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Zur Lebenssituation von Asylbewerbe

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Die Welt der Insassen<br />

Wenn der Aufenthalt eines Insassen lange andauert, kann die<br />

sogenannte Diskulturation auftreten. Darunter ist ein Verlernprozeß zu<br />

verstehen, der den Betroffenen zeitweilig unfähig macht, mit<br />

bestimmten Gegebenheiten in der Außenwelt fertig zu werden, wenn er<br />

in diese eintritt. Der neue Insasse kommt mit einem bestimmten<br />

Selbstbild in die Institution, dieses wurde durch soziale Bedingungen<br />

geformt. Beim Eintritt in die totale Institution wird er den Bedingungen<br />

und der Hilfe, welche die Außenwelt ihm gegeben hat, beraubt. Es<br />

folgen eine Reihe <strong>von</strong> Erniedrigungen, Demütigungen und<br />

Entwürdigungen des Ich. Die Person wird systematisch, aber auch<br />

unabsichtlich gedemütigt. 97 Ein Beispiel dafür ist der erzwungene<br />

öffentliche Charakter <strong>von</strong> Besuchen. 98<br />

In totalen Institutionen erlebt der Insasse die Zerstörung des formellen<br />

Verhältnisses zwischen dem handelndem Individuum und seinen<br />

Handlungen. Dies geschieht z. B. durch die Rückkopplung im<br />

Regelkreis, bei der jemand bei dem Insassen eine Abwehrreaktion<br />

hervorruft und dann einen erneuten Angriff gerade auf diese Reaktion<br />

ausübt. Darauf hin bricht die Schutzreaktion des Selbst vom Insassen<br />

zusammen, da er sich nicht wie im normalen Leben aus der Situation<br />

zurückziehen kann. In einer totalen Institution sind die Aktivitäten der<br />

Menschen reglementiert, das Leben ist bestimmt durch sanktionierende<br />

Interaktionen. Diese Bestimmungen rauben den Insassen die<br />

Möglichkeit, Bedürfnisse und Ziele nach ihren persönlichen<br />

Gegebenheiten auszugleichen. Folglich wird die Autonomie des<br />

Handelns des Selbst verletzt. Die Handlungsautonomie eines<br />

Menschen wir am nachhaltigsten zerstört, wenn er gezwungen ist, bei<br />

geringfügigen Handlungen, die er auch ohne weiteres selbst verrichten<br />

könnte, um Erlaubnis oder um Material zu bitten. 99<br />

97 Goffman, 1977, S. 24ff.<br />

98 Goffman, 1977, S. 40.<br />

99 Goffman, 1977, S. 45ff.<br />

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