18.04.2015 Aufrufe

Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Schwerpunkt<br />

schuldmindernden Wirkung des Geständnisses nicht mehr zu erklären<br />

sei. 28 Insbesondere bei Vorliegen eines bloß taktischen Geständnisses<br />

29 falle es schwer, einen unter Umständen erheblichen Strafnachlass<br />

zu rechtfertigen. 30 Im Einzelfall würden daher die Grenzen<br />

schuldangemessenen Strafens überschritten. 31 Hettinger weist in<br />

diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin: „Man muss aber doch<br />

deutlich sagen, dass eine Ersparung prozessualen Aufwands schwerlich<br />

ein strafzumessungsrelevanter Umstand ist.“ 32<br />

3. Zwischenergebnis<br />

Eine Verständigung führt nicht zwangsläufig zu schuldunangemessenen<br />

Strafen. Allerdings ist zumindest für den Fall, dass das Gericht<br />

einen unangemessen hohen Strafrabatt für ein rein taktisches<br />

Geständnis gewährt, die Grenze schuldangemessenen Strafens überschritten.<br />

Ein Verstoß droht zudem, wenn auf die Ermittlung des<br />

wahren Sachverhaltes allein auf Gr<strong>und</strong> eines Geständnisses gänzlich<br />

verzichtet wird. Ist dem Gericht der wahre Sachverhalt nicht bekannt,<br />

kann es schwerlich eine schuldangemessene Strafe finden.<br />

II. Gefährdung der Neutralität des Gerichts durch<br />

eine prinzipielle Motivationsverschiebung bei Verfahrensabsprachen?<br />

Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG 33 schützt den Anspruch auf Entscheidung<br />

der Rechtssache durch den hierfür von Gesetz wegen vorgesehen<br />

Richter. Damit soll die Unabhängigkeit der Rechtsprechung, aber<br />

auch das Vertrauen der Rechtsuchenden <strong>und</strong> der Öffentlichkeit in<br />

die Unparteilichkeit <strong>und</strong> Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden.<br />

So wird garantiert, dass der Richter unabhängig <strong>und</strong> unparteilich ist<br />

<strong>und</strong> die nötige Neutralität <strong>und</strong> Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten<br />

innehat. Eine Besorgnis der Befangenheit ist gegeben, wenn<br />

ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände<br />

Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu<br />

zweifeln. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es nicht darauf ankommt,<br />

ob der Richter tatsächlich befangen oder voreingenommen ist. Entscheidend<br />

ist vielmehr, ob ein verständiger Beteiligter Anlass hat, an<br />

der persönlichen Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. 34<br />

Fraglich ist, ob Gespräche im Rahmen einer Verständigung die Befangenheit<br />

des Richters begründen bzw. einen negativen Einfluss auf<br />

dessen Unparteilichkeit haben. 35 Anzumerken ist zunächst, dass das<br />

Gericht jedenfalls nicht allein aus dem Gr<strong>und</strong> als befangen anzusehen<br />

ist, das es eine Absprache anstrebt. 36 Zwar macht es damit einerseits<br />

deutlich, dass es eine Verurteilung für möglich hält, andererseits<br />

würde das Gericht ansonsten aber nur in eindeutigen Fällen eine<br />

Verständigung anstreben können, was dem Sinn der Absprachepraxis<br />

widerspräche. 37<br />

Gegen die Unparteilichkeit des Richters könnte aber sprechen, dass<br />

das Gericht mit einer Absprache auch eigene Interessen verfolgt<br />

(Arbeitsüberlastung, Beweisschwierigkeiten, Verfahrensbeschleunigung<br />

38 ). Teilweise wird darin die Gefahr gesehen, dass der Richter<br />

sich kein objektives Urteil mehr bilden könne. 39 Der Richter verliere<br />

im Rahmen einer Absprache seine Position als unparteiisch außerhalb<br />

stehender Dritter <strong>und</strong> werde selbst zur „Partei“. 40 Zudem könne<br />

nicht ausgeschlossen werden, dass ihm die zügige Erledigung als solche<br />

wichtiger sei als die Wahrheitserforschung. 41<br />

Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang vor allem auch<br />

die Konstellation einer gescheiterten Verständigung. Darunter fällt<br />

zunächst der Wegfall der Bindung des Gerichts an die Absprache,<br />

§ 257c Abs. 4 S. 1, 2 StPO. Gem. § 257c Abs. 4 S. 3 StPO besteht<br />

dann hinsichtlich des Geständnisses ein Beweisverwertungsverbot.<br />

Im Hinblick auf die Neutralität des Gerichts erscheint es jedoch bedenklich,<br />

dass dennoch dasselbe Gericht das Urteil fällt. 42 Eine Befangenheit<br />

der Richter (insbesondere auch der Schöffen) könne nur<br />

ausgeschlossen werden, sofern das Geständnis ohnehin von niemandem<br />

ernst genommen wurde. 43 Eine weitere Konstellation gestaltet<br />

sich als problematisch: „Wie soll beispielsweise ein Richter, dem der<br />

Angeklagte in der „Abspracheverhandlung“ bereits eine Geständnisbereitschaft<br />

signalisiert hatte <strong>und</strong> die Absprache dann aus irgendwelchen<br />

