strong> Schulalter.<br />
«Es scheint, dass ein männliches und<br />
ein weibliches Rollenvorbild zuhause weder<br />
notwendig sind, um eine typische Genderentwicklung<br />
bei Adoptivkindern zu unterstützen,<br />
noch um sie von Gender-Nonkonformität<br />
abzuhalten», so das Fazit von Farr.<br />
Auch andere internationale Studien<br />
haben gezeigt, dass sich Kinder mit gleichgeschlechtlichen<br />
Eltern mindestens ebenso<br />
gut entwickelten wie solche mit Hetero-<br />
Eltern. Eine Studie zu fremdadoptierten<br />
Kindern wies darauf hin, dass Homo-Paare<br />
sogar besondere Elternkompetenzen zeigen<br />
würden.<br />
Derzeit aktuell: Das Theaterstück «Vier werden<br />
Eltern». Alle Infos auf Seite 20.<br />
Freitag, 17.02.<strong>2023</strong><br />
Volkshaus Zürich<br />
Tickets auf ticketcorner.ch<br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong>
10 INTERNATIONAL<br />
INTERNATIONAL 11<br />
FORTSCHRITT IN DEN USA<br />
FORTSCHRITT IN DEN USA<br />
Ein kleiner Fortschritt auf dem Weg zur<br />
Gleichberechtigung<br />
Die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen – vielerorts eine Selbstverständlichkeit.<br />
Nun jubelten in den USA viele über das von Biden unterzeichnete Gesetz.<br />
richten über Angriffe auf Clubs von oder<br />
Anlässe der LGBT*-Community, so <strong>im</strong> November<br />
<strong>2022</strong> in Colorado Springs. Hier kamen<br />
fünf Menschen ums Leben, 25 weitere<br />
wurden verletzt. Um zu verstehen, wie das<br />
zusammenpasst, müssen wir einen Blick in<br />
die – für europäische Verhältnisse – kurze<br />
(queere) Geschichte des Landes werfen.<br />
Alles begann mit den Indigenen<br />
Für uns Mitteleuropäer geht der erste Gedanke<br />
in Bezug auf die indigene Bevölkerung<br />
Amerikas schnell in Richtung Winnetou,<br />
der ja nach Karl May eine sehr innige,<br />
quasi gar homoerotische Beziehung zu Old<br />
Shatterhand hatte. Ganz so sah es <strong>im</strong> Mittleren<br />
Westen in der Realität zwar nicht aus,<br />
aber es gab auch keine Verteufelung der<br />
nicht heteronormativ lebenden Menschen.<br />
Im Gegenteil, man hatte für diese eine eigene<br />
Kategorie, nämlich die der «two spirits». Diese<br />
stellte eine Art zusätzliches Geschlecht<br />
dar, welches gleichberechtigt neben den Kategorien<br />
Männer und Frauen stand. Leider<br />
kam es mit der Unterwerfung der indigenen<br />
Bevölkerung durch die Europäer zu einem<br />
fast vollständigen Verlust dieser Sichtweise,<br />
denn bald übernahmen die ab Anfang des 17.<br />
Jahrhunderts in Scharen einwandernden<br />
Puritaner das Zepter und damit auch die Ablehnung<br />
von Homosexuellen. In den folgenden<br />
Jahrhunderten hing dann auch die<br />
(Nicht-)Akzeptanz von Queers stark mit der<br />
Macht und dem Einfluss der Religion in der<br />
Gesellschaft zusammen.<br />
Die Industrialisierung brachte erste<br />
Freiheiten<br />
Mit der aufkommenden Industrialisierung<br />
<strong>im</strong> 19. Jahrhundert traten für Homosexuelle<br />
erste Erleichterungen in den Lebensumständen<br />
ein, auch wenn man noch weit von<br />
einer Form der Akzeptanz entfernt war.<br />
Denn mit dem Bau von Fabriken entwickelten<br />
sich mehr und mehr (grosse) Städte, die<br />
für viele Menschen jeglicher Art Platz hatten.<br />
Die dort oftmals herrschende Anonymität<br />
war ein <strong>im</strong>menser Vorteil gegenüber<br />
dem bisherigen Landleben, das nur begrenzte<br />
Freiheiten bot, weil eben jede*r<br />
jede*n kannte. Die nun aufblühenden Möglichkeiten<br />
galten allerdings nicht für alle<br />
Die indigene Bevölkerung Amerikas<br />
hatte für nicht heteronormativ<br />
lebenden Menschen eine<br />
eigene Kategorie, nämlich die der<br />
«two spirits». Eine Art zusätzliches<br />
Geschlecht, welches gleichberechtigt<br />
neben den Kategorien<br />
Männer und Frauen stand.<br />
gleichermassen, denn schwarze Homosexuelle<br />
hatten mit einem doppelten Makel zu<br />
kämpfen und waren weiterhin am Ende der<br />
Nahrungskette <strong>im</strong> übertragenen Sinn angesiedelt.<br />
So dümpelten die Rechte und Möglichkeiten<br />
von Schwulen, Lesben, trans Menschen<br />
etc. eine ganz Zeit lang vor sich hin,<br />
bis ein unerwartetes Ereignis in die Weltgeschichte<br />
hereinbrach, das zunächst einmal<br />
gar nichts mit Sexualität und Gender zu<br />
tun hat: der Zweite Weltkrieg. ➔<br />
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von Roman Riklin & Michael Elsener · Regie Alexander Stutz<br />
Mit Florian Butsch, Michèle Hirsig, Sebastian Krähenbühl, Dominik Widmer<br />
Wer queere Fahnen in den USA wehen lässt, bekommt schnell den Zorn der Evangelikalen und Konservativen zu spüren. Daran wird wohl auch das jüngste Gesetz<br />
nicht viel ändern.<br />
VON BIRGIT KAWOHL<br />
Die USA: Für viele <strong>im</strong>mer noch das<br />
Land der unbegrenzten Möglichkeiten<br />
mit Mythen, die durch die nicht<br />
zu leugnende Dominanz von Lady Liberty<br />
unterstützt werden. Vom Tellerwäscher<br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong><br />
zum Millionär, alles scheint möglich zu<br />
sein, wenn man sich nur genug anstrengt.<br />
Alles? Nein, denn eine gut sichtbare, vielleicht<br />
sogar grösser werdende Gruppe an<br />
(evangelikalen) Republikanern unterdrückt<br />
teils mit beachtlichem Erfolg jegliche Bestrebungen<br />
in Bezug auf die Legalisierung<br />
von Abtreibungen oder aber auch in Bezug<br />
auf die Gleichstellung von Queers. Immer<br />
wieder erreichen uns schockierende Nach-<br />
shakecompany.ch<br />
Uraufführung<br />
THEATERHECHTPLATZ.CH 17. Jan. – 26. Feb. <strong>2023</strong><br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong>
12 INTERNATIONAL<br />
INTERNATIONAL 13<br />
FORTSCHRITT IN DEN USA<br />
FORTSCHRITT IN DEN USA<br />
Das «Stonewall», ein Markenzeichen homosexuellen Widerstands, den es heutzutage leider <strong>im</strong>mer noch<br />
braucht.<br />
Der Krieg als Chance<br />
Was zunächst einmal völlig absurd klingt,<br />
war tatsächlich so: In der Armee kam es zur<br />
grössten legalen Ansammlung von Schwulen<br />
zur damaligen Zeit, obwohl die Militärführung<br />
Homosexualität eigentlich unterdrücken<br />
wollte. Aber man brauchte Männer,<br />
die in den Krieg zogen, und so nahm man es<br />
nicht ganz so genau. Im Gegenteil, dadurch<br />
dass die Armee eine zunächst rein männliche<br />
Gesellschaft war, konnten bzw. mussten<br />
hier auch kulturelle Formen wie Drag<br />
Shows gestattet werden, damit die Soldaten<br />
zumindest ein wenig Ablenkung vom harten<br />
Kampfalltag hatten. Es gab zwar auch<br />
eine weibliche Einheit (WAC), die von den<br />
Männern getrennt war, in der parallel aber<br />
eine lesbische Subkultur entstand. Der Eintritt<br />
der Homosexuellen in die Armee erfolgte<br />
meist «unentdeckt», von 18 Mio. gemusterter<br />
Männer wurden lediglich 5000<br />
aufgrund von Homosexualität abgelehnt.<br />
Dass man die Schwulen häufig nicht entlarvte,<br />
lag auch daran, dass sich viele Betroffene<br />
durch besonders «männliches»<br />
Verhalten hervortaten und z. B. ihren Dienst<br />
bei den Marines verrichteten.<br />
Dass das allerdings nicht <strong>im</strong>mer gut<br />
ging, zeigt die Zahl von 10 000 wegen Homosexualität<br />
aus der Armee Entlassenen («blue<br />
discharge»), die anschliessend kaum noch<br />
Chancen auf ein gesellschaftlich anerkanntes,<br />
diskr<strong>im</strong>inierungsfreies Leben hatten.<br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong><br />
Quäker, McCarthy, Stonewall<br />
Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigt<br />
sich abwechslungsreich: Mit den Quäkern<br />
mischt sich einmal mehr eine religiöse<br />
Gruppe in die Frage nach der «richtigen»<br />
Sexualität ein. Von ihnen wird Homosexualität<br />
als psychische Störung klassifiziert,<br />
was wiederum einen Heilungsgedanken<br />
<strong>im</strong>pliziert. Dies bildet den Ursprung der<br />
auch heute noch vor allem in den USA populären<br />
Konversionstherapien. Parallel<br />
dazu gab es aber von kirchlicher Seite<br />
durchaus Öffnungsbewegungen hin zu Toleranz<br />
und Gleichberechtigung. So wurden<br />
und werden in den evangelischen «mainline-Kirchen»<br />
<strong>im</strong>mer wieder Segnungsgottesdienste<br />
abgehalten und auch die Katholiken<br />
haben mit der Organisation «Dignity<br />
USA» einen Zweig, der Homosexualität anerkennt<br />
und Betroffene unterstützt.<br />
In der McCarthy-Ära wird dann alles<br />
verfolgt, was nicht bei zwei auf den Bäumen<br />
ist, oder anders gesagt: Wer für subversiv gehalten<br />
wird. Dabei stehen Kommunisten,<br />
oder Menschen, die für solche gehalten werden,<br />
an der Spitze der Verfolgten. Homosexuelle<br />
geraten aber leicht auch in den Strudel<br />
kruder Verschwörungstheorien, in denen<br />
Hitler und Stalin ihren Platz finden, und<br />
werden ebenso heftig verfolgt und bestraft.<br />
1962 wird nach zähem Ringen das <strong>im</strong>mer<br />
noch geltende Sodomiegesetz aufgehoben,<br />
was für viele Schwule ein Meilenstein<br />
in der Befreiung war, was aber durch eine<br />
schnell einsetzende Gegenbewegung zunichte<br />
gemacht wurde.<br />
Und dann endlich Stonewall – das Ereignis,<br />
das inzwischen jedes Jahr mit unzähligen<br />
Prides rund um den Globus gefeiert<br />
wird. Danach muss doch eigentlich alles<br />
gut sein, oder?<br />
Fortschritt und Rückschritte <strong>im</strong><br />
21. Jahrhundert<br />
Mit Barack Obama ging durch viele Gesellschaftsschichten<br />
ein Seufzer der Hoffnung,<br />
stand der erste schwarze Präsident doch für<br />
