Die Heilandskirche in Dresden-Cotta – eine baugeschichtliche Untersuchung
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eigentlichen Kirchturm, sondern e<strong>in</strong>e sich über dem Kirchenbau zentralisierende Kuppel.<br />
Der Raum der Geme<strong>in</strong>de ist überwölbt. <strong>Die</strong> raumgestaltenden Pr<strong>in</strong>zipien, die ev.-luth.<br />
Kirchenräumen damals zugrunde lagen und bei der Frauenkirche umgesetzt wurden,<br />
waren Zentralisation, Symmetrie und Axialität. 62 Außerdem hat sie e<strong>in</strong>en Geme<strong>in</strong>deraum<br />
ohne Pfeiler und Seitenschiffe, sodass von allen Plätzen die freie Sicht auf den Altar<br />
gewährleistet ist (siehe Abb. 68, 69). <strong>Die</strong>ser bef<strong>in</strong>det sich nahe bei der Geme<strong>in</strong>de und ist<br />
nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em eigenen Altarraum errichtet worden. 63 Cornelius Gurlitt nennt die<br />
Frauenkirche bereits im Jahr 1889 die „[…] am meisten protestantische Kirche der Welt<br />
[…]“ 64 . Er stellte fest, dass die bereits im Barock errichtete Kirche den Geme<strong>in</strong>degedanken<br />
der evangelischen Kirche architektonisch umsetzte.<br />
In der Architektur umgesetzt wurde das Geme<strong>in</strong>depr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong> der Zeit des neu auflebenden<br />
Protestantismus. 65 In Wiesbaden sollte Ende des 19. Jahrhunderts e<strong>in</strong>e neue Kirche<br />
errichtet werden, bei der jede Anlehnung an katholische Kirchen vermieden werden<br />
sollte. Das nicht amtliche „Wiesbadener Programm“ im Jahr 1890 stellte an die<br />
reformierte Sakralarchitektur vier Anforderungen. <strong>Die</strong> Kirche sollte von nun an als<br />
Versammlungshaus der Geme<strong>in</strong>de gesehen werden. Der Kirchenraum sollte e<strong>in</strong>heitlich<br />
se<strong>in</strong>, d.h. dass es ke<strong>in</strong>en Altarraum mehr geben sollte, sondern dieser aufgelöst und zu<br />
e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>heit mit dem Geme<strong>in</strong>deraum verschmelzen sollte. Der Altar sollte (zum<strong>in</strong>dest<br />
symbolhaft) <strong>in</strong>mitten der Geme<strong>in</strong>de stehen. <strong>Die</strong> Kanzel sollte sich h<strong>in</strong>ter dem Altar<br />
bef<strong>in</strong>den <strong>in</strong> Zusammenhang mit der Orgel. Alle diese Anforderungen erfüllte die<br />
Reformations-, später R<strong>in</strong>gkirche <strong>in</strong> Wiesbaden. Ihre Kanzel bef<strong>in</strong>det sich über dem<br />
Altar, das Gestühl ist wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Amphitheater davor angeordnet. Es umgibt die<br />
Altar<strong>in</strong>sel, die nur durch e<strong>in</strong>e Stufe erhöht ist, konzentrisch. <strong>Die</strong> R<strong>in</strong>gkirche ist der erste<br />
Vertreter des protestantischen Kirchenbaus mit e<strong>in</strong>er dem Geme<strong>in</strong>depr<strong>in</strong>zip zugrunde<br />
liegenden reformierten Gestaltung des Innenraums (siehe Abb. 70, 71). <strong>Die</strong>s war auch die<br />
Bestrebung der Architekten des Reformbaus. Immer mehr Kirchen wurden nach diesem<br />
Pr<strong>in</strong>zip gebaut, wodurch das Eisenacher Regulativ nach und nach abgelöst wurde.<br />
Deswegen war das Wiesbadener Programm maßgeblich für Kirchen des Reformbaus.<br />
Mit dem Beg<strong>in</strong>n des 20. Jahrhunderts wurden die ersten reformbautypischen Kirchen<br />
errichtet, die e<strong>in</strong>e reformierte Innenraumgestaltung besitzen und erstmals <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em neuen<br />
62<br />
Beyer, Franz-He<strong>in</strong>rich (2011): Geheiligte Räume. Theologie, Geschichte und Symbolik des Kirchengebäudes.<br />
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. S. 100, 103.<br />
63<br />
Vgl. Beyer, Franz-He<strong>in</strong>rich (2011): Geheiligte Räume. Theologie, Geschichte und Symbolik des Kirchengebäudes.<br />
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. S. 157.<br />
64<br />
Gurlitt, Cornelius (1889): Geschichte des Barockstiles und des Rococo <strong>in</strong> Deutschland. Stuttgart: Verlag von Ebner<br />
& Seubert. S. 83.<br />
65<br />
Vgl. Beyer, Franz-He<strong>in</strong>rich (2011): Geheiligte Räume. Theologie, Geschichte und Symbolik des Kirchengebäudes.<br />
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. S. 157 <strong>–</strong> 159.<br />
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