Gründen gescheitert ist, über diesen Umstand hinweggehen?“ 44<br />

Abschließend bleibt damit festzustellen, dass ein Eingriff in das<br />

gr<strong>und</strong>rechtsgleiche Recht des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG zumindest<br />

nicht ausgeschlossen ist. Gerade in der Konstellation einer gescheiterten<br />

Verständigung ist eine Beeinträchtigung der Neutralität des<br />

Gerichts zu befürchten.<br />

III. Vereinbarkeit mit der Unschuldsvermutung<br />

<strong>Die</strong> Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips<br />

des Art. 20 Abs. 3 GG <strong>und</strong> hat in Art. 6 Abs. 2 EMRK<br />

<strong>und</strong> Art. 14 Abs. 2 IPBPR zudem eine einfachgesetzliche Regelung<br />

gef<strong>und</strong>en. Danach muss dem Angeklagten seine Schuld in einem<br />

gesetzlich geregelten Verfahren nachgewiesen werden. 45 Im Mittelpunkt<br />

steht dabei der in dubio pro reo-Gr<strong>und</strong>satz, der besagt, dass<br />

niemand verurteilt werden darf, dessen Schuld nicht zweifelsfrei erwiesen<br />

ist. 46<br />

Teilweise wird bereits im Zweck der Absprache – der Verkürzung des<br />

Hauptverfahrens – ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung gesehen.<br />

47 Man könnte nun bemängeln, dass im Rahmen einer Absprache<br />

in der Regel nur eine mangelhafte Sachaufklärung stattfinde <strong>und</strong> das<br />

Urteil auf ein unter Umständen gar nicht überprüftes Geständnis gestützt<br />

werde. 48 <strong>Die</strong>ser Einwand vermag allerdings nicht zu überzeu-<br />

28 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 27. Aufl. 2012, § 17 Rn. 21; Murmann, ZIS 2009, 526, 533;<br />

Schmitt, StraFo 2012, 386, 389.<br />

29 Hettinger, JZ 2011, 292, 300 spricht insofern von einem Geständnis als „Tauschobjekt“.<br />

30 Hettinger, JZ 2011, 292, 300; Schmitt, StraFo 2012, 386, 389; Meyer-Goßner, NStZ 2007, 425, 430;<br />

Altenhain/Haimerl, JZ 2010, 327, 330.<br />

31 So wohl Hettinger, JZ 2011, 292, 300.<br />

32 Hettinger, JZ 2011, 292, 299; so auch Murmann, ZIS 2009, 526, 534 f.; Altenhain/Haimerl, JZ 2010,<br />

327, 330; a.A.: Beulke/Swoboda, JZ 2005, 67, 72.<br />

33 Dabei handelt es sich um ein gr<strong>und</strong>rechtsgleiches Recht, dessen Verletzung mit der<br />

Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG.<br />

34 BVerfG, NJW 2012, 3228.<br />

35 Einen Verstoß bejahend: Eschelbach, in: BeckOK StPO, Edition 15, Stand: 1.10.2012, § 257c Rn.<br />

57.1; eine Aufzählung einzelner Konstellationen, in denen die Besorgnis der Befangenheit<br />

begründet sein kann, findet sich bei Cirener, in: BeckOK StPO, Edition 15, Stand: 1.10.2012, § 24<br />

Rn. 18a. f.<br />

36 Knauer/Lickleder, NStZ 2012, 366, 371; Cirener, in: BeckOK StPO, Edition 15, Stand: 1.10.2012, § 24<br />

Rn. 18.<br />

37 Knauer/Lickleder, NStZ 2012, 366, 371.<br />

38 Braun, <strong>Die</strong> Absprache im deutschen Strafverfahren, 1998, S. 28 ff.<br />

39 Beulke, Strafprozessrecht, 12. Aufl. 2012, Rn. 394a; Nestler-Tremel, DRiZ 1988, 288, 294.<br />

40 Braun, <strong>Die</strong> Absprache im deutschen Strafverfahren, 1998, S. 78; Schünemann, 58. DJT 1990 B,<br />

S. 120; Schünemann, ZRP 2009, 104, 107; so in anderem Zusammenhang auch: Roxin/Schünemann,<br />

Strafverfahrensrecht, 27. Aufl. 2012, § 17 Rn. 29.<br />

41 Rönnau, <strong>Die</strong> Absprache im Strafprozeß, 1990, S. 249.<br />

42 Hettinger, JZ 2011, 292, 300; Meyer-Goßner, NStZ 2007, 425, 428; DAV, Stellungnahme Nr. 58/2012,<br />

S. 13; Schünemann, ZStW 119 (2007), 945, 952.<br />

43 Hettinger, JZ 2011, 292, 300 f.<br />

44 Braun, <strong>Die</strong> Absprache im deutschen Strafverfahren, 1998, S. 79; so auch: Meyer-Goßner, NStZ 2007,<br />

425, 428.<br />

45 BVerfGE 82, 106, 114.<br />

46 Klesczewski, Strafprozessrecht, 2007, Rn. 54; Braun, <strong>Die</strong> Absprache im deutschen Strafverfahren,<br />

1998, S. 59.<br />

47 Rönnau, <strong>Die</strong> Absprache im Strafprozeß, 1990, S. 177; Wen, Urteilsabsprachen im deutschen <strong>und</strong><br />

taiwanesischen Strafprozess, 2007, S. 171; einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung bejaht<br />

auch Braun, <strong>Die</strong> Absprache im deutschen Strafverfahren, 1998, S. 62.<br />

48 einen Verstoß bejahen auch: Rönnau, <strong>Die</strong> Absprache im Strafprozeß, 1990, S. 177 f.; Nestler-Tremel,<br />

DRiZ 1988, 288, 294.<br />

22<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2013

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!