Gleichberechtigung und Toleranz. Bereits<br />
<strong>im</strong> Jahr 2012 sagt Obama «Ja» zur Ehe für<br />
alle, unter ihm wurde 2014 die Diskr<strong>im</strong>inierung<br />
von Mitarbeitern der Bundesverwaltung<br />
aufgrund ihrer sexuellen Orientierung<br />
oder Geschlechtsidentität untersagt,<br />
betroffen waren damals rund 16 Mio. Mitarbeiter*<br />
innen. Allerdings muss auch er<br />
Einschränkungen in der Gleichbehandlung<br />
von Betroffenen hinnehmen, da er nicht auf<br />
alle politischen Entscheidungen in den einzelnen<br />
Bundesstaaten Einfluss nehmen<br />
kann. Und selbst verhält er sich auch nicht<br />
<strong>im</strong>mer ganz loyal gegenüber Betroffenen: So<br />
wird in seiner Amtszeit ein schwuler Offizier<br />
aus der Armee entlassen, obwohl dort seit<br />
1993 die (fadenscheinige) Regelung «don’t<br />
ask, don’t tell» galt, die allerdings Ende 2010<br />
aufgehoben wird. Unterzeichnet hat dieses<br />
Aufhebungsgesetz ... Barack Obama.<br />
In der McCarthy-Ära begann in den USA eine Jagd<br />
auf so genannte «Subversive», die nach Überzeugung<br />
von Joseph McCarthy die amerikanische<br />
Regierung auf allen Ebenen infiltriert hatten, um<br />
das Land dem Kommunismus auszuliefern. Den<br />
«Subversiven» wurden auch homosexuelle (Männer<br />
& Frauen) zugerechnet.<br />
Bilder © WIKIPEDIA<br />
CRÉATION : ©PHOTO KRIS DEWITTE<br />
In Bezug auf die Ehe erklärte der Supreme<br />
Court 2015 diese in allen Bundesstaaten<br />
für zulässig und gleichberechtigt. Da die<br />
rechtliche Anerkennung jedoch zum Grossteil<br />
auf bundesstaatlicher Ebene geregelt ist,<br />
gibt es in dieser Frage noch <strong>im</strong>mer starke<br />
Differenzen. Diese würden <strong>im</strong>mer wieder,<br />
so die Journalistin Ines Pohl am 16.10.<strong>2022</strong><br />
auf DW.com, stark von der religiösen Rechten<br />
beeinflusst, die wiederum besonders<br />
stark bei den Republikanern vertreten seien.<br />
Deswegen wurde den <strong>im</strong> November<br />
durchgeführten Midterms auch von der<br />
queeren Community eine grosse Bedeutung<br />
beigemessen.<br />
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ein film von lUKAS DHonT<br />
Pop-Star Cindy Lauper hat sich schon in den<br />
1980er-Jahren zur kämpferischen Ikone für die<br />
LGBT*-Community entwickelt. Vor über zehn<br />
Jahren eröffnete sie in New York City ein Obdachlosenhe<strong>im</strong><br />
für junge Schwule, Lesben und Transsexuelle,<br />
die von ihren Eltern auf die Strasse<br />
gesetzt wurden.<br />
Republikaner*innen versus<br />
Demokrat*innen<br />
Unter den sich stark als Gegner*innen hervortuenden<br />
Republikaner*innen stechen so<br />
(für uns) absurde Persönlichkeiten wie die<br />
Abgeordnete Marjorie Taylor Green hervor,<br />
eine Frau, die ihre He<strong>im</strong>at unter Verschwörungstheoretiker*innen<br />
hat und die das erste<br />
nationale anti-trans-Gesetz eingebracht<br />
hat. Dieses Gesetz verbietet Hormonbehandlung<br />
minderjähriger trans Personen<br />
und droht behandelnden Ärzt*innen mit<br />
Haftstrafen bis zu 25 Jahren.<br />
Zur Erinnerung: Wir befinden uns <strong>im</strong><br />
Jahr <strong>2022</strong>!<br />
Dieses Gesetz habe zwar laut Ines Pohl<br />
momentan keine Chance auf Durchsetzung,<br />
dennoch zeige sich hierin eine grundsätzliche<br />
Haltung innerhalb der konservativen<br />
Republikaner*innen und den prinzipiellen<br />
Möglichkeiten <strong>im</strong> Umgang mit Queers.<br />
Gerade deswegen ist Bidens Schritt<br />
zum Schutz und zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher<br />
Ehen kurz vor Weihnachten<br />
<strong>2022</strong> ein <strong>im</strong>menser Schritt und ein wichtiges<br />
Zeichen in Richtung der Konservativen,<br />
auch wenn es sich für uns selbstverständlich<br />
anhört, dass gleichgeschlechtliche<br />
Ehen in allen Bundesstaaten anerkannt<br />
werden, selbst wenn dieser Bundesstaat das<br />
Schliessen der Ehe für alle eigentlich verbietet.<br />
Dass Biden sich für diesen Akt mit<br />
Cindy Lauper eine Ikone der LGBT*-Gemeinde<br />
ins Haus geholt hat, war ziemlich<br />
clever, denn so wurde eine Öffentlichkeit<br />
generiert, die einer einfachen Gesetzesunterzeichnung<br />
ansonsten häufig verwehrt<br />
bleibt. Man mag hoffen, dass dies nicht der<br />
letzte Akt eines liberalen US-Präsidenten<br />
für die Gleichberechtigung war.<br />
lÉA<br />
DRUCKeR<br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong>
14 KULTUR<br />
KULTUR 15<br />
HEAVY METAL<br />
HEAVY METAL<br />
Harte Männer als<br />
Kämpfer für Queerness?<br />
Led Zeppelin sind so gut wie jedem*r bekannt, auch wenn einigen nur wegen<br />
ihrer üppigen Frisuren. Aber wie gehen Heavy Metal und queer zusammen?<br />
VON BIRGIT KAWOHL<br />
Ich erinnere mich noch gut an den<br />
Spruch meiner Mutter: «Lange Haare<br />
sind okay, aber gepflegt müssen sie<br />
sein.» Logischerweise war von langhaarigen<br />
Männern die Rede, ob bei Frauen die<br />
langen Haare gepflegt waren, war augenscheinlich<br />
nicht von Belang, denn Frauen<br />
hatten <strong>im</strong>mer schon lange Haare, langhaarige<br />
Männer waren aber – zumindest für<br />
meine Mutter – etwas Neues. Mit den langen<br />
Haaren kam Anfang der 1970er-Jahre auch<br />
eine neue Musikrichtung in die Ohren der<br />
Allgemeinheit: Heavy Metal. Oder gab es<br />
erst Heavy Metal und dann erreichten die<br />
langen Haare der Musiker die Augen des<br />
Publikums? Das ist wohl eine Frage wie die<br />
nach der Henne und dem Ei, denn irgendwie<br />
gehören die Musik, übrigens eine Weiterentwicklung<br />
aus dem Hardrock, und das<br />
Aussehen und Gebaren der Musiker*innen<br />
untrennbar zusammen.<br />
Das Ganze geschah in einer Zeit, in der<br />
es (langsam) zur sexuellen Revolution kam,<br />
die Ereignisse rund um den Stonewall-Aufstand<br />
lagen erst kurz zurück und in den europäischen<br />
Staaten formierte sich studentischer<br />
Widerstand. Es war also durchaus eine<br />
Bewegung des Zeitgeistes, die nun auch in<br />
der Musik Neuerungen hervorbrachte.<br />
Nun hatten die männlichen Heavy<br />
Metal-Musiker zwar häufig lange Haare,<br />
also eine durchaus weibliche Komponente<br />
<strong>im</strong> Aussehen, andererseits bestachen ihre<br />
Outfits – Lederjacken, Nieten, Stiefel – durch<br />
betonte Härte und Stärke. Dadurch setzte<br />
sich in vielen Köpfen auch das Bild der heteronormativen<br />
Männlichkeit für Heavy Metal<br />
durch, zumal die Fans auch überwiegend<br />
Männer sind. Doch gerade diese Lederoutfits<br />
haben ihre Ursprünge in der schwulen<br />
Fetischszene. Also bestand offenbar ein enger<br />
Austausch beider Lebenswelten.<br />
Doch gerade diese Lederoutfits<br />
haben ihre Ursprünge in der<br />
schwulen Fetischszene. Also<br />
bestand offenbar ein enger Austausch<br />
beider Lebenswelten.<br />
Ein Austausch, der <strong>im</strong>mer wieder in<br />
beide Richtungen stattfindet. Man denke an<br />
Marilyn Mansons Konzeptalbum «Mechanical<br />
An<strong>im</strong>als» aus dem Jahr 1998, in der die<br />
androgyn-intersexuelle Figur Alpha vorkommt,<br />
die vom Sänger der Band, Brian<br />
Hugh Warner, dargestellt wird. Ein androgyner,<br />
bis auf die roten Haare komplett<br />
weisser Marilyn Manson selbst ziert das<br />
Cover der LP. Er trägt zudem Brustprothesen<br />
und sein Penis ist nur als Ausbeulung ➔<br />
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16 KULTUR<br />
KULTUR 17<br />
HEAVY METAL<br />
HEAVY METAL<br />
1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020<br />
erkennbar, was den weiblichen Aspekt seines<br />
Aussehens noch verstärkt. Oder auch<br />
das 1992 erschienene Video zu dem Song<br />
«Easy» der Band «Faith no more»: Hier<br />
scheint Queerness selbstverständlich zu<br />
sein, da das «girl» aus dem Text einem<br />
Bandmitglied mit blonder Perücke verkörpert<br />
wird.<br />
1943<br />
Der Kreis<br />
1957<br />
Kreis-Ball<br />
1973<br />
Gay-Liberation<br />
1986<br />
AIDS<br />
2004<br />
Partnerschaftsgesetz<br />
Demo<br />
Und genau hier liegt auch<br />
die von Ehmke beschriebene<br />
Chance für queere Jugendliche,<br />
denen ein mutiges Bild von<br />
Männlichkeit gezeigt wird,<br />
auf das es gar keine negative<br />
Reaktion geben kann.<br />
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Bilder © CreativeCommons<br />
Heavy Metal als Rollenvorbild<br />
Ob es sich dabei wirklich um den Ausdruck<br />
einer Selbstverständlichkeit handelt oder<br />
eher um den Wunsch des Schockierens,<br />
müsste man von Fall zu Fall entscheiden.<br />
Allerdings klingen <strong>im</strong>mer beide Versionen<br />
der Interpretation als Möglichkeit mit, sodass<br />
es hier mehr Offenheit als in anderen<br />
Musikstilen zu geben scheint.<br />
Der Journalist Jakob Ehmke sieht<br />
daher <strong>im</strong> Metal auch eine wichtige Funktion<br />
gerade für schwule Jugendliche, denn<br />
«[a]ndrogyne Inszenierungen <strong>im</strong> Metal<br />
können ein wichtiger Faktor [...], speziell in<br />
der Gender-Entwicklung von männlichen<br />
Jugendlichen» sein durch das Hinterfragen<br />
und Durchbrechen von ansonsten scheinbar<br />
feststehenden Rollengefügen. Die «harten»<br />
Metal-Männer, die sich z. B. auf der<br />
Bühne in Netzstrümpfen und Strapsen zeigen.<br />
Bestes Beispiel für dieses Crossdressing<br />
ist ein Auftritt von Dee Snider von<br />
«Twisted Sister» <strong>im</strong> Jahr 2007, der zu seiner<br />
langen, blonden Mähne blau geschminkte<br />
Augen und überhaupt viel Make-up trägt,<br />
begleitet von einem durchsichtigen schwarzen<br />
Body und Strapsen. Wow, möchte man<br />
da schon sagen, dafür braucht es schon eine<br />
gehörige Portion Selbstbewusstsein. Und<br />
genau hier liegt auch die von Ehmke beschriebene<br />
Chance für queere Jugendliche,<br />
denen ein mutiges Bild von Männlichkeit<br />
gezeigt wird, auf das es gar keine negative<br />
Reaktion geben kann.<br />
Das Marilyn Manson-Cover ist ein<br />
beachtliches Zeitdokument, in dem<br />
der Heavy Metal-Musiker geschickt<br />
mit Rollenbildern spielt und so ein<br />
androgynes Wesen kreiert.<br />
Im Heavy Metal kam es schon<br />
relativ früh zu Bekenntnissen<br />
von schwulen Musikern und Solidarisierungen<br />
mit der Szene.<br />
Bereits in den 1970er-Jahren<br />
kam Rob Halford (*1951) von<br />
«Judas Priest» direkt aus einem<br />
Gay-Club auf die Bühne und keiner<br />
störte sich daran.<br />
Nicht mehr Homophobie als<br />
anderswo<br />
Vorbilder, die offenbar ihre Wirkung zeigen,<br />
denn so kam es <strong>im</strong> Heavy Metal schon relativ<br />
früh zu Bekenntnissen von schwulen<br />
Musikern und Solidarisierungen mit der<br />
Szene. Bereits in den 1970er-Jahren kam<br />
Rob Halford (*1951) von «Judas Priest» direkt<br />
aus einem Gay-Club auf die Bühne und<br />
keiner störte sich daran. Im Gegenteil, sein<br />
Kleidungsstil (Leder und Nieten) setzte sich<br />
schnell durch.<br />
Der Erste war der Keyboarder Roddy<br />
Bottum (*1963) von «Faith no more», der bereits<br />
1993 den Weg in die Öffentlichkeit<br />
suchte und seine Homosexualität <strong>im</strong> US-<br />
Magazin «The Advocate» bekanntmachte.<br />
Mittlerweile hat Bottum sogar mit seinem<br />
Partner Joey Holman ein neues musikalisches<br />
Projekt, Man on Man, gestartet.<br />
Aber was ist mit Homophobie und<br />
Frauenfeindlichkeit, die man der Metal-<br />
Szene <strong>im</strong>mer wieder nachsagt? Stellt man<br />
darüber Nachforschungen an, kann man<br />
keine klaren Anzeichen für den klaren Fall<br />
von systematischer Diskr<strong>im</strong>inierung ausmachen.<br />
Klar, es kommt <strong>im</strong>mer wieder mal<br />
zu Anfeindungen, aber wo gibt es sie – leider<br />
– nicht in unserer Gesellschaft? Andererseits<br />
hört man <strong>im</strong>mer wieder von<br />
Teilnehmer*innen von Festivals, z. B. Wacken,<br />
dass die St<strong>im</strong>mung dort vollkommen<br />
entspannt und tolerant sei. Gerade weil<br />
man sich über den Faktor Musik treffe,<br />
herrsche eine grosse Solidarität.<br />
Wer übrigens mehr über Heavy Metal<br />
und Queerness erfahren möchte, dem sei<br />
die Sendung «Heavy Metal saved my Life,<br />
Teil 2» in der ARD Mediathek ans Herz gelegt.<br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong><br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong>
18<br />
KOLUMNE<br />
MICHI RÜEGG<br />
Das Wunder<br />
von Doha<br />
Eben noch homophob wie ein tschetschenischer Milizkommandant, ist Fussball nun<br />
gayfreundlicher als der Nacktstrand von Sitges. Darüber wundert sich Michi Rüegg.<br />
VON MICHI RÜEGG<br />
Die Fussball-WM ist vorbei. Und wir<br />
sind alle froh zu wissen, dass der<br />
FIFA-Präsident für einen Tag eine<br />
schwule arabische Bauarbeiterin war. Ich<br />
bin unglaublich glücklich darüber, dass das<br />
Theater vorbei ist. Wobei mich bei dieser<br />
Ausgabe der Fussball selbst für einmal am<br />
wenigsten genervt hat. Stattdessen habe ich<br />
mich über das scheinheilige Gerede über<br />
Homophobie in Katar, die Stellung der Frau,<br />
die Arbeitsbedingungen der Bauarbeiter<br />
und so weiter geärgert.<br />
Finde ich Unterdrückung von LGBT*<br />
gut? Mitnichten, nirgendwo. Sollten Frauen<br />
in Katar bessergestellt werden? Natürlich, bei<br />
uns übrigens auch in vielerlei Hinsicht. Hätten<br />
die Bauarbeiter aus halb Asien zu weniger<br />
gemeinen Bedingungen angestellt werden<br />
sollen? Absolut, vermutlich hätten sie auch<br />
lieber in Europa gearbeitet, mit Gesamtarbeitsverträgen<br />
und obligatorischen Einzahlungen<br />
in Rentensysteme, aber Europa will<br />
solche Leute halt nicht haben.<br />
Vor vier Jahren hat Russland die WM<br />
gehostet. Russland, das gerade dabei ist, seine<br />
Sammlung dokumentierter Kriegsverbrechen<br />
in der Ukraine drastisch zu erweitern.<br />
Russland, das über Jahre ein gay-feindliches<br />
Gesetz nach dem nächsten erlassen hat.<br />
Russland, das Land, in dem Männer Frauen<br />
schwängern können, ohne auch nur einen<br />
Rubel Unterhalt zu bezahlen. Russland, dessen<br />
Diktator seit vielen Jahren jegliche aufmüpfigen<br />
zivilgesellschaftlichen Strukturen<br />
zerbröseln lässt. Und das bereits Jahre vor<br />
dem Anpfiff des ersten Spiels die Kr<strong>im</strong> völkerrechtswidrig<br />
annektiert hatte.<br />
Während wir <strong>im</strong> Fall von<br />
Russland seit Jahren zuschauen<br />
können, wie Demokratie, Menschenrechte<br />
und die Freiheit als<br />
solche den Bach runtergehen,<br />
hat sich in Katar in den vergangenen<br />
Jahren doch das eine<br />
oder andere Erfreuliche getan.<br />
Hat das irgendeine Sau vor vier Jahren<br />
wirklich interessiert? Klar, man hat da und<br />
dort gewisse Bedenken geäussert. Aber so<br />
richtig darüber aufregen mochte sich niemand.<br />
Und nun, <strong>im</strong> Fall von Katar, sind wir als<br />
Kollektiv plötzlich über alle Massen betroffen,<br />
und sorgen uns ums Wohlbefinden und<br />
die Sicherheit möglicher schwuler Fussballfans<br />
in Doha. Und wenn die Captains der<br />
Nationalligen keine tuntigen Armbinden<br />
tragen dürfen, ist das ein Skandal sondergleichen.<br />
(Der FC <strong>Winter</strong>thur wollte dieses<br />
Jahr übrigens auch keine Trikots mit Regenbogen<br />
tragen. Gab aber keinen Aufschrei.)<br />
Während wir <strong>im</strong> Fall von Russland seit<br />
Jahren zuschauen können, wie Demokratie,<br />
Menschenrechte und die Freiheit als solche<br />
den Bach runtergehen, hat sich in Katar in<br />
den vergangenen Jahren doch das eine oder<br />
andere Erfreuliche getan. Ich führte vor vier<br />
Jahren in New York ein Gespräch mit der katarischen<br />
UNO-Botschafterin und war erstaunt,<br />
wie zielgerichtet und professionell<br />
sie die Mission ihres Landes bei den Vereinten<br />
Nationen führte. Dabei kommandierte<br />
sie ihre männlichen Angestellten ziemlich<br />
forsch herum. Passt das ins Bild der armen,<br />
unterdrückten Musl<strong>im</strong>in, die ihren bärtigen<br />
Cousin heiraten muss, weil Gott und<br />
die Familie es so wollen? Natürlich nicht.<br />
Dieses Erlebnis liegt ausserhalb der gebetsmühlenartig<br />
wiederholten Botschaften<br />
über Frauenrechte in arabischen Ländern.<br />
Es passt nicht ins Narrativ. Wie gut, dass bei<br />
uns in der Schweiz die letzten Frauen bereits<br />
1991 wählen durfte. Man stelle sich vor,<br />
ein Skirennen am Lauberhorn wäre wegen<br />
so etwas Ende der Achtzigerjahre <strong>im</strong> Ausland<br />
boykottiert worden.<br />
Aber vielleicht übertreibe ich hier<br />
masslos und sehe die Dinge völlig falsch. Offenbar<br />
ist eine der traditionell homophobsten<br />
Bubble der Gesellschaft, der Fussball,<br />
plötzlich ein Hort grenzenloser Toleranz.<br />
Weg ist jegliche toxische Männlichkeit, vorbei<br />
ist die Gewalt pöbelnder Hooligans. Nun<br />
herrschen unter den strahlenden Farben des<br />
Regenbogens Eintracht und grenzenlose<br />
Liebe und Zuneigung auf und abseits des<br />
Spielfeldes. Gut, unter diesen Umständen<br />
würde man sich wohl wünschen, dass ein<br />
paar Fussballer mehr den Mut hätten, wie<br />
Gianni Infantino ein Coming-out zu wagen.<br />
Warum sie dies angesichts der neuen Offenheit<br />
und Toleranz in dieser Sportart nicht<br />
tun, bleibt ihr Gehe<strong>im</strong>nis.<br />
Wer hätte gedacht, dass sich <strong>im</strong> Fussball<br />
innerhalb so kurzer Zeit so viel zum Guten<br />
wendet. Man könnte meinen, ein Wunder<br />
sei geschehen. Das Wunder von Doha.<br />
Szene mit Daniel Lommatzsch, Sebastian Rudolph, Patrycia Ziólkowska aus «Sonne, los jetzt!» am Schauspielhaus Zürich © Philip Frowein<br />
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CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong>
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20 KULTUR 21<br />
REGENBOGENFAMILIE IM HECHTPLATZ<br />
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LGBTIQ-Sportevent in Bern<br />
26 – 29 Juli <strong>2023</strong> • Jetzt anmelden:<br />
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Vier werden ...<br />
Eltern<br />
Roman Riklin und Michael Elsener bringen mit ihrer Komödie aktuelle Themen<br />
auf die Bühne. Das tun sie bemerkenswert unaufgeregt. Dafür umso lustiger.<br />
chere Situationen hinein, bis selbst das Publikum<br />
ins Schwitzen gerät. «Vier werden Eltern»<br />
ist ein turbulentes Schauspiel voller überraschender<br />
Wendungen, das Mut macht, das<br />
Setting Familie neu zu denken.<br />
Ein Theaterstück, welches definitv<br />
schon längt fällig ist und unbedingt gesehen<br />
werden muss!<br />
Vier werden Eltern<br />
Eine Komödie über Kinderwunsch und<br />
Regen bogenfamilie von Roman Riklin und<br />
Michael Elsener als Koproduktion des Theaters<br />
am Hechtplatz mit Just4Fun Entertainment<br />
und den Kammerspielen Seeb.<br />
Badminton Basketball Bowling Chess Dance sport<br />
Dodgeball<br />
(Trampoline)<br />
Field Hockey<br />
Turbulentes Leben – wir kommen! Wird es eine aussergewöhnliche Lebensgemeinschaft werden oder<br />
endet es pragmatisch be<strong>im</strong> Akt der Kind-Zeugung? Und was ist überhaupt das Konstrukt «Familie»?<br />
Mit: Florian Butsch, Michèle Hirsig, Sebastian<br />
Krähenbühl, Dominik Widmer und Reto Mos<strong>im</strong>ann<br />
(spielt nur in Seeb)<br />
Regie: Alexander Stutz<br />
Bühnenbild und Kostüme: Carmen Weirich<br />
17. Januar bis 26. Februar <strong>2023</strong><br />
<strong>im</strong> Theater am Hechtplatz Zürich<br />
1. März bis 7. Mai <strong>2023</strong><br />
in den Kammerspielen Seeb<br />
Alle weiteren Infos auf www.hechtplatz.ch<br />
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Hyrox<br />
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Pride Run<br />
5K & 10K<br />
VON HAYMO EMPL<br />
Quidditch Roller Derby Rugby Rugby Touch Squash<br />
Street Workout<br />
Tennis T<strong>im</strong>ed Hiking Track & Field Volleyball Water Polo Wrestling<br />
Sw<strong>im</strong>ming<br />
Bilder © Tabea Hüberli<br />
Binja und Samy haben jahrelang probiert,<br />
Eltern zu werden. Trotz Versuchen<br />
mit künstlicher Befruchtung,<br />
ist es aufgrund Samys Fruchtbarkeitsstörung<br />
nicht geglückt. Ihre Freunde, Nico und<br />
Janosh, wollten ihrerseits ein Kind adoptieren.<br />
Doch die Behörden lehnten ihre Bewerbung<br />
ab. Be<strong>im</strong> gemeinsamen Abendessen<br />
der Paare entsteht die Idee, zusammen eine<br />
Familie zu gründen. Mittels Samenspende<br />
von einem der schwulen Männer soll der gemeinsame<br />
Kinderwunsch erfüllt werden<br />
und eine Regenbogenfamilie entstehen.<br />
Bald stellen sich den angehenden Eltern<br />
aufwühlende Fragen, auf die es keine einfachen<br />
Antworten gibt. Da Binja aufgrund ihrer<br />
traumatischen Erfahrung mit Hormon-Therapien<br />
und Inseminationen auf natürlicher Befruchtung<br />
besteht, landen die Vier bald zum<br />
Zeugungsversuch auf dem Bettsofa ... Co-Elternschaft,<br />
Leihmutter schaft und künst liche<br />
Befruchtung: Roman Riklin und Michael Elsener<br />
bringen mit ihrer Komödie aktuelle und<br />
kontrovers diskutierte Themen auf die Bühne.<br />
Mit hinter listiger Leichtigkeit reiten die Autoren<br />
ihre Figuren tabulos in <strong>im</strong>mer unmögli-<br />
Das Autorenduo Martin Elsener (l.) und Roman<br />
Ricklin (r.) ist eine feste Grösse in der helvetischen<br />
Theater-& Comedyszene. Michael Elsener tourt<br />
seit 2008 als Comedian durch die Schweiz,<br />
Deutschland und New York City. Roman Riklin<br />
feierte seinen bisher grössten Erfolg mit dem<br />
Musical «Ewigi Liebi» (Prix Walo), bei dem er als<br />
Autor und Arrangeur verantwortlich zeichnete.<br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong><br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong>
22 GESELLSCHAFT<br />
GESELLSCHAFT sliPPery 523<br />
HIV AM ARBEITSPLATZ<br />
HIV AM ARBEITSPLATZ SubjeCtS<br />
Im Kampf<br />
gegen Diskr<strong>im</strong>inierung<br />
In der Schweiz leben 20 000 Menschen mit HIV oder Aids.<br />
Die Aids-Hilfe Schweiz hat eine eigens dafür eingerichtete Fachstelle.<br />
INTERVIEW: HAYMO EMPL<br />
Wozu braucht es eure Fachstelle?<br />
Trotz der medizinischen Fortschritte<br />
zieht eine HIV-Diagnose<br />
auch heute noch eine deutliche Schlechterstellung<br />
in zahlreichen Bereichen des<br />
alltäglichen Lebens nach sich. Benachteiligungen<br />
<strong>im</strong> Arbeitsumfeld, <strong>im</strong> Gesundheitswesen,<br />
gegenüber Sozial- und Privatversicherungen,<br />
aber auch Daten schutz -<br />
verletzungen kommen häufig vor. Die<br />
Rechtsberatung der Aids-Hilfe Schweiz setzt<br />
sich dafür ein, dass Menschen mit HIV zu<br />
ihrem Recht kommen und unterstützt sie<br />
<strong>im</strong> Kampf gegen Diskr<strong>im</strong>inierungen.<br />
Existiert denn <strong>im</strong>mer noch eine «Diskr<strong>im</strong>inierung»<br />
am Arbeitsplatz?<br />
Leider kommen solche Diskr<strong>im</strong>inierungen<br />
<strong>im</strong>mer wieder vor. Knapp 10% der uns <strong>2022</strong><br />
gemeldeten Diskr<strong>im</strong>inierungen betrafen<br />
das Arbeitsumfeld. Und 20% der Anfragen<br />
an die Rechtsberatung <strong>im</strong> Jahr <strong>2022</strong> bezogen<br />
sich aufs Arbeitsrecht.<br />
Kannst du ein Beispiel nennen?<br />
Ein Mann eröffnete seiner Vorgesetzten <strong>im</strong><br />
Vertrauen, dass er HIV-positiv ist. Ohne<br />
seine Einwilligung informierte diese in der<br />
Folge die ganze Belegschaft darüber aus<br />
Angst, dass sich jemand anstecken könnte.<br />
Daraufhin wurde der Mann von gewissen<br />
Mitarbeitenden so gemobbt, dass er die<br />
Stelle kündigen musste.<br />
VoN MARTIN MüHLHEIM<br />
rungen. Weiter erfasste die Aids-Hilfe<br />
C<br />
Schweiz oming-out-Filme Diskr<strong>im</strong>inierungen gibt es <strong>im</strong> mittlerweile<br />
Arbeitsbereich<br />
(9), viele, bei und Einreise- entsprechend und Aufenthaltsrechten<br />
(4) lich und kommen <strong>im</strong> Strafrecht sie daher: (3). 20 leichtfüssig-<br />
Diskr<strong>im</strong>i-<br />
unterschied-<br />
komisch nierungen wie betrafen der weitere britische Bereiche, Klassiker z.B.<br />
Beautiful Bildung, Verwaltung, Thing (1996), Justiz, eher nachdenklich<br />
Wohnen, Familie<br />
das und brasilianische soziale Medien. Kleinod Seashore<br />
wie<br />
(2015), bisweilen auch zutiefst tragisch – so<br />
<strong>im</strong> Inwiefern israelischen unterscheiden Drama Du sich sollst die Anliegen nicht lieben /<br />
(2009), Probleme das in in der der Rechtsberatung ultraorthodoxen bei / zwischen Gemein-<br />
den in LGBT*-Menschen Jerusalem spielt. und der heterosexuellen<br />
Angesichts Bevölkerung? solcher Unterschiede erstaunt<br />
Unsere es Rechtsberatung umso mehr, bietet mit welcher Unterstützung Regelmässigkeit<br />
an bei Rechtsfragen uns Coming-out-Filme und Diskr<strong>im</strong>inierungen, Jungs oder<br />
Männer die in direktem zeigen, Zusammenhang die – alleine, zu zweit mit HIV oder stehen.<br />
In diesem – schw<strong>im</strong>men Bereich gehen. sind grundsätzlich<br />
Nun könnte<br />
in<br />
Gruppen<br />
man keine das Unterschiede natürlich zu als verzeichnen.<br />
Zufall oder Nebensächlichkeit<br />
abtun. Bei genauerem Nachdenken<br />
HIV und zeigt Aids sich sind allerdings, nicht mehr dass «sichtbar»,<br />
gleich<br />
mehrere eigentlich Gründe sollte daher für diese Krankheit erstaunliche <strong>im</strong> Alltag Häufigkeit<br />
und Berufsleben finden lassen. kaum mehr eine Rolle spielen.<br />
Gibt es Fälle und Situationen, in denen eine<br />
Nackte HIV-positive Haut Person ohne dennoch allzu viel eine Sex Angabe<br />
Eine diesbezüglich erste, nur machen scheinbar muss? oberflächliche Erklärung<br />
In der Schweiz ist, dass gibt (halb)entblösste es keine Pflicht, den Körper Arbeitgeber<br />
nicht über bloss die auf HIV-Infektion der Leinwand, zu sondern infor-<br />
sich<br />
auch mieren, auf Filmpostern auch nicht <strong>im</strong> und medizinischen DVD-Covern äus- Bereich,<br />
gut und machen. ein Arbeitgeber Schw<strong>im</strong>mszenen hat kein Recht, bieten<br />
serst<br />
ein nach perfektes HIV zu fragen. Alibi für Tut das er dies Zeigen trotzdem, von nackter<br />
man Haut: das Sex Recht, sells, die wie Frage es so falsch schön heisst. zu beant-<br />
hat<br />
worten. Warum Es gibt «Alibi»? aber <strong>im</strong>mer Weil wieder man – gerade Leute, die bei<br />
Filmen den Arbeitgeber mit jungen freiwillig Protagonisten über ihre – HIV-Infektion<br />
muss: informieren «Sex sells» möchten. mag zwar Diese zutreffen, reagie-<br />
aufpassen<br />
aber ren manchmal allzu explizite sehr gut, Sexszenen manchmal können kommt<br />
schnell es dann mal aber zu auch hohen zu Altersfreigaben Diskr<strong>im</strong>inierungen führen.<br />
oder Dies Datenschutzverletzungen. wiederum möchten Filmemacher<br />
In den Antragsformularen<br />
der Regel vermeiden: von Taggeld- Filme, die und erst Lebens-<br />
ab 18<br />
in<br />
versicherungen sowie von Pensionskassen<br />
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<strong>im</strong> überobligatorischen Bereich wird oft<br />
freigegeben nach HIV sind, und lassen anderen sich vorbestehenden<br />
nämlich weniger<br />
Krankheiten einfach gefragt. vermarkten. Da dies Auf Privatversicherungen<br />
Beispiel sind, werden haben Filme sie das mit Recht, Altersfreiga-<br />
solche<br />
Amazon.de<br />
zum<br />
be Fragen 18 nur zu an stellen nachweislich und als volljährige Antragsteller_in Personen<br />
hat man verkauft die Pflicht, – und die gerade Fragen für wahrheitsgemäss<br />
zu beantworten. die sich auch Meistens an ein junges verweigern Publi-<br />
Comingout-Filmekum<br />
dann richten, die Versicherungen ist dies kein die wünschenswerter<br />
oder bringen Effekt. einen Vorbehalt für HIV an.<br />
Aufnahme<br />
Besonders <strong>im</strong> Bereich der Taggeldversicherung,<br />
welche die Lohnfortzahlung <strong>im</strong><br />
Krankheitsfall gewährleistet, kann dies einschneidende<br />
Filme, die<br />
Konsequenzen<br />
ersT ab 18<br />
haben. Der medizinische<br />
Fortschritt wird von den Versicherungen<br />
noch viel<br />
FreiGeGeben sind,<br />
zu wenig<br />
lassen<br />
berücksichtigt.<br />
sicH nämlicH WeniGer<br />
einFacH VermarKTen.<br />
«Die Rechtsberatung der<br />
Aids-Hilfe Schweiz setzt sich<br />
«In der Schweiz gibt es keine<br />
Schw<strong>im</strong>mszenen bieten hier eine perfekte<br />
dafür Kompromisslösung: ein, dass Menschen Man kann mit nackte<br />
Haut HIV zu filmisch ihrem ansprechend Recht kommen inszenieren, dabei<br />
aber allzu heisse Techtelmechtel tugendhaft<br />
vermeiden (beispielsweise, indem der<br />
und unterstützt sie <strong>im</strong> Kampf<br />
Wasserspiegel gegen Diskr<strong>im</strong>inierungen.»<br />
<strong>im</strong>mer über der Gürtellinie<br />
bleibt, wie <strong>im</strong> niederländischen Film Jongens,<br />
2014). Um das Rezept knapp zusammenzufassen:<br />
Man nehme eine grosszügige<br />
Portion Wie ist das feuchter konkrete Erotik, Vorgehen, eine vorsichtige wenn jemand Prise<br />
eure Sex Fachstelle – und um kontaktiert? H<strong>im</strong>mels Willen Was passiert kein Körnchen<br />
nach Porno. der ersten Kontaktaufnahme?<br />
Die Kontaktaufnahme erfolgt telefonisch<br />
Eingetaucht oder schriftlich. ins Persönliche Triebleben Beratungen<br />
Man bieten täte wir den keine lesBischwulen an, da wir national FilmemacherInnen<br />
sind. Je aber nach unrecht, Anfrage wenn können man wir ihre diese erzäh-<br />
di-<br />
tätig<br />
lerischen rekt telefonisch Entscheidungen oder per Mail allein beantworten. auf finan-<br />
In den meisten Fällen handelt es sich aber<br />
zielles Kalkül reduzieren wollte. Es gibt<br />
nämlich Pflicht, auch den ästhetisch-symbolische Arbeitgeber über Gründe,<br />
die die HIV-Infektion Schw<strong>im</strong>mszenen zu für informieren,<br />
das Genre interessant<br />
machen.<br />
auch nicht <strong>im</strong> medizinischen<br />
Da wäre zunächst die Funktion des<br />
Wassers Bereich, als und Symbol ein für Arbeitgeber das Unbewusste. hat<br />
Dieses kein Recht, Unbewusste, nach so weiss HIV man zu fragen.» spätestens<br />
seit Sigmund Freud, hat viel mit der Triebnatur<br />
des Menschen zu tun – und so erstaunt es<br />
nicht, dass Hauptfiguren auf der Suche nach<br />
ihrer sexuellen Identität sozusagen symbolisch<br />
um umfangreichere in die Tiefen des Beratungen, Unbewussten bei eintauchen<br />
beispielsweise müssen, um eine ihr Kontaktaufnahme gleichgeschlechtliches mit<br />
denen<br />
Begehren dem Arbeitgeber, zu entdecken. der IV-Stelle, der Krankenkasse,<br />
des Gerichts oder einer anderen<br />
Figuren Institution in oder Schwebe<br />
Person notwendig ist. Um<br />
Darüber dies tun zu hinaus können, hat die benötigen Filmwissenschaftlerin<br />
Klient_innen Franziska Heller eine Vollmacht. in ihrem Buch Im über Bereich die<br />
wir von den<br />
Filmästhetik des Sozialversicherungsrechts des Fluiden (2010) gezeigt, bieten dass wir<br />
schw<strong>im</strong>mende auch Rechtsvertretungen Figuren <strong>im</strong>mer an (Einsprachen, wieder als<br />
«schwebende Einwände und Körper» Beschwerden). inszeniert werden: Dies sind oft<br />
in umfangreiche Zeitlupe und Beratungen, seltsam herausgelöst die sich über aus<br />
dem Jahre sonst hinziehen zielstrebig und sehr voranschreitenden<br />
viele Stunden in<br />
Erzählprozess. Anspruch nehmen Dieser können. Schwebezustand wiederum<br />
ist eine wunderbare visuelle Metapher<br />
für die Phase kurz vor dem Coming-out:<br />
Man ist nicht mehr der oder die Alte, aber<br />
auch noch nicht ganz in der neuen Identität<br />
angekommen. Menschen mit HIV Ein / Aids Film und macht ihre das Angehörigen, Schweben<br />
sogar Beratende, explizit Arbeitgebende, zum Thema: Ärzte, In Kinder Ärztinnen Gottes und<br />
aus andere dem Interessierte Jahr 2010 können zeigt Romeo sich mit dem Rechtsfragen,<br />
die in einem direkten Johnny, Zusammenhang<br />
wie befreiend<br />
neurotisch-verklemmten<br />
das mit HIV «Floating» / Aids stehen, <strong>im</strong> Meer telefonisch sein kann. oder schriftlich<br />
an den Neben Beratungsdienst der Inszenierung der Aids-Hilfe von Schwebezuständen<br />
wenden. Die und Rechtsberatung dem Wasser ist als kostenlos Symbol und für<br />
Schweiz<br />
das erfolgt Unbewusste absolut diskret. ist drittens E-Mail: das recht@aids.ch Motiv von ➔<br />
www.aids.ch<br />
«Was geht mich meine Gesundheit an!»<br />
Wilhelm Nietzsche<br />
Wir sind die erste Adresse für diskrete Beratung in allen Gesundheitsfragen.<br />
Dr. iur. Caroline Suter vom Rechtsdienst der Aids-Hilfe Schweiz stellt fest, dass es nach wie vor zu<br />
Diskr<strong>im</strong>inierung aufgrund der Diagnose HIV/AIDS kommt. Sie und ihr Team beantworten kostenlos Fragen<br />
rund um HIV und Recht. Foto: Mary Manser<br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong><br />
Wie viele Fälle werden von eurer Fachstelle<br />
konkret bearbeitet?<br />
Pro Jahr gelangen 300 bis 400 Personen mit<br />
rechtlichen Fragen rund um HIV an die<br />
Rechtsberatung. Diskr<strong>im</strong>inierungen werden<br />
uns jedes Jahr rund 100 gemeldet. <strong>2022</strong><br />
betrafen 30 Diskr<strong>im</strong>inierungen das Gesundheitswesen,<br />
27 Fälle die Privatversicherungen<br />
und 13 Fälle die Sozialversiche-<br />
Bild © Mary Manser<br />
Ihr Gesundheits-Coach.<br />
Stampfenbachstr. 7, 8001 Zürich, Tel. 044 252 44 20, Fax 044 252 44 21<br />
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CRUISER JANUAR CRUISER / FEBRUAR SommER <strong>2023</strong> 2017
24 SPRACHE<br />
SPRACHE 25<br />
LEXIKON QUEERER BEGRIFFE<br />
LEXIKON QUEERER BEGRIFFE<br />
Trans, cis, binär: Was ist nun eigentlich<br />
was und wer?<br />
<strong>Cruiser</strong> präsentiert den ult<strong>im</strong>ativen, aber nicht abschliessenden Guide für<br />
spannende Begegnungen*** <strong>im</strong> LGBT*-Sternchendschungel.<br />
Und dann?<br />
Es ist ganz unterschiedlich, was t rans Menschen<br />
mit ihrer Situation anfangen. Manche<br />
outen sich, manche leben <strong>im</strong>mer oder nur in<br />
best<strong>im</strong>mten Lebensbereichen <strong>im</strong> passenden<br />
Geschlecht, einige ergreifen medizinische<br />
Massnahmen, um ihr Äusseres ihrem<br />
Geschlecht anzugleichen. Einigen sieht<br />
man das trans-Sein an, anderen nicht. Einige<br />
ändern ihre Papiere, andere nicht. Häufig<br />
haben trans Menschen mehr Probleme mit<br />
der Gesellschaft als mit sich selbst. Es wird<br />
aber besser.<br />
Und was sind cis Menschen?<br />
Menschen, deren Geschlechtsidentität mit<br />
der Zuweisung bei der Geburt übereinst<strong>im</strong>mt.<br />
Vermutlich die meisten Menschen.<br />
es auf Deutsch kein geschlechtsneutrales<br />
Pronomen in der dritten Person («es»<br />
kommt für die meisten nicht in Frage). Manchen<br />
ist das Pronomen egal, manche wechseln<br />
auch. Wenn Sie ein falsches Pronomen<br />
verwenden, werden Sie sicher informiert,<br />
was die Person passend findet.<br />
Und falls ich mich verspreche?<br />
Kann passieren. Kurz entschuldigen und<br />
weiter <strong>im</strong> Thema.<br />
Häufig haben trans Menschen<br />
mehr Probleme mit der Gesellschaft<br />
als mit sich selbst.<br />
Wie kann ich trans Menschen unterstützen?<br />
Wenn sich andere versprechen, korrigieren.<br />
(Für Sie ist das einfacher als für die trans<br />
Person.) Anreden, Formulare und WCs haben,<br />
die auch auf nicht binäre Menschen<br />
passen.<br />
Noch etwas?<br />
Ja. Trans Menschen sind keine wandelnden<br />
Geschlechterklischees. Manche trans Frauen<br />
haben den Flugschein und würden sich niemals<br />
schminken. Und manche trans Männer<br />
bringen Kinder auf die Welt und finden<br />
rosa toll.<br />
Echt?<br />
Ja.<br />
Sag ich «Herr» oder «Frau»?<br />
Entsprechend der Geschlechtsidentität.<br />
Wenn Sie die nicht wissen, können Sie die<br />
gegenderte Anrede erst einmal weglassen<br />
(«Grüezi» resp. «Hallo»). (Falls Sie mit der<br />
Person länger zu tun haben werden, fragen<br />
Sie diskret nach: «Spreche ich Sie mit ‹Herr›<br />
an?» oder «Ist ‹sie› das richtige Pronomen?»)<br />
Und was ist mit den nicht binären Personen?<br />
Trans Personen, die weder ausschliesslich<br />
männlich noch ausschliesslich weiblich<br />
sind, sagen meist be<strong>im</strong> Vorstellen, wie sie<br />
angesprochen werden möchten. Übliche<br />
Varianten sind «Miko Müller» statt «Frau<br />
Müller» oder «Miko» statt «er» oder «sie».<br />
Viele nicht binäre Personen wählen einen<br />
geschlechtsneu tralen Vornamen. Leider gibt<br />
Warum ist die Anrede so wichtig?<br />
Jeder Mensch – ganz egal wer – ist genervt,<br />
wenn er falsch angesprochen wird. Für<br />
trans Menschen ist Angesprochenwerden<br />
<strong>im</strong> «falschen» Geschlecht besonders frustrierend.<br />
Die korrekte Anrede ist ausserdem<br />
der einfachste Weg, trans Menschen zu zeigen,<br />
dass Sie sie akzeptieren.<br />
Was ist noch wichtig?<br />
Keine Fragen unter der Gürtellinie, wenn<br />
Sie nicht Urologin sind oder sonst einen<br />
dringenden Grund haben. Und was kaum<br />
jemand weiss: Wenn Sie den alten Namen<br />
einer trans Person kennen, behalten Sie ihn<br />
für sich. Wir sind sehr dankbar.<br />
* Damit dieses Sternchen – welches in vielen<br />
<strong>Cruiser</strong>texten verwendet wird – nochmals<br />
erklärt sei: * steht für alle gendermöglichen<br />
Varianten, die nicht mit den Buchstaben LGBT<br />
abgedeckt sind.<br />
** Hannes Rudolph ist nicht nur Geschäftsführer<br />
der HAZ, sondern auch Gründungsmitglied von<br />
Transgender Network Switzerland (www.tgns.ch).<br />
Als Psychologe leitete er zehn Jahre lang die<br />
Fachstelle für trans Menschen <strong>im</strong> Checkpoint,<br />
die trans Menschen, deren Angehörige und andere<br />
Interessierte in trans-Fragen berät.<br />
*** Wie spannend diese Begegnungen letztendlich<br />
werden, hängt von euch ab, liebe<br />
Leser*innen.<br />
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Wer sich in der queeren Community bewegt, kann sich leicht <strong>im</strong> Sprachendschungel unbekannter Begriffe verlaufen.<br />
VON HANNES RUDOLPH**<br />
Deine fabelhafte<br />
Was soll ich machen, wenn mir ein<br />
trans Mensch begegnet? Keine Panik.<br />
Vermutlich sind Ihnen schon<br />
viele begegnet, ohne dass Sie es bemerkt haben.<br />
Vielen trans Menschen sieht man nicht<br />
an, dass sie trans sind.<br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong><br />
Was ist trans überhaupt?<br />
Trans Menschen haben eine Geschlechtsidentität<br />
(innere Gewissheit über das eigene<br />
Geschlecht), die nicht mit der Zuweisung<br />
bei der Geburt übereinst<strong>im</strong>mt. Trans Männer<br />
sind Männer, die bei ihrer Geburt aufgrund<br />
des Körpers als Mädchen eingeordnet<br />
wurden. Trans Frauen sind Frauen, die<br />
als Jungen einsortiert wurden. Und nicht<br />
binäre trans Menschen sind weder Männer<br />
noch Frauen, egal wie sie bei der Geburt<br />
einsortiert wurden.<br />
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CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong>
26 KULTUR<br />
KULTUR 27<br />
SCHAUSPIELHAUS ZÜRICH<br />
SCHAUSPIELHAUS ZÜRICH<br />
Das alles ist<br />
mein Werk<br />
Nicolas Stemann holt in seiner Uraufführung Jelineks Monolog der Sonne<br />
schmerzhaft auf die Erde.<br />
«Das ist alles mein Werk», kommentiert die Sonne (Karin Pfammatter).<br />
Bilder © Philip Frowein<br />
VON VALERIA HEINTGES<br />
Daniel Lommatzsch, Lena Schwarz, Patrycia Ziólkowska, Alicia Aumüller, Sebastian Rudolph: Sie teilen<br />
sich den Jelinek-Text untereinander auf und machen das grossartig.<br />
A<br />
uf der Weltnaturkonferenz <strong>im</strong> kanadischen<br />
Montreal diskutierten letztens<br />
fast 200 Staaten, ob sie den<br />
Artenschwund stoppen wollen. 30 Prozent<br />
der Land- und Meeresflächen könnten unter<br />
Schutz gestellt werden, aber wie stark<br />
der ausfallen soll, darüber wird gestritten.<br />
Die Berichterstattung darüber ist einhellig:<br />
Während sich Länder wie die Schweiz oder<br />
Deutschland als Kl<strong>im</strong>aretter aufspielen,<br />
macht ein genauerer Blick klar, dass sie ihre<br />
Hausaufgaben nicht einmal <strong>im</strong> eigenen<br />
Land erfüllen. «Be<strong>im</strong> Schutz der Arten vielfalt<br />
hinkt die Schweiz hinterher», titelte etwa<br />
die NZZ in einer ihrer Dezember-Ausgaben.<br />
Und zwar einen Tag vor der Premiere<br />
von «Sonne, los jetzt!» am Schauspielhaus<br />
Zürich. Nicolas Stemann, Regisseur des<br />
Abends und Co-Intendant des Hauses, liest<br />
Elfriede Jelineks Werk <strong>im</strong> Pfauen als unausweichliches<br />
Untergangsszenario. «This is<br />
how the world ends», rezitiert eine St<strong>im</strong>me<br />
das Poem «Hollow Men» von T.S. Eliot, «not<br />
in a bang, but in a wh<strong>im</strong>per». Die Welt ende<br />
nicht mit einem Knall, sondern mit einem<br />
Winseln.<br />
Dann ist minutenlang nur die St<strong>im</strong>me<br />
von Karin Pfammatter zu hören, sie selbst<br />
kaum <strong>im</strong> Hintergrund zu sehen, wie sie den<br />
Monolog, den Jelinek der Sonne in den<br />
Mund legt, ins Mikrofon spricht, ruhig,<br />
konzentriert, erhellend. Es ist ein typischer<br />
Jelinek-Text, lange, mäandernde Sätze, die<br />
be<strong>im</strong> Vorlesen widerwillig ihren Sinn freigeben.<br />
Aber es sind weniger Kalauer darin, weniger<br />
Wortspiele, mehr Trauer. «Sonne, los<br />
jetzt» und das mit ihm zusammen veröffentlichte<br />
«Luft», aus dem Stemann Passagen<br />
entn<strong>im</strong>mt, drehen sich, grob vereinfacht,<br />
um den Widerspruch zwischen Fruchtbarkeit<br />
und Furchtbarkeit, den die Sonne verkörpert,<br />
zwischen Helligkeit und Verbrennen,<br />
zwischen Tag und Nacht, zwischen<br />
Endlichkeit und Unendlichkeit des Lebens,<br />
der Erde.<br />
Langsam schälen sich Silhouetten aus<br />
dem Dunkel, schwarze Gestalten, selbst ihr<br />
Gesicht verdeckt eine Maske. Zur Unkenntlichkeit<br />
von der Sonne verbrannt. «Es ist zu<br />
spät», konstatieren sie. Sie haben versagt;<br />
das haut ihnen auch Greta Thunberg mit<br />
ihrer Rede auf der Uno-Kl<strong>im</strong>akonferenz um<br />
die Ohren. «How dare you?», wie konntet ihr<br />
es wagen, nichts zu ändern?<br />
Moment mal, mag sich manche*r da<br />
gedacht haben, ist das hier nicht eine Stemannsche<br />
Jelinek-Uraufführung? Hat dieser<br />
Regisseur bisher nicht schon neun Mal<br />
aus den beinahe brutal wirkenden Textflächen<br />
überraschend komische, fast klamaukige<br />
Inszenierungen kristallisiert? Da kommen<br />
unter den düsteren Kostümen – ein<br />
Reissverschluss kehrt innen nach aussen –<br />
helle, funkelnde Röcke zum Vorschein<br />
(Kostüme Katrin Wolfermann). Ab sofort<br />
teilen die sechs grossartigen Darsteller den<br />
Text untereinander auf. Gespielt wird unter<br />
einer riesigen, <strong>im</strong> Laufe des Abends <strong>im</strong>mer<br />
stärker lädierten Sonne, die deshalb schon<br />
bald zum Schadensfall erklärt und mit gelbschwarzem<br />
Plastikband grosszügig abgesperrt<br />
wird (Bühne Katrin Nottrodt).<br />
Gespielt wird unter einer<br />
riesigen, <strong>im</strong> Laufe des Abends<br />
<strong>im</strong>mer stärker lädierten Sonne,<br />
die deshalb schon bald zum<br />
Schadensfall erklärt wird.<br />
Die Sonne als Zerstörerin<br />
Auf dieser Baustelle spielt sich das Elend<br />
der untätigen Menschheit ab: Eine Dame<br />
frönt dem Sonnenbad und ertrinkt in den<br />
Wellen. Ein Gletscher, stolz gekrönt mit<br />
Schweizer Fahne, schmilzt in sich zusammen.<br />
Drei Damen wünschen sich Fernreisen<br />
«an die Sonne» und zerreissen sich die<br />
Mäuler über die Bademode der anderen.<br />
Dazu kommentiert die Sonne: «Das alles ist<br />
mein Werk.» Karin Pfammatter, mit Freiheitsstatuen-ähnlichem<br />
Strahlenkranz auf<br />
dem Kopf, nippt an der Kaffeetasse und<br />
raucht schmauchend ihre E-Zigarette.<br />
Ja, jetzt wagt der Abend den Tanz zwischen<br />
höchstem Ernst und Dinner-for-one-<br />
Stolperwitzen, Improvisationen mit dem<br />
singenden Publikum inklusive. Doch fordert<br />
solche Abstürze und Aufstiege auch der<br />
Jelineksche Text, der sich in Wittgensteinsche<br />
Höhen und kalauernde Niederungen<br />
wagt, aber vor allem verzweifelt und vergeblich<br />
versucht, die Menschen aus der Lethargie<br />
zu wecken. Und so kommt es, wie es<br />
kommen muss: Die Tiere sterben aus. Der<br />
Königspinguin 2020, der Feldhamster und<br />
der Rotfuchs <strong>2022</strong>. Die Liste geht weiter,<br />
unaufhaltsam. Der Berggorilla 2024, der<br />
Eisbär 2025. Homo Sapiens 2058. Das Ende?<br />
Nein. Der Rauhaardackel 2059, das Hausschwein<br />
2060. Das Ende? Nein. Denn 2070<br />
kommt der Orang-Utan, 2075 der Königspinguin<br />
wieder. Der Mensch hat die Erde<br />
ausgemessen, kartografiert und sich verabschiedet.<br />
Das letzte Wort hat nicht er, sondern<br />
eine Computerst<strong>im</strong>me, die Jelinek-<br />
Texte vorliest. Sie gibt sich redlich Mühe.<br />
Allein: Verständlich ist sie nicht.<br />
Es muss nicht so kommen. Aber es ist<br />
möglich. Stemann und sein Team zeigen<br />
eine Arbeit, die zuweilen Werkstattcharakter<br />
hat. Man könnte ihr Zerfaserung vorwerfen,<br />
würde nicht mit äusserst theaterspe -<br />
zi fischen Mitteln durchgehend die düstere<br />
Zukunft der Erde erzählt, die Jelinek aus der<br />
distanzierten Sicht der Sonne erzählt und<br />
die Stemann schmerzhaft nahe zu uns heranholt.<br />
Diverse Vorstellungen <strong>im</strong> Januar und Februar.<br />
Tickets unter schauspielhaus.ch.<br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong><br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong>
28 SERIE<br />
SERIE 29<br />
HOMOSEXUALITÄT IN GESCHICHTE UND LITERATUR<br />
HOMOSEXUALITÄT IN GESCHICHTE UND LITERATUR<br />
Schwule Elitetruppen demütigen<br />
die Supermacht Sparta<br />
eine militärische Sondereinheit der Thebaner.<br />
Diese Truppe ist kein Phantasieprodukt<br />
von Adamson. Es hat sie in der Antike tatsächlich<br />
gegeben.<br />
Eliteeinheiten in Armeen: Es gibt sie heute, es gab sie früher. Im Altertum hatte<br />
auch das griechische Theben eine ganz besondere Sondertruppe.<br />
Da die Kämpfer <strong>im</strong> Altertum häufig nur gering bekleidet daherkamen, lassen ihre Geschichten viel Platz für<br />
(erotische) Fantasien.<br />
VON ALAIN SOREL<br />
Hyppolitos versorgt eine Wunde von<br />
Andromachos, die sich dieser be<strong>im</strong><br />
Kampftraining zugezogen hat. Er<br />
desinfiziert sie, indem er ein mit einem Brei<br />
aus Honig und Schafgarbe bestrichenes<br />
Rindenstück auf die verletzte Stelle am<br />
Oberschenkel von Andromachos heftet.<br />
Keine Spritze, kein Antibiotikum in Tablettenform,<br />
denn wir sind in der Welt des Altertums.<br />
Die Natur muss heilen.<br />
Die beiden jungen Männer sind Soldaten,<br />
die für Theben kämpfen – die wichtigste<br />
Stadt der mittelgriechischen Landschaft<br />
Böotien. Andromachos soll möglichst<br />
schnell wieder gesund werden, denn die<br />
Zeichen stehen in diesem Schicksalsjahr<br />
371 v. Chr. auf Krieg. Auf Krieg mit dem<br />
mächtigen Sparta, das unter den griechischen<br />
Stadtstaaten eine Vormachtstellung<br />
einn<strong>im</strong>mt. Aber Hyppolitos sähe den Freund<br />
auch aus andern Gründen lieber heute als<br />
morgen wieder in Topform. Andromachos<br />
und er lieben sich, und jede Beeinträchtigung<br />
des einen erfüllt den andern mit Sorge.<br />
Sex muss warten<br />
Andromachos ist aber nicht so schwer verletzt,<br />
als dass ihn die helfenden Hände seines<br />
Geliebten am Oberschenkel nicht beinahe<br />
um den Verstand gebracht hätten. Er<br />
bedeutet Hyppolitos unmissverständlich,<br />
dass er sich zu ihm legen solle. Aber Hyppolitos<br />
bleibt für einmal kühl und denkt für<br />
beide. Es ist jetzt keine Zeit für Sex. Ihr Befehlshaber<br />
Epaminondas erwartet sie. Die<br />
Elitetruppe, in der Hyppolitos und Andromachos<br />
dienen, muss sich auf den Einsatz<br />
gegen Sparta vorbereiten.<br />
Die zwei sind die fiktiven Hauptfiguren<br />
<strong>im</strong> hochspannenden Roman «Geliebter<br />
Söldner» von Phil Adamson, in dessen Buch<br />
die «Heilige Schar» <strong>im</strong> Blickpunkt steht:<br />
Bild rechts © U.S. Department of Defense<br />
Es musste einer schwul sein,<br />
um aufgenommen zu werden.<br />
Nur für Gays<br />
Bei der «Heiligen Schar» war eine gleichgeschlechtliche<br />
Veranlagung Bedingung,<br />
um aufgenommen zu werden. Erwünscht<br />
waren Männer-Paare, zwischen denen es<br />
glühte vor Leidenschaft. Männer-Paare wie<br />
Hyppolitos und Andromachos.<br />
Führende Offiziere Thebens hatten die<br />
Einheit geschaffen, und die Absicht dahinter<br />
funktionierte. Die schwulen 150 Soldatenpaare<br />
taten alles füreinander, sie beschützten<br />
sich in der Schlacht gegenseitig<br />
und wollten unbedingt über den Feind triumphieren,<br />
weil jeder auch persönlich etwas<br />
zu verlieren hatte – den Geliebten. Weil<br />
sie hochmotiviert waren, profitierte davon<br />
die ganze Armee und letztlich die He<strong>im</strong>at.<br />
Die Mitglieder dieser verschworenen Einheit<br />
standen <strong>im</strong> Kampf Seite an Seite, Rücken<br />
an Rücken, beherrschten Schwert und<br />
Speer. Im Unterschied zur regulären Armee<br />
waren sie Berufssoldaten.<br />
Schwur auf schwulen Halbgott<br />
Nicht von ungefähr hatten sich Thebens Offiziere,<br />
darunter neben dem Befehlshaber<br />
Epaminondas auch der Feldherr Pelopidas,<br />
bei der Gründung der Truppe einen Helden<br />
aus der griechischen Mythologie zum Vorbild<br />
genommen: Herakles, der Sage nach ein<br />
Sohn der Stadt. Der Halbgott, Sohn des Göttervaters<br />
Zeus, hatte einen jungen Neffen,<br />
Iolaos, mit dem er eine Liebesbeziehung unterhielt.<br />
In zahlreichen Schlachten waren sie<br />
ein unschlagbares Gespann, fein aufeinander<br />
abgest<strong>im</strong>mt, deckte doch Iolaos als Wagenlenker<br />
den Herakles. Es verwundert deshalb<br />
nicht, dass Herakles Schutzpatron der<br />
um das Jahr 378 v. Chr. gegründeten Truppe<br />
wurde und die Männer auf ihn einen heiligen<br />
Schwur leisteten.<br />
Der Konflikt zwischen Sparta und<br />
Theben schwelte jahrelang. Sparta versuchte<br />
die ganze Zeit über, Theben kleinzuhalten;<br />
dieses wollte Böotien unter seiner<br />
Führung einigen. Es kam zu ersten<br />
Scharmützeln. Mit der «Heiligen Schar»<br />
fühlte sich Theben nach und nach <strong>im</strong>stande,<br />
auf dem Schlachtfeld die endgültige<br />
Entscheidung herbeizuführen.<br />
Heute treffen Kampftruppen einen ganz anderen Geschmack: Eingepackt bis zur Unkenntlichkeit sprechen<br />
vor allem ihre Waffen für sich.<br />
Die schwulen 150 Soldatenpaare<br />
beschützten sich gegenseitig.<br />
Sieg in der Schlacht, Gefahr für<br />
die Liebe<br />
Am 5. August 371 v. Chr. prallen die beiden<br />
Heere bei Leuktra aufeinander. Sparta hat<br />
etwa 10 000 Mann aufgeboten, die böotische<br />
Seite rund 6000. Doch die geringere<br />
Anzahl wird durch die Strategie des Epaminondas<br />
wettgemacht, der das Überraschungsmoment<br />
der Schiefen Schlachtordnung<br />
einsetzt. Er macht mit seinen<br />
Sondereinheiten, darunter auch der «Heiligen<br />
Schar», nicht den rechten Frontabschnitt<br />
besonders stark, wie nach der klassischen<br />
Phalanx-Taktik üblich, sondern<br />
den linken. Damit bringt er Unruhe in die<br />
nach der traditionellen Methode aufgestellten<br />
Reihen der Spartaner. Diese wanken<br />
und lösen sich später auf. König Kleombrotos<br />
von Sparta fällt, und damit ist die Niederlage<br />
seines Stadtstaates besiegelt. Theben<br />
ist die neue Supermacht.<br />
Viele der Gay-Paare der «Heiligen<br />
Schar» kehrten aus Schlachten wie jener bei<br />
Leuktra nicht mehr zurück. Der Tod setzte<br />
mancher Liebe ein brutales Ende. Im Roman<br />
von Adamson ist es Hyppolitos, der<br />
nach dem Sieg über Sparta wie versteinert<br />
am Lager von Andromachos sitzt, dem einer<br />
der Feinde eine schwere Brustwunde zugefügt<br />
hat. Während er über ihn wacht, wird<br />
ihm einmal mehr bewusst, wieviel ihm der<br />
Freund bedeutet. Wenn es nur nicht zu spät<br />
ist für sie.<br />
HOMOSEXUALITÄT IN GESCHICHTE<br />
UND LITERATUR<br />
Mehr oder weniger versteckt findet sich das<br />
Thema Männerliebe in der Weltgeschichte, der<br />
Politik, in antiken Sagen und traditionellen Märchen<br />
– aber auch in Wissenschaft, Technik,<br />
Computerwelt. <strong>Cruiser</strong> greift einzelne Beispiele<br />
heraus, würzt sie mit etwas Fantasie, stellt sie<br />
in zeitgenössische Zusammenhänge und<br />
wünscht bei der Lektüre viel Spass – und hie<br />
und da auch neue oder zumindest aufgefrischte<br />
Erkenntnisse. In dieser Folge: Soldaten, auf die<br />
zuhause keine Frau wartet ...<br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong><br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong>
30 KULTUR<br />
31<br />
BUCHTIPP<br />
KAUFLEUTEN, DIENSTAG, 31. JANUAR 23, 20.00 UHR<br />
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Leben <strong>im</strong><br />
Irgendwie<br />
Dass einen Liebe sprichwörtlich blind macht, ist bekannt. Wie weit das aber gehen<br />
kann, zeigt Brüns in seinem autobiografisch geprägten Roman eindrücklich.<br />
VON BIRGIT KAWOHL<br />
Mitte der 1980er-Jahre in Westdeutschland.<br />
In der Uni-Stadt Göttingen<br />
treffen Freigeister, Punks,<br />
Hausbesetzer, Autonome und Studenten<br />
be<strong>im</strong> Diskutieren und Feiern in WGs, auf<br />
Anti-AKW-Demonstrationen und auf Partys<br />
aufeinander. Tom macht gerade seinen<br />
Zivildienst in einem Krankenhaus, wo er<br />
Felix, einen Medizinstudenten, kennenlernt.<br />
Obwohl Felix augenscheinlich mit einer<br />
Frau zusammen ist, werden die beiden<br />
schnell ein Paar. Tom findet es zwar anfangs<br />
irgendwie falsch, dass Felix seine Freundin<br />
betrügt, andererseits ist er so verliebt, dass<br />
er dafür alles in Kauf n<strong>im</strong>mt.<br />
Die Beziehung wird bald auf eine harte<br />
Belastungsprobe gestellt, denn Felix bekommt<br />
die Diagnose «positiv». Was das in<br />
den 80er-Jahren (noch) bedeutet, ist allen<br />
klar: Es ist quasi ein Todesurteil auf Raten.<br />
Felix will die Krankheit ignorieren, will sich<br />
nicht sein nun mehr kurzes Leben verderben<br />
lassen. Tom, der Ich-Erzähler, aus dessen<br />
Perspektive wir alles miterleben, hadert<br />
mit dieser Einstellung <strong>im</strong>mer wieder, will<br />
Felix zu Therapie-Versuchen überreden und<br />
fühlt sich andererseits auch übergriffig,<br />
wenn er solche Forderungen stellt.<br />
Als Leser*in bekommt man bald das<br />
Gefühl, dass Tom von Felix ausgenutzt wird,<br />
denn egal, um was es geht, <strong>im</strong>mer best<strong>im</strong>mt<br />
Felix die Richtung, in die es gehen soll. Tom<br />
wehrt sich kaum dagegen, denn er lebt <strong>im</strong><br />
Irgendwie. Irgendwie weiss er nicht, was er<br />
will, irgendwie sind ihm Sachen nicht so<br />
wichtig, irgendwie, will er mit Felix zusammen<br />
sein. Wenn es zum Streit kommt, kann<br />
Felix die Sache mit wenigen Worten in seinem<br />
Sinne geradebiegen, Tom scheint meist<br />
das Nachsehen zu haben. Dass er sich dagegen<br />
nicht wehrt, kann man kaum nachvollziehen,<br />
mehrfach möchte man ihn be<strong>im</strong> Lesen<br />
anschreien: «Jetzt mach’ doch mal was!<br />
Sag’ auch mal ‹nein›! Triff deine eigenen Entscheidungen!»<br />
Die Beziehung scheint in<br />
eine ganz ungute Richtung zu laufen.<br />
Als Tom dann einen Studienplatz in<br />
Berlin bekommt, gerät die Beziehung aus<br />
der Balance, aber in eine andere Richtung,<br />
als manche*r Leser*in sicherlich vermutet<br />
hat.<br />
Brüns gelingt es, dass man<br />
sich in die damalige Zeit des<br />
studentischen Protests und des<br />
Kampfes gegen Unterdrückung<br />
sowie in die Zeit des Schreckens<br />
von AIDS und des allseits<br />
zu beobachtenden Sterbens<br />
hineinversetzt fühlt.<br />
Felix Brüns hat mit «Felix» einen gut<br />
lesbaren, leichten Roman geschrieben, der<br />
aber niemals banal oder billig daherkommt.<br />
Ihm gelingt es vielmehr, dass man sich in<br />
die damalige Zeit des studentischen Protests<br />
und des Kampfes gegen Unterdrückung<br />
sowie in die Zeit des Schreckens von<br />
AIDS und des allseits zu beobachtenden<br />
Sterbens hineinversetzt fühlt. Dazu kommt<br />
eine wohl austarierte Portion Psychologie,<br />
die auch zum Nachdenken über eigene Beziehungsmuster<br />
und -strukturen anregt.<br />
Ein gelungener Roman für alle, deren<br />
Köpfe und Mägen noch von den Dezember-<br />
Feierlichkeiten gefüllt sind und die nun<br />
eine entspannte Lektüre für den Kopf benötigen.<br />
BUCHTIPP<br />
Felix Holger Brüns: Felix. Albino Verlag <strong>2022</strong>.<br />
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CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong><br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong>
32 SERIE<br />
SERIE 33<br />
IKONEN VON DAMALS<br />
IKONEN VON DAMALS<br />
Von der Demo direkt zum Dreh:<br />
Jane Fonda<br />
Eigentlich kann man sich die Filmwelt gar nicht mehr ohne sie vorstellen.<br />
Und dann ist sie auch noch Polit-Aktivistin. Chapeau, Jane Fonda!<br />
zu einem Filmposter für die Roadtrip-Komödie<br />
«80 for Brady», die diesen Februar in<br />
die Kinos kommen soll. Der Film mit dem<br />
grauhaarigen Damen-Quartett (<strong>im</strong> Alter<br />
von 76 bis 91 Jahren) ist von einer wahren<br />
Geschichte inspiriert. Vier beste Freundinnen<br />
reisten 2017 zum Super Bowl, um den<br />
Star-Quarterback Tom Brady zu erleben.<br />
Der American-Football-Superstar spielt in<br />
dem Streifen natürlich auch mit.<br />
Jane Fonda in ihren frühen Jahren: strahlendes Lächeln in Schwarz-Weiss. Noch ahnte niemand, was alles<br />
in ihr steckt.<br />
VON BARBARA MUNKER, DPA & HAYMO EMPL<br />
Jane Fonda hat unlängst ihren 85. Geburtstag<br />
vorgefeiert und dabei auf<br />
eine grosse Party mit Promi-Gästen<br />
verzichtet. Sie könne ihr Leben nicht verlängern,<br />
aber sie könne es «breiter und tiefer»<br />
machen, sagte Fonda vor ein paar Wochen<br />
der US-Zeitschrift «People». «Ich hoffe, ich<br />
kann jungen Menschen ein Beispiel sein, so<br />
dass sie keine Angst davor haben, älter zu<br />
werden.»<br />
Fonda, die sich neben der Schauspielerei<br />
seit den 60er-Jahren für Frieden, Feminismus<br />
und verstärkt für den Umweltschutz<br />
einsetzt, ist ganz die liberale Aktivistin geblieben.<br />
Mit knallrotem Mantel und rotem<br />
Hut trat sie Anfang Dezember bei einem<br />
«Fire Drill Fridays»-Protest in Washington<br />
kämpferisch vor die Menge. Seit 2019 ist<br />
Fonda bei den Demonstrationen gegen den<br />
Kl<strong>im</strong>awandel dabei, mehrmals schon wurde<br />
sie festgenommen.<br />
Die Chemo hilft<br />
Von ihrer Krebserkrankung wolle sie sich<br />
nicht bremsen lassen, hatte sie <strong>im</strong> September<br />
erklärt, als sie die Öffentlichkeit per Instagrambotschaft<br />
wissen liess, dass bei ihr<br />
ein sogenanntes Non-Hodgkin-Lymphom<br />
diagnostiziert worden war. Sie habe mit<br />
einer Chemotherapie begonnen und vertrage<br />
diese recht gut, schrieb die zweifache<br />
Oscar-Preisträgerin in dem sozialen Netzwerk.<br />
Erkrankung und Behandlung würden<br />
ihren Einsatz für den Kl<strong>im</strong>aschutz nicht<br />
bremsen, beteuerte sie. Dies sei ein sehr<br />
wichtiger Zeitpunkt in der Geschichte der<br />
Menschheit, um sich gemeinsam für Veränderungen<br />
und für die Zukunft einzusetzen.<br />
Auch vor der Kamera mischt Fonda<br />
mit 85 Jahren noch mit. «Was soll ich dazu<br />
sagen? Lily Tomlin, Rita Moreno, Sally Field<br />
und ich haben gerne ein bisschen Spass!»,<br />
schrieb sie Mitte Dezember auf Instagram<br />
Bilder © CreativeCommons<br />
Fonda, die sich neben der<br />
Schauspielerei seit den 60er-<br />
Jahren für Frieden, Feminismus<br />
und verstärkt für den Umweltschutz<br />
einsetzt, ist ganz die<br />
liberale Aktivistin geblieben.<br />
Wieder vereint<br />
Damit treffen die alten Freundinnen Fonda<br />
und Tomlin (83) wieder aufeinander, die seit<br />
2015 über sieben Staffeln hinweg die Netflix-Comedy-Serie<br />
«Grace und Frankie»<br />
drehten. Darin spielen sie langjährige Ehefrauen,<br />
deren Männer sich unerwartet als<br />
schwul outen. Notgedrungen ziehen die<br />
Managerin und die Kunstlehrerin zusammen<br />
und meistern mit vereinten Kräften<br />
das neue Leben.<br />
So kennen wir sie spätestens seit «Grace und<br />
Frankie», älter, aber <strong>im</strong>mer noch wahnsinnig<br />
ausdrucksstark.<br />
Das zweite Leben der Jane Fonda: Neben der Schauspielerei widmet sie viel Zeit politischen Aktivitäten<br />
und dem Kampf für Gleichberechtigung.<br />
Fonda hat eine bewegte Vergangenheit.<br />
Sie war zwölf Jahre alt, als ihre Mutter<br />
sich das Leben nahm. Sie wuchs bei der<br />
Grossmutter <strong>im</strong> US-Staat Connecticut auf.<br />
Als Tochter des Bühnen- und Filmstars<br />
Henry Fonda und Schwester von Peter<br />
Fonda lag ihr die Schauspielerei <strong>im</strong> Blut. An<br />
dem berühmten New Yorker Actors Studio<br />
lernte sie ihr Handwerk.<br />
New Yorker Theaterkritiker feierten sie<br />
1960 als «beste Nachwuchsschauspielerin».<br />
In der romantischen Komödie «Tall Story»<br />
(1960) stand sie mit Anthony Perkins erstmals<br />
vor der Filmkamera. Dem französischen<br />
Regisseur Roger Vad<strong>im</strong>, der zuvor<br />
Brigitte Bardot entdeckt hatte, folgte sie wenig<br />
später nach Paris. Er gab ihr mehrere<br />
Rollen und machte sie durch den erotischen<br />
Science-Fiction-Streifen «Barbarella» zum<br />
weltberühmten Sexsymbol.<br />
Zurück in Hollywood holte sich Fonda<br />
als Marathontänzerin in dem Drama «Nur<br />
Pferden gibt man den Gnadenschuss» ihre<br />
erste Oscar-Nominierung. Den begehrten<br />
Preis gewann sie zwe<strong>im</strong>al: 1971 für ihre<br />
Prostituiertenrolle in «Klute» und 1978 für<br />
das Vietnamkriegsdrama «Coming Home».<br />
Es folgten Filme wie «Das China-Syndrom»<br />
und das Familiendrama «Am Goldenen<br />
See» – der erste und einzige Film, in dem<br />
Fonda an der Seite ihres bereits todkranken<br />
Vaters auftrat.<br />
Be<strong>im</strong> Filmfest in Venedig 2017 wurden<br />
Fonda und Robert Redford mit dem Goldenen<br />
Löwen für ihr Lebenswerk gefeiert.<br />
Gleichzeitig stellten sie ihren neuen Liebesfilm<br />
«Unsere Seelen bei Nacht» vor, ihr vierter<br />
gemeinsamer Film nach «Ein Mann wird<br />
gejagt», «Barfuss <strong>im</strong> Park» und «Der elektrische<br />
Reiter».<br />
Aerobic! Aerobic!<br />
Mit Aerobic-Videos, später auch mit Stretching<br />
und Yoga, baute Fonda in den 1980er-<br />
Jahren ein Fitness-Imperium auf. Jahrzehnte<br />
später erhielt sie ein künstliches<br />
Kniegelenk und eine neue Hüfte. Im vorigen<br />
April sprach sie über das Älterwerden. «Ich<br />
bin mir sehr bewusst, dass ich dem Tod näher<br />
bin. Und das macht mir eigentlich nicht<br />
so viel aus», sagte sie in der Fernsehsendung<br />
«CBS Sunday Morning». «Die Tatsache ist,<br />
dass ich mit 85 noch lebe und arbeite. Wow!<br />
Wen kümmert es, wenn ich meine alten Gelenke<br />
nicht mehr habe? Und nicht mehr Skifahren,<br />
Radfahren oder joggen kann?» Man<br />
könne sich mit 60 richtig alt fühlen und mit<br />
85 richtig jung.<br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong><br />
CRUISER JANUAR / FEBRUAR <strong>2023</strong>
34 RATGEBER<br />
35<br />
DR. GAY<br />
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Ich bin 60 Jahre alt und gegen Hepatitis A und B ge<strong>im</strong>pft.<br />
Da ich regelmässig zu Sexarbeitern gehe, möchte ich<br />
wissen, ob eine HPV-Impfung in meinem Alter noch ein<br />
Thema ist? Hans-Jürg (60)<br />
Ich möchte mich auf verschiedene Geschlechtskrankheiten<br />
testen lassen. Ich habe keine Symptome, möchte<br />
aber wissen, ob ich mich angesteckt habe. Ich denke, die<br />
Inkubationszeiten sind unterschiedlich. Wie sind sie für<br />
Syphilis, Tripper, Chlamydien und Hepatitis C? Leo (24)<br />
Hallo Leo<br />
Die Inkubationszeiten verschiedener sexuell<br />
übertragbarer Infektionen (STI) sind<br />
tatsächlich unterschiedlich. Bei Syphilis<br />
beträgt die Inkubationszeit zirka 2–3 Wochen,<br />
kann aber in Ausnahmefällen auch<br />
bis zu drei Monate dauern. Bei Tripper sind<br />
es etwa 2–8 Tage (<strong>im</strong> Schnitt 3 Tage), bei<br />
Chlamydien 1–3 Wochen. Bei Hepatitis C<br />
können es 2 Wochen bis zu 6 Monaten sein,<br />
in der Regel aber 6–9 Wochen. Dazu ist<br />
wichtig zu wissen, dass Hepatitis C von Blut<br />
zu Blut übertragen wird. Be<strong>im</strong> Sex ist eine<br />
Ansteckung zwar möglich, aber auch bei<br />
ungeschütztem Vaginal- oder Analverkehr<br />
sehr selten. Das Risiko ist dann erhöht,<br />
wenn Blut <strong>im</strong> Spiel ist (z.B. bei härteren Sexpraktiken<br />
wie Fisten oder be<strong>im</strong> gemeinsamen<br />
Verwenden von Gleitmitteltöpfen etc.).<br />
Durch die verschiedenen Inkubationszeiten<br />
ist es schwierig, einen idealen Zeitpunkt<br />
für den Test festzulegen. Es ist darum<br />
sinnvoller, die Tests in regelmässigen<br />
Abständen zu machen. Je mehr sexuelle<br />
Kontakte, je kleiner die Zeitabschnitte zwischen<br />
den Tests. Neben dem Testen empfehle<br />
ich auch das Impfen. Hier findest du<br />
Test- und Impfempfehlunge, sowie empfohlene<br />
Test- und Impfstellen: https://<br />
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Mehr zu den verschiedenen STI erfährst du<br />
hier https://drgay.ch/safer-sex/was-heisstsafer-sex/das-wichtigste-zu-sti<br />
oder <strong>im</strong><br />
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Alles Gute, Dr. Gay<br />
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Hallo Hans-Jürg<br />
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) empfiehlt<br />
die HPV-Impfung für Jugendliche und<br />
jungen Erwachsene. Der ideale Zeitpunkt<br />
ist mit 11 bis 14 Jahren, vor Beginn der sexuellen<br />
Aktivität. Aber noch bis zum Alter<br />
von 26 Jahren kann die Impfung sinnvoll<br />
sein. Für vulnerable Gruppen kann eine<br />
Impfung auch <strong>im</strong> späteren Alter Sinn machen,<br />
denn auch dann kann sie gegen diejenigen<br />
HPV-Typen schützen, mit denen<br />
sich eine Person noch nicht angesteckt hat.<br />
Ab 50 ist es in jedem Fall wichtig, eine regelmässige<br />
Vorsorgeuntersuchung gegen<br />
Prostata- oder Darmkrebs durchführen zu<br />
lassen. Genauere Informationen kann dir<br />
dein*e Ärztin geben. Er oder sie kennt deine<br />
Krankengeschichte und kann dich in einem<br />
persönlichen Gespräch entsprechend be-<br />
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raten. Bedenke bitte, dass andere sexuell<br />
übertragbare Infektionen (STI) wie zum Beispiel<br />
Syphilis, Tripper oder Chlamydien bei<br />
fast allen Sexpraktiken übertragen werden<br />
können. Kondome schützen zuverlässig vor<br />
HIV, vor anderen STI aber nur sehr bedingt.<br />
Aus diesem Grund empfehle ich dir regelmässige<br />
STI-Tests, auch wenn keine merkbaren<br />
Symptome da sind. Hier findest du<br />
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